Marcus Spiralski Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht & Fachanwalt für Familienrecht

Urteilskategorie

Urteilsarchiv

Parkplatzunfall: Schulterblick statt Rückfahrkamera

| Wer mit seinem Fahrzeug rückwärtsfährt, muss auf andere Verkehrsteilnehmer ganz besonders achten. Auf die Rückfahrkamera allein darf man sich nicht verlassen. So hat es nun das Landgericht (LG) Lübeck entschieden. |

Zusammenstoß auf dem Supermarktparkplatz

Auf dem Parkplatz eines Supermarktes steuerte ein Mann sein Auto geradeaus in Richtung Ausfahrt. Vor ihm parkte ein anderer Fahrer rückwärts aus und schaute dabei auf die Rückfahrkamera. Es kam zum Zusammenstoß.

Der Geradeausfahrende beschuldigte den Rückwärtsfahrenden, plötzlich ausgeparkt und den Zusammenstoß verursacht zu haben. Der Rückwärtsfahrende entgegnete, der Geradeausfahrende sei einfach weitergefahren und an seinem Fahrzeug entlanggeschrammt. Der Geradeausfahrende habe gar nicht bremsen wollen und den Unfall bewusst provoziert.

So entschied das Gericht

Das Gericht musste entscheiden, wer den Schaden bezahlen muss und in welcher Höhe. Es hat mehrere Zeugen befragt und einen technischen Sachverständigen hinzugezogen. Ergebnis: Beide Fahrer treffe eine Schuld. Begründung: Der Geradeausfahrende habe einen Fehler gemacht. Er sei etwa 15 km/h schnell gefahren. Auf einem Parkplatz müsse man aber sofort bremsen können. Man dürfe daher nur Schrittgeschwindigkeit fahren. Aber auch der Ausparkende habe sich nicht richtig verhalten. Er habe nicht die ganze Zeit über die Schulter nach hinten geschaut. Beim Rückwärtsfahren müsse man durchgängig sicherstellen, dass man niemanden gefährdet. Das Anschauen der Rückfahrkamera reiche dafür nicht aus. Den Rückwärtsfahrenden treffe die größere Schuld. Er muss jetzt zwei Drittel des Schadens bezahlen.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Quelle | LG Lübeck, Urteil vom 19.7.2023, 9 O 113/21, PM vom 14.9.2023

Drogen im Straßenverkehr: Führerscheinverlust wegen E-Scooter-Fahrt nach Cannabiskonsum

| Wer unter Cannabiseinfluss mit einem E-Scooter fährt, muss unter Umständen mit dem Entzug der Fahrerlaubnis rechnen. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin in einem Eilverfahren entschieden. |

Dieser Scherz ging nach hinten los!

Der Scooter-Fahrer war im Juli 2022 mit einem E-Scooter im Straßenverkehr unterwegs. Da er Schlangenlinien fuhr und mehrfach nah an geparkte Autos geriet, hielt ihn die Polizei an und nahm ihm eine Blutprobe ab. Diese wies einen THC-Wert von 4,4 ng/ml auf. Gegenüber den Polizisten äußerte der Antragsteller, jeden Tag Cannabis zu konsumieren und jeden Tag Auto zu fahren; dies stellte er im Nachhinein als nicht ernst gemeint dar. Die Fahrerlaubnisbehörde forderte den Antragsteller auf, binnen drei Monaten ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu seiner Fahreignung einzureichen. Der Antragsteller reagierte nicht. Ihm wurde daraufhin mit sofortiger Wirkung die Fahrerlaubnis entzogen.

Eilantrag abgewiesen

Das Gericht lehnte den dagegen gerichteten Eilantrag des Scooter-Fahrers ab. Die Fahrerlaubnisbehörde müsse demjenigen die Fahrerlaubnis entziehen, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweise. Dies sei beim Antragsteller anzunehmen, weil er das zu Recht angeforderte medizinisch-psychologische Gutachten nicht eingereicht habe. Eines solchen Gutachtens bedürfe es, um zu klären, ob der gelegentlich Cannabis konsumierende Antragsteller nur einmalig nicht zwischen dem Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs getrennt habe oder dies auch in Zukunft nicht tun werde.

