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Monats-Archive: Juli 2023

Verspätetes Handeln: Fahrtenbuchanordnung auch ohne Einblick in die Rohmessdaten?

| Wendet sich der Adressat einer Fahrtenbuchanordnung gegen die Verwertbarkeit der Geschwindigkeitsmessung mit einem standardisierten Messverfahren, kann er sich nicht mit Erfolg auf die teilweise Verweigerung des Zugangs zu Rohmessdaten berufen, wenn er nicht seinerseits alles ihm Zumutbare unternommen hat, um diesen Zugang zu erhalten. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) nun entschieden. |

Zu schnell gefahren, Fahrer unbekannt, Fahrtenbuchauflage angeordnet

Der Kläger, gegen den die Anordnung ergangen war, ein Fahrtenbuch zu führen, begehrte im Nachhinein festzustellen, dass die Anordnung rechtswidrig war. Im Dezember 2018 wurde auf der Bundesautobahn A 8 mit einem mobilen Lasermessgerät des Typs VITRONIC Poliscan FM 1 gemessen, dass mit dem auf den Kläger zugelassenen Pkw die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 41 km/h (nach Toleranzabzug) überschritten wurde. Der Fahrer des Fahrzeugs konnte nicht festgestellt werden. Daraufhin gab der Beklagte dem Kläger unter Anordnung des Sofortvollzugs auf, für die Dauer von sechs Monaten ein Fahrtenbuch zu führen. Der Kläger kam der Anordnung nach.

Antrag des Klägers zu spät?

Seine nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit der Anordnung festzustellen, hat er damit begründet, dass die Geschwindigkeitsmessung nicht verwertbar sei, da das Messgerät keine Rohmessdaten speichere. Das Verwaltungsgericht (VG) hat die Klage abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) festgestellt, dass das Messgerät die Rohmessdaten gespeichert hatte. Der Kläger hat daraufhin geltend gemacht, diese Daten würden ihm von der Bußgeldstelle nicht vollständig zur Verfügung gestellt, obwohl das für eine effektive Rechtsverfolgung erforderlich sei. Das OVG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Behörden und Gerichte dürften auch bei der Entscheidung über eine Fahrtenbuchanordnung die Ergebnisse standardisierter Messverfahren zugrunde legen, solange der Betroffene keine substanziierten Einwände gegen die Richtigkeit der Messung erhebe.

Recht auf faires Verfahren

Um dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, die Richtigkeit der Messung zu überprüfen, gebiete das Recht auf ein faires Verfahren, ihm Zugang zu Rohmessdaten zu gewähren. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) müsse der Betroffene diesen Zugang aber rechtzeitig beantragt haben. Das sei hier nicht geschehen. Der Kläger habe seinen Antrag auf Zugang bei der Bußgeldstelle erst gestellt, als die Geltungsdauer der Fahrtenbuchanordnung bereits abgelaufen gewesen sei.

Keine konkreten Anhaltspunkte für einen Messfehler

Das BVerwG hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Nach der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) setzt eine Fahrtenbuchanordnung u.a. eine Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften voraus. Mit seinem Einwand, die Geschwindigkeitsmessung sei nicht verwertbar, da ihm nicht auch die Rohmessdaten Dritter zur Überprüfung der Messung zur Verfügung gestellt worden seien, hatte der Kläger keinen Erfolg. Allerdings stand die Annahme des Berufungsgerichts, der Betroffene müsse den Zugang zu solchen Daten vor Ablauf der Geltungsdauer der Fahrtenbuchanordnung beantragt haben, nicht im Einklang mit Bundesrecht. Eine solche zeitliche Grenze lässt sich den maßgeblichen bundesrechtlichen Regelungen nicht entnehmen.

