Marcus Spiralski Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht & Fachanwalt für Familienrecht

Urteilskategorie

Urteilsarchiv

Betriebliches Eingliederungsmanagement: Datenschutz beachten

| Arbeitnehmer sind auf die Art und den Umfang der im betrieblichen Eingliederungsmanagement erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Die entsprechende Datenverarbeitung muss zudem datenschutzkonform geschehen. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg klargestellt. |

Um die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements zu erreichen, sei es nicht erforderlich, dass der Arbeitnehmer Vertretern, die nicht im betrieblichen Eingliederungsmanagement-Verfahren beteiligt des Arbeitgebers sind, mitgeteilte Diagnosedaten bekannt macht. Wenn dem Arbeitnehmer dennoch eine Einwilligung in eine solche Datenoffenlegung abverlangt wird, ist im besonderen Maße auf die Freiwilligkeit hinzuweisen.

Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.10.2021, 4 Sa 70/20, Abruf-Nr. 226471 unter www.iww.de

Kündigungsschutzklage: Angekündigter Amoklauf: fristlose Kündigung möglich

| Kündigt ein Arbeitnehmer einer Kollegin gegenüber glaubhaft an, er beabsichtige, seinen Vorgesetzten aus dem Fenster zu schmeißen und er sei kurz vor einem Amoklauf, kann dies eine fristlose Kündigung rechtfertigen. So entschied es das Arbeitsgericht (ArbG) Siegburg. |

Der Arbeitnehmer war bei der beklagten Stadt seit über 13 Jahren in der Buchhaltung beschäftigt. Er äußerte gegenüber seiner Kollegin nach einer Auseinandersetzung mit seinem Vorgesetzten: „Diesen kleinen Wicht schmeiße ich aus dem Fenster. Ich lasse mir das nicht länger gefallen. Ich bin kurz vor‘m Amoklauf. Ich sage dir, bald passiert was. Der lebt gefährlich, sehr gefährlich.“

Der Arbeitnehmer erhielt daher eine fristlose und hilfsweise eine fristgerechte Kündigung. Hiergegen erhob er Kündigungsschutzklage.

Das ArbG wies die Klage ab. Es hielt die fristlose Kündigung für gerechtfertigt, nachdem es die Kollegin als Zeugin vernommen hatte. Der Kündigungsgrund lag nach Auffassung des ArbG darin, dass der Arbeitnehmer in ernst zu nehmender Art und Weise gegenüber seiner Kollegin Äußerungen getätigt habe, die sowohl die Ankündigung für eine Gefahr von Leib und Leben des Vorgesetzten als auch die Ankündigung eines Amoklaufs beinhaltet hätten. Er habe die Drohung nach Überzeugung des Gerichts absolut ernst gemeint. Eine vorherige Abmahnung sei in diesem Fall entbehrlich. Eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sei dem Arbeitgeber nicht zuzumuten.

Quelle | ArbG Siegburg, Urteil vom 4.11.2021, 5 Ca 254/21, Abruf-Nr. 227028 unter www.iww.de

Vergütungsanspruch: Pflichtpraktikum als Zulassungsvoraussetzung für Studium: kein gesetzlicher Mindestlohn

| Praktikanten, die ein Pflichtpraktikum absolvieren, das nach einer hochschulrechtlichen Bestimmung Zulassungsvoraussetzung für die Aufnahme eines Studiums ist, haben keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. So hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. |

Praktikum ja, Vergütung nein

Die Klägerin beabsichtigte, sich an einer privaten, staatlich anerkannten Universität um einen Studienplatz im Fach Humanmedizin zu bewerben. Nach der Studienordnung ist u. a. ein sechsmonatiger Krankenpflegedienst Zugangsvoraussetzung. Vor diesem Hintergrund absolvierte die Klägerin bei der Beklagten, die ein Krankenhaus betreibt, ein solches Praktikum auf einer Krankenpflegestation. Eine Vergütung wurde nicht vereinbart.

