Marcus Spiralski Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht & Fachanwalt für Familienrecht

Urteilskategorie

Urteilsarchiv

Reparaturkosten: Wenn der Pkw zwecks Gutachtenerstellung teilweise zerlegt wird

| Wird ein Fahrzeug teilweise zerlegt, damit das Gutachten erstellt werden kann, sind die dafür entstandenen Kosten vom Schädiger zu tragen. Unerheblich ist, ob er die Teilzerlegung für unnötig hält. Denn auch die Teilzerlegung fällt unter das vom Schädiger zu tragende Werkstatt- bzw. Prognoserisiko. So sieht es das Amtsgericht (AG) Tettnang. |

Der Geschädigte muss allerdings im Gegenzug zur Zahlung des Versicherers ihm gegenüber der Werkstatt evtl. zustehende Ansprüche auf Rückzahlung an den Versicherer abtreten.

Quelle | AG Tettnang, Urteil vom 20.5.2021, 3 C 639/20, Abruf-Nr. 222893 unter www.iww.de

Teilweiser Sorgerechtsentzug: Eltern verweigern ihren Kindern beharrlich den Besuch staatlich anerkannter Schulen

| Eltern kann das Sorgerecht für ihre Kinder teilweise für den Bereich schulischer Angelegenheiten entzogen werden, wenn sie sich der Beschulung ihrer Kinder auf einer staatlich anerkannten Schule beharrlich verweigern und für ihre Kinder deshalb die Gefahr besteht, weder das erforderliche Wissen noch die erforderlichen Sozialkompetenzen erlernen zu können. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Celle entschieden. |

Sachverhalt und Verfahrensgang

Die Eltern von sieben Kindern gehören einer freikirchlichen Gemeinde an. Sie sehen sich aufgrund ihres Glaubens verpflichtet, ihre Kinder von Einflüssen fernzuhalten, die den Geboten Gottes zuwiderlaufen. Die Mutter der Kinder beschult deshalb ihre beiden ältesten Kinder (8 und 7 Jahre alt) nach dem Konzept einer „Freien Christlichen Schule“ zu Hause.

Die Landesschulbehörde hatte 2019 einen Antrag abgelehnt, die Kinder von der Schulpflicht zu befreien. Die Entscheidung eines Verwaltungsgerichts steht insoweit noch aus. Der Vater der Kinder wurde bereits in 15 Verfahren zu Bußgeldern verurteilt, weil er gegen die Schulpflicht verstoßen hatte.

Das Amtsgericht (AG) hatte keine familiengerichtlichen Maßnahmen ergriffen. Denn die Kinder wiesen weder Defizite beim Wissensstand auf noch seien solche in den Sozialkompetenzen zu erkennen.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts

Dem ist das OLG nicht gefolgt. Es hat den Eltern das Recht zur Regelung schulischer Angelegenheiten entzogen. Darüber hinaus hat es das Jugendamt als sog. Ergänzungspfleger bestellt. So kann dieses nun statt der Eltern die Entscheidungen im Hinblick auf den Schulbesuch treffen. Das Jugendamt kann notfalls sogar erzwingen, dass die Kinder für den Schulbesuch herausgegeben werden.

In Fällen, in denen das Wohl eines Kindes gefährdet ist und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, diese Gefahr abzuwenden, muss das Familiengericht die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen treffen. Das hat das OLG hier gesehen: Denn den Eltern gelinge nicht, die Kinder ausreichend mit Wissen zu versorgen und sie so auf spätere Prüfungen und die Berufsausbildung vorzubereiten. Sie konnten nicht einmal das Konzept ihrer Beschulung nachvollziehbar beschreiben. Des Weiteren unterrichtet die Mutter die Kinder nur wenige Stunden am Tag und dies überwiegend auch neben der Betreuung der weiteren fünf Geschwister. Zwar erhalte sie von einer „Freien Christlichen Schule“ eine gewisse Unterstützung. Die Kinder wären aber höchstwahrscheinlich so nicht in der Lage, einen staatlich anerkannten Schulabschluss zu erwerben.

