Marcus Spiralski Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht & Fachanwalt für Familienrecht

Urteilskategorie

Urteilsarchiv

Reparaturschaden: Wenn das Gutachten lückenhaft ist …

| Ergibt sich aus dem Schadengutachten, dass die Reparaturkosten in der Nähe des Wiederbeschaffungswerts liegen, darf der Geschädigte auf die Richtigkeit vertrauen. Dass der Gutachter dabei einen Achsschaden ohne Vermessung, sondern nur auf der Grundlage einer Probefahrt diagnostiziert hat, mag im Ergebnis bedenklich sein. Der Geschädigte kann eine solche Lückenhaftigkeit des Gutachtens aber nicht erkennen. So entschied es das Landgericht (LG) Lübeck. |

Wenn sich der Geschädigte auf der Grundlage des Schadengutachtens zu einer Ersatzbeschaffung entschließt und diese auch vornimmt, kann der Versicherer die Reparaturkosten nicht im Nachhinein auf einen Reparaturschaden herunterrechnen. Hält der Versicherer den Achsschaden nicht für nachgewiesen, kann er versuchen, den Schadengutachter in Regress zu nehmen.

Quelle | LG Lübeck, Urteil vom 28.5.2021, 2 O 298/19, Abruf-Nr. 226210 unter www.iww.de

Reparaturdauer: Unfallschaden: Wenn nur noch die Anhängerkupplung fehlt

| Kann ein Fahrzeug nach einem Heckschaden nicht fertig repariert werden, weil z. B. die Anhängezugvorrichtung noch nicht geliefert war, erhöhen sich die Reparaturtage schnell. So geschah es in einem Fall des Amtsgerichts (AG) Fürstenfeldbruck, in dem die Reparaturtage von 11 auf 18 anwuchsen. Doch wer musste dies auf seine „Kappe“ nehmen? |

Der Versicherer meinte, die Werkstatt hätte das Fahrzeug zwischendurch ohne die Anhängerkupplung ausliefern und die Reparatur nach Lieferung des Teils in einem zweiten Arbeitsgang zu Ende bringen müssen. Die Mietwagenkosten seien deshalb auf 11 Tage zu kürzen. Das hat das AG aber nicht mitgetragen. Nach Ansicht des AG kommt es nicht auf das Verhalten der Werkstatt an, sondern auf das des Geschädigten. Wenn dieser nicht weiß, woran die Verzögerung liegt, hat er keinen Einfluss auf das Verhalten der Werkstatt.

Quelle | AG Fürstenfeldbruck, Hinweis vom 28.10.2021, 5 C 201/21, Abruf-Nr. 225942 unter www.iww.de

Erbrecht: Ein adoptiertes Kind kann mehrfach erben

| Ein von seiner Tante adoptiertes Kind kann bei gesetzlicher Erbfolge im Fall des Versterbens einer weiteren Schwester seiner Mutter sowohl den Erbteil seiner Adoptivmutter als auch den Erbteil seiner leiblichen Mutter, ebenfalls einer Schwester der Erblasserin, erben. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. hat entschieden, dass der Adoptivsohn hier zwei gesetzliche Erbteile erhält. |

Fallkonstellation

Die Beteiligten sind ebenso wie der Antragsteller Nichten und Neffen der Erblasserin. Diese verstarb kinderlos. Die Erblasserin hatte zwei Schwestern. Der Antragsteller ist das leibliche Kind einer dieser Schwestern. Er wurde später von der anderen Schwester der Erblasserin adoptiert. Sowohl seine leibliche Mutter als auch die Adoptivmutter waren zum Zeitpunkt des Versterbens der Erblasserin bereits verstorben. Vorverstorben waren auch der Ehemann der Erblasserin sowie ihre Eltern. Die Erblasserin hinterließ kein Testament.

Erbschein nach dem Tod der Tante

Nach dem Tod der Erblasserin beantragte der Antragsteller einen Erbschein nach gesetzlicher Erbfolge, der ihn neben den anderen Nichten und Neffen als Erben zu ½ (¼ nach der Adoptivmutter, ¼ nach der leiblichen Mutter) ausweist. Das Amtsgericht (AG) hat dem Antrag entsprochen.

