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Monats-Archive: Dezember 2022

Erbschaftsteuerbefreiung: Kein Wegfall bei unzumutbarer Selbstnutzung des Familienheims

Zieht der überlebende Ehepartner aus dem geerbten Familienheim aus, weil ihm dessen weitere Nutzung aus gesundheitlichen Gründen unmöglich oder unzumutbar ist, entfällt die ihm beim Erwerb des Hauses gewährte Erbschaftsteuerbefreiung nicht rückwirkend. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) nun entschieden.

Die Klägerin hatte mit ihrem Ehemann ein Einfamilienhaus bewohnt und wurde nach dessen Tod aufgrund Testaments Alleineigentümerin. Nach knapp zwei Jahren veräußerte sie das Haus und zog in eine Eigentumswohnung. Die Klägerin berief sich gegenüber dem Finanzamt und dem Finanzgericht (FG) erfolglos darauf, sie habe wegen einer depressiven Erkrankung, die sich nach dem Tod ihres Ehemanns gerade durch die Umgebung des ehemals gemeinsam bewohnten Hauses verschlechtert habe, dieses auf ärztlichen Rat verlassen. Das FG war der Ansicht, es habe keine zwingenden Gründe für den Auszug gegeben, da der Klägerin nicht die Führung eines Haushalts schlechthin unmöglich gewesen sei.

Der BFH hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Grundsätzlich setzt die Steuerbefreiung (hier: gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4b Erbschaftsteuergesetz ErbStG) voraus, dass der Erbe für zehn Jahre das geerbte Familienheim selbst nutzt, es sei denn, er ist aus „zwingenden Gründen“ daran gehindert. „Zwingend“, so der BFH, erfasse nicht nur den Fall der Unmöglichkeit, sondern auch die Unzumutbarkeit der Selbstnutzung des Familienheims. Diese könne auch gegeben sein, wenn der Gesundheitszustand des Erben durch den Verbleib im Familienheim erheblich beeinträchtigt wird.

Das FG muss deshalb im zweiten Rechtsgang, ggf. mit Hilfe ärztlicher Begutachtung, die geltend gemachte Erkrankung einschließlich Schwere und Verlauf prüfen.

Quelle | BFH, Urteil vom 1.12.2021, II R 1/21, PM 030/22

Kündigungsschutzklage: Redakteurin: Kündigung wegen Vorwurf antisemitischer Äußerung?

Das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin hat die Kündigung einer Redakteurin des Senders Deutsche Welle für unwirksam erklärt. Die Redakteurin hatte sich bereits vor ihrem Arbeitsverhältnis antesemitisch geäußert.

Kündigungsschutzklage war erfolgreich

Der Sender hat zur Begründung der Kündigung geltend gemacht, die Redakteurin habe sich mehrfach israelfeindlich und antisemitisch in anderen Medien geäußert. Dies widerspreche den Grundsätzen der Deutschen Welle, wie sie ausdrücklich in Guidelines und Positionspapieren festgehalten seien. Das ArbG hat jedoch der Kündigungsschutzklage stattgegeben und den Sender zur Weiterbeschäftigung der Redakteurin verurteilt.

Es bestand noch kein Vertragsverhältnis

Das ArbG: Antisemitische Äußerungen könnten ein Grund für eine außerordentliche Kündigung sein. Wenn es nicht um Äußerungen im Rahmen der Arbeit für den Sender gehe, könne hierin eine Verletzung von Loyalitätspflichten liegen. Soweit es aber um Äußerungen gehe, die vor Bestehen eines Vertragsverhältnisses zum Sender erfolgt seien, fehle es mangels bestehenden Vertrags zu dieser Zeit an einer für eine verhaltensbedingte Kündigung erforderlichen Vertragspflichtverletzung.

Personalrat wurde nicht hinzugezogen

Eine personenbedingte Kündigung hatte die Beklagte nicht ausgesprochen und dazu auch nicht ihren Personalrat beteiligt. Auch bei Äußerungen während einer vorherigen Beschäftigung auf Honorarbasis könne nicht ohne Weiteres ein „Durchschlagen“ als Pflichtverletzung auf ein späteres Arbeitsverhältnis angenommen werden. Zudem müsse jeweils eine Bewertung der Umstände des Einzelfalls unter Beachtung des Zusammenhangs von Äußerungen erfolgen.