Soziale Kompetenzen

Das OLG betont: Die Kinder können so keine sozialen Kompetenzen erwerben, die es ihnen ermöglichten, sich mit andersgläubigen Menschen auseinanderzusetzen und sich in einer Umgebung durchzusetzen und zu integrieren, in der die Mehrheit der Menschen nicht entsprechend den Glaubensvorstellungen der Familie leben. Denn sie wachsen ohne jeden Kontakt mit gleichaltrigen Kindern außerhalb ihrer Gemeinde auf. Zugang zu Computern oder Fernsehen fehle. Damit können sie auch nicht indirekt am sozialen Leben außerhalb der Gemeinde teilnehmen.

Glaubensfreiheit vs. Schutzbedürfnis

Das OLG hat bei seiner Entscheidung die grundgesetzlich verbürgte Glaubensfreiheit und das Erziehungsrecht berücksichtigt. Es erkennt die Aufgabe und das Recht der Eltern an, ihren Kindern Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln und nicht geteilte Ansichten von ihnen fernzuhalten. Dennoch sei seine Entscheidung erforderlich und verhältnismäßig, um die Kinder zu schützen. Zwar werden die Kinder bei einem Schulbesuch u. a. mit der Evolutionstheorie, der Sexualkunde und der Gleichberechtigung von Mann und Frau konfrontiert, was die Eltern hier im Hinblick auf ihre Glaubensüberzeugungen verhindern wollen. Allein durch die Behandlung dieser Unterrichtsstoffe sind die Eltern aber nicht daran gehindert, ihre Kinder in Glaubensfragen nach eigenen Vorstellungen zu erziehen.

Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 2.6.2021, 21 UF 205/20, PM vom 25.6.2021

Antrag auf Teilzeitbeschäftigung: Teilzeitanspruch kann während der Elternzeit mittels einstweiliger Verfügung durchgesetzt werden

| Arbeitnehmer können ihren Anspruch auf Teilzeit während der Elternzeit mit dem Erlass einer einstweiligen Verfügung sichern. So sieht es das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln. |

Das war geschehen

Die Klägerin befand sich nach der Geburt ihres Kindes seit dem 20.6.2020 in Elternzeit, die am 24.4.2022 enden soll. Sie beantragte am 19.2.2021 ab dem 1.5.2021 ihre Teilzeitbeschäftigung in Elternzeit bis zum 24.4.2022 im Umfang von 30 Wochenstunden. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab. Begründung: Es fehle an Beschäftigungsmöglichkeiten.

So sah es das Landesarbeitsgericht

Das LAG gab dem Antrag statt: Die Klägerin habe die Voraussetzungen für den Anspruch glaubhaft gemacht, die Arbeitszeit während der Elternzeit zu verringern. Der Arbeitgeber könne zwar dem Anspruch entgegentreten, etwa durch den Hinweis auf dringende betriebliche Gründe. Diese muss er aber ebenfalls glaubhaft machen.

Dafür genüge es nicht, bloß zu behaupten, es bestehe keine Beschäftigungsmöglichkeit. Es seien vielmehr die zugrunde liegenden Tatsachen zu bezeichnen.

Das LAG sah auch einen sog. Verfügungsgrund als gegeben an. Regelmäßig komme als Verfügungsgrund nur ein konkretes ideelles Interesse des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung in Betracht. Dieses habe die Klägerin vorliegend glaubhaft gemacht. Sie müsse bei weiterer Abwesenheit befürchten, dass andere Arbeitnehmer und nicht sie gefördert würden. Sie könne auf das „Abstellgleis“ geraten.

Seien die Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung gegeben, müsse der Arbeitgeber den Arbeitnehmer mit der von ihm angestrebten Stundenzahl beschäftigen. Eine zeitliche Begrenzung der Beschäftigung, z. B. „bis zur Entscheidung des Arbeitsgerichts in der Hauptsache“ sei nicht vorzunehmen.

Gegen die Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben.

Quelle | LAG Köln, Beschluss vom 4.6.2021, 5 Ta 71/21, PM 5/21

Drohen mit Krankschreiben: Nicht immer darf fristlos gekündigt werden

| Die Drohung, sich krankschreiben zu lassen, falls die Schichteinteilung nicht wie gewünscht erfolgt, stellt eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht dar, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern. |

Dennoch kann nach Ansicht des LAG die Interessenabwägung zugunsten des Arbeitnehmers ausgehen. Das ist z. B. der Fall, wenn die Drohung mit der Krankschreibung auf einem innerbetrieblichen Konflikt zwischen Arbeitnehmern beruhte, auf den der Arbeitnehmer bereits mit einer Eigenkündigung reagiert hat, und das Arbeitsverhältnis deshalb in Kürze wie hier vorliegend in vier Wochen endet.