Kläger hat sich zu wenig bemüht

Doch stellte sich das Berufungsurteil aus anderen Gründen als richtig dar. Konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler hatte der Kläger nicht wie erforderlich gezeigt. Ist bei einer Geschwindigkeitsmessung ein standardisiertes Messverfahren zum Einsatz gekommen, folgt aus dem Recht auf ein faires Verfahren zwar ein Anspruch auch des von einer Fahrtenbuchanordnung Betroffenen auf Zugang zu bei der Bußgeldstelle vorhandenen Daten. Es obliegt jedoch ihm, alle zumutbaren Schritte zu unternehmen, um seinen Zugangsanspruch geltend zu machen und durchzusetzen. Nur, wenn er das getan hat, kann es ein Gebot des fairen Verfahrens sein, ihm nicht die Möglichkeit zu nehmen, auf der Grundlage der begehrten Informationen konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler vorzutragen.

Der Kläger hat nicht alles ihm Zumutbare getan, um an die gewünschten Daten zu gelangen. Die Bußgeldstelle hat ihm u.a. die seinen PKW betreffenden Rohmessdaten zur Verfügung gestellt, nicht aber wie beantragt zusätzlich die Rohmessdaten der gesamten Messreihe, also nicht auch die Daten zu anderen Verkehrsteilnehmern und die Statistikdatei. Rechtliche Schritte, um den behaupteten umfassenden Zugangsanspruch gegenüber der Bußgeldstelle durchzusetzen, hat er nicht unternommen.

Quelle | BVerwG, Urteil vom 2.2.2023, 3 C 14.21, PM 11/23

Rotlichtverstoß: Das kuriose Messfoto

| Das Amtsgericht (AG) Dortmund musste jetzt über einen nicht alltäglichen Fall entscheiden. Die „Hauptrolle“ spielte dabei ein Messfoto, das es so gar nicht hätte geben dürfen. |

Rotlichtverstoß nach Messende?

Ein Autofahrer sollte einen Rotlichtverstoß begangen haben. Das Messfoto wies diesen so aus, dass er am 8.8.22 um 06:42:29 Uhr begangen worden sein sollte. Nach dem in der Hauptverhandlung verlesenen Messprotokoll war der Beginn der fraglichen Messung jedoch am 5.8.22 um 08:53 Uhr und das Ende der Messung lag am 8.8.22 schon um 06:41 Uhr. Damit war nach den vorliegenden Unterlagen das Messfoto zu einem Zeitpunkt erstellt worden, als sich das Messgerät gar nicht mehr im Einsatz befand.

Freispruch

Das AG sagte daher klipp und klar: Das Messgerät war nicht entsprechend der Bedienungsanleitung eingesetzt worden. Die Messung war nicht plausibel. Entweder war das Messprotokoll fehlerhaft. Oder das Messfoto war falsch oder manipuliert worden. Der Autofahrer konnte sich freuen: Das AG sprach ihn frei.

Quelle | AG Dortmund, Urteil vom 15.12.2022, 729 OWi-261 Js 2262/22 -143/22, Abruf-Nr. 233518 unter www.iww.de

Verkehrsvergehen: Aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bei Entzug der Fahrerlaubnis

| Das Verwaltungsgericht (VG) Saarland gewährte einem nicht geeigneten Fahranfänger eine Gnadenfrist. Der junge Fahranfänger konsumierte während der Probezeit sog. weiche Drogen und Alkohol. Zudem kam zu „sportliches“ Fahren hinzu. Er verstieß innerhalb kurzer Zeit oft gegen die Verkehrsregeln. Folge: Die Fahrerlaubnisbehörde verlor zuerst die Übersicht und dann die Geduld wurde aber vom VG „ausgebremst“. |

Die Fahrerlaubnisbehörde entzog dem jungen Mann die Fahrerlaubnis, obwohl die Zwei-Monats-Frist des Straßenverkehrsgesetzes (hier: § 2a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StVG) noch nicht abgelaufen war. Sie hatte nämlich fälschlicherweise zur Begründung ihrer Anordnung der sofortigen Fahrerlaubnisentziehung auf eine schwerwiegende Zuwiderhandlung abgestellt, die innerhalb von zwei Monaten begangen wurde (Tattagprinzip). Die wiederholte Nichtbewährung, die eine Maßnahme der dritten Stufe rechtfertigt, liegt aber nur vor, wenn die Zuwiderhandlungen zeitlich nach Ablauf der zweimonatigen Frist zur Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung liegen. Dem Fahranfänger soll die Möglichkeit verbleiben, nach der Verwarnung sein Verkehrsverhalten während einer Übergangsfrist ggf. unter freiwilliger Inanspruchnahme verkehrspsychologischer Hilfe zu überdenken und neu auszurichten, bevor er erneut und letztmalig „unter Bewährung“ steht.

