Marcus Spiralski Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht & Fachanwalt für Familienrecht

Urteilskategorie

Urteilsarchiv

Zugewinnausgleich: Trennungszeitpunkt und Verschwendung

| Verschwendungen und illoyale Vermögensminderungen spielen im Recht des Zugewinnausgleichs damit in der Praxis ständig eine Rolle. Verschwinden binnen kurzer Zeiträume größere Vermögenswerte, ist fraglich, ob die verschwundenen Werte dem Endvermögen hinzuzurechnen sind oder nicht. |

Beispiel | Im Zugewinnausgleichsverfahren wird offenbar, dass beim ausgleichspflichtigen Ehemann (M) im Zeitraum von drei Wochen vor dem Trennungsdatum auf seinem Geschäftskonto Abgänge in der Größenordnung von 15.000 EUR festzustellen sind. Sind diese seinem Endvermögen hinzuzurechnen?

Hintergrund | Um den Schutz vor illoyalen Vermögensverschiebungen zu verbessern, ist durch das Gesetz zur Änderung des Zugewinnausgleichs- und Vormundschaftsrechts 2009 eine Beweislastregel eingeführt worden. Danach muss der Ausgleichspflichtige, dessen Endvermögen geringer ist als das in seiner Auskunft zum Trennungszeitpunkt angegebene Vermögen, substanziiert darlegen und beweisen, dass die Vermögensminderung nicht auf einer illoyalen Handlung beruht. Gelingt dies nicht, wird die Minderung dem Endvermögen hinzugerechnet und erhöht den Zugewinn.

Antwort | Diese Voraussetzungen sind im Beispiel aber nicht erfüllt. Denn die Vermögensminderung ist in einem Zeitraum von drei Wochen vor dem Trennungszeitpunkt eingetreten. Eine Hinzurechnung kommt daher nur über § 1375 Abs. 2 S. 1 Nrn. 1 bis 3 BGB in Betracht. Nach dem Sachverhalt kommt insbesondere die Variante der Vermögensverschwendung in Betracht. Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen für eine Verschwendung trifft denjenigen Beteiligten, der sich darauf beruft. Hierbei soll als schlüssige Behauptung einer Verschwendung genügen, wonach ein erheblicher, unstreitig auf einem Konto vorhanden gewesener und inzwischen abgehobener Geldbetrag nicht im Rahmen einer „ordnungsgemäßen Lebensführung“ verbraucht worden sein könnte. Folge: Den ausgleichspflichtigen Beteiligten trifft eine sekundäre Darlegungslast dazu, wie er die Mittel verwendet hat. An die Darlegungslast werden hohe Anforderungen gestellt.

Die rund 15.000 EUR haben sich auf einem Geschäftskonto des M befunden. Hier dürfte nach der Erfahrung einiges dafürsprechen, dass er darlegen und beweisen kann, dass es sich nicht um eine sein Endvermögen erhöhende Verschwendung gehandelt hat. Ausnahme: Es würde sich um Barabhebungen ohne Verwendungsnachweis und in einer Größenordnung handeln, die nach der sonstigen Kontoführung völlig aus dem Rahmen fällt. Insoweit hängt die Lösung von den konkreten Gegebenheiten ab.

Düsseldorfer Tabelle: Bedarfssätze und Selbstbehalt wurden zum 1.1.2020 angehoben

| Am 1.1.2020 sind die Bedarfssätze der Düsseldorfer Tabelle gestiegen. Zudem hat sich erstmals seit 2015 wieder der Selbstbehalt für den Unterhaltspflichtigen erhöht. Neu ist, dass beim Ehegattenunterhalt bezüglich des Selbstbehalts zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen differenziert wird. |

Gegenüber Ansprüchen auf Ehegattenunterhalt bzw. Unterhaltsansprüchen der Mutter oder des Vaters eines nicht ehelichen Kindes beträgt der Selbstbehalt des erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen ab dem 1.1.2020 1.280 EUR und des nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen 1.180 EUR. Die Unterscheidung zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen erfolgt in Anlehnung an (BGH 16.10.19, XII ZB 341/17).

Die einzelnen Änderungen finden Sie auf der Homepage des OLG Düsseldorf unter www.iww.de/s3222.