Auch beim (erlaubnisfreien) Fahren mit einem Elektrokleinstfahrzeug, wie einem E-Scooter, sei das Trennungsgebot zu beachten. Die Grenze hinnehmbaren Cannabiskonsums sei überschritten, wenn auch nur die Möglichkeit einer cannabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit bestehe; dies nehme die Rechtsprechung jedenfalls beim Fahren eines Autos bei einem THC-Wert von 1,0 ng/ml an. Vorliegend sei neben dem deutlich überschrittenen THC-Wert erschwerend zu berücksichtigen, dass der Antragsteller bei der Kontrolle im Juli 2022 durch seine Fahrweise den Straßenverkehr gefährdet und einen regelmäßigen Verstoß gegen das Trennungsgebot auch beim Autofahren eingeräumt habe. Die gesetzte Frist von drei Monaten, um ein Gutachten beizubringen, sei auch ausreichend gewesen, weil Zweifel an der Fahreignung nach einem Verstoß gegen das Trennungsgebot rasch zu klären seien.

Schutzwürdigkeit des Straßenverkehrs vor Drogenfahrten

Das öffentliche Interesse, schwere Personen- und Sachschäden zu vermeiden, die mit Verkehrsunfällen aufgrund einer Drogeneinnahme verbunden sein könnten, rechtfertige schließlich den sofortigen Entzug der Fahrerlaubnis.

Gegen den Beschluss kann der Scooter-Fahrer Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg einlegen.

Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 17.7.2023, VG 11 L 184/23, PM vom 24.7.2023

Arbeitgeberpflicht: Das Laptop des Betriebsrats muss nicht fest montiert werden

| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat in einem Zwangsvollstreckungsverfahren entschieden: Ein Arbeitgeber, der verpflichtet ist, dem Betriebsrat ein Laptop zur Verfügung zu stellen, kommt dieser Pflicht nicht nach, wenn er auf der festen Montage des Geräts besteht. |

Der Arbeitgeberin war durch das ArbG aufgegeben worden, dem örtlichen Betriebsrat ein funktionsfähiges Laptop zur Verfügung zu stellen. Diese Entscheidung hat das Landesarbeitsgericht (LAG) bestätigt. Die Filialdirektorin der Arbeitgeberin erklärte daraufhin gegenüber der Betriebsratsvorsitzenden, sie händige das Laptop nur unter der Voraussetzung aus, dass man ihr sage, wo sie das Laptop befestigen könne.

Die Arbeitgeberin meint, mit der Verpflichtung zur Überlassung eines Laptops sei nicht der standortunabhängige Einsatz verbunden. Zudem habe sie ein Interesse daran, das Laptop durch die Befestigung vor Verlust oder Beschädigung zu sichern.

Das ArbG Köln sah das anders: Die Überlassung eines Laptops unter der Bedingung, dieses im Betriebsratsbüro zu befestigen, erfülle den Anspruch des Betriebsrats nicht.

Ein Laptop sei eine spezielle Bauform eines PC, die zu den Mobilgeräten zählt und damit standortunabhängig verwendbar sei. Eine Befestigung würde damit der definitionsgemäßen Verwendungsmöglichkeit entgegenstehen. Der pflegsame Umgang mit überlassenen Sachmitteln gehöre zu den Rücksichtnahmepflichten des Betriebsrats nach dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Anhaltspunkte dafür, dass hier eine berechtigte Besorgnis besteht, der Betriebsrat würde dem nicht entsprechen, bestünden nicht, so das ArbG.

Die sofortige Beschwerde der Arbeitgeberin gegen diesen Beschluss wurde am 5.6.2023 zurückgewiesen (5 Ta 26/23).