Das VG ordnete daher die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis an. Später sollte die Begründung für die Entziehung zwar ausgewechselt werden. Hier fehlte es dann allerdings an der Anhörung. Letztlich wird dies dem jungen Mann nicht helfen, denn das VG stellte klar, dass selbst im Anschluss an die nachzuholende Anhörung die Fahreignung nicht gegeben sei dem stehe dessen Rauschmittelneigung entgegen.

Quelle | VG Saarland, Beschluss vom 19.8.2022, 5 L 644/22, Abruf-Nr. 233697 unter www.iww.de

Medikamentenklausel: Drogenfahrt ist nicht gleich Drogenfahrt

| Wird dem Autofahrer eine Drogenfahrt vorgeworfen, handelt er nicht ordnungswidrig, wenn die festgestellte Substanz ausschließlich durch die bestimmungsgemäße Einnahme eines Arzneimittels in das Blut gelangt ist (sog. Medikamentenklausel). Dazu muss sie aber für einen konkreten Krankheitsfall ärztlich verordnet worden sein. Das spielte in einem Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz eine Rolle. |THC und Abbauprodukt von Kokain im Blut

Der Autofahrer hatte nachts einen PKW gefahren. Eine Blutprobe ergab Werte von 13 ng/ml THC und 5 ng/ml Benzoylecgonin einem Abbauprodukt von Kokain. Der Fahrer hatte sich beim Amtsgericht (AG) geäußert, das sei ihm bewusst gewesen. Sein behandelnder Arzt habe ihm aber die Einnahme von bis zu 2g THC-haltigen Produkten (Cannabisblüten) verordnet. Das AG hatte jedoch auf einen Beikonsum von Kokain geschlossen und daraus eine sog. nicht bestimmungsgemäße Einnahme des verordneten Medizinalcannabis hergeleitet. Es ist zu dem Ergebnis gelangt, dass hierdurch das Privileg der Medikamentenklausel insgesamt entfalle. Der Betroffene habe damit durch den nachgewiesenen o. g. Wert ordnungswidrig gehandelt.

OLG: keine Fahrt in berauschtem Zustand

Das hatte beim OLG Koblenz keinen Bestand. Es hob hervor: Ein Drogenkonsument nimmt eine Substanz zu sich, um berauscht zu sein. Ein Patient nimmt sie zu sich, um seine Leiden zu lindern. Bei einer bestimmungsgemäßen Einnahme fährt der Patient gerade nicht in einem berauschten Zustand. Hält sich ein Fahrer an die ärztlichen Vorgaben, begeht er keine Ordnungswidrigkeit. Die Verschreibung muss eindeutig sein und auf einer symptombezogenen Indikation beruhen. Der Fahrer darf das Arzneimittel zudem nicht missbräuchlich oder überdosiert verwenden.

Quelle | OLG Koblenz, Beschluss vom 13.4.2022, 3 OWi 31 SsBs 49/22, Abruf-Nr. 229133 unter www.iww.de

Namensrecht: Klage auf Änderung des russisch klingenden Nachnamens erfolglos

| Das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz hat die Klage eines Ehepaares abgewiesen, das seinen russisch klingenden Nachnamen ändern wollte. |

Die Kläger beantragten bei der beklagten Verbandsgemeinde eine Namensänderung, weil sie und ihre Tochter seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine aufgrund ihres russisch klingenden Nachnamens Benachteiligungen im Alltag erlebten. Die Verbandsgemeinde lehnte die Namensänderung ab. Dagegen legten die Kläger Widerspruch ein und erhoben, nachdem dieser nicht innerhalb von drei Monaten seit Eingang beschieden worden war, Untätigkeitsklage beim VG.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Eine Änderung des Familiennamens, so das VG, sei nach den gesetzlichen Bestimmungen nur gerechtfertigt, wenn ein wichtiger Grund dafür vorliege. Das sei hier nicht der Fall.

