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Karin Tempel-Maier

OWi-Recht: OLG Hamm präzisiert den Tatbestand der Abstandsunterschreitung

| Eine Abstandsunterschreitung kann bereits dann als Verkehrsordnungswidrigkeit geahndet werden, wenn der Fahrer zu irgendeinem Zeitpunkt seiner Fahrt objektiv pflichtwidrig und subjektiv vorwerfbar den in der Bußgeldvorschrift gewährten Abstand unterschreitet. Feststellungen zu einer “nicht ganz vorübergehenden“ Abstandsunterschreitung bedarf es in diesem Fall nicht. |

Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm entschieden und damit das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts Bielefeld bestätigt. Der 1992 geborene Betroffene aus Hamm befuhr im September 2013 mit einem Pkw Audi die BAB A 2 in Bielefeld in Fahrtrichtung Dortmund. Mit einer Geschwindigkeit von 124 km/h hielt er beim Kilometer 337,5 den erforderlichen Sicherheitsabstand von 62m zum vorausfahrenden Fahrzeug nicht ein, sein Abstand betrug lediglich 17m. Der Film der mittels einer Videoaufnahme durchgeführten Abstandskontrolle zeigte das Fahrzeug des Betroffenen erst unmittelbar vor Beginn der eigentlichen Messung, die sich über eine Strecke von 100m erstreckt. Die davor aufgenommene Strecke von 400m zeigte nur das vorausfahrende Fahrzeug, welches das Fahrzeug des Betroffenen verdeckte. Einen zwischenzeitlichen Fahrbahnwechsel eines der beiden Fahrzeuge schloss die Aufnahme aus.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Unterschreitung des erforderlichen Sicherheitsabstands – der Bußgeldkatalogverordnung folgend – zu einer Geldbuße von 160 EUR und einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt. Mit seiner Rechtsbeschwerde hat der Betroffene insbesondere gerügt, eine Abstandsunterschreitung könne nur dann mit einem Bußgeld geahndet werden, wenn sie über eine Strecke von mindestens 140m oder über 3 Sekunden vorliege, was in seinem Fall nicht feststellbar sei.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist erfolglos geblieben. Der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm hat die Verurteilung des Betroffenen durch das Amtsgericht bestätigt. Das Amtsgericht habe rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Betroffene vorwerfbar den gebotenen Sicherheitsabstand nicht eingehalten habe. Weitergehende Feststellungen zu einer nicht nur vorübergehenden Abstandsunterschreitung habe es nicht treffen müssen.

Nach den einschlägigen Vorschriften der Straßenverkehrsordnung sei eine Abstandsunterschreitung bereits dann ordnungswidrig, wenn der Fahrer zu irgendeinem Zeitpunkt seiner Fahrt objektiv pflichtwidrig und subjektiv vorwerfbar den in der Bußgeldvorschrift gewährten Abstand unterschreite. Eine nicht nur vorübergehende Abstandsunterschreitung verlange das Gesetz nicht.

Nur bei Verkehrssituationen, wie etwa dem plötzlichen Abbremsen des Vorausfahrenden oder mit einem abstandsverkürzenden Spurwechsel, die kurzzeitig zu einem sehr geringen Abstand führen, ohne dass dies dem Nachfahrenden vorzuwerfen sei, komme es auf die Feststellung einer nicht nur ganz vorübergehenden Abstandsunterschreitung an. Um eine derartige Fallkonstellation gehe es nach den insoweit rechtsfehlerfreien Feststellungen des Amtsgerichts im vorliegenden Fall nicht.

Quelle | OLG Hamm, Beschluss vom 22.12.2014, 3 RBs 264/14, Abruf-Nr. 143932 unter www.iww.de.