OLG: Mehrere Erbteile sind möglich

Die hiergegen von den übrigen Nichten und Neffen der Erblasserin eingelegte Beschwerde hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Zu Recht sei das Nachlassgericht davon ausgegangen, dass ein adoptiertes Kind in die gesetzliche Erbfolge sowohl nach seiner leiblichen Mutter als auch nach der Adoptionsmutter eintrete, entschied das OLG. Im konkreten Fall erhalte der Antragsteller daher einen Erbteil von zwei Vierteln. Dem stehe nicht entgegen, dass nach der Adoption die Verwandtschaftsverhältnisse zu den bisherigen Verwandten erlöschen sind. Hiervon sehe das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 1756 Abs. 1 BGB) nämlich eine Ausnahme vor, sofern die Annehmenden im zweiten oder dritten Grad mit dem Kind verwandt seien. Diese Ausnahme sei im Erbrecht zu berücksichtigen und führe zu dem Erhalt mehrerer Erbteile aufgrund der über die Adoptionsmutter und die leibliche Mutter vermittelten Verwandtschaft zur verstorbenen Erblasserin.

Der Beschluss ist nicht rechtskräftig. Er kann mit der vom OLG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Rechtsbeschwerde angefochten werden.

Quelle | OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 15.12.2021, 21 W 170/21, PM 3/22 vom 12.1.2022

Gleichgeschlechtliche Paare: Krankenkassen müssen keine Kosten für eine Kinderwunschbehandlung übernehmen

| Gleichgeschlechtliche Paare haben keinen Anspruch gegen die gesetzlichen Krankenkassen auf eine Kinderwunschbehandlung. So sieht es das Bundessozialgericht (BSG). |

Medizinische Maßnahmen, die dazu dienen, eine Schwangerschaft herbeizuführen, sind nur der Krankenbehandlung und damit den Leistungen der Krankenversicherung zuzurechnen, wenn ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden (sog. homologe Insemination). Der Gesetzgeber muss aus Verfassungsgründen nicht auch eine Kinderwunschbehandlung vorsehen, bei der Spendersamen verwendet wird (sog. heterologe Insemination).

Der Gesetzgeber hat eine weitreichende Einschätzungsprärogative bezüglich der Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Das Gesetz geht gemäß Sozialgesetzbuch (§ 27a SGB V) von einer grundsätzlichen Zeugungsfähigkeit des Ehepaars aus, die durch die Leistungen nach dieser Vorschrift unterstützt werden soll.

Zwar erkennt die Vorschrift als soziale Komponente an, den Kinderwunsch innerhalb einer bestehenden Ehe als Behandlungsziel zu erfüllen. Sie knüpft darüber hinaus aber den Leistungsanspruch an das krankheitsähnliche Unvermögen bei eingeschränkter, aber nicht aufgehobener Zeugungsfähigkeit , Kinder auf natürlichem Weg zu zeugen. Die Entscheidung, diese individuelle krankheitsähnliche Komponente durch die Förderung der künstlichen Befruchtung nur mit eigenen Ei- und Samenzellen der Eheleute nicht vor der sozialen Komponente zurücktreten zu lassen, ist vor dem Hintergrund der im Wesentlichen auf die Krankenbehandlung ausgerichteten gesetzlichen Krankenversicherung gerechtfertigt. Die Klägerin begehrt dagegen, dass die in dieser Eheform nicht bestehende Zeugungsfähigkeit mittels heterologer Insemination kompensiert wird, statt bloß eine krankheitsähnliche Situation zu überwinden.

Zu einer anderen Bewertung zwingt auch nicht, dass die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt worden ist. Der Gesetzgeber wollte diese zwar an die gemischtgeschlechtliche Ehe angleichen. Aus diesem Anliegen folgt aber nach Auffassung des BSG nicht die Pflicht, die zeugungsbiologischen Grenzen einer solchen Ehe mit Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung auszugleichen.

Quelle | BSG, Urteil vom 10.11.2021, B 1 KR 7/21 R, PM vom 4. und 11.11.2021

Sorgerecht: Strafbarkeit möglich: Wenn die Mutter die minderjährige Tochter tätowiert …

| Tätowieren des eigenen minderjährigen Kindes kann eine gefährliche Körperverletzung sein. So hat es jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Hamm entschieden. |

Die Eltern der minderjährigen Tochter waren gemeinsam sorgeberechtigt. Das Jugendamt war aber für die Bereiche Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmungsrecht als Ergänzungspfleger bestellt.

