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Dimitri Hense

Bildungsurlaub: Auch Yoga kann Bildung sein

| Ein Yogakurs kann unter bestimmten Voraussetzungen Bildungsurlaub rechtfertigen. |

Das hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg entschieden und einen Anspruch eines Arbeitnehmers auf Bildungsurlaub für einen von der Volkshochschule angebotenen fünftägigen Kurs „Yoga I – erfolgreich und entspannt im Beruf mit Yoga und Meditation“ bejaht.

Zur Begründung hat das LAG ausgeführt, der Kurs erfülle die Voraussetzungen gemäß § 1 Berliner Bildungsurlaubsgesetz. Es reiche aus, dass eine Veranstaltung entweder der politischen Bildung oder der beruflichen Weiterbildung diene. Der Begriff der beruflichen Weiterbildung sei nach der Gesetzesbegründung weit zu verstehen. Hiernach solle unter anderem Anpassungsfähigkeit und Selbstbehauptung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unter den Bedingungen fortwährenden und sich beschleunigenden technischen und sozialen Wandels gefördert werden. Auch ein Yogakurs mit einem geeigneten didaktischen Konzept könne diese Voraussetzungen erfüllen.

Quelle | LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.4.2019, 10 Sa 2076/18, Abruf-Nr. 208587 unter www.iww.de.

Probezeit: Zehn weitverbreitete Mythen zur Probezeit

| Um die Probezeit ranken sich einige Mythen, die oft einen Kern arbeitsrechtlicher Wahrheit in sich bergen. Was Sie zur Probezeit und den mit ihr verbundenen Konsequenzen für das Arbeitsverhältnis wissen müssen, klärt der vorliegende Beitrag. |

Mythos 1: Während der Probezeit darf es keine Befristung geben

Auch während des Laufs der Probezeit kann eine Befristung vereinbart werden. Die Erprobung ist als Sachgrund gesetzlich anerkannt. Ihre Dauer darf aber nicht unangemessen lang sein. Dies bedeutet, dass nur die zur Erprobung notwendige Dauer vereinbart werden darf. Wie aus der gesetzgeberischen Wertung hervorgeht, darf dabei die Dauer von sechs Monaten nicht überschritten werden.

Mythos 2: Die Probezeit ist gesetzlich vorgeschrieben

Die Probezeit ist nicht gesetzlich vorgeschrieben. Es gibt aber gesetzliche Vorgaben zu ihrer Ausgestaltung. So darf sie sechs Monate nicht überschreiten (§ 622 Abs. 3 BGB). Das KSchG ist erst nach sechs Monaten anwendbar. In Ausbildungsverhältnissen muss nach § 20 BBiG die Probezeit mindestens einen Monat und darf höchstens vier Monate dauern.

Mythos 3: Die Kündigung in der Probezeit ist stets möglich

Während der ersten sechs Monate benötigt der Arbeitgeber keinen Kündigungsgrund. Es gilt der Grundsatz der Kündigungsfreiheit. Erst dann ist der Arbeitnehmer in Betrieben, die regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigen, durch das KSchG geschützt. Gleichwohl sind zum Beispiel Schwangere, unabhängig von der Vereinbarung einer Probezeit, vom ersten Tag der Beschäftigung an vor einer Kündigung geschützt. Für schwerbehinderte und gleichgestellte Arbeitnehmer gilt der besondere Kündigungsschutz aber erst nach sechs Monaten.

Mythos 4: In der Probezeit darf kein Urlaub genommen werden

Richtig ist, dass der volle Urlaubsanspruch erstmals nach sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses erworben wird. Aber in jedem Monat wird ein Zwölftel des Jahresurlaubs erworben, den der Arbeitnehmer in Absprache mit dem Arbeitgeber auch während der Probezeit nehmen kann. Manche Arbeitgeber sind sogar froh darüber, wenn sich nicht der gesamte Jahresurlaub auf die Zeit nach der Probezeit verlagert.

Mythos 5: Eine Kündigungsschutzklage in der Probezeit ist erfolglos

Generell hat der Arbeitnehmer, der während der Probezeit gekündigt wird, wegen der Unanwendbarkeit des KSchG schlechtere Karten im Kündigungsschutzprozess. Aber auch während der Probezeit kann eine unterbliebene oder fehlerhafte Betriebsratsanhörung oder eine falsche bzw. fehlende Unterschrift unter dem Kündigungsschreiben die Kündigung unwirksam machen und damit zum Erfolg der Klage führen.

