Marcus Spiralski Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht & Fachanwalt für Familienrecht

Urteilskategorie

Urteilsarchiv

Charakterliche Eignung: Entlassung eines Polizeikommissars aus dem Probebeamtenverhältnis

| Das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz hat die Entlassung eines Polizeikommissars aus dem Beamtenverhältnis auf Probe für rechtmäßig erklärt. |

Das war geschehen

Der Kläger war im Jahr 2021 nach bestandener Laufbahnprüfung in das Probebeamtenverhältnis berufen und als Einsatzsachbearbeiter in einer Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei eingesetzt worden. Bereits zuvor, noch während seines Vorbereitungsdienstes, hatte er über mehrere Monate hinweg wiederholt Bilddateien (sog. Sticker) in verschiedene WhatsApp-Chatgruppen mit diskriminierenden, antisemitischen, rassistischen, menschenverachtenden sowie frauen- und behindertenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Inhalten hochgeladen. Als sein Dienstherr, der Beklagte, hiervon erfuhr, leitete er zunächst ein Disziplinarverfahren und dann ein Entlassungsverfahren ein und entließ den Kläger wegen erheblicher Zweifel an dessen charakterlicher Eignung für den Polizeidienst mit Ablauf des Jahres 2022 aus dem Probebeamtenverhältnis.

Hiergegen erhob der Kläger zunächst Widerspruch und in der Folge Klage. Zur Begründung gab er an, aus dem Kontext der Verwendung der Sticker werde hinreichend deutlich, dass es sich nur um „schwarzen Humor“ handele; der Inhalt der Sticker entspreche in keiner Weise seiner inneren Haltung.

Kläger kein „unbescholtenes Blatt“

Die Klage hatte keinen Erfolg. Der Beklagte sei vielmehr beurteilungsfehlerfrei von der charakterlichen Nichteignung des Klägers für den Polizeidienst ausgegangen. Damit knüpfte das VG an seine bereits im November 2023 getroffenen Beschluss an, mit dem er die vom Kläger beantragte Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussichten seiner Klage abgelehnt hatte. In dem Beschluss hatte das Gericht betont, es sei unerheblich, ob die vom Kläger verwandten „Sticker“ tatsächlich Ausdruck seiner Gesinnung seien. Der Kläger müsse diese so gegen sich gelten lassen, wie sie aus Sicht eines objektiven Betrachters zu verstehen seien. Es werde deutlich, dass der Kläger sich seiner beamtenrechtlichen Pflichten nicht einmal ansatzweise bewusst sei und dass ihm erkennbar die erforderliche charakterliche Reife und Stabilität für das Amt eines Polizeivollzugsbeamten fehle. Außerdem berücksichtigten die Richter, dass der Kläger im Februar 2024 strafrechtlich wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in vier Fällen, in drei Fällen hiervon in Tateinheit mit Volksverhetzung, schuldig gesprochen worden war.

Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 20.2.2024, 5 K 733/23.KO, PM 5/24

Arbeitsvertragsklausel: Kündigung einer TV-Moderatorin wegen Wettbewerbstätigkeit wirksam

| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung einer TV-Moderatorin wirksam ist, die trotz Abmahnungen eine Online-Kolumne für eine im Wettbewerb stehende Tageszeitung verfasst. |

Einschränkungen im Arbeitsvertrag

Die Klägerin war langjährig im Bereich Finanz- und Börsenberichterstattung für die Beklagte tätig, die einen Nachrichtensender mit TV- und Onlineberichterstattung betreibt. Der Arbeitsvertrag schränkt die Möglichkeit von Nebentätigkeiten ein und sieht vor, dass zuvor eine Genehmigung erfolgen muss.

Abmahnung wegen Online-Börsenkolumne

Die Klägerin hat unter anderem am 29.9.2022 eine Online-Börsenkolumne für eine Tageszeitung verfasst, wegen der sie am 4.10.2022 abgemahnt wurde. Dennoch veröffentlichte die Klägerin dort am 1.1.2023 eine weitere Kolumne, aufgrund der die Beklagte die streitgegenständliche Kündigung aussprach.

Zuvor war die Klägerin auch vor dem ArbG Köln in einem einstweiligen Verfügungsverfahren unterlegen, in dem sie ihren Arbeitgeber verpflichten wollte, die Nebentätigkeit zum Verfassen einer wöchentlichen Kolumne zu genehmigen. Hier hatte das ArbG geurteilt, dass die begehrte Nebentätigkeit eine nicht genehmigungsfähige Konkurrenztätigkeit darstelle.