Die Mutter tätowierte ihre 14-jährige Tochter am rechten Unterarm ohne wirksame Einwilligung des Jugendamts. Das Landgericht (LG) Detmold sah darin eine gefährliche Körperverletzung. Es verurteilte die Mutter entsprechend, allerdings in einem minder schweren Fall. Deren Revision war teilweise erfolgreich.

Ein Tätowiergerät kann ein gefährliches Werkzeug im Sinne des Strafrechts sein (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Strafgesetzbuch (StGB)). Allerdings kann eine Tätowierung heute nicht per se als erhebliche Beeinträchtigung des Erscheinungsbilds angesehen werden, was für eine Strafbarkeit Voraussetzung wäre. Es verursacht auch kein erhebliches Leiden. Aber, so das OLG: Es ist geeignet, erhebliche Verletzungen hervorzurufen, wenn das Gerät nicht steril war und es deswegen zu schwerwiegenden Entzündungen kommt oder wenn ein Ungeübter damit gravierendere Verletzungen hervorruft.

Das OLG hob die Entscheidung des LG folglich auf und verwies die Sache zurück. Denn die bisherigen Feststellungen ergaben nicht hinreichend, ob der konkrete Einsatz des Tätowiergeräts geeignet war, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. Es reicht insoweit nicht die bloße Eignung, überhaupt Verletzungen hervorzurufen, sondern diese müssen auch erheblich sein. Es muss also nach der konkreten Art der Verwendung die Eignung bestehen, die Funktionen oder das Erscheinungsbild des Körpers so einschneidend zu beeinträchtigen, dass der Verletzte schwer getroffen ist und beträchtlich darunter leiden muss. Dies muss nun das LG herausfinden.

Quelle | OLG Hamm, Beschluss vom 2.9.2021, 4 RVs 84/21, Abruf-Nr. 225150 unter www.iww.de

Elterngeld: Kein Zuschlag bei Mehrfachadoptionen

| Die Regelung über den Anspruch eines Zuschlags bei Mehrlingsgeburten ist nicht auf Mehrfachadoptionen übertragbar. Dies hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen nun entschieden. |

Die Ehefrau des Klägers brachte vier Kinder mit in die Ehe ein, die er zum gleichen Zeitpunkt adoptierte. Der Beklagte gewährte ihm für die Betreuung Elterngeld für den 6. bis 14. Monat ab Inobhutnahme. Der Kläger machte geltend, ihm stünden Mehrlingszuschläge à 300 Euro zu. Der Fall einer Mehrfachadoption sei mit einer Mehrlingsgeburt vergleichbar. Der Beklagte, die Elterngeld bewilligende Stelle, lehnte die Gewährung des Zuschlags ab. Hiergegen wehrte sich der Kläger vergeblich vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund.

Seine Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat bestätigt, dass dem Kläger ein Mehrlingszuschlag für keines der Kinder zusteht. Die Anspruchsgrundlage für den Mehrlingszuschlag sei nach dem Wortlaut und dem Regelungszusammenhang nicht auf den Fall einer Mehrfachadoption anwendbar. Eine analoge Anwendung sei nicht geboten. Hätte der Gesetzgeber den Mehrlingszuschlag auch bei Mehrfachadoptionen vorsehen wollen, hätte für eine entsprechende Regelung ausreichend Gelegenheit bestanden. Es liege zudem kein vergleichbarer Sachverhalt vor.

Nach der Gesetzesbegründung berücksichtige der Mehrlingszuschlag die bei Mehrlingsgeburten bestehende besondere Belastung der Eltern. Der Beginn des Zusammenlebens mit adoptierten Kindern sei zwar ebenfalls regelmäßig mit besonderen Anforderungen an die fürsorglichen Leistungen der Eltern verbunden. Ein erheblicher Unterschied liege aber darin, dass adoptierte Kinder ein mitunter deutlich höheres Alter als Neugeborene aufwiesen und der Zeitpunkt der Adoption anders planbar sei. So habe der Kläger mit den zwischen drei und zehn Jahre alten Kindern bereits über zwei Jahre in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. Zudem verfüge der Gesetzgeber im Sozialleistungsrecht über einen weiten Gestaltungsspielraum. Es verletze daher nicht den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz, nur für die besonderen Belastungen einer Mehrlingsgeburt einen Zuschlag vorzusehen.

Gegen das Urteil ist jetzt Revision beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegt worden ist.

Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.4.2021, L 13 EG 15/18, PM des LSG

Sonderkündigungsschutz: Schwangerschaft zum Kündigungszeitpunkt muss bewiesen sein

| Der Sonderkündigungsschutz für schwangere Arbeitnehmerinnen knüpft an das tatsächliche Vorliegen einer Schwangerschaft zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung an. Das hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg klargestellt. |

Folge: Die Schwangere muss nachweisen, dass sie im Zeitpunkt der Kündigung tatsächlich schwanger war. Das ist nicht in jedem Fall einfach.

Will die Arbeitnehmerin das Vorliegen der Schwangerschaft über eine statistische Wahrscheinlichkeit herleiten, ist dies über einen Anscheinsbeweis möglich, der aber nur bei typischen Geschehensabläufen greifen kann. Ausgehend von einem typischen Geschehensablauf können nach Ansicht des LAG zur Ermittlung des Zeitpunkts der Konzeption vom ärztlich festgestellten voraussichtlichen Entbindungstermin nur 266 Tage zurückgerechnet werden.

Damit weicht diese Entscheidung von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ab. Diese rechnet 280 Tage zurück. Das LAG meint, dies sei mit typischen Schwangerschaftsverläufen nicht in Deckung zu bringen.

Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 1.12.2021, 4 Sa 32/21, Abruf-Nr. 226685 unter www.iww.de

Arbeitsvertrag: Befristung in elektronischer Form unwirksam

| Immer wieder werden befristete Arbeitsverträge geschlossen. Doch Vorsicht! Ein befristeter Arbeitsvertrag, der von beiden Seiten nur in elektronischer Form unterzeichnet wird, genügt den Formvorschriften für eine wirksame Vereinbarung einer Befristung nicht. Er ist daher auf unbestimmte Zeit geschlossen. Dies hat das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin jetzt entschieden. |

Die Befristung eines Arbeitsvertrags bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Im Fall des ArbG Berlin hatten die Parteien den befristeten Arbeitsvertrag aber nicht durch eigenhändige Namensunterschrift auf dem Vertrag abgeschlossen, sondern eine elektronische Signatur verwendet.

Für das ArbG Berlin genügt die hier verwendete Form der Signatur nicht dem Schriftformerfordernis. Auch wenn man annehme, dass eine qualifizierte elektronische Signatur ausreiche, um eine Befristung wirksam zu vereinbaren, liege in diesem Fall keine solche vor. Für eine qualifizierte elektronische Signatur sei eine Zertifizierung durch die Bundesnetzagentur erforderlich. Da die Arbeitsvertragsparteien aber eine nicht zertifizierte Signatur verwendet hatten, sei die Vereinbarung der Befristung mangels Einhaltung der Schriftform unwirksam; der Arbeitsvertrag gelte als auf unbestimmte Zeit geschlossen.

Quelle | ArbG Berlin, Urteil vom 26.10.2021, 36 Ca 15296/20, Abruf-Nr. 225532 unter www.iww.de

Fristlose Kündigung: 23 Euro können ein wichtiger Grund sein

| Das Arbeitsgericht (ArbG) Oberhausen hat die Klage eines fristlos gekündigten stellvertretenden Store-Leiters des FC Bayern Fan-Shops in einem Einkaufszentrum teilweise abgewiesen. Die fristlose Kündigung ist damit wirksam. Das Arbeitsverhältnis ist beendet. |

Das ArbG vertritt die Ansicht, dass der Vorwurf, der Kläger habe einen Gutschein im Wert von 23 Euro unberechtigt verwendet, einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellt. Aus diesem Grund hat es die Kündigungsschutzklage abgewiesen.

Quelle | ArbG Oberhausen, Urteile vom 12.11.2021, 3 Ca 781/20 und 3 Ca 400/21, PM LAG Düsseldorf 21/21 vom 13.11.2021

Fahrradlieferdienste: Arbeitgeber muss Fahrrad und Handy zur Verfügung stellen

| Fahrradlieferanten, die Speisen und Getränke ausliefern und ihre Aufträge über eine Smartphone-App erhalten, haben Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber ihnen die für die Ausübung ihrer Tätigkeit essenziellen Arbeitsmittel zur Verfügung stellt. Dazu gehören ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein geeignetes internetfähiges Mobiltelefon. Von diesem Grundsatz können vertraglich Abweichungen vereinbart werden. Geschieht dies in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des Arbeitgebers, sind diese nur wirksam, wenn dem Arbeitnehmer für die Nutzung des eigenen Fahrrads und Mobiltelefons eine angemessene finanzielle Kompensationsleistung zugesagt wird. So hat es das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. |