Mythos 6: Am besten verhält man sich während der Probezeit ruhig

Das ist im Prinzip – oft auch nach Ablauf der Probezeit – nicht völlig verkehrt. Um sich auf den neuen Arbeitsplatz einzustellen, kann es darüber hinaus sinnvoll sein, sich die Namen und Funktionen der neuen Kollegen, Merkhilfen oder Fragen zu Betriebsabläufen zu notieren und nach Feierabend kurz Revue passieren zu lassen. Echtes Interesse an der Arbeit und am Team werden in der Regel positiv bewertet und helfen, die Probezeit zu überstehen.

Mythos 7: Probezeit verlängert sich bei AU oder Urlaub des Arbeitnehmers

Das Wichtigste vorab: Weder Urlaub noch Krankheit verlängern automatisch die vereinbarte Probezeit. Eine Verlängerung über sechs Monate hinaus ist auch bei einvernehmlicher Vereinbarung unwirksam. Möchte man schon im ersten Monat einen einwöchigen Urlaub nehmen, so muss man dies mit dem Arbeitgeber absprechen.

Auch der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall besteht schon in der Probezeit, allerdings nicht in den ersten vier Wochen des Arbeitsverhältnisses. In den ersten vier Wochen gibt es nur einen Anspruch auf Krankengeld von der Krankenkasse.

Mythos 8: Probezeit-Arbeitnehmer dürfen sich zur Betriebsratswahl aufstellen lassen

Für die Wahl des Betriebsrats ist keine bestimmte Dauer der Betriebszugehörigkeit notwendig. Arbeitnehmer des Betriebs sind ab dem ersten Tag wahlberechtigt, wenn sie das 18. Lebensjahr vollendet haben (Aktives Wahlrecht). Etwas anderes gilt für Leih-Arbeitnehmer. Diese dürfen nur wählen, wenn sie länger als drei Monate im Betrieb eingesetzt werden. Innerhalb der Probezeit dürfen sich Arbeitnehmer aber nicht zur Wahl stellen (Passives Wahlrecht). Das Recht, in den Betriebsrat gewählt zu werden, haben Arbeitnehmer, die dem Betrieb sechs Monate angehören.

Mythos 9: Bei Leih-Arbeitnehmern gibt es keine Probezeit

Der Einsatz von Leih-Arbeitnehmern erfolgt aufgrund eines Überlassungsvertrags, der zwischen dem Verleiher und dem Entleiher geschlossen wird. Der Leih-Arbeitnehmer hat spätestens nach neun Monaten Anspruch auf das gleiche Entgelt wie die Stammbelegschaft, Tarifverträge können hiervon abweichen.

Mythos 10: Probezeit bei demselben Arbeitgeber geht nicht

Die Vereinbarung einer Probezeit bei demselben Arbeitgeber ist nur möglich, wenn sich die Tätigkeit so wesentlich von der vorherigen unterscheidet, dass die Erprobung erforderlich ist.

Aktuelle Gesetzgebung: Bundesrat gibt grünes Licht für E-Scooter

| Elektrische Tretroller mit einer Höchstgeschwindigkeit von bis zu 20 km/h dürfen künftig im Straßenverkehr fahren: der Bundesrat stimmte einer Verordnung der Bundesregierung zu, die den Umgang mit „Elektrokleinstfahrzeugen“ regelt. |

Nicht auf Gehwegen und erst ab 14

Anders als in der Regierungsverordnung ursprünglich vorgesehen, dürfen die E-Scooter aber nicht auf Gehwegen und in Fußgängerzonen fahren, sondern ausschließlich auf Radwegen bzw. Radfahrstreifen. Gibt es solche nicht, müssen die Roller auf die Straße. Für alle E-Scooter gilt ein Mindestalter von 14 Jahren. Dies machte der Bundesrat zur Bedingung für seine Zustimmung.

Versicherungs-, aber keine Helmpflicht

Die Roller müssen bremsen können und eine Beleuchtungsanlage haben. Zum Versicherungsnachweis wurde von der Bundesregierung eigens eine aufklebbare Versicherungsplakette zur Anbringung an E-Scootern konzipiert. Eine Helmpflicht besteht aber nicht.