Erbvertrag: Erbverzicht durch Abfindungserklärung

| Erklärt ein Abkömmling in einem Übernahmevertrag, er sei nach dem Erhalt eines Geldbetrags „vom elterlichen Vermögen unter Lebenden und von Todes wegen ein für alle Male abgefunden“, kann das als Erbverzicht nach dem überlebenden Elternteil ausgelegt werden. |

So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Hamm im Streit um einen Erbvertrag. Für ihre Ansicht führten die Richter folgende Argumente an:

  • der Begriff „elterliches Vermögen“: hierdurch wird deutlich, dass die Regelung nicht nur den Nachlass des vorverstorbenen Vaters betreffen sollte;
  • die Formulierung „unter Lebenden und von Todes wegen“ und
  • die Formulierung „ein für alle Mal abgefunden“. Diese spricht dafür, dass die Regelung endgültig sein sollte.

PRAXISHINWEIS | Ob ein stillschweigender Erbverzicht möglich ist, ist streitig. Da die Rechtsprechung solche Erbverzichte teilweise für möglich hält, sollten in die notariellen Verträge eindeutige Erklärungen aufgenommen werden.

Quelle | OLG Hamm, Urteil vom 22.7.2014, I-15 W 92/14, Abruf-Nr. 142939  unter www.iww.de.

Betreuungsrecht: Voraussetzungen der Betreuung im Bereich Vermögenssorge

| Auch im Bereich der Vermögenssorge kann die Erforderlichkeit der Betreuung nicht allein mit der subjektiven Unfähigkeit des Betreuten begründet werden, seine diesbezüglichen Angelegenheiten selbst zu regeln. |

Diese Klarstellung traf der Bundesgerichtshof (BGH). Die Richter machten deutlich, dass vielmehr aufgrund konkreter Feststellungen des Tatrichters die gegenwärtige Gefahr begründet sein müsse, dass der Betreute einen Schaden erleidet, wenn man ihm die Erledigung seiner vermögensrechtlichen Angelegenheiten eigenverantwortlich selbst überließe. Allerdings sei dabei nicht zwingend erforderlich, dass ein aktueller Handlungsbedarf zugunsten des Vermögens des Betreuten vorliegt. Es genüge vielmehr, dass dieser Bedarf jederzeit auftreten könne. Zudem müsse für diesen Fall die begründete Besorgnis bestehen, dass ohne die Einrichtung einer Betreuung nicht das Notwendige veranlasst werde.

Quelle | BGH, Beschluss vom 21.1.2015, XII ZB 324/14, Abruf-Nr. 175085 unter www.iww.de.

Gewaltenschutzverfahren: „Stinkefinger“ nicht bewiesen – 500 EUR Ordnungsgeld „gespart“

Mit dem Zeigen eines sog. „Stinkefingers“ verstößt ein Antragsgegner gegen die im Rahmen eines Gewaltschutzverfahrens eingegangene Verpflichtung, jegliche Kontaktaufnahme zum Antragsteller zu unterlassen. Ein Ordnungsgeld kann das Gericht für einen derartigen Verstoß allerdings nur verhängen, wenn der Antragsteller die in Frage stehende Beleidigung zur Überzeugung des Gerichts nachweisen kann. |

Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm entschieden. Die beiden Verfahrensbeteiligten, zwei erwachsene Männer, wohnen in etwa gegenüberliegenden Häusern in einer Straße. Nach einer anfänglichen Bekanntschaft entstand zwischen ihnen ein nachbarschaftlicher Konflikt. Im Jahre 2011 führten beide ein Gewaltschutzverfahren. Darin verpflichtete sich der Antragsgegner im Rahmen eines Vergleichs, eine Kontaktaufnahme zum Antragsteller zu unterlassen. In der Folgezeit behauptete der Antragsteller wiederholt, dass der Antragsgegner der Verpflichtung zuwiderhandle. Wenn er, der Antragsteller, sein Haus verlasse, müsse er Beleidigungen des Antragsgegners ertragen. Dieser würde ihm u.a. durch sein geöffnetes Fenster die Faust mit dem nach oben gestreckten Mittelfinger, den sog. „Stinkefinger“, zeigen.