Quelle | LAG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 4.5.2021, 5 Sa 319/20, Abruf-Nr. 222886 unter www.iww.de

Erholungsurlaub: Anteilige Urlaubskürzung für Zeiten von Kurzarbeit

| Der Arbeitgeber ist bei Kurzarbeit nicht berechtigt, den Erholungsurlaub der hiervon betroffenen Arbeitnehmer anteilig im Verhältnis zu den Jahresarbeitstagen zu kürzen, wenn keine Kurzarbeit „Null“ zugrunde liegt. So entschied es jetzt das Arbeitsgericht (ArbG) Osnabrück im Fall mehrerer Arbeitnehmer. |

Sachverhalt

Mehrere Arbeitnehmer verlangen mit ihrer Klage, Urlaubstage gutzuschreiben, die ihnen für Zeiten von Kurzarbeit im Verhältnis zu ihren Jahresarbeitstagen durch den Arbeitgeber anteilig gekürzt worden sind. Der an einzelnen Tagen durchgeführten Kurzarbeit lagen mehrere nahtlos aufeinanderfolgende Betriebsvereinbarungen zur Kurzarbeit zugrunde. Die Arbeitszeit der klagenden Parteien war nicht auf „Null“ reduziert worden.

Die Betriebsvereinbarungen wurden jeweils erst kurze Zeit vor Beginn der Kurzarbeit zwischen den Betriebspartnern geschlossenen. Die Information der betroffenen Arbeitnehmer erfolgte danach. Dem Arbeitgeber war es nach den Betriebsvereinbarungen zur Kurzarbeit gestattet, die Kurzarbeit vorzeitig und kurzfristig mit einer „Ansagefrist“ von zwei Werktagen zu beenden oder zu reduzieren.

Die klagenden Parteien sind der Ansicht, dass die durchgeführte Kurzarbeit keinen Einfluss auf ihre Urlaubsansprüche hat. Der Kurzarbeiter habe nicht ähnlich einem Teilzeitbeschäftigten eine vorhersehbare und frei gestaltbare Freizeit durch Kurzarbeit gewonnen, die er nutzen könne, um sich auszuruhen oder Freizeitaktivitäten nachzugehen.

So argumentierte der Arbeitgeber

Die Beklagte stützt sich zur Berechtigung der anteiligen Urlaubskürzung während der Kurzarbeit auf Entscheidungen des EuGH und des BAG über entsprechende Urlaubskürzungen gegenüber Teilzeitbeschäftigten und bei Gewährung eines Sabbaticals für Arbeitnehmer sowie auf eine obergerichtliche Entscheidung bei Kurzarbeit „Null“. Im Übrigen könne es nicht sein, dass dann, wenn der Betrieb nach Ende der Kurzarbeit durch die Arbeitnehmer, die ihren vollen Jahresurlaub nehmen könnten, nach Wiederanlaufen nach der Kurzarbeit dadurch blockiert würde.

Arbeitsgericht: Rechtswidrige Kürzung ist zurückzunehmen

Das ArbG hat den Klagen vollumfänglich stattgegeben und den Arbeitgeber verpflichtet, den gekürzten Urlaubsanteil dem Urlaubskonto der klagenden Arbeitnehmer gutzuschreiben.

Die anteilige Kürzung ist rechtwidrig. Unabhängig davon, dass Erholungsurlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz für das Bestehen des Arbeitsverhältnisses als solches unabhängig von der Erbringung einer konkreten Arbeitsleistung gewährt wird, kann vorliegend nicht von einem zur anteiligen Urlaubskürzung berechtigenden Ruhen des Arbeitsverhältnisses für die Dauer der Kurzarbeit gesprochen werden. Bei einer Kurzarbeit-Vereinbarung, bei der die Arbeitszeit nicht auf „Null“ für diesen Zeitraum herabgesetzt wird, besteht keine vergleichbare Gesetzeslage zum Teilzeitrecht oder sonstigen andauernden Unterbrechungen der gegenseitigen Leistungspflicht aus dem Arbeitsverhältnis, wie bei einem „Sabbatical“. Vielmehr zeigt die vergleichbare Lage zu sonstigen Ruhenstatbeständen im Arbeitsverhältnis, z.B. bei Elternzeit, dass hierfür anteilige Urlaubskürzung gesetzlich möglich ist. In Kenntnis dessen hätte der Gesetzgeber auch bei Kurzarbeit anteilige Urlaubskürzungen statuieren können. Dies hat der Gesetzgeber nicht nur unterlassen, sondern nach dem Bundesurlaubsgesetz gerade zum Ausdruck gebracht, dass Kurzarbeit nicht zur Verdienstschmälerung betreffend Urlaubsentgelt dienen soll.