Inkrafttreten bestimmt Bundesregierung

Ab wann die E-Scooter tatsächlich fahren dürfen, entscheidet die Bundesregierung: sie muss die vom Bundesrat beschlossenen Änderungen noch umsetzen, dann kann sie die Verordnung im Bundesgesetzblatt verkünden.

Freigabe für Einbahnstraßen

In einer begleitenden Entschließung spricht sich der Bundesrat dafür aus, dass E-Scooter Einbahnstraßen auch entgegen der Fahrtrichtung befahren dürfen, sofern dies für Fahrräder erlaubt ist. Er bittet die Bundesregierung, die Straßenverkehrsordnung entsprechend zu ändern.

Keine Ausnahmeverordnung zu Hoverboards

Außerdem greift er in der Entschließung Überlegungen der Bundesregierung auf, eine Ausnahmeverordnung für Hoverboards und sonstige Fahrzeuge ohne Lenk- und Haltestangen zu erlassen: Eine solche lehnt der Bundesrat ab. Er plädiert für ein Mindestniveau an Verkehrssicherheit: Die Strategie „Vision Zero“ im Straßenverkehr dürfe nicht gefährdet werden.

Quelle | Plenarsitzung des Bundesrats vom 17.5.2019

Haftungsrecht: Kein Schadenersatzanspruch bei Lebenserhaltung durch künstliche Ernährung

| Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Deshalb hat ein Erbe keinen Schadenersatzanspruch, wenn ein bewegungs- und kommunikationsunfähiger Patient über Jahre künstlich ernährt wird. Das gilt zumindest für den Fall, dass keine Patientenverfügung besteht. |

Diese Klarstellung traf der Bundesgerichtshof (BGH) im Fall eines dementen Patienten. Dieser war bewegungs- und kommunikationsunfähig. In den letzten beiden Jahren seines Lebens kamen Lungenentzündungen und eine Gallenblasenentzündung hinzu. Bis zu seinem Tod wurde er über mehrere Jahre mittels einer PEG-Magensonde künstlich ernährt. Der Mann hatte keine Patientenverfügung errichtet. Sein Wille hinsichtlich des Einsatzes lebenserhaltender Maßnahmen ließ sich auch nicht anderweitig feststellen. Es war damit nicht über die Fallgestaltung zu entscheiden, dass die künstliche Ernährung gegen den Willen des Betroffenen erfolgte.

Sein Sohn hat nun den behandelnden Arzt verklagt. Er macht geltend, die künstliche Ernährung habe nur noch zu einer sinnlosen Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens seines Vaters geführt. Der Arzt hätte daher das Therapieziel dahingehend ändern müssen, dass das Sterben des Patienten durch Beendigung der lebenserhaltenden Maßnahmen zugelassen werde. Der Sohn verlangt aus ererbtem Recht seines Vaters Schmerzensgeld sowie Ersatz für Behandlungs- und Pflegeaufwendungen.

Der BGH wies die Klage ab. Der Sohn habe keinen Anspruch auf ein Schmerzensgeld. Es könne dahinstehen, ob der Arzt Pflichten verletzt habe. Denn jedenfalls fehlt es an einem immateriellen Schaden. Hier steht der durch die künstliche Ernährung ermöglichte Zustand des Weiterlebens mit krankheitsbedingten Leiden dem Zustand gegenüber, wie er bei Abbruch der künstlichen Ernährung eingetreten wäre, also dem Tod. Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten zu. Deshalb verbietet es sich, das Leben – auch ein leidensbehaftetes Weiterleben – als Schaden anzusehen (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Auch wenn ein Patient selbst sein Leben als lebensunwert erachten mag mit der Folge, dass eine lebenserhaltende Maßnahme gegen seinen Willen zu unterbleiben hat, verbietet die Verfassungsordnung aller staatlichen Gewalt einschließlich der Rechtsprechung ein solches Urteil über das Leben des betroffenen Patienten mit der Schlussfolgerung, dieses Leben sei ein Schaden.

Dem Sohn steht auch kein Anspruch auf Ersatz der durch das Weiterleben des Patienten bedingten Behandlungs- und Pflegeaufwendungen zu. Schutzzweck etwaiger Aufklärungs- und Behandlungspflichten im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen ist es nicht, wirtschaftliche Belastungen, die mit dem Weiterleben und den dem Leben anhaftenden krankheitsbedingten Leiden verbunden sind, zu verhindern. Insbesondere dienen diese Pflichten nicht dazu, den Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten.