Aktuelle Gesetzgebung: Masernimpfung wird zur Pflicht

| Die Masernimpfung in Schulen und Kitas wird künftig zur Pflicht: Der Bundesrat hat die vom Bundestag beschlossene gesetzliche Impfpflicht in Gemeinschaftseinrichtungen gebilligt. |

Ab dem 1.3.2020 müssen Eltern nachweisen, dass ihre Kinder gegen Masern geimpft sind, wenn sie sie in einer Kita oder Schule anmelden. Auch für die Aufnahme in anderen Gemeinschaftseinrichtungen wie Heimen oder die Unterbringung in Asylbewerberunterkünften ist die Masernimpfung dann Voraussetzung. Von der Impfpflicht erfasst sind auch Beschäftigte solcher Einrichtungen oder im medizinischen Bereich.

Bei Verstößen gegen die Impfpflicht droht ein Bußgeld bis zu 2.500 EUR. Das Bußgeld kann auch gegen Kindertagesstätten verhängt werden, die nicht geimpfte Kinder zulassen. Nicht geimpftes Personal in Gemeinschaftseinrichtungen oder Bewohner solcher Einrichtungen müssen nach den Neuregelungen ebenfalls mit Bußgeldern rechnen.

Der Bundespräsident muss das Gesetz jetzt noch unterzeichnen. Dann kann es im Bundesgesetzblatt verkündet werden. Es soll zum überwiegenden Teil am 1.3.2020 in Kraft treten.

Quelle | Plenarsitzung des Bundesrats am 20.12.2019

Schadenersatz: Entschädigung wegen rechtswidriger Videoüberwachung am Arbeitsplatz

| Eine Entschädigung wegen nicht rechtmäßiger Videoüberwachung am Arbeitsplatz kommt nur in Betracht, wenn sie zu einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung geführt hat. |

So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern. Ob eine so schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, dass die Zahlung einer Geldentschädigung erforderlich ist, kann nach Ansicht der Richter nur aufgrund der gesamten Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden. Hierbei sind im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung insbesondere die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner der Anlass und die Beweggründe des Handelnden sowie der Grad des Verschuldens zu berücksichtigen. Wichtige Anhaltspunkte für das für die Entschädigung maßgebende erhebliche Ausmaß der Verletzung des Persönlichkeitsrechts ergeben sich aus Art und Ausmaß der Verfehlung der Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes.

Quelle | LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 24.5.2019, 2 Sa 214/18, Abruf-Nr. 211528 unter www.iww.de.

New Work: Kein Arbeitsverhältnis beim Crowdworking

| Eine Vereinbarung eines Crowdworkers mit dem Betreiber einer Internetplattform, die keine Verpflichtung zur Übernahme von Aufträgen enthält, begründet kein Arbeitsverhältnis. |

Zu diesem Ergebnis kam das Landesarbeitsgericht (LAG) München. Es entschied, dass zwischen dem Kläger und dem Betreiber einer Internetplattform kein Arbeitsverhältnis besteht. Der Betreiber führt u. a. Kontrollen der Warenpräsentation im Einzelhandel oder in Tankstellen durch. Diese Aufträge werden dann über eine sogenannte „Crowd“ vergeben. Der Abschluss der streitgegenständlichen Basisvereinbarung berechtigt dazu, über eine App die auf einer Internetplattform angebotenen Aufträge, die in einem selbst gewählten Radius von bis zu 50 km angezeigt werden, zu übernehmen. Bei erfolgter Übernahme ist ein Auftrag regelmäßig innerhalb von zwei Stunden nach bestehenden Vorgaben abzuarbeiten. Im vorliegenden Fall habe weder eine Verpflichtung zur Annahme eines Auftrags, noch umgekehrt eine Verpflichtung für den Auftraggeber, Aufträge anzubieten, bestanden.

Die Basisvereinbarung erfülle die Voraussetzungen schon deswegen nicht, weil sie keinerlei Verpflichtung enthalten, Leistungen zu erbringen. Der Umstand, dass der Kläger tatsächlich einen erheblichen Teil seines Lebensunterhalts durch die Aufträge verdient habe und sich aus verschiedenen Gründen unter Druck gesehen habe, auch in Zukunft Aufträge anzunehmen, führe nach der bestehenden Gesetzeslage nicht dazu, dass er die Schutzvorschriften für Arbeitnehmer beanspruchen könne. Die Basisvereinbarung könne deshalb als bloßer Rahmenvertrag auch per E-Mail wirksam gekündigt werden.