Es lag keine Kurzarbeit „Null“ vor

Wegen der Durchführung von Kurzarbeit nur an einzelnen Tagen (statt Kurzarbeit „Null“) sowie der kurzfristigen Einführung als auch der vorliegenden Möglichkeit der vorzeitigen Beendigung oder Reduzierung der durchgeführten Kurzarbeit mit einer Ansagefrist von zwei Werktagen sieht das ArbG es als verfehlt an, einer derartigen Kurzarbeit die gleiche Rechtswirkung zuzusprechen, wie bei einem länger andauernden Ruhen des Arbeitsverhältnisses. Es kann weder davon gesprochen werden, dass bei derartiger Kurzarbeit Arbeitnehmer ihren Erholungsurlaub bereits anteilig quasi realisiert haben. Es ist auch unerheblich, dass Arbeitnehmer nach Ende der Kurzarbeit ihre restlichen Urlaubsansprüche nehmen können. Dies liegt in der Natur der Sache. Eine etwaige dadurch einhergehende Betriebsblockade erscheint nicht nur im Hinblick auf die sonstigen Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer als Spekulation und ohne Belang.

Die Berufung zum Landesarbeitsgericht (LG) wurde wegen der Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Quelle | ArbG Osnabrück, PM vom 10.6.2021

Nachlassverzeichnis: Notar darf sich nicht nur auf Angaben des Erben verlassen

| Der Notar, der ein Nachlassverzeichnis aufnehmen muss, ist regelmäßig auch verpflichtet, selbstständig die aufzunehmenden Gegenstände und Forderungen zu ermitteln. Ein Verzeichnis, das sich nur auf die Beurkundung von Angaben des Erben beschränkt, erfüllt die Anforderungen nicht. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Celle entschieden. |

Inwieweit der Notar bei Erstellen eines notariellen Nachlassverzeichnisses zur Durchsicht von Kontounterlagen verpflichtet ist, vor allem, um zu prüfen, ob im Verwendungszweck „Schenkung“ oder eine ähnliche Formulierung gebraucht ist, oder ob er die Kontoauszüge auf Auffälligkeiten überprüfen muss, die für eine Schenkung sprechen, lässt sich nur für den konkreten Einzelfall bestimmen. Im Streitfall ging das dem OLG etwas zu weit. Dass die Anforderungen an den Notar in solchen Fällen durchaus hoch sind, hat das OLG bereits früher entschieden, nämlich zu Nachfragen bei Banken oder Finanzämtern sowie zur Sichtung eines Bankschließfachs.

Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 25.3.2021, 6 U 74/20, Abruf-Nr. 222979 unter www.iww.de

Schadenersatz/Schmerzensgeld: Kein Mitverschulden eines 11-jährigen Kindes an einem Unfall

| Trifft ein elfjähriges Kind beim Überqueren einer Straße ein Mitverschulden an einem Verkehrsunfall? Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat in einer aktuellen Entscheidung die situationsbedingte Überforderung des Kindes berücksichtigt, eine Gefahrenlage im Straßenverkehr richtig einzuschätzen. |

Die damals 11-jährige Klägerin überquerte als letztes von vier Kindern kurz vor 8:00 Uhr morgens im Dunkeln eine Straße in der Nähe ihrer Schule. Eines der vorausgehenden Kinder trug eine gelb reflektierende Jacke. Dieser Gruppe näherte sich ein Pkw mit einer Geschwindigkeit von mindestens 55 km/h anstatt erlaubter 50 km/h. Kurz bevor die Klägerin den Bürgersteig erreichte, erfasste sie das Fahrzeug.