Quelle | BGH, Urteil vom 2.4.2019, VI ZR 13/18, Abruf-Nr. 208523 unter www.iww.de.

Haftungsrecht: PKW-Fahrer haftet auch für Sturz eines Radfahrers nach erfolgreichem Ausweichen

| Weicht ein Radfahrer einem entgegenkommenden Pkw aus und stürzt erst beim sich unmittelbar anschließenden Wiederauffahren auf den befestigten Weg, haftet der Pkw-Fahrer dennoch. Das Wiederauffahren auf den ursprünglichen Weg ist noch Teil des durch den Pkw ausgelösten Ausweichmanövers. |

So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. im Fall eines Radfahrers, der auf einem ca. 2 m breiten Feldweg unterwegs war. Dort kam ihm ein Pkw entgegen. Der Radfahrer wich dem Pkw auf den unbefestigten und zum Unfallzeitpunkt matschigen Seitenstreifen nach rechts aus. Die beiden Verkehrsteilnehmer fuhren berührungslos aneinander vorbei. Beim Versuch, unmittelbar nach dem Passieren wieder auf den befestigten Weg aufzufahren, stürzte der Kläger. Er zog sich mehrfache Verletzungen zu. Neben dem Ersatz entstandener Heilbehandlungskosten sowie der Fahrradreparatur verlangt er ein Schmerzensgeld.

Das Landgericht hat den Pkw-Fahrer zum Ausgleich von 50 Prozent des entstandenen Schadens verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Obwohl es sich um einen „berührungslosen Unfall“ handele, sei der Sturz dem Pkw-Fahrer zuzurechnen. Er sei beim Betrieb des Fahrzeugs entstanden. Das im Gesetz vorgesehene Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb“ sei dem Schutzzweck entsprechend weit auszulegen. Erfasst würden alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe. Es genüge, dass sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt habe und das Schadensereignis in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden sei. Hier sei der Unfall zwar nicht beim Ausweichen auf den unbefestigten Seitenstreifen geschehen, sondern erst beim Wiederauffahren auf den befestigten Radweg nach dem erfolgreichen Passieren des Fahrzeugs. Zu diesem Zeitpunkt sei die eigentliche Gefahr – eine Kollision mit dem Pkw – vorüber gewesen. Dennoch sei der Sturz noch der Betriebsgefahr des Fahrzeugs zuzurechnen. Der Ausweichvorgang sei durch die Fahrweise des Fahrers veranlasst worden. Der Sturz erfolgte im nahen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Entgegenkommen des Pkw. Das Wiederauffahren des Radfahrers auf den befestigten Radweg sei Teil des Ausweichmanövers gewesen, welches zu Ende geführt werden sollte. „Letztlich liegt ein insgesamt missglücktes Ausweichmanöver vor, das nach Auffassung des Senats der Betriebsgefahr des Fahrzeugs zuzurechnen ist“, fasst das OLG zusammen.

Wägt man die beiderseitigen Verursachungsbeiträge und Verschuldensanteile ab, gelangt man zu einer hälftigen Haftungsverteilung, stellt das OLG weiter fest. Der Betriebsgefahr des Pkw stehe eine Mitverursachung des Unfalls durch den Radfahrer gegenüber. Er hätte die Möglichkeit gehabt, sein Fahrrad anzuhalten und den Pkw passieren zu lassen. Jedenfalls habe er beim Wiederauffahren auf den Radweg u.a. unter Berücksichtigung der matschigen Verhältnisse nicht die gebotene Sorgfalt walten lassen.

Quelle | OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 19.3.2019, 16 U 57/18, Abruf-Nr. 208577 unter www.iww.de.

Kraftfahrzeugrennen: Voraussetzungen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens

| Das Landgericht (LG) Aurich hat zur Frage Stellung genommen, wann ein verbotenes Kraftfahrzeugrennen i. S. von § 315d StGB vorliegt. |

Der Angeklagte und ein anderer Verkehrsteilnehmer waren mit ihren Fahrzeugen mit deutlich überhöhtem Tempo (zumindest 149 km/h) gefahren. Ein Überholverbot wurde missachtet, der Sicherheitsabstand deutlich unterschritten und es wurde stark beschleunigt.

Das LG hat auf ein „Kraftfahrzeugrennen“ geschlossen, weil beide Wagen auf möglichst hohe Geschwindigkeiten beschleunigt wurden, um dann bei möglichst hoher Geschwindigkeit in rennähnlicher Weise Überholvorgänge auf einer Landstraße durchzuführen. Das reiche, um ein strafbares Kraftfahrzeugrennen anzunehmen.