Redakteurin hatte sich distanziert

Wenn man berücksichtige, dass die Redakteurin sich in einer für die Öffentlichkeit bestimmten Erklärung von früheren Äußerungen distanziert habe und keine Abmahnung vorliege, sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der beiderseitigen Interessen zumutbar. Im Hinblick hierauf könne keine negative Prognose für ein künftig zu erwartendes Fehlverhalten gestellt werden.

Weder Abmahnung noch Fristwahrung

Unabhängig hiervon sei für die außerordentliche Kündigung die Frist von zwei Wochen ab Kenntnis der maßgeblichen Umstände nicht eingehalten. In Bezug auf die gegenüber der klagenden Redakteurin erhobenen Vorwürfe erschließe sich die Erforderlichkeit der vorherigen zweimonatigen Untersuchung nicht, von der der Sender ausgegangen war.

Quelle | ArbG Berlin, Urteil vom 5.9.2022, 22 Ca 1647/22, PM 28/22 vom 3.11.2022

Kostenminderungspflicht: Wie hoch dürfen Verwahrungskosten für ein Kfz-Kennzeichen sein?

Kosten in Höhe von 2.331 Euro für die Verwahrung eines Kfz-Kennzeichens für die Dauer von nahezu einem Jahr sind unverhältnismäßig. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Trier entschieden.

Das war geschehen

Im Dezember 2020 stellten Polizeibeamte des beklagten Landes Rheinland-Pfalz im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle ein Kfz-Kennzeichen des Klägers sicher, da die EU-Kennung des Kennzeichens mit schwarzer Folie abgeklebt war und die Stempelplakette fehlte. Im Januar 2021 forderte der Beklagte den Kläger auf, mitzuteilen, ob er der Entsorgung des sichergestellten Kfz-Kennzeichens zustimme. Zugleich wurde er darauf hingewiesen, dass eine Verwahrungsgebühr von 7 Euro pro Tag anfalle. Eine Reaktion erfolgte hierauf nicht. Im Dezember 2021 teilte der Beklagte dem Kläger sodann mit, dass nun die Verwertung des sichergestellten Kfz-Kennzeichens beabsichtigt sei. Dem stimmte der Kläger zu, da er ohnehin davon ausgegangen sei, dass dies bereits geschehen sei. Die Aufforderung vom Januar 2021 sei ihm nicht zugegangen. In der Folgezeit setzte das beklagte Land die Kosten der bis dahin erfolgten Verwahrung in Höhe von 2.331 Euro (333 Tage je 7 Euro) fest. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat der Kläger gegen den Gebührenbescheid Klage erhoben.

Verwaltungsgericht: Unverhältnismäßigkeit bei geringwertigem Gegenstand

Das VG hat den streitgegenständlichen Gebührenbescheid aufgehoben. Der Beklagte sei zwar dem Grunde nach zur Gebührenerhebung für eine Verwahrung berechtigt, wobei hierfür nach den maßgeblichen Vorschriften grundsätzlich Gebühren in Höhe von 7 bis 21,50 Euro pro Tag erhoben würden. Im zu beurteilenden Einzelfall sei jedoch die Gebührenerhebung im Hinblick auf den konkret zugrunde gelegten Zeitraum (333 Tage) vor dem Hintergrund der Kostenminderungspflicht des beklagten Landes unverhältnismäßig. Bei geringwertigen verwahrten Gegenständen von solchen sei jedenfalls bei einem Wiederschaffungswert von unter 50 Euro auszugehen , an denen kein erkennbares ideelles Interesse bestehe, sei es nach der Systematik der maßgeblichen Vorschriften angezeigt, nach Sicherstellung die Verwertung bzw. Vernichtung in einem verhältnismäßigen Zeitraum vorzunehmen.