Landesarbeitsgericht und Bundesarbeitsgericht weisen Klage ab

Mit ihrer Klage hat die Klägerin eine Vergütung von rund 10.000 Euro brutto nach dem Mindestlohngesetz (MiLoG) verlangt. Sie hat geltend gemacht, sie habe im Rahmen einer Fünftagewoche täglich 7,45 Stunden Arbeit geleistet. Ein Vorpraktikum vor Aufnahme eines Studiums sei kein Pflichtpraktikum im Sinne des MiLoG, daher greife die gesetzliche Ausnahme von der Vergütungspflicht nicht ein.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin beim BAG hatte keinen Erfolg. Die Klägerin unterfällt nicht dem persönlichen Anwendungsbereich des o. g. Gesetzes. Der Ausschluss von Ansprüchen auf den gesetzlichen Mindestlohn erfasst nach dem in der Gesetzesbegründung deutlich zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers nicht nur obligatorische Praktika während des Studiums, sondern auch solche, die in Studienordnungen als Voraussetzung zur Aufnahme eines bestimmten Studiums verpflichtend vorgeschrieben sind. Dem steht nicht entgegen, dass die Studienordnung von einer privaten Universität erlassen wurde, denn diese Universität ist staatlich anerkannt. Hierdurch ist die von der Hochschule erlassene Zugangsvoraussetzung im Ergebnis einer öffentlich-rechtlichen Regelung gleichgestellt und damit gewährleistet, dass durch das Praktikumserfordernis in der Studienordnung nicht der grundsätzlich bestehende Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für Praktikanten sachwidrig umgangen wird.

Quelle | BAG, Urteil vom 19.1.2022, 5 AZR 217/21, PM 1/22 vom 19.1.2022

Fristlose Kündigung: Unbefugte Kenntnisnahme und Weitergabe fremder Daten

| Liest eine Arbeitnehmerin, die im Rahmen ihrer Buchhaltungsaufgaben Zugriff auf den PC und das E-Mail-Konto ihres Arbeitgebers hat, unbefugt eine an ihren Vorgesetzten gerichtete E-Mail und fertigt von dem Anhang einer offensichtlich privaten E-Mail eine Kopie an, die sie an eine dritte Person weitergibt, rechtfertigt dies eine fristlose Kündigung. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln entschieden. |

Fristlose Kündigung

Die Klägerin ist bei der Arbeitgeberin, einer evangelischen Kirchengemeinde, seit 23 Jahren als Verwaltungsmitarbeiterin beschäftigt. Soweit für ihre Buchhaltungsaufgaben erforderlich, hatte sie Zugriff auf den Dienstcomputer des Pastors. In diesem Dienstcomputer nahm die Klägerin eine E-Mail zur Kenntnis, die den Pastor auf ein gegen ihn gerichtetes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts sexueller Übergriffe auf eine im Kirchenasyl der Gemeinde lebende Frau hinwies. Im E-Mail-Konto fand sie als Anhang einer privaten E-Mail einen Chatverlauf zwischen dem Pastor und der betroffenen Frau, den sie auf einem USB-Stick speicherte und eine Woche später anonym an eine ehrenamtliche Mitarbeiterin der Gemeinde weiterleitete. Die Klägerin gab an, sie habe die im Kirchenasyl lebende Frau schützen und Beweise sichern wollen. Nach Bekanntwerden der Vorkommnisse kündigte die Kirchengemeinde das Arbeitsverhältnis fristlos.

Erste Instanz gab der Arbeitnehmerin Recht

Erstinstanzlich hatte die Klägerin mit ihrer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Aachen Erfolg. Das Gericht erkannte in ihrem Verhalten zwar einen an sich wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung, hielt diese jedoch aufgrund des langen und bisher unbelastet verlaufenen Arbeitsverhältnisses und mangels Wiederholungsgefahr für unverhältnismäßig.

