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Monats-Archive: September 2019

Unfallschadensregulierung: Verweis auf andere Werkstatt, die sich als teurer entpuppt

| Wenn der Versicherer bei einer fiktiven Abrechnung auf eine andere Werkstatt verweist, die sich im Rechtsstreit als im Ergebnis teurer herausstellt, kann er in dem Prozess unter Berücksichtigung von Treu und Glauben diesen Verweis nicht zurückziehen und durch den Verweis auf eine andere Werkstatt ersetzen. |

So entschied das Amtsgericht Rudolstadt. Das Gericht hat hier offenbar nicht blind den Angaben im Verweis geglaubt. Es hat einen Gutachter beauftragt, zu ermitteln, was die Reparatur in der Verweiswerkstatt tatsächlich gekostet hätte. Und siehe da, sie wäre teurer als in der Werkstatt, deren Konditionen dem ursprünglichen vom Geschädigten eingeholten Schadengutachten zugrunde lagen. Als der Versicherer nun bemerkte, dass er sich offenbar verwählt hatte, hat er eine andere Werkstatt benannt. Doch das hat das Gericht nicht mitgemacht. Denn das widerspreche den Regeln von Treu und Glauben.

Quelle | Amtsgericht Rudolstadt, Urteil vom 26.2.2019, 3 C 415/17, Abruf-Nr. 209163 unter www.iww.de.

Nichteheliche Lebensgemeinschaft: Keine Fürsorge- und Obhutspflichten für den Pkw des Partners

| Eine Lebensgefährtin muss sich nicht um das Fahrzeug ihres Partners kümmern, wenn dieser es in einem Gefahrenbereich abstellt. |

So entschied es das Landgericht (LG) Köln im Fall eines Mannes und einer Frau, die in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft lebten. Die beiden unternahmen mit dem Pkw des Mannes einen Ausflug. Der Mann hielt auf einer Fläche einer Bahngleisanlage an, um eine Toilette aufzusuchen. Dabei bemerkte er nicht, dass er sein Fahrzeug geringfügig auf den Bahnschienen abgestellt hatte. Er bat die Frau darum, dass Fahrzeug sogleich wegzusetzen. Ein Zeuge wies die Frau zudem darauf hin, die Gleise schnellstmöglich zu verlassen, da dort Züge verkehrten. Als sie das Fahrzeug verlassen hatte, näherte sich ein Güterzug und erfasste den Pkw. Der Mann fordert von der Frau Schadenersatz.

Das LG wies die Klage ab. Zwischen den Parteien bestand kein rechtliches Schuldverhältnis, aus dem sich die Pflicht der Frau ergeben hätte, das Fahrzeug fortzusetzen. Einen schuldrechtlichen Vertrag, der einen solchen Anspruch begründen könnte, haben die Parteien durch die bloße Bitte des Mannes nicht geschlossen. Allein der Umstand, dass sich die Parteien auf einem gemeinsamen Ausflug befanden, begründet ebenfalls kein solches Schuldverhältnis. Auch haftet die Frau nicht wegen eines pflichtwidrigen Unterlassens. Es besteht keine allgemeine Rechtspflicht, Dritte bzw. deren Rechtsgüter vor Gefahren zu schützen. Eine Pflicht zum Handeln besteht nur, wenn jemand für den Geschädigten in besonderer Weise verantwortlich ist.

MERKE | Zwar kann aus einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft eine besondere Fürsorge- und Obhutspflicht folgen, aber i. d. R. nur im Hinblick auf Leben, Körper und Gesundheit. Eine allgemeine rechtliche Pflicht, von den Vermögenswerten des Partners Schaden abzuwenden, lässt sich daraus aber nicht herleiten.

Quelle | LG Köln, Urteil vom 9.5.2019, 8 O 307/18, Abruf-Nr. 209727 unter www.iww.de.

Erbrecht: Testamentsauslegung: Keine Erbeinsetzung, nur Hausratsvermächtnis

| Die Anordnung in einem Testament, wonach die Ehefrau „aus dem Besitz“ des Erblassers „nehmen oder behalten kann, was immer sie auch will“, ist keine umfassende Erbeinsetzung, sondern lediglich ein Hausratsvermächtnis. |

So legte das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg ein Testament in dem folgenden Fall aus: Der spätere Erblasser E hatte mehrere notarielle Testamente errichtet. In jedem der Testamente wurde die vorhergehende Verfügung ausdrücklich widerrufen. Weiter liegt eine handschriftliche Erklärung vor, wonach die vierte Ehefrau des E „aus meinem Besitz nehmen oder behalten kann, was immer sie auch will“.