Quelle | ArbG Köln, Beschluss vom 10.1.2023, 14 BV 208/20, PM 9/23

Verjährung: Lamborghini zu Schrott gefahren: trotzdem kein Schadenersatz

| Das Oberlandesgericht (OLG) Dresden hat entschieden: Ein Autofahrer muss für die Folgen eines von ihm im Oktober 2018 verursachten Unfalls mit einem Lamborghini nicht einstehen. Der Anspruch des Verkäufers, eines Autohauses, war inzwischen verjährt. |

Das klagende Autohaus hat als Eigentümerin vom Autofahrer Schadenersatz verlangt, weil dieser als Fahrer ihrem mehr als 150.000 Euro teuren Lamborghini einen wirtschaftlichen Totalschaden zugefügt hatte. Der Autofahrer, der die halbstündige Fahrt mit dem Luxusauto von seiner Ehefrau als Geschenk erhalten hatte, war der Auffassung, nicht er sei schuld daran, dass er die Kontrolle über das Fahrzeug verloren und dabei zwei Bäume entwurzelt und einen dritten frontal angefahren habe. Vielmehr habe der ihn begleitende Mitarbeiter eines Subunternehmers der Klägerin den Sportmodus ein- und nicht wieder ausgeschaltet.

Das Landgericht (LG) hat die Klage abgewiesen, weil nicht davon auszugehen sei, dass der Autofahrer den Unfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht habe. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das OLG zurückgewiesen. Ein etwaiger Anspruch des Autohauses sei verjährt. Der Vertrag, den der Autofahrer über die Nutzung des Fahrzeugs geschlossen hat, stellt nach Auffassung des OLG einen Mietvertrag dar. Für Schadenersatzansprüche wegen Beschädigung einer Mietsache gilt eine kurze Verjährungsfrist von sechs Monaten, die mit der Rückgabe der Mietsache beginnt. So sieht es das Bürgerliche Gesetzbuch (hier: § 548 BGB) vor. Diese Frist sei bei Klageerhebung im Dezember 2020 abgelaufen gewesen.

Quelle | OLG Dresden, Urteil vom 16.8.2023, 13 U 2371/22, PM vom 17.8.2023

Kindeswohl: Widerrechtliches Verbringen des Kindes ins EU-Ausland

| Das Gericht des Mitgliedstaats der EU, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, kann trotz Zuständigkeit für die Entscheidung über das Sorgerecht in Ausnahmefällen die Verweisung des Falls an ein Gericht des Mitgliedstaats beantragen, in den das Kind verbracht wurde. Das Kind muss jedoch eine besondere Bindung zu dem anderen Mitgliedstaat haben, das Gericht dieses anderen Mitgliedstaats muss den Fall besser beurteilen können und die Verweisung muss dem Wohl des Kindes entsprechen. So hat es jetzt der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden. |

Das war geschehen

Ein slowakisches Paar, das mit seinen beiden Kindern in Österreich wohnhaft war, trägt aufgrund einer Trennung einen Rechtsstreit über das Sorgerecht für die Kinder und deren Wohnort aus. Da die Mutter die Kinder zu sich in die Slowakei gebracht hatte, beantragte der Vater nach dem Haager Übereinkommen über die internationale Kindesentführung bei einem slowakischen Gericht die Rückführung der Kinder zu ihm nach Österreich. Da die Eltern bisher das gemeinsame Sorgerecht hatten, beantragte der Vater bei einem österreichischen Gericht außerdem, ihm das alleinige Sorgerecht zu übertragen. Die Mutter der Kinder beantragte bei diesem österreichischen Gericht, dass es ein slowakisches Gericht ersuchen möge, sich hinsichtlich des Sorgerechts für die Kinder für zuständig zu erklären. Das österreichische Gericht gab diesem Antrag statt, wogegen der Vater einen sog. Rekurs erhob.