Berufung: Arbeitnehmerin unterliegt

Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Kirchengemeinde hatte Erfolg. Das LAG Köln sah das für die Aufgaben der Klägerin notwendige Vertrauensverhältnis als unwiederbringlich zerstört an. In der unbefugten Kenntnisnahme und Weitergabe fremder Daten lag für das Gericht auch wegen der damit einhergehenden Verletzung von Persönlichkeitsrechten ein schwerwiegender Verstoß gegen die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht. Dieser sei auch nicht durch die von der Klägerin vorgetragenen Beweggründe, die im Kirchenasyl lebende Frau schützen und Beweise sichern zu wollen, gerechtfertigt gewesen. Denn mit ihrer Vorgehensweise habe die Klägerin keines der angegebenen Ziele erreichen können. Angesichts der Schwere der Pflichtverletzung überwiege das Lösungsinteresse der Gemeinde das Beschäftigungsinteresse der Klägerin deutlich. Selbst die erstmalige Hinnahme dieser Pflichtverletzung sei der Gemeinde nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich auch für die Klägerin erkennbar ausgeschlossen.

Das LAG hat die Revision nicht zugelassen.

Quelle | LAG Köln, Urteil vom 2.11.2021, 4 Sa 290/21, PM 1/22 vom 3.1.2022

Ordnungswidrigkeit: Handy auf dem Oberschenkel ablegen, heißt, es zu benutzen

| Wird dem Betroffenen die verbotswidrige Benutzung eines Mobiltelefons zur Last gelegt, ist entscheidend, ob er es wirklich „benutzt“ hat. Das hat das Bayrische Oberste Landesgericht (BayObLG) jetzt für das Ablegen des Handys auf dem Oberschenkel bejaht. |

Denn, so das Gericht, eine verbotswidrige Benutzung eines Mobiltelefons liege nicht nur vor, wenn dieses mit der Hand ergriffen wird. Vom Wortsinn (gemäß Duden, siehe www.duden.de, Stichwort „halten“) her bedeute „halten“ einerseits „festhalten“ und andererseits „bewirken, dass etwas in seiner Lage, seiner Stellung oder Ähnlichem bleibt“. Demnach liegt ein Halten nicht nur vor, wenn ein Gegenstand mit der Hand ergriffen wird, sondern auch, wenn er zwischen Schulter und Ohr geklemmt wird. Zudem ist ein Halten gegeben, wenn das Gerät in sonstiger Weise mithilfe der menschlichen Muskulatur in seiner Position bleibt.

Ein Mobiltelefon kann während der Fahrt, verbunden mit den damit einhergehenden Geschwindigkeits- und Richtungsänderungen, nicht allein durch die Schwerkraft auf dem Schenkel verbleiben. Es bedarf bewusster Kraftanstrengung, um die Auflagefläche so auszubalancieren, dass das Mobiltelefon nicht vom Bein herunterfällt. Auch dieses durch menschliche Kraftanstrengung bewirkte Ausbalancieren unterfällt dem Begriff des Haltens.

Quelle | BayObLG, Urteil vom 10.1.2022, 201 ObOWi 1507/21, Abruf-Nr. 227073 unter www.iww.de

Verfassungsbeschwerde: Herausgabe von Wartungsunterlagen eines Geschwindigkeitsmessgeräts im standardisierten Messverfahren

| Der Verfassungsgerichtshof (VGH) Rheinland-Pfalz hat jetzt einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, der eine Verurteilung wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes zugrunde lag. |

Sachverhalt

Mit seiner Verfassungsbeschwerde machte ein Autofahrer u. a. geltend, die Nichtüberlassung der Wartungs- und Instandsetzungsunterlagen des Messgeräts sowie bestimmter Messdaten (Falldatensätze der gesamten Messreihe einschließlich der Statistikdatei und Case-List) verstoße gegen Grundrechte der Landesverfassung.

Dem Autofahrer war eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen worden. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte mittels eines mobilen Messgeräts des Typs PoliScan Speed M1 der Firma Vitronic. Nachdem seine Verteidigerin Einsicht in die Bußgeldakte erhalten hatte, beantragte sie, ihr weitere Dokumente zu überlassen u. a. die Wartungs- und Instandsetzungsunterlagen des Messgeräts, die nicht Bestandteil der Bußgeldakte sind.