Die Klägerin erlitt durch den Unfall insbesondere einen Beckenbruch, einen Dammriss und eine Mittelgesichtsprellung. Sie wurde mehrtägig stationär behandelt. Sie verlangt von dem Fahrer, der Halterin und der Haftpflichtversicherung des Unfallfahrzeugs ein Schmerzensgeld und die Verpflichtung, für künftige unfallbedingte Schäden aufzukommen. Das Landgericht (LG) Verden hat in erster Instanz ein Mitverschulden der Klägerin angenommen, aufgrund dessen ihre Ansprüche um 25 Prozent gemindert seien.

Unangepasste Fahrweise einerseits …

Das OLG Celle hat der Klägerin demgegenüber in vollem Umfang Recht gegeben. Der Autofahrer habe den Unfall jedenfalls ganz überwiegend verschuldet. Ein Fahrzeugführer muss sich so verhalten, dass eine Gefährdung insbesondere von Kindern, hilfsbedürftigen und älteren Menschen ausgeschlossen ist. Hier hätte der Fahrer sein Fahrverhalten sofort anpassen müssen, als er die Kinder im Straßenbereich wahrnahm. Darüber hinaus hätte er den Unfall auch verhindern können, wenn er nur die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten hätte.

… aber auch fehlerhaftes Verhalten des Kindes

Zwar hatte sich das Kind ebenfalls falsch verhalten. Es hatte nämlich beim Überqueren der Straße den vorfahrtsberechtigten Fahrzeugverkehr nicht ausreichend beachtet. Nach dem OLG traf es insoweit aber kein Verschulden. Kinder, so das OLG, können ohnehin erst ab Vollendung des zehnten Lebensjahrs für Unfälle im Straßenverkehr verantwortlich sein. Hier kam hinzu, dass das nur unwesentlich ältere Kind nachvollziehbar überfordert war, weil es sich schon auf der Straße befand, als es das Fahrzeug wahrnahm, Entfernung und Geschwindigkeit dieses Fahrzeugs auch aufgrund der Dunkelheit falsch einschätzte und reflexhaft die falsche Entscheidung traf, der Gruppe hinterherzulaufen. Der Autofahrer habe sich auch nicht darauf verlassen dürfen, dass sich das Kind richtig verhalten werde.

Schwere Langzeitschäden für das Kind

Das OLG hat deshalb nicht nur die Verpflichtung der Beklagten festgestellt, der Klägerin ihren materiellen Schaden vollständig zu ersetzen. Er hat sie auch zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verurteilt, das mit insgesamt 35.000 EUR noch deutlich über den Vorstellungen der Klägerin selbst lag. Die Klägerin hatte schwere Verletzungen und Dauerschäden erlitten, u.a. im Genitalbereich, mit möglichen Risiken auch bei späteren Schwangerschaften. Aufgrund ihres jungen Alters hatte und hat sie noch lange an den Verletzungsfolgen zu tragen. Dies war bei der Schmerzensgeldbemessung bislang nicht berücksichtigt worden.

Quelle | OLG Celle, Urteil vom 19.5.2021, 14 U 129/20

Fahrlässigkeit: Mit auf der Fahrbahn liegenden Personen müssen Sie bei Dunkelheit nicht rechnen!

| Das Landgericht (LG) Mühlhausen hat jetzt die Frage verneint, ob ein Autofahrer damit rechnen muss, dass nachts außerorts auf einer unbeleuchteten Landstraße ein dunkel gekleideter Fußgänger auf der Fahrbahn liegt. Dem Fahrer war eine fahrlässige Tötung vorgeworfen worden, weil er den Fußgänger überfahren hatte und dieser an den Folgen des Unfalls verstarb. |

Die entsprechende Situation sei nicht vorhersehbar gewesen. Zwar ist allgemein anerkannt, dass ein Autofahrer stets mit Hindernissen auf der Fahrbahn rechnen muss. Er muss daher auch vor unvermuteten Hindernissen anhalten können. Dies gilt jedoch nicht für solche Hindernisse, mit denen er unter keinem vertretbaren Gesichtspunkt rechnen muss.

Nach der Lebenserfahrung muss sicherlich stets mit (auch besonders grober) Unachtsamkeit von Fußgängern gerechnet werden. Ein in höchstem Maße selbstgefährdendes, sich durch nichts ankündigendes Verhalten eines Fußgängers ist hingegen so ungewöhnlich und selten, dass niemand damit zu rechnen braucht, wenn nicht ausnahmsweise im Einzelfall besondere Umstände Anlass dazu geben.