Das Gericht ist der Auffassung, die Erklärung stelle zwar ein formgültiges Testament dar, enthalte jedoch keine Erbeinsetzung. Vielmehr solle der Ehefrau offenkundig nur die Berechtigung eingeräumt werden, einzelne Gegenstände oder auch eine funktionale Sachgesamtheit von Gegenständen aus dem Nachlass zu entnehmen. Dies wird auch daraus hergeleitet, dass der E mit der Erklärung seine bisherigen Verfügungen nicht widerrufen hatte. Die Möglichkeit, einen Widerruf klarstellend in ein Testament aufzunehmen, muss dem E aber bewusst gewesen sein.

Quelle | OLG Bamberg, Beschluss vom 6.5.2019, 3 W 16/19, Abruf-Nr. 209034 unter www.iww.de.

Kraftfahrzeugrennen: „Autoposen“ ist kein Kraftfahrzeugrennen

| Eine sog. „Poserfahrt“ ist kein verbotenes Kraftfahrzeugrennen im Sinne des Strafgesetzbuchs. |

Das folgt aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamburg im Falle eines Autofahrers, der wegen eines illegalen Kraftfahrzeugrennens angeklagt war. Die Polizei hatte ihn beobachtet, als er mit seinem Audi R8 an einer roten Ampel neben einem Lotus Sport 135R stand. Beide Fahrzeuge ließen die Motoren aufheulen. Als die Ampel Grün zeigte, fuhren beide mit hoher Drehzahl los. Dies wiederholten beide Fahrzeugführer an mehreren Ampeln hintereinander. Das Amtsgericht hat darin die Teilnahme an einem illegalen Straßenrennen gesehen.

Das OLG hat das Urteil aufgehoben. Das Amtsgericht habe nicht berücksichtigt, dass es sich nicht zwingend um ein Straßenrennen, sondern insbesondere auch um eine Schaufahrt ohne wettbewerblichen Hintergrund gehandelt haben könnte. Dabei komme es den Beteiligten nicht auf ein Kräftemessen mit ihren Fahrzeugen im eigentlichen Sinne an. Sie würden alleine durch ihre Fahrweise die Aufmerksamkeit von Passanten zu erheischen versuchen. Ziel sei es, ihre Fahrzeuge optisch und akustisch in Szene zu setzen und sich zu profilieren. Auch habe das Amtsgericht nicht dargelegt, dass der Betroffene das „Rennen“ mit dem anderen Kraftfahrzeugführer zumindest durch kurzen kommunikativen Akt abgesprochen habe.

Quelle | OLG Hamburg, Urteil vom 5.7.2019, 2 RB 9/19 – 3 Ss-OWi 91/18, Abruf-Nr. 210286 unter www.iww.de.

Unfallschadensregulierung: Werden unfallbedingte Depressionen nicht behandelt, kann Anspruch gekürzt werden

| Wer nach einem Unfall nicht zum Arzt geht, muss damit rechnen, dass seine Ersatzansprüche gekürzt werden. |

Das ist das Fazit der Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Schleswig. Hintergrund der Entscheidung ist ein Unfall, den der Kläger 2004 erlitten hat. In der Zeit ab 2005 entwickelten sich aus streitiger Ursache psychosomatische Beschwerden. Diese führten zur Arbeitsunfähigkeit ab Anfang 2007. Der Kläger war zur Unfallzeit und danach bis zur Frühverrentung (wegen voller Erwerbsminderung) im Landesdienst beschäftigt. Er hat behauptet, seine durch die depressiven Störungen bedingte Erwerbsunfähigkeit sei eine Unfallfolge. Im Zeitraum 2/07 bis 10/16 sei ihm ein Verdienstausfallschaden in Höhe von 130.446 EUR entstanden.

Das OLG hat lediglich einen Teilbetrag zugesprochen. Jedenfalls ab 10/14 müsse sich der Kläger eine Anspruchskürzung um 50 Prozent und ab 10/15 eine solche von 75 Prozent wegen fehlender ärztlicher Behandlung seiner depressiven Störungen gefallen lassen. Hätte sich der Kläger – wie in den ersten Jahren nach dem Unfall – weiterhin der gebotenen psychiatrischen/psychologischen Behandlung unterzogen, wäre er, wenn auch eingeschränkt, wieder arbeitsfähig geworden, so das OLG nach umfassender Beweisaufnahme und Anhörung des Klägers.