So entschieden die Instanzen

Das Amtsgericht (AG) lehnte den Antrag ab und verurteilte den Autofahrer wegen des Geschwindigkeitsverstoßes zu einer Geldbuße von 140 Euro. Sein beim Oberlandesgericht (OLG) Koblenz gestellter Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde blieb ohne Erfolg.

Kehrtwende durch den Verfassungsgerichtshof

Die Entscheidungen des AG und OLG verletzten den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren, so der VGH. Aus diesem Grundsatz folge das Recht des Betroffenen, Unterlagen über Messgerät und Geschwindigkeitsmessung einzusehen.

„Waffengleichheit“ …

So werde dem auch vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in jüngerer Zeit betonten Gedanken der „Waffengleichheit“ zwischen Bußgeldbehörde und Betroffenem Rechnung getragen und Autofahrern zu ermöglichen, nach Entlastungsmomenten in Gestalt von Fehlern im Messverfahren zu suchen.

… aber kein unbegrenzter Informationsanspruch

Allerdings bestehe ein Informationsanspruch nicht unbegrenzt. Er setze zum einen voraus, dass der Betroffene die begehrten Informationen hinreichend konkret benenne. Zum anderen sei erforderlich, dass die Dokumente einen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Ordnungswidrigkeitenvorwurf sowie eine erkennbare Relevanz für die Verteidigung aufwiesen. Zudem dürften dem Anspruch keine gewichtigen verfassungsrechtlich verbürgten Interessen, z. B. die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege oder schützenswerte Interessen Dritter entgegenstehen. Im Fall der begehrten Einsicht in die Wartungs- und Instandsetzungsunterlagen des Messgeräts seien die Voraussetzungen eines Einsichtsrechts erfüllt.

Da die Verfassungsbeschwerde bereits wegen der verweigerten Einsichtnahme in die genannten Unterlagen erfolgreich war, könne die vom Autofahrer weiter aufgeworfene Frage dahinstehen, ob das Messergebnis wegen der vom Messgerät nicht gespeicherten sog. Rohmessdaten verwertbar gewesen sei.

Quelle | VGH Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 13.12.2021, VGH B 46/21, PM 8/21

Ordnungswidrigkeit: Wegen langen Zeitablaufs kann vom Fahrverbot abgesehen werden

| Liegt zwischen der Ordnungswidrigkeit und der Ahndung der Tat ein längerer Zeitraum, kann es sein, dass ein Fahrverbot wegen des langen Zeitraums entfällt. Das hat das Amtsgericht (AG) Trier nun bestätigt. |

Der Zeitraum zwischen Ordnungswidrigkeit und Ahndung, ab welchem ein Entfallen des Fahrverbots zu prüfen ist, wird oft pauschal auf zwei Jahre bestimmt. Diese Frist ist aber nicht zwingend, sondern muss letztlich im Einzelfall geprüft werden.

Das AG hat den Betroffenen am 3.9.2021 wegen einer am 30.10.2019 vorsätzlich begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung um 50 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften verurteilt. Aufgrund des langen Zurückliegens der Tat hat das AG das Regelfahrverbot nicht mehr als erforderlich angesehen und von der Verhängung abgesehen. Die Geldbuße hat es auch nicht erhöht.

Quelle | AG Trier, Urteil vom 3.9.2021, 27c OWi 8143 Js 10147/20, Abruf-Nr. 226376 unter www.iww.de

Kokainkonsum: Aberkennung einer europäischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet

| Das Verwaltungsgericht (VG) Trier hat die Rechtmäßigkeit einer Aberkennung des Rechts bestätigt, von einer im europäischen Ausland erteilten Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen. Danach ist eine Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen, wenn die Einnahme sog. harter Drogen im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) feststehe. Cannabis zähle allerdings nicht hierzu. |