Ein deswegen auf Antrag des Antragstellers vom Familiengericht Ende 2011 verhängtes Ordnungsgeld von 100 EUR nahm der Antragsgegner hin. Ein zweiter Ordnungsgeldantrag hatte mangels hinreichend genau bezeichneter Verstöße keinen Erfolg. Auf einen dritten Antrag, den der Antragsteller mit Mitte 2013 begangenen Zuwiderhandlungen begründete, verhängte das Familiengericht ein Ordnungsgeld von 500 EUR. Diesen Beschluss hat der Antragsgegner mit der Beschwerde angefochten und geltend gemacht, die ihm zur Last gelegten Verstöße nicht begangen zu haben.

Die Beschwerde hatte Erfolg. Die Richter am OLG haben den Ordnungsgeldbeschluss nach der persönlichen Anhörung der Beteiligten aufgehoben. Die in Frage stehenden Beleidigungen habe der Antragsteller, so der Senat, nicht zur Überzeugung des Gerichts nachweisen können. Sie seien nach der Anhörung der Beteiligten zwar überwiegend wahrscheinlich. Das genüge aber nicht, um im Vollstreckungsverfahren ein Ordnungsgeld zu verhängen.

Neutrale Beweismittel seien nicht vorhanden. Aus der persönlichen Anhörung der Beteiligten ergäben sich konträre Schilderungen. Es möge zwar eher unwahrscheinlich sein, dass der Antragsteller Handbewegungen des Antragsgegners beim Zigarettenrauchen als „Stinkefinger“ missverstanden habe. Mit der für das Verhängen eines Ordnungsgelds notwendigen vollen Überzeugung des Gerichts könne es aber auch nicht ausgeschlossen werden. Gleiches gelte für die Möglichkeit, dass die Vorwürfe des Antragstellers bewusst unwahr seien, um dem missliebigen Nachbarn zu schaden. Dass zu einem derartigen Zweck eigens die Gerichte bemüht würden, sei ein in der Gerichtspraxis nicht gänzlich unbekanntes Phänomen.

Quelle | OLG Hamm, Beschluss vom 30.6.2014, 14 WF 39/14, Abruf-Nr. 143977 unter www.iww.de.

Kindesunterhalt: Keine gesteigerte Unterhaltspflicht der Eltern für 20-jähriges Kind in der Berufsvorbereitung

| Der Besuch einer primär der Verbesserung der allgemeinen Fähigkeiten dienenden berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme durch ein volljähriges Kind begründet keine gesteigerte Erwerbspflicht der Eltern. |

Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm im Fall einer 20-jährigen Antragstellerin entschieden. Die Frau lebt bei ihrem Vater, der selbst erwerbsunfähig ist und Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II bezieht. Ihre Mutter – die Antragsgegnerin – ist geringfügig beschäftigt und erhält ergänzend Leistungen nach dem SGB II. Die Antragstellerin hat die Hauptschule ohne Abschluss beendet. Sie möchte eine Berufsschule besuchen, dort den Hauptschulabschluss und darauf aufbauend den Realschulabschluss erreichen, um Altenpflegerin zu werden. Derzeit absolviert sie eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme der Stadt, um ihre Lese-, Rechtschreib- und Lernkompetenzen zu verbessern. Sie erhält eine monatliche Ausbildungsbeihilfe von ca. 250 EUR.

Von der Antragsgegnerin begehrt sie monatlichen Volljährigenunterhalt in Höhe von ca. 300 EUR. Sie meint, ihre Mutter treffe eine gesteigerte Erwerbspflicht, weil sie, die Antragstellerin, sich noch in der allgemeinen Schulbildung befinde. Mit dieser Begründung hat sie Verfahrenskostenhilfe für eine Unterhaltsklage gegen ihre Mutter begehrt.