Quelle | OLG Schleswig, Urteil vom 21.2.19, 7 U 134/16, Abruf-Nr. 210340 unter www.iww.de.

Zugewinnausgleich: Nach Scheidung kann Zugewinngemeinschaft nicht mehr aufgehoben werden

| Die Zugewinngemeinschaft kann nicht mehr vorzeitig aufgehoben werden, wenn der Güterstand der Zugewinngemeinschaft zuvor durch Scheidung beendet worden ist. |

Hierauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) hingewiesen. Die Richter stellten klar, dass eine dennoch ergangene Entscheidung über die vorzeitige Aufhebung der Zugewinngemeinschaft dann gegenstandslos ist.

Quelle | BGH, Beschluss vom 26.6.2019, XII ZB 299/18, Abruf-Nr. 210379 unter www.iww.de.

Kündigungsrecht: Kündigung eines Mitarbeiters der Bundeswehr wegen Verbindungen in die rechtsextreme Szene

| Das Arbeitsverhältnis eines Hausmeisters bei der Bundeswehr kann außerordentlich mit Auslauffrist gekündigt werden, wenn der Arbeitnehmer Verbindungen in die rechtsextreme Szene hat. |

Das folgt aus einer Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin. Nach den Feststellungen des Gerichts ist der Mitarbeiter einer rechtsextremen Kameradschaft zugehörig. Er hat sich an mehreren Veranstaltungen der rechten Szene beteiligt. Zudem hat er in den sozialen Medien seine Zustimmung zu rechtsextremen Inhalten geäußert. Das Bundesministerium für Verteidigung erklärte im Dezember 2018 die außerordentliche fristlose Kündigung sowie im Januar 2019 die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist zum 30. September 2019.

Das Arbeitsgericht hielt die Kündigung grundsätzlich für gerechtfertigt. Da das Arbeitsverhältnis jedoch bereits über 30 Jahre bestand, und aufgrund des Lebensalters des Mitarbeiters könne die Kündigung jedoch nur mit sozialer Auslauffrist erfolgen.

Quelle | Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 17.7.2019, 60 Ca 455/19, Abruf-Nr. 210604 unter www.iww.de.

Sachgrundlose Befristung: Austausch des Arbeitgebers im Verbund kann Rechtsmissbrauch sein

| Schließt ein mit einem anderen Arbeitgeber rechtlich und tatsächlich verbundener Arbeitgeber mit einem zuvor bei dem anderen Arbeitgeber befristet beschäftigten Arbeitnehmer einen sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrag ab, kann es sich um eine rechtsmissbräuchliche Umgehung der gesetzlichen Bestimmungen zur sachgrundlosen Befristung handeln. |

Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg zu einem Arbeitsverhältnis im Bereich der Forschung entschieden. Der Arbeitgeber betreibt gemeinsam mit einem Forschungsverbund ein Labor. Dort war die Arbeitnehmerin als technische Assistentin in einer Arbeitsgruppe beschäftigt. Ihr Arbeitsverhältnis bei dem Forschungsverbund war befristet. Sie beendete dieses Arbeitsverhältnis und schloss mit dem Arbeitgeber einen sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrag mit ansonsten unveränderten Arbeitsbedingungen ab. Die Initiative für diesen Arbeitgeberwechsel ging von dem Leiter der Arbeitsgruppe aus. Er wollte gewährleisten, dass die Arbeitnehmerin weiterbeschäftigt wurde.

Das LAG hielt die gewählte Vertragsgestaltung für rechtsmissbräuchlich. Es hat daher der Entfristungsklage der Arbeitnehmerin stattgegeben. Für den Arbeitgeberwechsel habe es keinen sachlichen Grund gegeben. Er habe vielmehr ausschließlich dazu gedient, eine sachgrundlose Befristung zu ermöglichen, die sonst nicht möglich gewesen wäre. Dass die Arbeitgeber im Bereich der Forschung tätig seien, sei ohne rechtliche Bedeutung.

Quelle | LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.1.2019, 21 Sa 936/18, Abruf-Nr. 209006 unter www.iww.de.