Arbeitsgericht bestätigt Kündigung

Das ArG Köln hat die Kündigung bestätigt. Bei der Online- Kolumne handele es sich um eine Wettbewerbstätigkeit, da sowohl der Arbeitgeber als auch der Zeitungsverlag Unternehmen sind, die sowohl im Bereich der TV- wie auch der Onlineberichterstattung aktiv seien.

Zudem betreffe die Börsenkolumne der Klägerin den fachlichen Kernbereich ihrer Tätigkeit für die Beklagte. Gerade in diesen Themen hat die Klägerin sich in der Vergangenheit eine große Reputation aufgebaut, mit der sie bislang für die Beklagte in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten ist. Ein Arbeitnehmer, der während des bestehenden Arbeitsverhältnisses Wettbewerbstätigkeiten entfaltet, verstoße gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers. Dies könne eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.

Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar

Hier sei der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar. Das Vertrauen der Beklagten in einen störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses sei nach den bewussten, fortgesetzten und groben Pflichtverletzungen der Klägerin gänzlich aufgebraucht.

Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 11.10.2023, 9 Ca 5402/22, PM 11/23

Testamentsanfechtung: Wann wird ein Testament durch ein widersprüchliches neues Testament aufgehoben?

| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden, wann ein Widerspruch vorliegt, durch den ein älteres Testament ganz oder teilweise aufgehoben wird. |

Vier handschriftliche Testamente

Die Erblasserin verstarb ledig und kinderlos. Sie hatte zwei Geschwister: eine Schwester und einen Bruder, die beide vorverstorben sind. Insgesamt hinterließ die Erblasserin vier handschriftlich verfasste Testamente.

Im ersten Testament vom 3.4.2007 setzte sie ihre Schwester als Alleinerbin und ihren Bruder als Ersatzerben ein. Dieses Testament änderte sie am 26.4.2009 durch Durchstreichen derart, dass die Ersatzerbenstellung des Bruders aufgehoben wurde mit der Bemerkung, dass er gestorben sei. Im Testament vom 26.4.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Später ergänzte sie den Text mit folgendem unvollständigen Wortlaut: „Für den Fall, dass meine Schwester das Erbe nicht antreten kann, setze ich meine Großnichte als“. Im Testament vom 18.10.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Weiter heißt es in dem Testament: „Für den Fall, dass meine Schwester verstorben ist, setze ich zur Nacherbin meine Großnichte ein.“ Schließlich testierte sie am 27.14.2016 erneut und setzte wiederum ihre Schwester als Alleinerbin ein. In diesem Testament wurde weder eine Ersatzerbschaft noch eine Nacherbschaft angeordnet und die Großnichte wurde nicht mehr erwähnt.

Die Großnichte beantragte einen Alleinerbschein. Dem traten die Kinder des vorverstorbenen Bruder entgegen. Das Nachlassgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, die Erblasserin habe mit ihrer letzten Verfügung von Todes wegen die vorangegangenen Testamente aufgehoben. Der gegen diesen Beschluss durch die Großnichte eingelegten Beschwerde hat das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Akten dem OLG Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat die Beschwerde zurückgewiesen.

So sah es das Oberlandesgericht

Die Großnichte könnte ihre Alleinerbenstellung allein aus dem Testament vom 18.10.2009 herleiten. Diese Stellung sei indes von der Erblasserin vollständig aufgehoben worden, als sie am 27.4.2016 ein neues Testament errichtet habe, in dem die Großnichte nicht mehr als Ersatzerbin berufen sei, so das OLG.

Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 2258 Abs. 1 BGB) werde durch die Errichtung eines Testaments ein früheres Testament insoweit aufgehoben, als dass das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch stehe. Ein derartiger Widerspruch liege zum einen vor, wenn die Testamente sachlich miteinander nicht vereinbar seien, die getroffenen Anordnungen also nicht nebeneinander Geltung erlangen könnten, sondern sich gegenseitig ausschließen. Ein Widerspruch sei zum anderen (auch) gegeben, wenn die einzelnen Anordnungen einander zwar nicht entgegengesetzt seien, aber die kumulative Geltung der mehreren Verfügungen den in einem späteren Testament zum Ausdruck kommenden Absichten des Erblassers zuwiderliefe. Das sei der Fall, wenn der Erblasser mit dem späteren Testament seine Erbfolge insgesamt, nämlich abschließend und umfassend (ausschließlich) habe neu regeln wollen. So liege der Fall hier.

Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.12.2023, I-3 Wx 189/23, Abruf-Nr. 239737 unter www.iww.de

Homeoffice: Unfallversichert bei Heizkesselexplosion

| Ein Busunternehmer steht unter Unfallversicherungsschutz, wenn er im Homeoffice beim Hochdrehen der Heizung durch eine Verpuffung im Heizkessel verletzt wird. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |

Im Homeoffice Heizkessel überprüft und nach Verpuffung schwer verletzt

Der Kläger war als selbstständiger Busunternehmer bei der beklagten Berufsgenossenschaft pflichtversichert. Er bewohnte ein Haus, dessen Wohnzimmer er als häuslichen Arbeitsplatz (Homeoffice) für Büroarbeiten nutzte. Am Unfalltag holte der Kläger seine Kinder von der Schule ab und arbeitete anschließend an seinem Schreibtisch im Wohnzimmer. Nachdem er festgestellt hatte, dass die Heizkörper im ganzen Haus kalt waren, begab er sich zur Überprüfung der Kesselanlage in den Heizungskeller. Beim Hochdrehen des Temperaturschalters kam es aufgrund eines Defekts der Heizungsanlage zu einer Verpuffung im Heizkessel, in deren Folge der Kläger eine schwere Augenverletzung erlitt.

Bundessozialgericht erkennt Arbeitsunfall an

Die beklagte Berufsgenossenschaft, das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) lehnten einen Arbeitsunfall ab. Das BSG hat dagegen einen Arbeitsunfall anerkannt.

Der Kläger wollte nicht nur seine Kinder, sondern auch seinen häuslichen Arbeitsplatz mit höheren Temperaturen versorgen. Die Benutzung des Temperaturreglers war deshalb unternehmensdienlich, der Heizungsdefekt kein unversichertes privates Risiko.

Quelle | BSG, Urteil vom 21.3.2024, B 2 U 14/21 R, PM 11/24

Versicherungsschutz: Tödlicher Motorradunfall auf dem Rückweg vom Urlaub: Unfallversicherung muss Witwe Rente zahlen

| Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat sich in seiner Entscheidung mit der Frage befasst, ob der Klägerin ein Anspruch auf Sterbegeld und Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusteht, nachdem ihr Ehemann einen tödlichen Motorradunfall erlitten hatte. |

Ehemann der Klägerin bei Verkehrsunfall tödlich verletzt

Der Ehemann der Klägerin war Inhaber eines Autohauses in Berlin und als Unternehmer freiwillig bei der beklagten Berufsgenossenschaft versichert. Die Klägerin war in dem Autohaus angestellt tätig. Die gemeinsame Wohnung der Eheleute lag etwa 14 km vom Autohaus entfernt. Am 19.8.2013 reisten beide gemeinsam auf ihrem Motorrad aus einem mehrtägigen Urlaub in Thüringen die rund 400 km lange Strecke zurück nach Berlin, der Ehemann lenkte das Motorrad. Da die Tochter des Ehepaares während des Urlaubs die Geschäfte des Autohauses weitergeführt hatte und wegen eines Zahnarzttermins um 14:00 Uhr auf ihrer Arbeit abgelöst werden sollte, wollten sich die Eheleute aus Thüringen kommend direkt zum Autohaus begeben. Dort sollten von beiden die weiteren Geschäfte aufgenommen werden, ohne zuvor in die Familienwohnung zu fahren. Bereits auf dem Berliner Stadtgebiet, noch bevor sich die Wege zum Autohaus und zur Familienwohnung gabelten, kam es gegen 13:25 Uhr zu einem Verkehrsunfall, bei dem sich die Klägerin erheblich verletzte und ihr Ehemann verstarb.

Berufsgenossenschaft lehnte Sterbegeld ab

Die Berufsgenossenschaft lehnte es ab, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen (Sterbegeld und Witwenrente) zu erbringen. Ihr Ehemann habe sich bei dem Unfall nicht auf einem versicherten Arbeitsweg befunden, sondern lediglich auf einem privat veranlassten Rückweg von einer Urlaubsreise. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin und die Berufung vor dem LSG blieben zunächst ohne Erfolg. Auf die vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassene und von der Klägerin eingelegte Revision hin hat das Bundessozialgericht (BSG) das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache dorthin zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts sowie zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Landessozialgericht spricht Hinterbliebenenleistungen zu

Das LSG hat jetzt entschieden: Der Ehefrau stehen Hinterbliebenenleistungen zu. Der tödliche Motorradunfall stelle für den Ehemann als freiwillig versicherten Unternehmer einen Arbeitsunfall dar.