Das LAG entschied nicht, ob durch das Anklicken eines Auftrags ein befristetes Arbeitsverhältnis begründet worden sei. Dies sei irrelevant, da die Unwirksamkeit einer Befristung nur innerhalb einer Frist von drei Wochen geltend gemacht werden könne, was vorliegend nicht der Fall gewesen sei.

Quelle | LAG München, Urteil vom 4.12.2019, 8 Sa 146/19, Abruf-Nr. 212732 unter www.iww.de.

Kündigungsrecht: Fristlose Kündigung der telefonierenden Reinigungskraft

| Unterbricht eine Reinigungskraft in erheblichem Umfang ihre Arbeit, um in den zu reinigenden Büros mit den dort installierten dienstlichen Telefonen privat zu telefonieren und ausgiebig Zeitschriften zu lesen, kann dies eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. |

Hierauf wies das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg hin. Voraussetzung sei allerdings eine einschlägige Abmahnung. Die Arbeitnehmerin sei hier zwar nicht wegen Telefonaten oder Zeitunglesen abgemahnt worden. So eng müsse die Abmahnung aber auch nicht gefasst sein. Sie sei vielmehr in einer vorherigen Abmahnung aufgefordert worden, unmittelbar nach Anmeldung im Zeiterfassungssystem die Arbeit aufzunehmen. Diese Abmahnung behandelt grundsätzlich einen Sachverhalt, in welchem die Arbeitszeit der Arbeitnehmerin bereits lief und diese dennoch noch keine Reinigungsarbeiten vorgenommen hatte. Für die Warnfunktion der Abmahnung genügt, dass die Pflichtverletzungen aus demselben Bereich stammen und der Arbeitnehmer bei gehöriger Sorgfalt erkennen konnte, dass der Arbeitgeber ein neuerlich störendes Fehlverhalten nicht hinnehmen, sondern eventuell mit einer Kündigung reagieren werde .

Mit dieser Abmahnung wurde der Arbeitnehmerin ausreichend deutlich vor Augen geführt, dass die unterbliebene sofortige Aufnahme der Arbeit nach Anmeldung im Zeiterfassungssystem als ein kündigungsrechtlich relevantes Arbeitszeitvergehen gewertet wird. Ein solches liegt auch bei Einstellung der Arbeitstätigkeit während der Arbeitsschicht und zu deren Ende vor. Insoweit macht es für die kündigungsrechtliche Bewertung der Einstellung der Arbeitstätigkeit keinen Unterschied, wann innerhalb der Arbeitsschicht die beanstandete Arbeitsbummelei erfolgte.

Quelle | LAG Nürnberg, Urteil vom 20.2.2019, 4 Sa 349/19, Abruf-Nr. 212557 unter www.iww.de.

Vertragsrecht: Muss eine Partei keine Leistung erbringen, liegt kein Arbeitsvertrag vor

| Eine Vereinbarung, wonach die eine Partei eine Zahlung leisten muss, für die die andere Partei nach ausdrücklicher Vereinbarung gerade keine Leistung erbringen muss, ist kein Austauschvertrag und damit auch kein Dienstvertrag und kein Arbeitsvertrag. |

Diese Klarstellung traf das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf. Schließen die Vertragsparteien den bewusst und gewollt auf die Vereinbarung einer solch einseitigen Leistungsverpflichtung gerichteten Vertrag gleichwohl unter der Bezeichnung „Arbeitsvertrag“ ab, so handelt es sich um ein Scheingeschäft. Dieses ist gemäß § 117 Abs. 1 BGB nichtig.

Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 2.8.2019, 10 Sa 1139/18, Abruf-Nr. 211902 unter www.iww.de.