Österreichisches Gericht rief den Europäischen Gerichtshof an

Vor diesem Hintergrund hat das österreichische Rekursgericht den EuGH ersucht, die „Brüssel-IIa-Verordnung“ auszulegen, die auf Unionsebene Zuständigkeitsregeln u. a. für Sorgerechtsangelegenheiten festlegt. Nach dieser Verordnung sind für die Entscheidung eines Sorgerechtsstreits grundsätzlich die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Aufgrund ihrer räumlichen Nähe sind diese Gerichte nämlich im Allgemeinen am besten in der Lage, die zum Wohl des Kindes zu erlassenden Maßnahmen zu beurteilen. Bei einem widerrechtlichen Verbringen des Kindes bleiben jedoch grundsätzlich die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und zwar, um von einem derartigen Verbringen abzuschrecken.

In Ausnahmefällen kann das Gericht eines Mitgliedstaats, das in der Hauptsache für die Entscheidung über das Sorgerecht zuständig ist, gemäß dieser Verordnung die Verweisung des Falls an ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats beantragen, zu dem das Kind eine besondere Bindung hat, wenn dieses Gericht den Fall besser beurteilen kann und dies dem Wohl des Kindes entspricht. Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob diese Möglichkeit auch dann besteht, wenn das Kind widerrechtlich verbracht wurde.

So sieht es der Europäische Gerichtshof

Der EuGH bejahte diese Frage: Das Gericht eines Mitgliedstaats, das in der Hauptsache für die Entscheidung über das Sorgerecht zuständig ist, da das Kind unmittelbar, bevor es von einem Elternteil in einen anderen Mitgliedstaat verbracht wurde, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat hatte, kann in Ausnahmefällen die Verweisung des Falls an ein Gericht dieses anderen Mitgliedstaats beantragen. Dies setzt voraus, dass das Kind eine besondere Bindung zu diesem anderen Mitgliedstaat hat, dass das andere Gericht nach Ansicht des zuständigen Gerichts den Fall besser beurteilen kann und dass die Verweisung dem Wohl des Kindes entspricht. Diese kumulativen Voraussetzungen sind abschließend.

Es ist zu klären, ob Kindesentführung vorliegt

Bei der Prüfung der letzten beiden Voraussetzungen muss das zuständige Gericht jedoch berücksichtigen, ob gemäß dem Haager Übereinkommen über die internationale Kindesentführung ein Verfahren zur Rückgabe dieses Kindes anhängig ist, das in dem Mitgliedstaat, in den das Kind widerrechtlich verbracht wurde, noch nicht rechtskräftig entschieden wurde. Das zuständige Gericht muss dabei gemäß den Bestimmungen des Haager Übereinkommens insbesondere berücksichtigen, dass es den Gerichten des anderen Mitgliedstaats so lange unmöglich ist, eine dem Kindeswohl entsprechende Sachentscheidung über das Sorgerecht zu treffen, bis das mit dem Antrag auf Rückgabe des Kindes befasste Gericht dieses Mitgliedstaats zumindest über diesen Antrag entschieden hat.

Quelle | EuGH, Urteil vom 13.7.2023, C-87/22 | TT, PM 127/23

Fristlose Kündigung: Kollegin mit Äußerungen sexuell beleidigt

| Auch auf einer betrieblichen Weihnachtsfeier gibt es keinen Freifahrtschein für sexuell belästigende Äußerungen gegenüber Kolleginnen. Es handelt sich um Verletzungen der vertraglichen Pflichten des Arbeitnehmers, die eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich rechtfertigen können. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist kann dem Arbeitgeber unzumutbar sein. Dies hat das Arbeitsgericht (ArbG) Elmshorn entschieden. |

Das war geschehen

Der 32-jährige Kläger war seit dem Jahr 2019 bei seiner Arbeitgeberin beschäftigt, einer kleinen Firma mit sechs Mitarbeitern und einer Mitarbeiterin. Auf der Weihnachtsfeier im Dezember 2022 sammelte die Kollegin des Klägers Geld für ein Geschenk ein. Nachdem der Kläger nicht passend zahlen und die Kollegin nicht wechseln konnte, sagte der Kläger der Kollegin im Beisein anderer Kollegen: „Wir können sie ja auf den Kopf stellen und die Geldkarte durch den Schlitz ziehen.“ Die Kollegin beschwerte sich noch am gleichen Abend beim Geschäftsführer. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger vier Tage später fristlos. Dessen Kündigungsschutzklage blieb vor dem ArbG erfolglos.