Kündigungsrecht: Fristlose Kündigung eines Pförtners der Polizei wirksam

| Besteht der dringende Verdacht, dass der Pförtner einer Polizeidienststelle eine Fundsache unterschlagen hat, kann ihm fristlos gekündigt werden. |

Das folgt aus einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Düsseldorf im Fall eines Mannes, der seit 1987 bei dem beklagten Land beschäftigt war. Zuletzt war er auf der Pförtnerstelle einer Polizeidienststelle eingesetzt. Am 22.12.2017 wurde ihm während seines Dienstes von einer ihm nicht bekannten Frau mitgeteilt, dass diese einen 100-Euro-Schein gefunden habe. Ob er den Geldschein angenommen hat, ist zwischen den Parteien streitig. Ein Eingang ist weder in den Asservatenschränken noch im Vorgangsbearbeitungssystem vermerkt. Am gleichen Tag um 12.52 Uhr wandte sich die Finderin mit einer E-Mail an die Poststelle des beklagten Landes. Sie teilte darin mit, dass sie einen 100-Euroschein gefunden und diesen an der Pforte der Polizeidienststelle abgegeben habe. Sie habe keine Angaben zum Fundort und zu ihren Personalien machen müssen. Da ihr dieses Verfahren seltsam vorkam, wollte sie wissen, was denn nun mit dem Geld passiert.

Gegen den Arbeitnehmer wurde daraufhin ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Unterschlagung eingeleitet, in dem er sich zur Sache nicht äußerte. Bei einer anschließenden Wahllichtbildvorlage, zu der auch ein Bild des Mannes gehörte, sah die Finderin eine Ähnlichkeit zu der Person, der sie den 100-Euroschein anvertraut habe. Der Arbeitgeber hörte den Arbeitnehmer zu dem Verdacht der Unterschlagung an. Der Arbeitnehmer bestritt in seiner Stellungnahme, den Geldschein entgegengenommen zu haben. Nach Beteiligung des Personalrats kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis fristlos. Der Arbeitnehmer behauptet, er habe den 100-Euroschein nicht angenommen. Vielmehr habe er der Finderin mitgeteilt, dass er nicht befugt sei, diesen anzunehmen und sie an eine andere, zuständige Dienststelle verwiesen.

Die Kündigungsschutzklage hatte auch vor dem LAG keinen Erfolg. Nach Vernehmung der Finderin, einer Architektin, ist die Kammer der Überzeugung, dass diese am 22.12.2017 bei ihren Erledigungen in der Stadt vor Weihnachten an der Ecke Herzogstraße/Friedrichstraße einen 100-Euro-Schein gefunden hat und der dringende Tatverdacht besteht, dass sie diesen bei dem Arbeitnehmer abgegeben hat. Für die Version des Arbeitnehmers spricht kein plausibler Grund. Wenn die Finderin den 100-Euro-Schein wieder mitgenommen hätte, war kein Motiv ersichtlich, warum sie sich mit der E-Mail an die Polizei gewandt und den Kläger nachfolgend im inzwischen rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren und auch in der Vernehmung vor dem LAG belastet hat. Der für die ausgesprochene Verdachtskündigung erforderliche dringende Tatverdacht der Unterschlagung der gefundenen 100-Euro ist gegeben. Dies rechtfertigte auch in Ansehung der langen Beschäftigungsdauer die fristlose Kündigung. Das LAG hat die Revision nicht zugelassen.

Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 28.6.2019, 6 Sa 994/18, Abruf-Nr. 210605 unter www.iww.de.

Elterngeld: BSG: Gehaltsnachzahlungen können berücksichtigt werden

| Nachgezahlter laufender Arbeitslohn, den der Elterngeldberechtigte außerhalb der für die Bemessung des Elterngelds maßgeblichen 12 Monate vor dem Monat der Geburt des Kindes (Bemessungszeitraum) „erarbeitet“ hat, ist der Bemessung des Elterngelds zugrunde zu legen, wenn er im Bemessungszeitraum zugeflossen ist (BSG 27.6.19, B 10 EG 1/18 R). |

Diese Entscheidung traf das Bundessozialgericht (BSG). Die Richter machten deutlich, dass das Einkommen entscheidend sei, welches der Berechtigte „im Bemessungszeitraum hat“. Dies folgt aus der gesetzlichen Neuregelung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG) zum 18.9.12.

Der beklagte Landkreis war deshalb nicht berechtigt, die von der Klägerin im Juni 13 vor dem Bemessungszeitraum (Juli 13 bis Juni 14) erarbeitete Gehaltsnachzahlung bei der Berechnung des Elterngelds auszuklammern. Maßgeblich war vielmehr, dass ihr diese Gehaltsnachzahlung im August 13 und damit im Bemessungszeitraum tatsächlich zugeflossen war.

Quelle | BSG, Urteil vom 27.6.2019, B 10 EG 1/18 R, Abruf-Nr. 209644 unter www.iww.de.