Zum einen sei der Ehemann versichert gewesen, weil er sich selbst zum Zeitpunkt des Unfalls auf dem direkten Weg zum Autohaus begeben wollte, um dort seiner Arbeit nachzugehen. Zum anderen habe Versicherungsschutz auch deshalb bestanden, weil die objektiven Begleitumstände und die Angaben der Ehefrau darauf schließen ließen, dass der verunglückte Ehemann seine Frau direkt zum Autohaus gefahren habe, damit diese dort die gemeinsame Tochter bei der Arbeit habe ablösen können. Damit liege ein versicherter, sogenannter „Betriebsweg“ vor, der nicht auf das Betriebsgelände beschränkt sei, aber dennoch im unmittelbaren betrieblichen Interesse liege.

Dem Versicherungsschutz stehe nicht entgegen, dass der Weg aus dem Urlaub (von einem „dritten Ort“ aus) angetreten worden sei und mithin erheblich länger gewesen sei, als es die Strecke von der Wohnung zur Arbeit gewesen wäre. Entscheidend sei, dass der zurückgelegte Weg die direkte Strecke zum Autohaus gewesen sei bzw. dass der subjektive Wille in erster Linie auf die Wiederaufnahme der Arbeit gerichtet gewesen sei. Dies hat das LSG anhand der vorliegenden Indizien des Falls bejaht. Insbesondere seien auch der Unfallzeitpunkt (13:25 Uhr) und der Zeitpunkt, zu dem die Tochter im Autohaus abgelöst werden sollte (14:00 Uhr), zeitlich stimmig.

Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.1.2024, L 21 U 202/21, PM vom 1.2.2024

Kosten für Leerfahrt: Abschleppen eines Privatfahrzeugs von Carsharing-Parkplatz darf angeordnet werden

| Das Ordnungsamt darf einen privaten Pkw, der auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellt worden ist, unabhängig davon abschleppen lassen, ob ein Carsharing-Fahrzeug an der Nutzung dieses Parkplatzes konkret gehindert worden ist. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf entschieden und die Klage der Fahrzeugführerin gegen einen Leistungs- und Gebührenbescheid abgewiesen. |

Die Klägerin hatte ihren Pkw auf einer Fläche abgestellt, die durch Verkehrsschilder als Parkplatz für Carsharing-Fahrzeuge gekennzeichnet war. Ein Mitarbeiter der städtischen Verkehrsüberwachung stellte den Verstoß fest und beauftragte einen Abschleppwagen. Kurz vor dessen Eintreffen erschien die Klägerin und entfernte ihr Fahrzeug von dem Parkplatz. Die Stadt machte ihr gegenüber mit Leistungs- und Gebührenbescheid die Kosten der Leerfahrt des Abschleppwagens geltend und setzte eine Verwaltungsgebühr fest. Zur Begründung ihrer Klage gegen diesen Bescheid trug die Klägerin vor, sie habe nur elf Minuten auf dem Carsharing-Platz geparkt und zu dieser Zeit seien noch weitere Parkplätze frei gewesen, sodass ein Abschleppen nicht notwendig gewesen sei.

Das VG: Die Beauftragung des Abschleppwagens war rechtmäßig. Ein Fahrzeug, das auf einem nach der Beschilderung ausschließlich Carsharing-Fahrzeugen vorbehaltenen Parkplatz steht, aber nicht am Carsharing teilnimmt, wird so betrachtet, als wenn es in einem absoluten Halteverbot stünde. Die Abschleppmaßnahme war verhältnismäßig, weil die Funktion der Parkplätze für Carsharing-Fahrzeuge nur gewährleistet ist, wenn sie jederzeit von nicht parkberechtigten Fahrzeugen freigehalten werden. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob die Klägerin durch das verbotswidrige Abstellen konkret ein bevorrechtigtes Carsharing-Fahrzeug am Parken gehindert hat. Das Abschleppen ist auch unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, dass von einem zu Unrecht auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellten Fahrzeug eine negative Vorbildwirkung für andere Kraftfahrer ausgeht.