So war es auch hier: Der Überfahrene hatte sich stark alkoholisiert und unter Drogeneinfluss nachts bei vollkommener Dunkelheit und schlechten Wetterverhältnissen außerorts auf einer unbeleuchteten Landstraße mittig auf die Fahrbahn gelegt.

Zwar muss man als Autofahrer, insbesondere im ländlichen Raum, durchaus damit rechnen, dass nachts und auch am frühen Morgen unter Umständen auch alkoholisierte und dunkel gekleidete Fußgänger an einer Landstraße entlanglaufen. Ein solches Verhalten von Fußgängern liegt nicht außerhalb der Lebenserfahrung. Hingegen ist es so ungewöhnlich und gerade nicht zu erwarten, dass im Winter bei Schneefall und kalten Temperaturen eine Person mitten auf der Fahrbahn liegt. Mit einer solchen Verkehrssituation muss man als Kraftfahrer nicht rechnen. Die Situation hat sich auch nicht zuvor angekündigt, z. B. durch mehrere im Bereich der Straße anwesende Personen.

Quelle | LG Mühlhausen, Beschluss vom 28.4.2021, 3 Qs 43/21, Abruf-Nr. 222596 unter www.iww.de

Bonuszahlung: Unterlassene Zielvereinbarung kann Schadenersatzanspruch begründen

| Ist eine Bonuszahlung nach dem Vertrag von einer Zielvereinbarung abhängig, darf der Arbeitgeber bei deren Umsetzung nicht untätig bleiben. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt. |

Ein schuldhafter Verstoß des Arbeitgebers gegen seine arbeitsvertragliche Pflicht, mit dem Arbeitnehmer für eine Zielperiode Ziele zu vereinbaren, an deren Erreichen eine Bonuszahlung geknüpft ist, löst jedenfalls nach Ablauf der Zielperiode grundsätzlich einen Anspruch auf Schadenersatz aus.

Quelle | BAG, Urteil vom 7.12.2020, 8 AZR 149/20, Abruf-Nr. 222862 unter www.iww.de

Sorgerechtsstreit: Elterliche Sorge gegen den ausdrücklich erklärten Willen eines 13-Jährigen?

| Das Amtsgericht (AG) Frankenthal hat jetzt entschieden: Die elterliche Sorge kann gegen den ausdrücklich erklärten Willen eines 13-jährigen Kindes aufrechtzuerhalten sein, wenn eine ausreichende Kommunikationsbereitschaft und -fähigkeit der Eltern im Übrigen gegeben ist. |

Was war geschehen?

Die Beteiligten sind die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern eines 13-jährigen Kindes. Zwischen dem Kind und dem Antragsgegner bestand seit geraumer Zeit kein Kontakt mehr; jedenfalls seit ungefähr zwei Jahren ist der Kontakt gänzlich abgebrochen. Die Eltern kommunizieren ebenfalls kaum miteinander, die Mutter hat die wesentlichen Entscheidungen für das bei ihr wohnende Kind in der Vergangenheit alleine getroffen. Die Kommunikation beschränkte sich im genannten Zeitraum auf Whatsapp-Chats. Der Vater zahlt für das Kind Kindesunterhalt. Die Mutter beantragte die Übertragung der alleinigen Sorge auf sich. Zum einen entspreche dies dem Wunsch des Kindes, zum anderen sei der Antragsgegner an dem Kind nicht interessiert und übe daher die elterliche Sorge faktisch nicht aus. Der Vater hat sich dem Antrag widersetzt. Er hat anerkannt, dass er sich zuletzt wenig um das Kind gekümmert hat, möchte aber an der elterlichen Sorge festhalten.

Das sagt das Amtsgericht

Das AG hat den Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge zurückgewiesen. Grundsätzlich gilt: Jeder Elternteil kann, wenn Eltern nicht nur vorübergehend getrennt leben und ihnen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge alleine überträgt. Dem Antrag ist stattzugeben, soweit zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht.