Kfz-Kennzeichen hätte verwertet bzw. vernichtet werden müssen

Im vorliegenden Einzelfall wären bei einem Kfz-Kennzeichen, das zu Preisen von unter 10 Euro erworben werden könne, 14 Tage erforderlich aber auch ausreichend gewesen, um zu ermitteln, ob die Voraussetzungen für die Verwertung bzw. Vernichtung vorgelegen hätten. Da der Beklagte keine entsprechenden Maßnahmen ergriffen habe, um die Verwahrung umgehend nach Sicherstellung zu beenden, seien die festgesetzten Verwahrungsgebühren rechtswidrig und der Bescheid daher aufzuheben.

Quelle | VG Trier, Urteil vom 27.7.2022, 8 K 728/22.TR, PM 20/22

Testament: Alleinerbe – auch wenn andere ebenfalls etwas erben

Auch wenn nach dem Wortlaut eines Testaments mehrere Personen etwas „erben“ sollen, kann die Auslegung ergeben, dass nur eine Person Alleinerbe werden sollte und die übrigen Begünstigten mit Vermächtnissen bedacht werden sollten. Hierfür spricht, wenn die einer Person zugewandten Vermögenswerte aus Sicht des Erblassers den wesentlichen Teil seines Nachlasses darstellen und diese Person nach dem Testament auch für die „Beerdigung und Folgekosten“ verantwortlich zeichnen sollte. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken entschieden.

Was war geschehen?

Der Erblasser hatte ein privatschriftliches Testament errichtet. Darin bezeichnete er seine Lebensgefährtin als „Erbe“ für sein Haus. Nach dem weiteren Wortlaut „erbte“ diese auch das Barvermögen. Seine Grundstücke und Anteile daran „vererbe“ der Erblasser seinen Nichten und einem Neffen. Für die Beerdigung und Folgekosten zeichne seine Lebensgefährtin verantwortlich, heißt es in dem Testament weiter.

Testament nicht eindeutig: Auslegung erforderlich

Der Wortlaut des Testaments sei nicht eindeutig, was zur Auslegung nötige, so das OLG. Dafür, dass der Erblasser die Lebensgefährtin zu seiner Alleinerbin einsetzen wollte, spreche vor allem, dass die ihr ausdrücklich zugewandten Gegenstände das übrige Vermögen in ihrem Wert ganz erheblich übertreffen und vom Erblasser erkennbar als sein wesentlicher Nachlass angesehen wurden. Zudem komme es bei der Entscheidung, ob eine Person als Erbe eingesetzt ist, wesentlich darauf an, wer nach dem Willen des Erblassers den Nachlass regeln und die Nachlassschulden, zu denen auch die Bestattungskosten gehören, tilgen muss. Außerdem komme es darauf an, ob der Bedachte unmittelbar Rechte am Nachlass oder nur Ansprüche gegen andere Bedachte erwerben soll.

Quelle | OLG Saarbrücken, Beschluss vom 30.3.2022, 5 W 15/22, Abruf-Nr. 230785 unter www.iww.de

Infektionsschutzgesetz: Keine Pflicht, ungeimpftes Pflegepersonal in Seniorenheim zu beschäftigen

Die Corona-Pandemie wird in vielerlei Hinsicht die Gerichte noch längere Zeit beschäftigen. Besonders im Arbeitsrecht birgt die Pandemie zum Beispiel mit Quarantäneregelungen und teilweiser Impfpflicht ein hohes Streitpotenzial. Das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) hat jetzt in zwei Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz die Anträge von in der Pflege tätigen Klägern abgewiesen. Diese werden von ihrer Arbeitgeberin nicht mehr in deren Seniorenheim eingesetzt. Daher verlangten die Kläger durch Eilanträge, dass sie zunächst weiter beschäftigt werden müssten.

Die Kläger haben sich nicht gegen SARS-CoV-2 impfen lassen. Die Betreiberin des Seniorenheims hatte sie seit dem 16.3.2022 freigestellt. Dies begründete sie mit der seit 15.3.2022 bestehenden Pflicht nach dem Infektionsschutzgesetz (§ 20a IfG), wonach Personen, die in Einrichtungen zur Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen arbeiten, über einen Impfnachweis oder z.B. einen Genesenennachweis verfügen müssen. Hiergegen hatten die Kläger in Eilverfahren bei dem Arbeitsgericht (ArbG) Gießen geklagt.