Quelle | VG Düsseldorf, Urteil vom 20.2.2024, 14 K 491/23, PM vom 28.2.2024

Familienkasse: Kein Kindergeld bei einem Freiwilligendienst zwischen Bachelor- und Masterstudium

| Wie der Bundesfinanzhof (BFH) nun entschieden hat, liegt eine aus mehreren Ausbildungsabschnitten (z.B. Bachelor- und Masterstudium im gleichen Fach) bestehende einheitliche Erstausbildung nur vor, wenn die einzelnen Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zueinander stehen. Der enge zeitliche Zusammenhang ist nur gewahrt, wenn das Kind den nächsten Teil der mehraktigen Ausbildung, also z.B. das Masterstudium, zum nächstmöglichen Termin aufnimmt. Daran fehlt es, wenn das Kind dazwischen einen Freiwilligendienst absolviert, statt die Ausbildung sogleich fortzusetzen. Dies hat zur Folge, dass die Erstausbildung mit dem vorherigen Ausbildungsabschnitt abgeschlossen ist, sodass der Kindergeldberechtigte in der Folgezeit einen Kindergeldanspruch nur dann behält, wenn das Kind nicht oder nicht mehr 20 Stunden pro Woche erwerbstätig ist. |

Das war geschehen

Der Kläger ist Vater einer im Februar 1996 geborenen Tochter, die zum Ende des Sommersemesters 2018 ein Studium im Fach C mit dem Bachelor of Science abschloss. In den Monaten Oktober 2018 bis einschließlich Mai 2019 absolvierte die Tochter einen Freiwilligendienst. Im Juli 2019 wurde sie zum Masterstudium im Fach C zugelassen, welches sie im Oktober 2019 aufnahm. Zwischen Juli und September 2019 (Streitzeitraum) übte die Tochter eine befristete Aushilfstätigkeit im Umfang von 25 Wochenstunden aus.

Die Familienkasse war der Auffassung, dass dem Kläger wegen der nicht nur geringfügigen Erwerbstätigkeit der Tochter im Streitzeitraum kein Kindergeld zu gewähren ist.

Familienkasse bekam Recht

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Der BFH hielt die Revision der Familienkasse für begründet. Zwar sei die Tochter auch in den streitigen Monaten bis zum Beginn des Masterstudiums grundsätzlich kindergeldrechtlich zu berücksichtigen, weil sie dieses Studium erst mit dem Beginn des Wintersemesters 2019/2020 aufnehmen konnte (§ 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c des Einkommensteuergesetzes [EStG]). Volljährige Kinder, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, seien nach Abschluss einer Erstausbildung kindergeldrechtlich aber nur zu berücksichtigen, wenn sie keiner Erwerbstätigkeit von mehr als 20 Wochenstunden nachgingen (§ 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG).

Der BFH: Das FG habe zu Unrecht Bachelor- und Masterstudium als Teile einer einheitlichen Erstausbildung angesehen. Wegen des von der Tochter zwischenzeitlich absolvierten Freiwilligendienstes fehle der erforderliche enge zeitliche Zusammenhang zwischen den Ausbildungsteilen.

Umfang der Erwerbstätigkeit relevant

Daher sei der Umfang der Erwerbstätigkeit relevant. Da dieser über der Grenze von 20 Wochenstunden gelegen habe, könne kein Kindergeld gewährt werden.

Quelle | BFH, Urteil vom 12.10.2023, III R 10/22, PM 3/24

Medizinisch-Psychologische Untersuchung: Entziehung der Fahrerlaubnis

| Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist für jeden Autofahrer ein einschneidendes Ereignis. In einem Fall des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH) war es aufgrund mehrerer Straftaten und einer anschließenden Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU) dazu gekommen. |

Fahrerlaubnisentzug nach Medizinisch-Psychologischer Untersuchung

Die Verwaltungsbehörde hatte dem Autofahrer die Fahrerlaubnis im Juni 2022 entzogen. Grundlage war ein MPU-Gutachten. Dieses war auf der Grundlage mehrerer aktenkundiger Straftaten im Zeitraum 2012 bis 2019 zu dem Ergebnis gekommen, dass es zu erwarten sei, dass der Betroffene erneut erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche/strafrechtliche Bestimmungen verstoßen werde. Im Widerspruchsverfahren teilten die Bevollmächtigten mit, der Betroffene wolle sich einer weiteren Begutachtung der bisherigen Begutachtungsstelle unterziehen. Daraufhin forderte die Antragsgegnerin ihn auf, binnen drei Monaten ein MPU-Gutachten vorzulegen. Dieses aber legte er nicht vor.