Die Tatsache allein, dass ein Familienname fremdsprachigen Ursprungs sei oder nicht Deutsch klinge, sei im Allgemeinen kein wichtiger Grund für eine Namensänderung. Für die in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Kläger sei die begehrte Namensänderung auch nicht im Interesse der weiteren Eingliederung geboten.

Soweit die Kläger darüber hinaus geltend machten, seit Beginn des Krieges in der Ukraine aufgrund ihres russisch klingenden Nachnamens Benachteiligungen im Alltag ausgesetzt zu sein, komme den geschilderten Vorkommnissen kein die Namensänderung rechtfertigendes Gewicht zu. Die Kläger hätten nicht dargelegt, dass der von ihnen getragene Nachname eine seelische Belastung für sie und ihre Tochter darstelle. Ein bloß vernünftiger Grund oder mit der Namensführung verbundene einfache Unzuträglichkeiten seien insoweit nicht ausreichend.

Wirtschaftliche Gründe berechtigten vorliegend ebenfalls nicht zur Namensänderung. Sie beträfen nur die Nebentätigkeit des Klägers. Unabhängig davon handele es sich um einen vereinzelt gebliebenen Vorfall, sodass sich schon mit Blick auf die hauptberufliche Stellung des Klägers keine Anhaltspunkte für erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation der Familie ergäben.

Gegen diese Entscheidung können die Beteiligten einen Antrag auf Zulassung der Berufung stellen.

Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 5.4.2023, 3 K 983/22.KO, PM 8/23

Pfändungsfreibetrag: BGH ändert Rechtsprechung zu Unterhaltszahlungen

| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat eine Kehrtwende bezüglich der Frage gemacht, ob Unterhaltszahlungen bei der Bestimmung des pfandfreien Betrags nur in Höhe der tatsächlichen Unterhaltszahlungen oder in Höhe des gesetzlichen Anspruchs zu berücksichtigen sind. |

Vater wollte von Teil der Pfändung verschont bleiben

Der Gläubiger vollstreckt gegen den Schuldner, seinen Vater, wegen Unterhalt. Der Vater zahlt einem weiteren Kind Unterhalt. Im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (PfÜB) hat das AG festgesetzt, dass dem Vater für seinen eigenen notwendigen Unterhalt ein Betrag pfandfrei zu belassen ist. Im Hinblick auf den Unterhalt für das weitere Kind hat es festgesetzt, dass ihm darüber hinaus bis zu einem bestimmten Betrag weitere 50 Prozent zu belassen sind.

Das Amtsgericht (AG) hat die Vollstreckungserinnerung des Vaters zurückgewiesen. Auf dessen sofortige Beschwerde hat das Beschwerdegericht den pfandfreien Betrag heraufgesetzt, damit der Vater seine Unterhaltspflicht gegenüber dem weiteren Kind erfüllen kann. Es hat die weitere Unterhaltspflicht des Vaters nicht in der sich aus dem Gesetz ergebenden Höhe, sondern nur in Höhe des tatsächlich geleisteten geringeren Unterhalts für das weitere Kind anerkannt. Im Übrigen blieb die sofortige Beschwerde erfolglos. Der Vater begehrte dann, allerdings erfolglos, mit der Rechtsbeschwerde zum BGH, den pfandfreien Betrag auf die Höhe der gesetzlichen Unterhaltspflicht heraufzusetzen.

So sieht es der Bundesgerichtshof

Der BGH: Vollstreckt ein Gläubiger wegen Unterhalt, ist dem Schuldner so viel zu belassen, als er für seinen notwendigen Unterhalt bedarf und um seine laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden oder gleichstehenden Berechtigten zu erfüllen. Das bedeutet: Beim pfandfreien Betrag sind diese Unterhaltspflichten gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden oder gleichstehenden Berechtigten nur in dem Umfang zu beachten, in dem der Schuldner diese Pflichten den weiteren Berechtigten gegenüber erfüllt oder diese gegen ihn vollstrecken.