Das Arbeitsgericht (ArbG) Gießen hatte die Anträge abgewiesen. Das LAG als Berufungsgericht hat diese Urteile nun bestätigt. Die Arbeitnehmer hätten keinen Anspruch darauf, in ihrem Arbeitsverhältnis beschäftigt zu werden. Der erforderliche Impfnachweis wirke wie eine berufliche Tätigkeitsvoraussetzung. Bei der Abwägung der Interessen habe die Arbeitgeberin die Arbeitnehmer freistellen dürfen. Das schützenswerte Interesse der Bewohnerinnen und Bewohner des Seniorenheims, vor einer Gefährdung ihrer Gesundheit und ihres Lebens bewahrt zu werden, überwiege das Interesse der Pflegekräfte, ihre Tätigkeit ausüben zu können.

Beachten Sie | Die Entscheidungen des LAG sind rechtskräftig. Eine Revision zum Bundearbeitsgericht (BAG) ist in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht möglich.

Quelle | Hessisches LAG, Urteile vom 11.8.2022, 5 SaGa 728/22 und 7 SaGa 729/22

Ausfallerscheinungen im Straßenverkehr: Unbewusste Drogeneinnahme? So leicht kann man das Gericht nicht überzeugen!

Behauptet ein unter Einfluss von Drogen stehender Führerscheininhaber, er habe die Drogen unbewusst zu sich genommen, bedarf es detaillierter, in sich schlüssiger und von Anfang an widerspruchsfreier Darlegungen, die einen solchen Geschehensablauf als ernsthaft möglich erscheinen lassen. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz und lehnte einen gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis gerichteten Eilantrag ab.

Das war geschehen

Der Antragsteller wurde bei einer Verkehrskontrolle mit drogentypischen Ausfallerscheinungen angetroffen. Vor Ort durchgeführte Drogenschnelltests reagierten positiv auf die Stoffgruppe Amphetamin. Als die anschließende Blutuntersuchung dieses Ergebnis bestätigte und eine erhebliche Amphetaminkonzentration im Blut des Antragstellers ergab, entzog ihm die zuständige Fahrerlaubnisbehörde aufgrund seiner Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen die Fahrerlaubnis und verpflichtete ihn zur Abgabe seines Führerscheins. Gegen diese für sofort vollziehbar erklärten Anordnungen erhob der Antragsteller Widerspruch. Um die Vollziehung vorläufig zu stoppen, stellte er außerdem einen Eilantrag beim VG.

Verwaltungsgericht: ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen

Das VG lehnte seinen Antrag ab. Die Entziehung der Fahrerlaubnis sei voraussichtlich rechtmäßig. Denn der Antragsteller habe sich aufgrund der Einnahme von Amphetamin als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Zum Ausschluss der Fahreignung genüge bereits die einmalige Einnahme harter Drogen, wozu Amphetamin gehöre. Der Behauptung des Antragstellers, die Droge sei ohne sein Wissen in ein Getränk gemischt worden, könne nicht gefolgt werden. Dass Dritte einer Person Betäubungsmittel verabreichen, sei nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht wahrscheinlich.

Behauptung einer unbewussten Drogeneinnahme war nicht glaubhaft

Die Behauptung einer unbewussten Drogeneinnahme sei daher nur glaubhaft, wenn überzeugend dargelegt werden könne, dass dem Auffinden von Betäubungsmitteln im Körper ein Kontakt mit Personen vorangegangen sei, die zumindest möglicherweise einen Beweggrund gehabt haben könnten, dem Fahrerlaubnisinhaber heimlich Drogen beizubringen. Und es müsse noch naheliegen, dass der Betroffene die Aufnahme des Betäubungsmittels nicht bemerkt hat.

Beifahrer wollte „helfen“

Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor. Die eidesstattliche Versicherung des Beifahrers, heimlich Amphetamin in die Bierflasche des Antragstellers gegeben zu haben, sei wenig plausibel. Ein nachvollziehbares Motiv für eine solche Handlungsweise ergebe sich weder aus der eidesstattlichen Versicherung noch aus dem Vorbringen des Antragstellers.