Autofahrer vor Gericht ohne Erfolg

Der Antrag des Betroffenen gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis hatte weder beim Verwaltungsgericht (VG) in erster Instanz noch beim BayVGH in zweiter Instanz Erfolg. Bei feststehender Ungeeignetheit sei die Entziehung der Fahrerlaubnis zwingend. Die Fahrerlaubnisbehörde habe keinen Ermessensspielraum. Dies gelte auch bei Nichtvorlage eines zu Recht geforderten Fahreignungsgutachtens.

Der Autofahrer könne sich auch nicht darauf berufen, mit der erneuten Begutachtungsanordnung habe die Verwaltungsbehörde zum Ausdruck gebracht, das vorliegende Gutachten sei nicht mehr in der Weise verwertbar, dass es eine abschließende Entscheidung über die Fahreignung erlaubte. Der insoweit angeführten BayVGH-Entscheidung aus dem Jahr 2021 hat eine andere Fallgestaltung zugrunde gelegen. Dort sei das ursprüngliche Gutachten nach mehr als viereinhalb Jahren nicht mehr aktuell und belastbar gewesen. Das sei hier aber nicht der Fall das der Entscheidung zugrunde gelegte Gutachten stamme aus 2022.

Quelle | BayVGH, Beschluss vom 10.10.2023, 11 CS 23.1476, Abruf-Nr. 238183 unter www.iww.de

Bundesgerichtshof: Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung bei Vorbeifahrt an einem Müllabfuhrfahrzeug

| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über einen Fall entschieden, in dem eine Pkw-Fahrerin an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifuhr und mit einem gerade entleerten Müllcontainer kollidierte. Der BGH hat in diesem Fall einen Verstoß der Fahrerin gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO) bejaht. |

Das war geschehen

Die Klägerin, ein Pflegedienst, macht gegen einen für die Abfallwirtschaft zuständigen kommunalen Zweckverband Schadenersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, bei dem eines ihrer Pflegedienstfahrzeuge beschädigt wurde. Eine Mitarbeiterin der Klägerin fuhr mit diesem Fahrzeug aus der Gegenrichtung kommend an einem Müllabfuhrfahrzeug des beklagten Zweckverbands vorbei, das mit laufendem Motor, laufender Schüttung und eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie Warnblinkanlage in der Straße stand. Dabei kam es zu einer Kollision des klägerischen Fahrzeugs mit einem Müllcontainer, den ein bei dem Beklagten angestellter Müllwerker hinter dem Müllabfuhrfahrzeug quer über die Straße schob.

Mit der Klage hat die Klägerin Erstattung der Fahrzeugreparaturkosten verlangt.

So sahen es die Vorinstanzen

Das Landgericht (LG) hat der Klage gegen den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 zu 50 teilweise stattgegeben.

Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht (OLG) das Urteil des LG teilweise geändert und den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 75 (Beklagter) zu 25 (Klägerin) zu weiterem Schadenersatz verurteilt. Es ist dabei davon ausgegangen, dass der Fahrerin des Pkw kein Verstoß gegen die StVO anzulasten sei.

So sieht es der Bundesgerichtshof

Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Das Urteil des OLG wurde aufgehoben und die Sache an das OLG zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Der Klägerin steht gegen den Beklagten als Halter des Müllabfuhrfahrzeugs ein Schadenersatzanspruch gemäß StVO (hier: § 7) zu, da das Fahrzeug der Klägerin „bei dem Betrieb“ des Müllabfuhrfahrzeugs beschädigt worden ist. Die Gefahr, die von einer gerade entleerten Mülltonne auf der Straße für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, ist dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs zuzurechnen.

Bei der Entscheidung über die Haftungsverteilung hat das OLG zu Recht dem Müllwerker einen schuldhaften Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorgeworfen, weil er hinter dem Müllabfuhrfahrzeug einen Müllcontainer quer über die Straße schob, ohne auf den Verkehr und das Fahrzeug der Klägerin zu achten, welches für ihn hätte er den Müllcontainer nicht vor sich hergeschoben erkennbar gewesen wäre.