Der Wortlaut der einschlägigen Vorschrift der Zivilen Prozessordnung (hier: § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO) ist insoweit nicht eindeutig. Er kann zwar dahin verstanden werden, dass auf den Betrag abzustellen ist, der potenziell erforderlich wäre, um die laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten zu erfüllen. Es kommt jedoch auch ein Verständnis in Betracht, wonach insoweit ein Bedarf des Schuldners nur in dem Umfang anzunehmen ist, in dem er tatsächlich leistet.

Nach Sinn und Zweck des Gesetzes ist aber die letztgenannte Auslegung zutreffend, so der BGH. Er betont: Solange der Schuldner seinen laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber den weiteren Unterhaltsberechtigten nur teilweise nachkommt, werden diese durch die Zwangsvollstreckung des Unterhaltsgläubigers nicht benachteiligt. Sie können auch den pfandfreien Betrag dadurch erhöhen lassen, dass sie ihrerseits wegen ihres (teilweise) nicht erfüllten Unterhaltsanspruchs eine Änderung des PfÜB erwirken. Das schließt nicht aus, dass der Schuldner künftig freiwillig Unterhalt leisten wird. Er kann ebenfalls den PfÜB ändern lassen. Dem Problem, dass ihm vor einer Erhöhung des pfandfreien Betrags noch keine Mittel zur Verfügung stehen, um seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht in größerem Umfang nachzukommen, kann ggf. durch eine befristete Erhöhung Rechnung getragen werden.

Unterhaltsgläubiger sollen nicht benachteiligt sein

Würde man dem Schuldner stets den pfandfreien Betrag in Höhe der gesetzlichen Unterhaltspflichten belassen, wäre nicht sichergestellt, dass dieser Betrag den weiteren Unterhaltsberechtigten zufließt. Hat der Schuldner seine Unterhaltspflichten nicht oder nicht vollumfänglich erfüllt, liegt nahe, dass der pfandfreie Betrag ganz oder teilweise bei ihm verbleibt. In diesem Fall würde der vollstreckende Unterhaltsgläubiger zum Vorteil des Schuldners benachteiligt, ohne dass den weiteren Unterhaltsberechtigten hiermit gedient wäre. Das würde dem im Zwangsvollstreckungsrecht bezweckten Schutz der Unterhaltsgläubiger zuwiderlaufen und wäre mit deren Privilegierung nicht zu vereinbaren.

Quelle | BGH, Urteil vom 18.1.2023, VII ZB 35/20, Abruf-Nr. 234009 unter www.iww.de

Erbauseinandersetzung: Anfechtung eines Testaments

| Auch wenn ein Testament aus Sicht des Erblassers klar formuliert ist, kann die gesetzliche Erbfolge einsetzen. So zeigt es nun das Landgericht (LG) Wuppertal. |

Das war geschehen

Die spätere Erblasserin war Eigentümerin eines neuwertigen Hausgrundstücks und verfügte über Barvermögen von rund 30.000 Euro. Ende 2002 verfasste sie ein handschriftliches Testament mit folgendem Wortlaut: „Mein Sohn S soll Erbe sein. Meine Tochter T soll ihren Pflichtteil erhalten. Das ist nicht als Straf- oder Benachteiligungsaktion zu sehen. Aber dieser Weg ist die einzige Möglichkeit, ablaufmäßig und verfahrenstechnisch zu gewährleisten, dass der Sohn unser Wohnhaus, das eine Belastung ist, erhalten kann. Ein Verschleudern-Müssen wollten wir nicht.“ Damit schien aus Sicht der Erblasserin alles klar geregelt. Doch das war ein Irrtum.

Testamentsanfechtung der Tochter nach Veräußerung der Immobilie

Für Zwecke der Pflichtteilbemessung wurde für die Immobilie vom Gutachterausschuss ein Wert von 710.000 Euro ermittelt. Auf dieser Basis erfolgte der Abschluss eines „Erbauseinandersetzungsvertrags“. Kurze Zeit später veräußerte der Sohn die Immobilie zu einem Preis von 819.000 Euro. Daraufhin hat die Tochter den Erbauseinandersetzungsvertrag und das Testament angefochten. Mit Erfolg: Nach der Entscheidung des LG ist infolge der Anfechtung die gesetzliche Erbfolge eingetreten.