Wichtiger Grund für Kündigung lag vor

Das ArbG stellt klar, dass auch unerwünschte Bemerkungen sexuellen Inhalts eine sexuelle Belästigung und damit einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen können, wenn sie die Würdeverletzung der betreffenden Person bezwecken oder bewirken. Das Verhalten des Klägers stellt danach eine sexuelle Belästigung dar und ist zudem schwerst beleidigend. Mit der Äußerung wird die Kollegin auf derbste Art und Weise zum Objekt sexueller Anspielungen herabgewürdigt. Sie wird mit einem Objekt gleichgestellt. Es handelt sich nicht um eine bloße „Anzüglichkeit“, sondern um eine besonders krasse Form der Herabwürdigung. Die Äußerung kann nur frauenfeindlich bzw. sexistisch verstanden werden.

Keine Entschuldigung

Es entschuldigt den Kläger nicht, dass er einen Scherz machen wollte. Eine Beleidigung und ein sexueller Übergriff werden nicht dadurch weniger intensiv, dass Kollegen darüber lachen im Gegenteil. Auch auf eine unmittelbare Reaktion der Kollegin kam es nicht an. Es ist nicht erforderlich, dass diese sich zeitlich unmittelbar getroffen zeigt. Das Verhalten des Opfers kann die Schwere der Äußerung nicht relativieren. Auch die Gesamtumstände der Weihnachtsfeier ändern nichts an der Bewertung. Selbst, wenn dort Alkohol konsumiert wurde und eine gelöste Stimmung herrschte, macht dies die Äußerung des Klägers nicht weniger schlimm. Eine solche herabwürdigende, öffentliche Äußerung ist geeignet, das Ansehen der einzigen Kollegin unter den Kollegen und im Unternehmen unwiederbringlich zu schädigen, wenn die Arbeitgeberin darauf nicht mit der außerordentlichen Kündigung reagiert.

Eine vorherige Abmahnung war entbehrlich. Das Fehlverhalten des Klägers wiegt so schwer, dass eine Hinnahme durch die Beklagte ausgeschlossen war. Dies musste dem Kläger auch erkennbar sein. Er hat sich weder entschuldigt noch wenigstens Reue gezeigt.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Es wurde beim Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein bereits Berufung eingelegt.

Quelle | ArbG Elmshorn, Urteil vom 26.4.2023, 3 Ca 1501 e/22, PM vom 6.6.2023

Ordnungsgeld: Wenn ein Elternteil Umgangsregelungen verhindert …

| In Familiensachen wird oft besonders heftig gestritten. Gerade in Umgangssachen sind die Eltern häufig nicht bereit, zugunsten des Rechts der Kinder auf Umgang flexibel zu agieren. Folge: Bei Verstößen gegen eine gerichtlich gebilligtes Umgangsregelung darf das Gericht sog. Ordnungsmittel verhängen. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Celle entschieden. |

Die Eltern hatten eine familiengerichtlich genehmigte Vereinbarung zum Umgang getroffen. Darin war u. a. geregelt, dass der Vater samstags mit seinen Söhnen telefonieren darf. Dies verhinderte die Mutter jedoch.

Der Vater beantragte erstinstanzlich zunächst erfolglos, ein Ordnungsgeld gegen die Mutter festzusetzen. Das OLG gab ihm jedoch Recht. Es stellte sogar klar: Ordnungsmittel können auch bei beiderseitigen Verfehlungen der Eltern verhängt werden. Denn in einer solchen Situation ist darauf zu achten, dass gerichtliche Regelungen eingehalten werden. Sonst wären solche obsolet. Im Rahmen vereinbarter Telefonate muss der Umgangspflichtige nicht nur sicherstellen, dass das Kind erreichbar ist. Er muss auch für eine ungestörte Umgebung bzw. Atmosphäre sorgen, in der eine gute Verständigung möglich ist.

Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 16.2.2023, 10 WF 168/22, Abruf-Nr. 235051 unter www.iww.de

Provisionsansprüche: Anrechnung von Provisionen auf das auszuzahlende Mutterschaftsgeld während eines Beschäftigungsverbots

| Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen hat in zweiter Instanz einer Vertriebsmitarbeiterin eine Absage erteilt, die meinte, eine Provision sei nicht auf ihr Mutterschaftsgeld anzurechnen. |

Die Klägerin war als Vertriebsmitarbeiterin der Beklagten beschäftigt und erzielte neben fixen Bezügen variable Vergütungsbestandteile. Der Arbeitgeber berechnete ihren Mutterschutzlohn auf der Grundlage ihres Durchschnittseinkommens von Januar bis März 2021 und zahlte ihr monatlich ein Bruttogehalt inklusive eines Provisionsanteils. Die Klägerin meinte aber, ihr Arbeitgeber müsse ihr von September bis November 2021 zusätzliche Provisionen zahlen, da diese auf Geschäften basierten, die sie vor einem ärztlichen Beschäftigungsverbot vermittelt hatte und die erst während des Verbots fällig wurden. Die Parteien stritten also letztlich über die Frage, ob die von der Klägerin erworbenen Provisionsbeträge auf das während einem Beschäftigungsverbot von der Arbeitgeberin ausgezahlte Mutterschaftsgeld anzurechnen waren.

Das LAG: Provisionen, die erst während eines ärztlichen Beschäftigungsverbots fällig werden, kommen nur dann und nur in dem Umfang zur Auszahlung, wie sie den nach dem Mutterschutzgesetz (hier: § 18 S. 2 MuSchG) errechneten Mutterschutzlohn übersteigen. Mit anderen Worten: Nur in dem Fall, dass während eines ärztlichen Beschäftigungsverbots fällige Provisionen den berechneten Durchschnittslohn übersteigen, hätte die Mitarbeiterin ausschließlich die Zahlung der Provision verlangen können. So lag der Fall hier jedoch nicht. Die zugelassene Revision hat die Klägerin nicht eingelegt.

Quelle | LAG Niedersachsen, Urteil vom 20.2.2023, 1 Sa 702/22, PM vom 3.7.2023

Arbeitsvertrag: Keine Erstattung einer Personalvermittlungsprovision durch den Arbeitnehmer

| Eine arbeitsvertragliche Regelung, nach der der Arbeitnehmer verpflichtet ist, dem Arbeitgeber eine von ihm für das Zustandekommen des Arbeitsvertrags an einen Dritten gezahlte Vermittlungsprovision zu erstatten, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis vor Ablauf einer bestimmten Frist beendet, ist unwirksam. So entschied es das Bundesarbeitsgericht (BAG). |

Das war geschehen

Die Parteien schlossen Ende März 2021 einen Arbeitsvertrag, auf dessen Grundlage der Kläger ab dem 1.5.2021 bei der Beklagten tätig wurde. Der Vertrag kam durch Vermittlung eines Personaldienstleisters zustande. Die Beklagte zahlte an diesen eine Vermittlungsprovision von 4.461,60 Euro. Weitere 2.230,80 Euro sollten nach Ablauf der im Arbeitsvertrag vereinbarten sechsmonatigen Probezeit fällig sein. Nach § 13 des Arbeitsvertrags war der Kläger verpflichtet, der Beklagten die gezahlte Vermittlungsprovision zu erstatten, wenn das Arbeitsverhältnis nicht über den 30.6.2022 hinaus fortbestehen und unter anderem aus vom Kläger „zu vertretenden Gründen“ von ihm selbst beendet werden würde. Nachdem der Kläger sein Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 30.6.2021 gekündigt hatte, behielt die Beklagte unter Verweis auf den Arbeitsvertrag von der Vergütung für den Monat Juni 2021 einen Teilbetrag von 809,21 Euro netto ein.