Allerdings ist entgegen der Ansicht des OLG auch der Mitarbeiterin der Klägerin als Fahrerin des Pkw ein Verstoß gegen die StVO vorzuwerfen.

Mit dem Verhalten des Müllwerkers konnte gerechnet werden

Das Hauptaugenmerk der mit dem Holen, Entleeren und Zurückbringen von Müllcontainern befassten Müllwerker ist auf ihre Arbeit gerichtet, die sie überwiegend auf der Straße und effizient, also in möglichst kurzer Zeit und auf möglichst kurzen Wegen, zu erledigen haben. Wer an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifährt, das erkennbar im Einsatz ist, darf daher nicht uneingeschränkt auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Müllwerker vertrauen. Er muss damit rechnen, dass Müllwerker plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortreten und unachtsam einige Schritte weiter in den Verkehrsraum tun, bevor sie sich über den Verkehr vergewissern. Auf diese mit dem Einsatz von Müllabfuhrfahrzeugen verbundenen Gefahren hat der vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer sein Fahrverhalten einzurichten. Wenn es nicht möglich ist, einen ausreichenden Seitenabstand zu einem Müllabfuhrfahrzeug einzuhalten, um die Gefahr eines plötzlich auftauchenden Müllwerkers vor oder hinter dem Fahrzeug zu vermeiden, muss die Geschwindigkeit gemäß der Straßenverkehrsordnung (StVO) reduziert werden, sodass der Fahrer sein Fahrzeug bei Bedarf sofort zum Stillstand bringen kann.

Den dargelegten Anforderungen genügte die vom Berufungsgericht festgestellte Fahrweise der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nicht. Bei einem Seitenabstand von maximal 50 cm zum Müllabfuhrfahrzeug war die Ausgangsgeschwindigkeit von 13 km/h zu hoch, als dass die Fahrerin das Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen hätte bringen können.

Quelle | BGH, Urteil vom 12.12.2023, VI ZR 77/23, PM 12/24

Vermächtnis: Was ist „vorhandenes Barvermögen“?

| Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg ist der Frage nachgegangen, was der mehrdeutige Begriff „vorhandenes Barvermögen“ in einem Vermächtnis bedeutet. |

Die Parteien stritten um die Erfüllung eines Vermächtnisses und hierbei um den Begriff „Barvermögen“. In einem notariellen Testament beschwerte der Erblasser die eingesetzten Erben mit einem Vermächtnis zugunsten einer weiteren Person wie folgt: „Das bei Eintritt des Erbfalls vorhandene Barvermögen soll zu einem 1/3 Anteil an meine Tochter …, geb. am …, ausgezahlt werden“. Die Bedachte hat die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ seine gesamten liquiden Mittel, insbesondere sämtliche Guthaben bei Kreditinstituten, Wertpapiere und Bargeld im engeren Sinne verstanden. Demgegenüber haben die beschwerten Erben die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ lediglich das vorhandene Bargeld verstanden.

Barvermögen = auch unbares Geld, das sofort verfügbar ist

Das Landgericht (LG) hat sich in erster Instanz der Auffassung der Bedachten angeschlossen und die Erben verurteilt, zu zahlen. Aufgrund der gegen dieses Urteil durch die Erben eingelegten Berufung hat das OLG Oldenburg den Begriff wie folgt verstanden: Danach umfasst der Begriff des Barvermögens heutzutage das gesamte Geld, das sofort verfügbar ist, also auch über eine Kartenzahlung. Wertpapiere fallen nicht unter den Begriff des Barvermögens. Vielmehr werden Wertpapiere durch den erweiterten Begriff des Kapitalvermögens mit abgedeckt, der das Barvermögen einschließlich weiterer Kapitalwerte in Geld beschreibt.

Wertpapiere gehörten hier nicht zum Barvermögen

Nach Beweisaufnahme hat das OLG festgestellt, dass die Bedachte nicht habe nachweisen können, dass der Erblasser mit dem Begriff „Barvermögen“ das gesamte Kapitalvermögen, also auch das nicht sofort verfügbare Kapital in der Form von Genossenschaftsanteilen und Wertpapieren gemeint habe. Im Ergebnis habe der vernommene Zeuge der beurkundende Notar keine konkreten Aussagen zum Willen des Erblassers in Bezug auf Wertpapiere und dessen Begriffsverständnis vom Begriff „Barvermögen“ machen können.

Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 20.12.2023, 3 U 8/23, Abruf-Nr. 239972 unter www.iww.de