Hintergrund: Jeder Motivirrtum berechtigt dazu, eine letztwillige Verfügung anzufechten. Hier war die Vorstellung der Erblasserin, der Sohn werde das Haus behalten, wenn er Alleinerbe wird, ein solches Motiv, das für die Verfügung der Erblasserin in ihrem Testament bestimmend war. Den Erhalt des Hauses hat die Erblasserin wörtlich verbunden mit der Erwägung, dass sie das Haus nicht verschleudert sehen wolle. Darin kommt zum Ausdruck, dass das Haus in der Familie bleiben und nicht verkauft werden sollte.

Quelle | LG Wuppertal, Urteil vom 5.12.2022, 2 O 317/21, Abruf-Nr. 233423 unter www.iww.de

BAföG: Keine Verwertung eines Erbteils am Elternhaus

| Werden BAföG-Leistungen unter Anrechnung des Wertes eines Miterbenanteils von 1/12 an einer von einem angehenden Studenten, seiner Mutter und seinen schulpflichtigen Brüdern bewohnten Immobilie versagt, verstößt dies gegen das Grundgesetz (Art. 3 Abs. 1 GG). So sieht es das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) . |

Ein angehender Student beantragte erfolglos BAföG-Leistungen, da er 1/12 seines Elternhauses geerbt hatte, in dem er mit seiner Mutter und seinen Geschwistern wohnte. Erst seine Verfassungsbeschwerde war erfolgreich. Das BVerfG: Die Anrechnung wirtschaftlich unverwertbaren Vermögens ist eine unbillige Härte. Auch die Notwendigkeit, Vermögen im Wege der Zwangsversteigerung einzusetzen, kann ein Verwertungshindernis begründen. Denn dabei entsteht in der Regel ein erheblicher wirtschaftlicher Verlust. Unbeachtet geblieben ist, dass auch die Familie des Studenten gezwungen würde, ihren Anteil am Grundstück voraussichtlich unwirtschaftlich zu verwerten, obwohl sie ihr Vermögen nicht einsetzen muss, um diesem ein Studium zu ermöglichen, wobei ihm nur ein geringer Anteil am Grundstück zusteht.

Quelle | BVerfG, Beschluss vom 21.3.2023, 1 BvR 1620/22, Abruf-Nr. 235163 unter www.iww.de

Ungleichbehandlung: Unterschiedlich hohe tarifliche Nachtzuschläge sind zulässig

| Eine Regelung in einem Tarifvertrag, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Zuschlag vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, wenn ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung gegeben ist, der aus dem Tarifvertrag erkennbar sein muss. Ein solcher kann darin liegen, dass mit dem höheren Zuschlag neben den spezifischen Belastungen durch die Nachtarbeit auch die Belastungen durch die geringere Planbarkeit eines Arbeitseinsatzes in unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden sollen. So hat es jetzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. |

Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz?

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Getränkeindustrie. Die Klägerin leistete dort im Streitzeitraum Nachtarbeit im Rahmen eines Wechselschichtmodells. Im Arbeitsverhältnis der Parteien gilt der Manteltarifvertrag zwischen dem Verband der Erfrischungsgetränke-Industrie Berlin und Region Ost e.V. und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten Hauptverwaltung vom 24. März 1998 (MTV). Der MTV regelt, dass der Zuschlag zum Stundenentgelt für regelmäßige Nachtarbeit 20 % und für unregelmäßige Nachtarbeit 50 % beträgt. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die Dauernachtarbeit leisten oder in einem 3-Schicht-Wechsel eingesetzt werden, haben daneben für je 20 geleistete Nachtschichten Anspruch auf einen Tag Schichtfreizeit. Die Klägerin erhielt für die von ihr geleistete regelmäßige Nachtschichtarbeit den Zuschlag i. H. v. 20 %. Sie ist der Auffassung, die unterschiedliche Höhe der Nachtarbeitszuschläge verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung bestehe unter dem Aspekt des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, auf den es allein ankomme, nicht. Der Anspruch auf Schichtfreizeit beseitige die Ungleichbehandlung nicht, da damit nicht die spezifischen Belastungen durch die Nachtarbeit ausgeglichen würden. Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin weitere Nachtarbeitszuschläge in Höhe der Differenz zwischen dem Zuschlag für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit.