Sachverhalt

Der Antragsteller, ein Autofahrer, ist Inhaber einer im europäischen Ausland erteilten Fahrerlaubnis mit Wohnsitz in Deutschland, was ihn nach den einschlägigen Vorschriften zum Führen von Kraftahrzeugen auch im Inland berechtigt. Anlässlich einer Verkehrsunfallaufnahme wurden beim Antragsteller Anzeichen eines zeitnahen Betäubungsmittelkonsums festgestellt. Ein Urintest verlief positiv auf Kokain und THC. Die Auswertung der entnommenen Blutprobe bestätigte den Befund. Daher verfügte die Fahrerlaubnisbehörde gegenüber dem Antragsteller die Aberkennung des Rechts, von seiner im europäischen Ausland erteilten Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen und ordnete die sofortige Vollziehbarkeit an.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und stellte bei Gericht einen Eilantrag. Begründung: Beim Besuch eines Bekannten, der Kokain geraucht habe, müsse es wohl zu einer unbeabsichtigten Aufnahme von Kokain gekommen sein. Möglicherweise hätten sich an dem ihm zum Trinken angebotenen Glas Anhaftungen von Kokain befunden; außerdem habe er die Tabakblättchen seines Bekannten benutzt, auf denen möglicherweise ebenfalls Kokainanhaftungen gewesen seien.

Das VG lehnte den Eilantrag ab. Eine Fahrerlaubnis sei zwingend zu entziehen, wenn die Einnahme sog. harter Drogen im Sinne des BtMG feststehe. Dies gelte unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr im berauschten Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen.

Einmaliger Gebrauch harter Drogen führt bereits zu Sanktionen

Dementsprechend sei die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits gerechtfertigt, wenn einmalig sog. harte Drogen im Körper des Fahrerlaubnisinhabers nachgewiesen werden könnten. Dies sei hier der Fall gewesen. Davon, dass es lediglich zu einer unbeabsichtigten Aufnahme von Kokain gekommen sei, sei nicht auszugehen. Die vermutete Aufnahme von Kokain durch Anfassen des Wasserglases oder der Tabakblättchen sei zum einen ohnehin nicht plausibel. Im Übrigen sei es nach dem Ergebnis der Blutprobe nahezu ausgeschlossen, dass der Antragsteller nur eine geringste Menge Kokain unbewusst eingenommen habe; der festgestellte Benzoylecgoninwert noch über 96 Stunden später sei damit nicht plausibel erklärbar.

Damit habe der Antragsteller sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen, was die Fahrerlaubnisbehörde im Fall einer im europäischen Ausland erteilten Fahrerlaubnis nach den einschlägigen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften dazu berechtige, das Recht abzuerkennen, von dieser im Bundesgebiet Gebrauch zu machen.

Quelle | VG Trier, Beschluss vom 7.12.2021, 1 L 3223/21.TR, PM 38/21

Ehescheidung: Gepfändete Anrechte im Versorgungsausgleich

| Auch gepfändete und dem Gläubiger zur Einziehung überwiesene Anrechte fallen in den Versorgungsausgleich. So hat es der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. Die Anrechte können danach intern geteilt werden. |

Versorgungsanrechte sind zwar in der Anwartschaftsphase bezüglich des Stammrechts weitgehend gegen Pfändung geschützt. Laufende Renten sind aber wie Arbeitseinkommen pfändbar. Dies gilt auch für Ansprüche auf künftige Rentenzahlungen und auf künftige Auszahlung von Versicherungssummen (z. B. aufgrund einer betrieblichen Direktversicherung).

Anrecht gepfändet: kein Versorgungsausgleich

Ist ein Anrecht zulässigerweise gepfändet worden, ist für den Versorgungsausgleich bedeutsam, ob es gleichwohl noch dem Ehegatten wirtschaftlich zuzurechnen ist oder nicht. Ist es dem Gläubiger an Zahlungs statt überwiesen worden, ist es nicht mehr dem Ehegatten zurechenbar und fällt daher auch nicht mehr in den Versorgungsausgleich.

Anrecht noch nicht verwertet: Versorgungsausgleich möglich

Ist es (nur) zur Einziehung überwiesen worden, ist es noch dem Ehegatten zuzuordnen und fällt in den Versorgungsausgleich, solange es noch nicht verwertet worden ist. Die Vollstreckungsforderung wird mit der Überweisung zur Einziehung noch nicht befriedigt, sodass die Zwangsvollstreckung noch nicht beendet ist. Bis das Pfandrecht ausgeübt wird, kann der Ausgleichspflichtige den Pfandgläubiger anderweitig befriedigen und so einen Anspruch begründen, das Pfandrecht aufzuheben.