Quelle | LG Aurich, Urteil vom 15.11.18, 13 Ns 210 Js 2704/18 (26/18), Abruf-Nr. 207429 unter www.iww.de.

Prozessrecht: Täteridentifizierung aufgrund eines Sachverständigengutachtens

| Stützt sich das Amtsgericht bei der Täteridentifizierung auf ein anthropologisches Sachverständigengutachten, reicht nach übereinstimmender obergerichtlicher Rechtsprechung die bloße Wiedergabe der Ergebnisse des Sachverständigengutachtens in den Urteilsgründen, noch dazu ohne erkennbare eigene Beweiswürdigung des Gerichts, nicht aus. Eine solche Beweiswürdigung ist lückenhaft. |

Das hat jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Hamm noch einmal bestätigt. Das Amtsgericht hatte sich auf die Mitteilung des Ergebnisses der Sachverständigen beschränkt, dass diese – offenbar wegen des vom Betroffenen bei dem Verstoß getragenen Motorradschutzhelms – nur eine stark eingeschränkte Anzahl auswertbarer Merkmale gefunden habe, und in welchen Merkmalen sie eine Übereinstimmung zwischen Messfoto und Betroffenem gefunden hat. Das hat dem OLG nicht gereicht. Vor allem waren weitere Ausführungen nach Auffassung des OLG auch deshalb erforderlich, weil die von der Sachverständigen beschriebenen Merkmale auf dem Messfoto aufgrund der geringen Größe des Fotos und des vom Täter getragenen Helms mit heruntergeklappter Visierscheibe, nicht erkannt werden konnten. Möglicherweise könnten zwar diese Merkmale auf einer etwaigen Vergrößerung erkennbar sein. Ob die Sachverständige eine solche bei ihrer Beurteilung zugrunde gelegt hat, wurde aber in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt.

Quelle | OLG Hamm, Urteil vom 27.12.18, 4 RBs 391/18, Abruf-Nr. 207447 unter www.iww.de.

Unfallschadensregulierung: Versicherer muss Kosten für Abschleppen mit Zwischenstopp erstatten

| Ereignet sich der Unfall an einem Feiertag und kann das verunfallte Fahrzeug daher nicht sofort zur später reparierenden Werkstatt geschleppt werden, muss der Schädiger sowohl die Kosten für den Abschleppvorgang zur Halle des Abschleppunternehmers als auch die Kosten für den Abschleppvorgang zur Werkstatt am Folgetag erstatten. |

So entschied das Amtsgericht Weiden in der Oberpfalz. Es verwies darauf, dass die Abstellfläche der Werkstatt umzäunt ist. Sie ist zudem nachts verschlossen. Dem Geschädigten sei nicht zumutbar, das Fahrzeug ohne Absprache an einem Feiertag irgendwo auf dem Werkstattgelände abzustellen.

Quelle | Amtsgericht Weiden in der Oberpfalz, Urteil vom 26.2.2019, 3 C 998/18, Abruf-Nr. 207511 unter www.iww.de.

Aufhebungsvertrag: Aufhebungsvertrag kann nicht nach Verbraucherrecht widerrufen werden

| Ein Arbeitnehmer kann einen Vertrag, durch den das Arbeitsverhältnis beendet wird, auch dann nicht widerrufen, wenn er in seiner Privatwohnung abgeschlossen wurde. Ein Aufhebungsvertrag kann aber unwirksam sein, falls er unter Missachtung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen ist. |

Zu diesem Ergebnis kam das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Rechtsstreit einer Reinigungskraft. Die Frau hatte in ihrer Wohnung mit dem Lebensgefährten der Arbeitgeberin einen Aufhebungsvertrag geschlossen. Dieser sah das sofortige Ende des Arbeitsverhältnisses ohne Zahlung einer Abfindung vor. Anlass und Ablauf der Vertragsverhandlungen sind umstritten. Nach Darstellung der Frau war sie am Tag des Vertragsschlusses erkrankt. Mit ihrer Klage wendet sie sich unter anderem gegen das Ende ihres Arbeitsverhältnisses durch den Aufhebungsvertrag. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat ihre Klage abgewiesen.