Auffälligkeiten auch schon in der Vergangenheit

Vor dem Hintergrund, dass dem Antragsteller bereits in der Vergangenheit wegen des Führens eines Fahrzeugs unter Amphetamineinfluss die Fahrerlaubnis entzogen worden sei und ihm deshalb die sich daraus ergebenden Konsequenzen bekannt gewesen seien, sei die Behauptung des unbewussten Drogenkonsums nicht glaubhaft, wenn er dies erst nach der Entziehung seiner Fahrerlaubnis sieben Wochen nach der Verkehrskontrolle mitteile. Es sei auch unwahrscheinlich, dass ein Beifahrer dem Führer eines Pkw heimlich Amphetamin verabreiche und dadurch eine Gefährdung des eigenen Lebens und der eigenen körperlichen Unversehrtheit in Kauf nehme. Angesichts der hohen Amphetaminkonzentration in seinem Blut sowie seiner Ausfallerscheinungen könne ferner nicht davon ausgegangen werden, dass der Amphetaminkonsum vom Antragsteller unbemerkt geblieben sei.

Gegen diese Entscheidung steht den Beteiligten die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz zu.

Quelle | VG Koblenz, Beschluss vom 9.8.2022, 4 L 680/22.KO, PM 29/22

Sonderparkplatznutzung: Wenn der Stempel auf der Parkberechtigung verblasst …

Wer trägt die Kosten, wenn ein Auto abgeschleppt wird, weil der Stempel auf der Parkberechtigung durch die Sonneneinstrahlung verblichen ist? Diese Frage hat das Landgericht (LG) Koblenz jetzt entschieden.

Der Kläger darf Sonderparkplätze für Schwerbehinderte nutzen. Im Jahr 2020 erhielt er zum Nachweis dieser Berechtigung von der Stadt B., der Beklagten, einen Parkausweis, den er an der Windschutzscheibe seines Autos befestigte. Am 7.7.2021 stellte der Kläger sein Auto an einem Bahnhof auf einem Parkplatz ab, der Schwerbehinderten vorbehalten war. Zu diesem Zeitpunkt war kein Dienstsiegel der Beklagten auf dem Parkausweis erkennbar. Wegen des fehlenden Stempels ließ das Ordnungsamt den Wagen abschleppen und stellte dem Kläger dafür Kosten in Höhe von rund 260 Euro in Rechnung.

Der Kläger meinte, die Beklagte müsse die Kosten für das Abschleppen und seine Anwaltskosten übernehmen. Sie habe ihm einen mangelhaften Ausweis ohne Stempel ausgestellt. Wenn ursprünglich ein Stempel existiert habe, sei er viel zu rasch verblasst, weil die Stadt eine falsche Stempelfarbe verwendet habe. Daher sei die Beklagte für das Geschehen verantwortlich.

Die Beklagte verweigerte die Kostenübernahme. Sie argumentierte, der Parkausweis sei bei Übergabe mit einem gut sichtbaren Dienstsiegel versehen gewesen, das offenbar durch das Sonnenlicht verblasst sei. Es sei eigens beschaffte, angeblich lichtbeständige Stempelfarbe verwendet worden. Wenn der Kläger den Ausweis der direkten Sonneneinstrahlung ausgesetzt habe und dadurch der Stempel verschwunden sei, habe er sich rechtzeitig um eine Erneuerung kümmern müssen.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Nach einer Vernehmung der Ehefrau des Klägers und eines Mitarbeiters der Stadtverwaltung zeigte es sich überzeugt, dass der Parkausweis zunächst ordnungsgemäß gestempelt war. Der Beklagten könne auch nicht vorgeworfen werden, dass die Stempelfarbe anschließend innerhalb weniger Monate im Sonnenlicht so verblichen sei, dass das Siegel nicht mehr erkennbar war. Die Behörde müsse die Stempel so anbringen, dass sie bei Ausstellung des Ausweises leserlich seien. Wenn der Aufdruck später durch die Sonne verblasse, falle das in den Verantwortungsbereich des Bürgers. Es stelle so das LG keine Pflichtverletzung dar, wenn die Behörde keine lichtbeständige Farbe verwende.

