| Für einen ärztlichen Heileingriff bei einem minderjährigen Kind müssen grundsätzlich beide sorgeberechtigten Elternteile zustimmen. Erscheint nur ein Elternteil mit dem Kind beim Arzt, darf dieser in von der Rechtsprechung präzisierten Ausnahmefällen – abhängig von der Schwere des Eingriffs – darauf vertrauen, dass der abwesende Elternteil den erschienenen Elternteil zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff ermächtigt hat. |
Ausgehend hiervon hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm die Schadenersatzklage gegen eine Bielefelder Klinik und behandelnde Ärzte dieser Klinik abgewiesen. Mit der Klage hatten Eltern 500.000 EUR Schmerzensgeld für ihr im Alter von 2 ½ Jahren verstorbenes Kind verlangt. Das Kind war in der 32. Schwangerschaftswoche mit multiplen Krankheitssymptomen geboren worden. Zwei Monate nach der Geburt wurde es auf die kinderchirurgische Klinik des beklagten Krankenhauses verlegt. Dort sollte eine diagnostische operative Biopsie erfolgen, um einen Morbus Hirschsprung auszuschließen.
Bei dem ärztlichen Aufklärungsgespräch war nur die Mutter anwesend, die auch den anästhesistischen Aufklärungsbogen allein unterzeichnete. Bei der Operation kam es zu Schwierigkeiten bei der Beatmung des Kindes. Daher wurde von der Operation abgesehen. In der Folgezeit wurde das Kind fast durchgehend in Krankenhäusern behandelt, bevor es verstarb.
Die Eltern warfen dem Krankenhaus Behandlungsfehler vor. Zudem seien sie nicht hinreichend über Risiken und Behandlungsalternativen aufgeklärt worden. Schließlich habe der Vater selbst keine Einwilligung erteilt, obwohl dies zwingend erforderlich gewesen sei.
Die Richter am OLG konnten jedoch weder einen Behandlungsfehler sehen, noch einen Aufklärungsfehler. Die Mutter sei vielmehr vor dem Eingriff hinreichend über die mit der Narkose verbundenen Behandlungsrisiken aufgeklärt worden. Weil es insoweit keine Behandlungsalternativen gegeben habe, habe über solche nicht aufgeklärt werden müssen.
Die Einwilligung in die Behandlung sei auch nicht unwirksam gewesen, weil nur die Mutter am Aufklärungsgespräch teilgenommen und den Aufklärungsbogen unterzeichnet habe. Zwar müssten grundsätzlich beide sorgeberechtigten Eltern einem ärztlichen Heileingriff bei ihrem minderjährigen Kind zustimmen. Erscheine nur ein Elternteil mit dem Kind beim Arzt, dürfe dieser allerdings in bestimmten Ausnahmefällen auf die Einwilligung des abwesenden Elternteils vertrauen:
- In Routinefällen dürfe der Arzt – bis zum Vorliegen entgegenstehender Umstände – davon ausgehen, dass der mit dem Kind bei ihm erscheinende Elternteil die Einwilligung in die ärztliche Behandlung für den anderen Elternteil miterteilen dürfe.
- Gehe es um ärztliche Eingriffe schwerer Art mit nicht unbedeutenden Risiken, müsse sich der Arzt vergewissern, ob der erschienene Elternteil die Ermächtigung des anderen Elternteils habe und wie weit diese reiche. Dabei dürfe er aber davon ausgehen, dass er von dem erschienenen Elternteil eine wahrheitsgemäße Auskunft erhält.
- Gehe es um schwierige und weitreichende Entscheidungen über die Behandlung des Kindes, etwa um eine Herzoperation, die mit erheblichen Risiken für das Kind verbunden seien, liege nicht von vornherein nahe, dass der abwesende Elternteil seine Einwilligung erteilt habe. Deshalb müsse sich der behandelnde Arzt in diesen Fällen darüber vergewissern, dass der abwesende Elternteil mit der Behandlung einverstanden sei.
Die im vorliegenden Fall vorgesehene Biopsie sei als leichter bis mittelgradiger Eingriff mit normalen Anästhesierisiken zu bewerten und in die zweite Kategorie einzuordnen. Deswegen sei es ausreichend gewesen, dass sich der aufklärende Arzt bei der Mutter nach der Einwilligung des Vaters erkundigt habe und sich diese durch die Unterschrift der Mutter auf dem Aufklärungsbogen, der einen entsprechenden Hinweis enthalte, habe bestätigen lassen.
Quelle | OLG Hamm, Urteil vom 29.9.2015, 26 U 1/15, Abruf-Nr. 145920 unter www.iww.de, nicht rechtskräftig (BGH VI ZR 622/15).