Die Richter am BAG hoben das Urteil auf und wiesen die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurück. Dem Vortrag der Arbeitnehmerin könne kein Anfechtungsgrund entnommen werden. Außerdem sei der Widerruf eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrags auf gesetzlicher Grundlage unmöglich. Der Gesetzgeber habe zwar Verbrauchern bei Verträgen, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen worden sind, ein Widerrufsrecht eingeräumt. Auch Arbeitnehmer seien Verbraucher. Jedoch sei im Gesetzgebungsverfahren deutlich geworden, dass arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge hier nicht einzubeziehen seien.

Das LAG habe jedoch nicht geprüft, ob das Gebot fairen Verhandelns vor Abschluss des Aufhebungsvertrags beachtet worden sei. Dieses Gebot sei eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht. Sie werde verletzt, wenn eine Seite eine psychische Drucksituation schaffe, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags erheblich erschwere. Dies könne hier der Fall sein, wenn eine krankheitsbedingte Schwäche der Arbeitnehmerin bewusst ausgenutzt worden wäre. Dann müsse die Arbeitgeberin Schadenersatz leisten. Die Arbeitnehmerin wäre so zu stellen, als hätte sie den Aufhebungsvertrag nicht geschlossen. Das muss das LAG nun aufklären und dann erneut entscheiden.

Quelle | BAG, Urteil vom 7.2.2019, 6 AZR 75/18, Abruf-Nr. 207791 unter www.iww.de.

Schenkung: Geschenkt oder nur geliehen?

| Geschenkt oder nur geliehen? Die Frage stellt sich immer wieder, wenn zwischenmenschliche Beziehungen enden und Streit um gezahlte Gelder entsteht. Entschieden werden kann die Frage aber nur im jeweiligen Einzelfall. |

Das zeigt ein Rechtsstreit vor dem Landgericht (LG) Köln. Der 75-jährige Kläger hatte seiner 37-jährigen Bekannten mehr als 80.000 EUR zukommen lassen. Als er die Rückzahlung verlangte, warf sie ihm verschmähte Liebe vor und berief sich auf Schenkungen. Die Parteien lernten sich im Jahr 2008 kennen, als die Beklagte während ihres Studiums im Betrieb des Klägers als Aushilfskraft arbeitete. Es entwickelte sich ein mindestens freundschaftliches Verhältnis. Das führte dazu, dass der Kläger zwischen Mai 2012 und Mai 2013 Bafög-Schulden und ein überzogenes Konto der Beklagten mit Zahlungen von mehr als 8.000 EUR ausglich. Im Frühjahr 2013 stellte der Kläger der Beklagten sogar rund 74.000 EUR für den Erwerb einer Wohnung in Istanbul zur Verfügung. Erstmals im Oktober 2016 forderte er sämtliche Gelder zurück und reichte schließlich Klage beim Landgericht Köln ein.

Dieses sah sich mit völlig unterschiedlichen Versionen zum Hintergrund der überlassenen Geldbeträge konfrontiert. Während der Kläger sich auf die Gewährung von Darlehen im Rahmen einer jahrelangen Freundschaft berief, behauptete die Beklagte, es habe eine Liebesbeziehung gegeben. Das hätte den Kläger dazu veranlasst, ihr die Geldbeträge zu schenken. Die Rückforderung erfolge nun aus verschmähter Liebe. Von dem Geld für die Wohnung habe sie dem Kläger zudem einen Großteil in bar zurückgegeben, als dieser sie in Istanbul besuchte. In der Folgezeit hätten sie dieses Geld bei gemeinsamen Unternehmungen ausgegeben.

Ob es sich um einen Fall verschmähter Liebe oder ausgenutzter Freundschaft handelte, konnte das LG offen lassen. Es verurteilte die Beklagte dazu, das Geld für die Wohnung zurückzuzahlen. Nach der vorgelegten WhatsApp-Korrespondenz habe die Beklagte eine Rückzahlung zugesagt. Es handelte sich also um ein Darlehen. Das Geld, welches der Kläger für den Ausgleich der Bafög-Schulden und des Kontos der Beklagten aufgewendet habe, erhält er nach der Entscheidung des Gerichts allerdings nicht zurück. Insoweit konnte die Richterin nicht feststellen, dass die Parteien eine Rückzahlung vereinbart hätten. Daher müsse man diesbezüglich von Schenkungen ausgehen.

Quelle | LG Köln, Urteil vom 24.1.2019, 19 O 224/17, Abruf-Nr. 208076 unter www.iww.de.