Der Kläger habe selbst dafür sorgen müssen, dass der unleserlich gewordene Parkausweis erneuert werde. Das habe er bei in der Vergangenheit verblichenen Stempeln auch bereits mehrfach so gehandhabt. Und spätestens nach einem Hinweis des Ordnungsamtes der Stadt K. im April 2021 sei ihm bekannt gewesen, dass der Ausweis nicht mehr in Ordnung war. Auch wegen dieses weit überwiegenden Mitverschuldens müsse der Kläger in jedem Fall die Abschleppkosten allein tragen.

Das LG Koblenz hat die Klage abgewiesen.

Quelle | LG Koblenz, Urteil vom 4.7.2022, 1 O 328/21

Homosexuelle nichteheliche Beziehung: Künstliche Befruchtung: Neues zum Umgangsrecht

Zeugen die Partner einer homosexuellen nichtehelichen Beziehung aufgrund eines gemeinsamen Entschlusses mittels künstlicher Befruchtung Kinder, bestimmt sich das Umgangsrecht des nicht rechtlichen Elternteils nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 1685 BGB). So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe entschieden und erläutert, welche Konsequenzen das hat.

Was war geschehen?

Die Partner einer gleichgeschlechtlichen nichtehelichen Lebensgemeinschaft hatten einen gemeinsamen Kinderwunsch. Daher trug die eine Partnerin (P1) zwei im Wege der künstlichen Befruchtung gezeugte Kinder aus. Eine Stiefkindadoption erfolgte nicht. Bis zur Trennung versorgte, betreute und erzog die andere Partnerin (P2) die Kinder. Danach verweigerte P1 der P2 jeglichen Umgang mit den Kindern.

So entschied das Oberlandesgericht

Das OLG erkannte zwar, dass P2 eine enge Bezugsperson im Sinne der o. g. Vorschrift war. Denn es habe eine soziale-familiäre Beziehung bestanden. Es wäre darüber hinaus aber auch festzustellen gewesen, dass der Umgang von P2 mit den Kindern dem Kindeswohl dient. Zum Wohl des Kindes gehört der Umgang mit anderen Personen, zu denen es Bindungen besitzt. Dies gilt aber nur, wenn die Aufrechterhaltung der Bindungen für die Entwicklung der Kinder förderlich ist.

Kinder in Loyalitätskonflikten

Hierzu stelle das OLG fest: Angesichts der nicht aufgearbeiteten Trennung, der Konflikte auf der Paarebene, der strikten Ablehnung jeglichen Umgangs der P2 und des für die Kinder daraus resultierenden Loyalitätskonfliktes können keine Umgangskontakte stattfinden, die die Kinder nicht erheblich beeinträchtigen würden. Es ist zu erwarten, dass der Loyalitätskonflikt im Fall der Anordnung von Umgangskontakten durch die Kinder nicht aufgearbeitet, sondern sich durch die tatsächliche Umsetzung erzwungener Umgangskontakte weiter verschärfen würde.

Quelle | OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.6.2022, 18 UF 22/22, Abruf-Nr. 230506 unter www.iww.de

Gesetzlich festgelegte Höchstdauer: Verlängerung einer Arbeitnehmerüberlassung durch Tarifvertrag

Bei einer vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung kann in einem Tarifvertrag der Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche abweichend von der gesetzlich zulässigen Dauer von 18 Monaten eine andere Überlassungshöchstdauer vereinbart werden. Diese ist auch für den überlassenen Arbeitnehmer und dessen Arbeitgeber (Verleiher) unabhängig von deren Tarifgebundenheit maßgebend. So entschied es nun das Bundesarbeitsgericht (BAG).