Sachverhalt

Der Kläger ist bei der Beklagten als Fahrradlieferant beschäftigt. Er liefert Speisen und Getränke aus, die Kunden über das Internet bei verschiedenen Restaurants bestellen. Er benutzt für seine Lieferfahrten sein eigenes Fahrrad und sein eigenes Mobiltelefon. Die Verpflichtung hierzu ergibt sich aus den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien, bei denen es sich um AGB handelt. Die Beklagte gewährt den bei ihr tätigen Fahrradlieferanten eine Reparaturgutschrift von 0,25 Euro pro gearbeiteter Stunde, die ausschließlich bei einem von ihr bestimmten Unternehmen eingelöst werden kann.

So argumentieren die Prozessbeteiligten

Mit seiner Klage hat der Kläger verlangt, dass die Beklagte ihm ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein geeignetes Mobiltelefon für seine vertraglich vereinbarte Tätigkeit zur Verfügung stellt. Er hat gemeint, die Beklagte sei hierzu verpflichtet, weil es in den Aufgaben- und Verantwortungsbereich des Arbeitgebers falle, die notwendigen Arbeitsmittel bereitzustellen. Dieser Grundsatz sei vertraglich nicht wirksam abbedungen worden. Dagegen hat die Beklagte Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, die vertragliche Regelung sei wirksam. Da die bei ihr als Fahrradlieferanten beschäftigten Arbeitnehmer ohnehin über ein Fahrrad und ein internetfähiges Mobiltelefon verfügten, würden sie durch die Verwendung ihrer eigenen Geräte nicht bzw. nicht erheblich belastet. Darüber hinaus seien etwaige Nachteile durch die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, Aufwendungsersatz geltend machen zu können, und bezüglich des Fahrrads durch das von ihr gewährte Reparaturbudget ausgeglichen.

So entschieden die Instanzen

Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Die in den AGB vereinbarte Nutzung des eigenen Fahrrads und Mobiltelefons benachteiligt den Kläger unangemessen und ist daher unwirksam. Die Beklagte wird durch diese Regelung von entsprechenden Anschaffungs- und Betriebskosten entlastet und trägt nicht das Risiko, für Verschleiß, Wertverfall, Verlust oder Beschädigung der essenziellen Arbeitsmittel einstehen zu müssen. Dieses liegt vielmehr beim Kläger. Das widerspricht dem gesetzlichen Grundgedanken des Arbeitsverhältnisses, wonach der Arbeitgeber die für die Ausübung der vereinbarten Tätigkeit wesentlichen Arbeitsmittel stellen und für deren Funktionsfähigkeit sorgen muss.

Eine ausreichende Kompensation dieses Nachteils ist nicht erfolgt. Die von Gesetzes wegen bestehende Möglichkeit, Aufwendungsersatz verlangen zu können, stellt keine angemessene Kompensation dar. Es fehlt insoweit an einer gesonderten vertraglichen Vereinbarung. Zudem würde auch eine Klausel, die nur die ohnehin geltende Rechtslage wiederholt, keinen angemessenen Ausgleich schaffen. Die Höhe des dem Kläger zur Verfügung gestellten Reparaturbudgets orientiert sich nicht an der Fahrleistung, sondern an der damit nur mittelbar zusammenhängenden Arbeitszeit.

Der Kläger kann über das Budget auch nicht frei verfügen, sondern es nur bei einem vom Arbeitgeber bestimmten Unternehmen einlösen. In der Wahl der Werkstatt ist er nicht frei. Für die Nutzung des Mobiltelefons ist überhaupt kein finanzieller Ausgleich vorgesehen.

Arbeitgeber muss Arbeitsmittel zur Verfügung stellen

Der Kläger kann deshalb von der Beklagten verlangen, dass diese ihm die für die vereinbarte Tätigkeit notwendigen essenziellen Arbeitsmittel ein geeignetes verkehrstüchtiges Fahrrad und ein geeignetes Mobiltelefon, auf das die Lieferaufträge und -adressen mit der hierfür verwendeten App übermittelt werden bereitstellt. Er kann nicht auf nachgelagerte Ansprüche wie Aufwendungsersatz oder Annahmeverzugslohn verwiesen werden.

Quelle | BAG, Urteil vom 10.11.2021, 5 AZR 334/21, PM 38/21