Doch was, wenn einem Elternteil Gleichgültigkeit vorgeworfen wird? Dies kann nur Grundlage für eine gerichtliche Entscheidung der elterlichen Sorge werden, wenn der betreffende Elternteil sich überhaupt nicht um das Kind kümmert. Mangelndes Engagement muss aber nicht zur alleinigen Sorge führen, wenn die Eltern sonst zusammenarbeiten können und das gebotene Maß an Gemeinsamkeiten und wenigstens ein gewisses Interesse für das Kind vorhanden ist. Ein Elternteil kann für die Entwicklung des Kindes zurücktreten und damit weniger wichtig bleiben, während der andere für die tägliche Erziehungsarbeit zuständig ist, ohne dass sich weitere Auswirkungen für die Entwicklung des Kindes ergeben. Oft haben sich die Eltern für dieses Modell schon vor der Trennung entschieden dann treten ohnehin keine Änderungen ein.

Zurückhaltung ist nicht immer Verantwortungslosigkeit

Motivlage und tatsächliche Hintergründe entziehen sich einer Bewertung von außen fast zwingend. Erkennbare Zurückhaltung ist kein Zeichen von Verantwortungslosigkeit. Verzicht für sich kann wohlbedacht sein, auch um gerade das Kind belastenden Streit zu vermeiden. Maßstab ist wie immer das Wohl des Kindes.

Zeigt ein Elternteil aber nachhaltig kein Interesse an der Entwicklung des Kindes und pflegt keinerlei Kontakt zum Kind, sondern überlässt dem anderen Elternteil die Sorge mit allen Entscheidungen alleine, dann stellt sich berechtigt die Frage, welche gemeinsame Sorge hier noch ausgeübt wird, sodass auf Antrag die Sorge auf den diese tatsächlich ausübenden Elternteil ggf. zu übertragen ist.

Kooperationsbereitschaft war vorhanden

Vor diesem Maßstab sei die gemeinsame elterliche Sorge im vorliegenden Fall nicht aufzuheben. Zwar sei der Antragstellerin zuzugestehen, dass sich die Kommunikation auf ein Mindestmaß beschränke. Allerdings hätten sich auch keine Umstände ergeben, zu denen etwa der Antragsgegner für die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht zur Verfügung gestanden hätte. Eine gewisse aktive Grundverantwortung übe der Antragsgegner zudem dadurch aus, dass er den Kindesunterhalt regelmäßig bezahle. Schließlich ergebe sich aus den vorgelegten Chatverlaufsprotokollen, dass der Antragsgegner grundsätzlich an dem Kind Interesse gezeigt habe. Vor diesem Hintergrund könne von einer gänzlichen Gleichgültigkeit nicht ausgegangen werden, wenngleich die Tatsache, dass sich der Antragsgegner etwa zu den letzten Geburtstagen des Kindes nicht gemeldet habe, nachvollziehbar den Anschein einer Interessenlosigkeit erweckte.

Weiter sei zu berücksichtigen, dass sich keine zu entscheidenden Konflikte der Eltern in wesentlichen Belangen abzeichneten, der Vater sich in jeder Hinsicht kooperationsbereit erklärt habe und Entscheidungen von wesentlicher Bedeutung, die das Einvernehmen beider Eltern voraussetzen würden, nicht bevorstünden. In der Vergangenheit hätten die Eltern eine kindeswohldienliche Entscheidung praktizieren können.

Kindeswohl entscheidend

Die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge sei auch vor dem Hintergrund geboten, dass sich das Kind in der persönlichen Anhörung ausdrücklich für die Alleinsorge der Mutter ausgesprochen habe. Zwar sei der Wunsch des nun 13-jährigen Kindes grundsätzlich anzuerkennen. Indes komme ihm nicht die alleinige oder entscheidende Bedeutung zu. Denn es sei im Rahmen der persönlichen Anhörung offenbar geworden, dass das Kind aufgrund der Erfahrungen der letzten beiden Jahre von dem Antragsgegner enttäuscht sei, diesen indes jedoch nicht gänzlich und dauerhaft ausschließen möchte. Eine Auseinandersetzung mit dem Vater und der Vater-Sohn-Beziehung entspreche auch entwicklungspsychologisch der weiteren persönlichen Entwicklung des Kindes am besten, sodass das Gericht die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge auch vor diesem Hintergrund als kindeswohldienlicher ansehe.

Quelle | AG Frankenthal, Urteil vom 1.6.2021, 71 F 108/21, PM vom 17.6.2021