Der Antrag der jungen Frau blieb jedoch erfolglos. Nach der einschlägigen gesetzlichen Vorschrift des Bürgerlichen Gesetzbuchs, so der 2. Senat für Familiensachen, sei die Antragstellerin bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres nur dann privilegiert und einem minderjährigen unverheirateten Kind gleichzustellen, wenn sie im Haushalt eines Elternteils lebe und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinde. Letzteres sei nicht der Fall. Die Frau absolviere eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme. Mit dieser solle sie gerade nicht primär auf den nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses oder eines gleichwertigen Schulabschlusses vorbereitet werden. Die Maßnahme diene vielmehr vorrangig der beruflichen Integration. Sie solle es der Antragstellerin ermöglichen, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Interessen für die Aufnahme einer beruflichen Ausbildung zu überprüfen, zu bewerten und zu erweitern und eine Berufswahlentscheidung zu treffen. Es gehe mithin um eine allgemeine Verbesserung vorhandener Fähigkeiten der Antragstellerin und nicht primär darum, dass sie die Schulzeit mit einem qualifizierten Abschluss beende. Im Übrigen enthalte die Maßnahme auch einen Berufsschulteil, der nicht mehr zur allgemeinen Ausbildung zähle, weil berufsbezogene Ausbildungsinhalte vermittelt würden.

Aufgrund ihrer Einkommenssituation sei die Antragsgegnerin gegenüber der somit nicht privilegierten, volljährigen Antragstellerin wegen des dann geltenden höheren Selbstbehalts nicht leistungsfähig. Sie schulde daher keinen Unterhalt.

Quelle | OLG Hamm, Beschluss vom 3.12.2014, 2 WF 144/14, Abruf-Nr. 143976 unter www.iww.de.

Betriebsratswahl: Keine nachträgliche Anpassung der Geschlechterquote

| Die Besetzung eines nach Geschlechterproporz gewählten Betriebsrats ist nicht nachträglich anzupassen, wenn die Geschlechterquote im Nachrückverfahren übererfüllt wird. |

Zu diesem Ergebnis kam das Arbeitsgericht Köln. Nach dem Betriebsverfassungsgesetz muss das Geschlecht der Minderheit in einem Betriebsrat mindestens seinem zahlenmäßigen Anteil an der Belegschaft entsprechend vertreten sein. Dies wird durch entsprechende Verfahrensregeln sichergestellt. Im entschiedenen Fall war nach diesen Verfahrensregeln eine Bewerberin (Geschlecht der Minderheit) in den Betriebsrat eingezogen. Sie hatte einen Bewerber, der im direkten Vergleich mehr Stimmen erzielt hatte, „verdrängt“. Später schied ein (anderes) männliches Mitglied aus dem Betriebsrat aus. Dieses wurde im Nachrückverfahren durch eine Bewerberin ersetzt. Der Betriebsrat vertrat die Auffassung, dass die Minderheitenquote nunmehr übererfüllt sei. Die zunächst in den Betriebsrat eingezogene Bewerberin müsse aus dem Betriebsrat ausscheiden und der zunächst „verdrängte“ Bewerber Mitglied des Betriebsrats werden.

Das Arbeitsgericht Köln ist dieser Argumentation nicht gefolgt. Es hat festgestellt, dass die zunächst in den Betriebsrat eingezogene Bewerberin Mitglied des Betriebsrats bleibt. Sie wird nicht durch den „verdrängten“ Bewerber ausgetauscht.

Quelle | Arbeitsgericht Köln, Beschluss vom 12.11.2014, 17 BV 296/14, Abruf-Nr. 143871  unter www.iww.de.

Vollstreckungsrecht: Unpfändbarkeit von Ansprüchen auf Zeitzuschläge

| Die Ansprüche des Arbeitnehmers auf Schichtzulagen sowie auf Zuschläge für Nachtarbeit-, Sonntags- und Feiertagsarbeit sind unpfändbar und können nicht abgetreten werden. |

Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg im Fall eines Angestellten entschieden. Dieser war bei dem beklagten Landkreis beschäftigt. Er trat im Rahmen eines Privatinsolvenzverfahrens seine pfändbaren Bezüge an eine Treuhänderin ab. Mit seiner Klage hat er die Auszahlung von tariflichen Wechselschichtzulagen sowie Zuschlägen für Dienste zu ungünstigen Zeiten verlangt. Er meint, die Zuschläge seien unpfändbar.