Der Kläger war der Beklagten ab Mai 2017 für knapp 24 Monate als Leiharbeitnehmer überlassen. Die Beklagte ist Mitglied im Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e.V. (Südwestmetall). In ihrem Unternehmen galt daher der zwischen Südwestmetall und der Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) geschlossene „Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit“. Der Tarifvertrag regelt unter anderem, dass die Dauer einer Arbeitnehmerüberlassung 48 Monate nicht überschreiten darf. Der Kläger will mit seiner Klage festgestellt wissen, dass zwischen ihm und der Beklagten (Entleiherin) aufgrund Überschreitung der gesetzlichen Höchstüberlassungsdauer kraft Gesetzes (hier: § 9 Abs. 1 Nr. 1b, § 10 Abs. 1 S. 1 Gesetz zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung (AÜG)) ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen sei. Der Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit gelte für ihn mangels Mitgliedschaft in der IG Metall nicht. Zudem sei die dem Tarifvertrag zugrunde liegende Regelung (hier: § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG) verfassungswidrig. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

Die Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Südwestmetall und IG Metall konnten die Überlassungshöchstdauer für den Einsatz von Leiharbeitnehmern bei der Beklagten durch Tarifvertrag mit Wirkung auch für den Kläger und dessen Arbeitgeberin (Verleiherin) verlängern. Bei § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG handelt es sich um eine vom Gesetzgeber außerhalb des Tarifvertragsgesetzes vorgesehene Regelungsermächtigung, die den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche nicht nur gestattet, die Überlassungshöchstdauer abweichend von § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG verbindlich für tarifgebundene Entleihunternehmen, sondern auch für Verleiher und Leiharbeitnehmer mittels Tarifvertrag zu regeln, ohne dass es auf deren Tarifgebundenheit ankommt. Die gesetzliche Regelung ist unionsrechts- und verfassungskonform. Die vereinbarte Höchstüberlassungsdauer von 48 Monaten hält sich im Rahmen der gesetzlichen Regelungsbefugnis.

Quelle | BAG, Urteil vom 14.9.2022, 4 AZR 83/21, PM 37/22

Corona-Kontaktperson: Behördlich angeordnete Quarantäne während des Urlaubs

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gerichtet, um die Frage klären zu lassen, ob aus dem Unionsrecht die Verpflichtung des Arbeitgebers abzuleiten ist, einem Arbeitnehmer bezahlten Erholungsurlaub nachzugewähren, der zwar während des Urlaubs selbst nicht erkrankt ist, in dieser Zeit aber eine behördlich angeordnete häusliche Quarantäne einzuhalten hatte.

Der Kläger ist seit 1993 bei der Beklagten als Schlosser beschäftigt. Auf seinen Antrag bewilligte ihm die Beklagte acht Tage Erholungsurlaub für die Zeit vom 12. bis zum 21.10.2020. Mit Bescheid vom 14.10.2020 ordnete die Stadt Hagen die Absonderung des Klägers in häusliche Quarantäne für die Zeit vom 9. bis zum 21.10.2020 an, weil er zu einer mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizierten Person Kontakt hatte. Für die Zeit der Quarantäne war es dem Kläger untersagt, seine Wohnung ohne ausdrückliche Zustimmung des Gesundheitsamts zu verlassen und Besuch von haushaltsfremden Personen zu empfangen. Die Beklagte belastete das Urlaubskonto des Klägers mit acht Tagen und zahlte ihm das Urlaubsentgelt.

Der Kläger hat die auf Wiedergutschrift der Urlaubstage auf seinem Urlaubskonto gerichtete Klage darauf gestützt, es sei ihm nicht möglich gewesen, seinen Urlaub selbstbestimmt zu gestalten. Die Situation bei einer Quarantäneanordnung sei der infolge einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vergleichbar. Der Arbeitgeber müsse ihm deshalb entsprechend dem Bundesurlaubsgesetz (hier: § 9 BurlG), dem zufolge ärztlich attestierte Krankheitszeiten während des Urlaubs nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden dürfen, nachgewähren.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) ist dieser Auffassung gefolgt und hat der Klage stattgegeben. Für das BAG ist die Frage entscheidungserheblich: Steht es mit europäischem Recht im Einklang, wenn vom Arbeitgeber bewilligter Jahresurlaub, der sich mit einer nach Urlaubsbewilligung behördlich angeordneten häuslichen Quarantäne zeitlich überschneidet, nach nationalem Recht nicht nachzugewähren ist, weil der betroffene Arbeitnehmer selbst nicht krank war? Diese Frage muss nun der EuGH beantworten.

Quelle | BAG, Beschluss vom 16.8.2022, 9 AZR 76/22 (A), PM 30/22 vom 16.8.2022