Mit seiner Klage hat der Kläger soweit für die Revision von Interesse die Zahlung dieses Betrags verlangt. Er hat geltend gemacht, die Regelung in § 13 seines Arbeitsvertrags sei unwirksam, weil sie ihn unangemessen benachteilige. Die Beklagte hat im Weg der Widerklage die Erstattung restlicher Vermittlungsprovision von 3.652,39 Euro erstrebt. Sie hat die Auffassung vertreten, die vertragliche Regelung sei wirksam. Sie habe ein berechtigtes Interesse, die für die Vermittlung des Klägers gezahlte Provision nur dann endgültig aufzubringen, wenn er bis zum Ablauf der vereinbarten Frist für sie tätig gewesen sei.

So entschieden die Gerichte

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Die Revision der Beklagten blieb vor dem BAG erfolglos. Die genannte Regelung in § 13 des Arbeitsvertrags benachteiligt den Kläger entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und ist daher nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) unwirksam. Der Kläger wird hierdurch in seinem vom Grundgesetz garantierten Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes beeinträchtigt, ohne dass dies durch begründete Interessen der Beklagten gerechtfertigt wäre. Der Arbeitgeber muss grundsätzlich das unternehmerische Risiko dafür tragen, dass sich von ihm getätigte finanzielle Aufwendungen für die Personalbeschaffung nicht „lohnen“, weil der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis in rechtlich zulässiger Weise beendet. Es besteht deshalb kein billigenswertes Interesse der Beklagten, solche Kosten auf den Kläger zu übertragen. Der Kläger erhält auch keinen Vorteil, der die Beeinträchtigung seiner Arbeitsplatzwahlfreiheit ausgleichen könnte.

Quelle | BAG, Urteil vom 20.6.2023, 1 AZR 265/22, PM 29/23

Dienste für einen Yoga-Verein: Arbeitnehmerstatus eines Vereinsmitglieds im Yoga-Ashram

| Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden: Das verfassungsrechtlich gewährleistete Selbstbestimmungsrecht von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften kann nur von einem Verein in Anspruch genommen werden, der ein hinreichendes Maß an religiöser Systembildung und Weltdeutung aufweist. Andernfalls ist es ihm verwehrt, mit seinen Mitgliedern zu vereinbaren, außerhalb eines Arbeitsverhältnisses fremdbestimmte, weisungsgebundene Arbeit in persönlicher Abhängigkeit zu leisten, sofern diese nicht ähnlich einem Arbeitnehmer sozial geschützt sind. |

Das war geschehen

Der Beklagte ist ein gemeinnütziger Verein, dessen satzungsmäßiger Zweck „die Volksbildung durch die Verbreitung des Wissens, der Lehre, der Übungen und der Techniken des Yoga und verwandter Disziplinen sowie die Förderung der Religion“ ist. Zur Verwirklichung seiner Zwecke betreibt er Einrichtungen, in denen Kurse, Workshops, Seminare, Veranstaltungen und Vorträge zu Yoga und verwandten Disziplinen durchgeführt werden. Dort bestehen sog. Sevaka-Gemeinschaften. Sevakas sind Vereinsangehörige, die in der indischen Ashram- und Klostertradition zusammenleben und ihr Leben ganz der Übung und Verbreitung der Yoga Vidya Lehre widmen. Sie sind aufgrund ihrer Vereinsmitgliedschaft verpflichtet, nach Weisung ihrer Vorgesetzten Sevazeit zu leisten. Gegenstand der Sevadienste sind z. B. Tätigkeiten in Küche, Haushalt, Garten, Gebäudeunterhaltung, Werbung, Buchhaltung, Boutique etc. sowie die Durchführung von Yogaunterricht und die Leitung von Seminaren. Als Leistung zur Daseinsfürsorge stellt der Beklagte den Sevakas Unterkunft und Verpflegung zur Verfügung und zahlt ein monatliches Taschengeld von bis zu 390 Euro, bei Führungsverantwortung bis zu 180 Euro zusätzlich. Sevakas sind gesetzlich kranken-, arbeitslosen-, renten- und pflegeversichert und erhalten eine zusätzliche Altersversorgung.