Gepfändete und dem Gläubiger zur Einziehung überwiesene Anrechte können intern geteilt werden. Das Verbot für den Drittschuldner, an den Schuldner zu zahlen, steht dem nicht entgegen. Soweit die interne Teilung ggf. mit vollstreckungsrechtlichen Nachteilen verbunden ist (z. B. bei der Belastung des gepfändeten Anrechts mit Teilungskosten), muss der Vollstreckungsgläubiger dies hinnehmen. Im Übrigen sind seine Belange aber gewahrt, wenn Verstrickung und Pfändungspfandrecht auch das auf den Ausgleichsberechtigten übertragene (Teil-)Anrecht erfassen.

Quelle | BGH, Urteil vom 16.12.2020, XII ZR 28/20, Abruf-Nr. 220635 unter www.iww.de

Krankenhaushaftung: Mutter hatte nach der Geburt keine Klingel in Reichweite

| Das Oberlandesgericht (OLG) Celle gab einem heute acht Jahre alte Kind dem Grunde nach Recht, das von einem Krankenhaus und einer Hebamme aufgrund verbleibender Gesundheitsschäden ein Schmerzensgeld in Höhe von 300.000 Euro sowie den Ersatz materieller Schäden verlangte. Denn das Krankenhaus bzw. die Hebamme hatte die Alarmierungsmöglichkeit für die Mutter abgestellt. |

Nach einer im Wesentlichen komplikationsfreien Geburt gab eine Hebamme der Mutter Gelegenheit, im Kreissaal mit ihrem Baby zu „bonden“, und ließ beide allein. Kurze Zeit später erschien der Mutter nach ihrer Schilderung das Baby „zu ruhig“. Nachdem sie anfangs noch gedacht habe, dass es vielleicht schlafe, habe sie sich doch gewundert, dass es sich gar nicht rege. Sie habe klingeln wollen, damit jemand nachschaue. An ihrem Bett gab es aber keine Klingel. Infolge der Geburt habe sie zunächst nicht aufstehen können. Der Hebamme fiel der Zustand des Babys deshalb erst rund 15 Minuten später auf. Das Kind litt zu diesem Zeitpunkt unter einer Atemdepression („Fast-Kindstod“). Trotz unverzüglicher Behandlung und Reanimation führte dies zu einer schweren Hirnschädigung.

Das OLG: Eine Mutter müsse in dieser Phase der zweiten Lebensstunde des Babys die Möglichkeit haben, eine Hebamme beispielsweise mit einer Klingel zu alarmieren, ohne aus ihrem Bett aufzustehen. Sie sei in dieser Phase nicht stets in der Lage, selbstständig das Bett zu verlassen, um Hilfe zu holen.

Dass eine solche Alarmierungsmöglichkeit hier fehlte, sei ein grober Behandlungsfehler gewesen, der einem Arzt bzw. einer Hebamme nicht unterlaufen dürfe. Das Krankenhaus und die Hebamme hafteten deshalb, auch wenn nicht mit letzter Sicherheit festgestellt werden könne, dass eine frühere Alarmierung die Hirnschädigung tatsächlich verhindert hätte oder diese geringer ausgefallen wäre.

Das OLG hat eine Revision zum Bundesgerichtshof (OLG) nicht zugelassen, weil der Fall insbesondere keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfe. Hiergegen haben sich die Beklagten mit einer Beschwerde an den BGH gewandt, über die dort noch nicht entschieden ist. Sofern das Urteil rechtskräftig wird, steht abschließend fest, dass dem Kind Ersatzansprüche zustehen. Deren Höhe müsste allerdings gegebenenfalls noch das Landgericht (LG) Hannover klären.

Quelle | OLG Celle 20.9.2021, 1 U 32/20, PM vom 24.11.2021