Sachlicher Grund für Ungleichbehandlung gegeben

Das Arbeitsgericht (ArbG) hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des ArbG geändert und der Klage teilweise stattgegeben. Nun hatte die Revision der Beklagten vor dem BAG Erfolg. Die Regelung im MTV zu unterschiedlich hohen Zuschlägen für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz. Arbeitnehmer, die regelmäßige bzw. unregelmäßige Nachtarbeit im Tarifsinn leisten, sind zwar miteinander vergleichbar. Auch werden sie ungleich behandelt, indem für unregelmäßige Nachtarbeit ein höherer Zuschlag gezahlt wird als für regelmäßige Nachtarbeit.

Für diese Ungleichbehandlung ist vorliegend aber ein aus dem Tarifvertrag erkennbarer sachlicher Grund gegeben. Der MTV beinhaltet zunächst einen angemessenen Ausgleich für die gesundheitlichen Belastungen sowohl durch regelmäßige als auch durch unregelmäßige Nachtarbeit und hat damit Vorrang vor dem gesetzlichen Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag nach dem Arbeitszeitgesetz (hier: § 6 Abs. 5 ArbZG).

Tarifvertragsparteien haben Gestaltungsspielraum

Daneben bezweckt der MTV aber auch, Belastungen für die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, wegen der schlechteren Planbarkeit dieser Art der Arbeitseinsätze auszugleichen. Den Tarifvertragsparteien ist es im Rahmen der Tarifautonomie nicht verwehrt, mit einem Nachtarbeitszuschlag neben dem Schutz der Gesundheit weitere Zwecke zu verfolgen. Dieser weitere Zweck ergibt sich aus dem Inhalt der Bestimmungen des MTV. Eine Angemessenheitsprüfung im Hinblick auf die Höhe der Differenz der Zuschläge erfolgt nicht. Es liegt im Ermessen der Tarifvertragsparteien, wie sie den Aspekt der schlechteren Planbarkeit für die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, finanziell bewerten und ausgleichen.

Quelle | BAG, Urteil vom 22.2.2023, 10 AZR 332/20, PM 11/23

Gesetzliche Unfallversicherung: Sturz mit Inlineskates bei einem Firmenlauf

| Eine Arbeitnehmerin steht nicht als Beschäftigte unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn sie bei einem Firmenlauf auf Inlineskates stürzt und sich dabei verletzt. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg jetzt entschieden. |

Kein Zusammenhang mit der Beschäftigung

Das LSG: Der Unfall habe sich nicht bei einer Aktivität ereignet, die mit der Beschäftigung in einem engen rechtlichen Zusammenhang stehe.

Zum einen liege kein Betriebssport vor, der eine gewisse Regelmäßigkeit und das Ziel gesundheitlichen Ausgleichs voraussetze. Der Firmenlauf finde nur einmal jährlich statt und habe, auch wenn es sich um keinen Hochleistungssport handle, den Charakter eines Wettstreits.

Keine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung

Zum anderen habe es sich bei dem Firmenlauf auch nicht um eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung gehandelt. Der Firmenlauf habe als Großveranstaltung mit anschließender Party vielen anderen Unternehmen und Einzelbewerbern offengestanden und eher den Charakter eines Volksfestes gehabt.

Nur geringe Teilnehmerzahl

Außerdem habe nur ein ganz geringer, sportlich interessierter Teil der Mitarbeiter des Unternehmens am Firmenlauf teilgenommen. Es habe gerade kein spezielles Programm für den großen Teil der nichtlaufenden Beschäftigten gegeben. Daher habe das Laufevent auch nicht den betrieblichen Zusammenhalt gefördert. Zwar sei im Betrieb für die Teilnahme am Firmenlauf geworben worden und der Arbeitgeber habe die Startgebühr übernommen sowie Lauf-Shirts mit dem Firmenlogo zur Verfügung gestellt. Das alles führe aber zu keiner abweichenden Bewertung.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21.3.2023, L 3 U 66/21, Abruf-Nr. 234577 unter www.iww.de