Sevadienste = Arbeitszeit

Die Klägerin ist Volljuristin. Sie lebte vom 1.3.2012 bis zur Beendigung ihrer Mitgliedschaft beim Beklagten am 30.6.2020 als Sevaka in dessen Yoga-Ashram und leistete dort im Rahmen ihrer Sevazeit verschiedene Arbeiten. Die Klägerin hat geltend gemacht, zwischen den Parteien habe ein Arbeitsverhältnis bestanden, und verlangt ab dem 1.1.2017 auf der Grundlage der vertraglichen Regelarbeitszeit von 42 Wochenstunden gesetzlichen Mindestlohn von 46.118,54 Euro brutto.

Beklagter behauptet Gemeinnützigkeit im Dienst der Gesellschaft

Der Beklagte hat eingewendet, die Klägerin habe gemeinnützige Sevadienste als Mitglied einer hinduistischen Ashramgemeinschaft und nicht in einem Arbeitsverhältnis geleistet. Die Religionsfreiheit gemäß Grundgesetz (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) und das Selbstbestimmungsrecht (Art. 140 GG) in Verbindung mit der Weimarer Verfassung (Art. 137 WRV) ermöglichten es, eine geistliche Lebensgemeinschaft zu schaffen, in der die Mitglieder außerhalb eines Arbeitsverhältnisses gemeinnützigen Dienst an der Gesellschaft leisteten.

Uneinigkeit der juristischen Instanzen

Das Arbeitsgericht (ArbG) Detmold hat soweit für die Revision von Bedeutung der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hat die Klage auf die Berufung des Beklagten abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BAG Erfolg. Die Klägerin war Arbeitnehmerin des Beklagten und hat für den streitgegenständlichen Zeitraum Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Sie war vertraglich zu Sevadiensten und damit zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Der Arbeitnehmereigenschaft stehen weder die besonderen Gestaltungsrechte von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften noch die Vereinsautonomie (gem. Art. 9 Abs. 1 GG) entgegen.

Yoga Vidya Lehre ist weder mit Weltreligionen gleichzustellen…

Der Beklagte ist weder Religions- noch Weltanschauungsgemeinschaft. Es fehlt das erforderliche Mindestmaß an Systembildung und Weltdeutung. Der Beklagte bezieht sich in seiner Satzung unter anderem auf Weisheitslehren, Philosophien und Praktiken aus Indien und anderen östlichen und westlichen Kulturen sowie auf spirituelle Praktiken aus Buddhismus, Hinduismus, Christentum, Taoismus und anderen Weltreligionen. Aufgrund dieses weit gefassten Spektrums ist ein systemisches Gesamtgefüge religiöser bzw. weltanschaulicher Elemente und deren innerer Zusammenhang mit der Yoga Vidya Lehre nicht hinreichend erkennbar.

…noch wurde hier Vereinsautonomie ausgeübt

Auch die grundgesetzlich geschützte Vereinsautonomie (Art. 9 Abs. 1 GG) erlaubt die Erbringung fremdbestimmter, weisungsgebundener Arbeitsleistung in persönlicher Abhängigkeit außerhalb eines Arbeitsverhältnisses allenfalls dann, wenn zwingende arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen nicht umgangen werden. Zu diesen zählt unter anderem eine Vergütungszusage, die den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn garantiert, auf den Kost und Logis nicht anzurechnen sind. Denn dieser bezweckt die Existenzsicherung durch Arbeitseinkommen als Ausdruck der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG).

Das BAG konnte auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht abschließend über die Höhe des Mindestlohnanspruchs der Klägerin entscheiden und hat den Rechtsstreit deshalb an das LAG zurückverwiesen.

Quelle | BAG, Urteil vom 25.4.2023, 9 AZR 253/22, PM 20/23