Das LAG hat der Klage – wie bereits das Arbeitsgericht – entsprochen. Nach der Zivilprozessordnung sind u.a. „Schmutz- und Erschwerniszulagen“ unpfändbar. Dabei werde zwischen verschiedenen Erschwernissen der Arbeit nicht unterschieden. Erschwernisse für den Arbeitnehmer könnten sich sowohl aufgrund der Art der auszuübenden Tätigkeit als auch regelmäßig wechselnden Dienstschichten oder einer Arbeitsleistung in der Nacht oder an Feiertagen ergeben. Dies führe zur Unpfändbarkeit von Schichtzulagen und von Zuschlägen für Arbeiten zu ungünstigen Zeiten. Das Bürgerliche Gesetzbuch bestimmt, dass unpfändbare Forderungen nicht abgetreten werden können. Hieraus folge, dass die Zuschläge dem Arbeitnehmer auszuzahlen seien. Die Treuhänderin könne sie nicht einziehen und an die Gläubiger verteilen.

Quelle | LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9.1.2015, 3 Sa 1335/14, Abruf-Nr. 143918 unter www.iww.de.

Kündigungsrecht: Auflösungsantrag beendet Arbeitsverhältnis nicht sofort

| Das Arbeitsverhältnis besteht auch dann fort, wenn der Arbeitnehmer einen Auflösungsantrag angekündigt hat, über den das Arbeitsgericht noch nicht entschieden hat. |

Hierauf hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln hingewiesen. Auch wenn die Auflösung rückwirkend erfolgen kann, ändere dies nichts an dem Umstand, dass das Gericht die Auflösung nicht lediglich feststellt, sondern das Arbeitsverhältnis durch Urteil erst auflöst. Dies bedeute, dass das Arbeitsverhältnis und damit die sich aus ihm ergebenden wechselseitigen Pflichten bestehen, solange das Arbeitsverhältnis nicht durch (rechtskräftiges) gestaltendes Urteil des Arbeitsgerichts aufgelöst ist.

Quelle | LAG Köln, Urteil vom 12.11.2014, 5 Sa 420/14, Abruf-Nr. 174336 unter  www.iww.de.

EuGH-Vorlage: Anwendung griechischer Spargesetze in Deutschland

| Die Spargesetze Griechenlands sind nun auch in der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit angekommen. Fraglich ist, ob die griechischen Gesetze als sogenannte Eingriffsnormen auf das in der Bundesrepublik Deutschland zu erfüllende und deutschem Recht unterliegende Arbeitsverhältnis unmittelbar oder mittelbar Anwendung finden. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat die Frage an den EuGH weitergegeben. |

Der Kläger in dem betreffenden Fall ist griechischer Staatsangehöriger. Er ist als Lehrer an der von der beklagten Republik Griechenland getragenen Griechischen Volksschule in Nürnberg beschäftigt. Er fordert weitere Vergütung für den Zeitraum Oktober 2010 bis Dezember 2012 i.H.v. insgesamt 20.262,32 EUR sowie Lohnabrechnungen. Die streitigen Teile der laufenden Vergütung und der Jahressonderzahlungen hat die beklagte Republik unter Berufung auf die griechischen Spargesetze von der gezahlten Bruttovergütung abgesetzt. Diese hatte sich zuvor an das deutsche Tarifrecht des öffentlichen Dienstes angelehnt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil es die Zuständigkeit deutscher Gerichte verneinte. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Mit der Revision begehrt die beklagte Republik die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Für den Senat ist es streitentscheidend, ob die griechischen Spargesetze als sogenannte Eingriffsnormen auf das in der Bundesrepublik Deutschland zu erfüllende und deutschem Recht unterliegende Arbeitsverhältnis unmittelbar oder mittelbar Anwendung finden. Ausgangsfrage ist, ob das im Jahr 1996 begründete und jedenfalls bis Ende 2012 fortbestehende Arbeitsverhältnis der Parteien dem Geltungsbereich der Rom I-Verordnung oder noch dem alten IPR Deutschlands (Art. 27 ff. EGBGB a.F.) unterfällt. Um das abzuklären, hat das BAG den EuGH angerufen. Dieser muss nun die offenen Fragen klären.

Quelle | BAG, Beschluss vom 25.2.2015, 5 AZR 962/13 (A), Abruf-Nr. 143971 unter www.iww.de.

Arbeitsunfähigkeit: Arbeitnehmer hat bei Observation durch einen Detektiv mit heimlichen Videoaufnahmen Anspruch auf Schmerzensgeld

| Ein Arbeitgeber, der wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit einem Detektiv die Überwachung eines Arbeitnehmers überträgt, handelt rechtswidrig, wenn sein Verdacht nicht auf konkreten Tatsachen beruht. Für dabei heimlich hergestellte Abbildungen gilt dasselbe. Eine solche rechtswidrige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann einen Geldentschädigungsanspruch („Schmerzensgeld“) begründen. |

Diese Klarstellung traf das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Fall einer Sekretärin der Geschäftsleitung. Sie war ab dem 27. Dezember 2011 arbeitsunfähig erkrankt, zunächst mit Bronchialerkrankungen. Für die Zeit bis 28. Februar 2012 legte sie nacheinander sechs Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, zuerst vier eines Facharztes für Allgemeinmedizin, dann ab 31. Januar 2012 zwei einer Fachärztin für Orthopädie.

Der Arbeitgeber bezweifelte den zuletzt telefonisch mitgeteilten Bandscheibenvorfall und beauftragte einen Detektiv mit der Observation der Klägerin. Diese erfolgte von Mitte bis Ende Februar 2012 an vier Tagen. Beobachtet wurden u.a. das Haus der Klägerin, sie und ihr Mann mit Hund vor dem Haus und der Besuch der Klägerin in einem Waschsalon. Dabei wurden auch Videoaufnahmen erstellt. Der dem Arbeitgeber übergebene Observationsbericht enthält elf Bilder, neun davon aus Videosequenzen.

Die Klägerin hält die Beauftragung der Observation einschließlich der Videoaufnahmen für rechtswidrig und fordert ein Schmerzensgeld, dessen Höhe sie in das Ermessen des Gerichts gestellt hat. Sie hält 10.500 EUR für angemessen. Sie habe erhebliche psychische Beeinträchtigungen erlitten, die ärztlicher Behandlung bedürften.

Das Landesarbeitsgericht hat der Klage in Höhe von 1.000 EUR stattgegeben. Die Revisionen beider Parteien blieben vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts ohne Erfolg.

Die Richter dort waren der Ansicht, dass die Observation einschließlich der heimlichen Aufnahmen rechtswidrig war. Der Arbeitgeber hatte keinen berechtigten Anlass zur Überwachung. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen war weder dadurch erschüttert, dass sie von unterschiedlichen Ärzten stammten, noch durch eine Änderung im Krankheitsbild oder weil ein Bandscheibenvorfall zunächst hausärztlich behandelt worden war. Die vom Landesarbeitsgericht angenommene Höhe des Schmerzensgeldes war in der Revisionsinstanz nicht zu beanstanden.

Hinweis | Es war nicht zu entscheiden, wie Videoaufnahmen zu beurteilen sind, wenn ein berechtigter Anlass zur Überwachung gegeben ist.

Quelle | BAG, Urteil vom 19.2.2015, 8 AZR 1007/13, Abruf-Nr. 143970 unter www.iww.de.