Gesetzliche Unfallversicherung: Kein bisschen angestaubt: Sicherheitsbeauftragte werden heute genauso gebraucht wie vor 100 Jahren

| Seit über einhundert Jahren gibt es in deutschen Betrieben die „Sicherheitsbeauftragten“, die sich um Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit kümmern. 1919 beschloss der Verband der Deutschen Berufsgenossenschaften in allen größeren Betrieben dieses neue Ehrenamt einzuführen damals hieß es noch Unfallvertrauensmann. |

Hintergrund dieser Neuerung war die hohe Zahl der Arbeitsunfälle in jener Zeit. Das Jahr 1917 brachte einen traurigen Rekord: 7904 tödliche Arbeitsunfälle wurden aus deutschen Betrieben gemeldet so viele wie nie zuvor und danach. Wie konnte die Unfallgefahr gemindert werden? Die bereits bestehenden Kontrollen reichten offenbar nicht aus.

Die Beschäftigten eines Betriebs sollten deshalb eine „Vertrauensperson“ wählen, die „sich von dem Vorhandensein und der ordnungsgemäßen Benutzung der vorgeschriebenen Schutzvorrichtung fortlaufend zu überzeugen, vorgefundene Mängel dem Betriebsleiter zu melden, aufgrund ihrer Erfahrungen und Beobachtungen selbst Vorschläge zur Verbesserung der Schutzvorrichtungen zu machen, auch das Interesse ihrer Arbeitsgenossen für den Unfallschutz zu wecken, sowie den mit der Überwachung betrauten staatlichen oder berufsgenossenschaftlichen Aufsichtsbeamten bei Betriebsbesichtigungen zu begleiten“ (*) habe.

Diese ‚Vertrauensperson‘, die im Betrieb Ansprechpartner ist für alle Fragen von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, gibt es bis heute. Hat ein Unternehmen mehr als 20 Beschäftigte, sind Unternehmerinnen und Unternehmer dazu verpflichtet, Sicherheitsbeauftragte zu bestellen. „Aktuell leisten 670.000 Sicherheitsbeauftragte ihren Beitrag zum Arbeitsschutz in Deutschland“, sagt Dr. Stefan Hussy, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV): „Sie verankern Sicherheit und Gesundheit im Betrieb und sind Seismographen für Probleme oder akut auftretende Gefährdungen. Das macht ihre Arbeit so wertvoll für den Arbeitsschutz. Wir freuen uns deshalb, dass so viele Sicherheitsbeauftragte an unseren Fortbildungen teilnehmen.“

Das Aufgabenspektrum der Sicherheitsbeauftragten hat sich in den letzten 100 Jahren allerdings stark gewandelt so wie die Arbeitswelt selbst. Stand im Jahr 1919 noch die praktische Unfallverhütung im Mittelpunkt, gewinnen heute Fragen von Gesundheitsschutz und der Verhütung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren an Bedeutung. Neben der fachlichen Qualifikation werden methodische und soziale Kompetenzen immer wichtiger. Aus dem Sicherheitsbeauftragten ist ein Beauftragter oder eine Beauftragte für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit geworden.

Geblieben ist bei allem Wandel die besondere Qualität dieses Amtes: Die Sicherheitsbeauftragten sind ansprechbar für Kolleginnen und Kollegen, sie können unmittelbar auf Mängel hinweisen und ihre Ideen für mögliche Verbesserungen einbringen. Für Sicherheit und Gesundheit im Betrieb sind sie auch heute unverzichtbar.

(*) Niederschrift über die Sitzung des Geschäftsführenden Ausschusses des Verbandes der Deutschen Berufsgenossenschaften am 20. Oktober 1919. In: Die Berufsgenossenschaft. Zeitschrift für die Reichs-Unfallversicherung, Ausgabe 1/1920, S. 5

Quelle | Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV)

Erbrecht: Anfechtung der Erbschaft wegen Überschuldung

| Ist die Erbschaft überschuldet, kann dies eine verkehrswesentliche Eigenschaft sein, die zur Anfechtung berechtigen kann. Das gilt allerdings nur, wenn der Irrtum bezüglich der Überschuldung auf falschen Vorstellungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses beruht, also bezüglich des Bestands an Aktiva oder Passiva. |

Hierauf wies das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg hin. Ein solcher Irrtum liegt nach Ansicht der Richter nur vor, wenn der Erbe von der Werthaltigkeit des Nachlasses ausgegangen ist. Daran fehlt es, wenn dem Erben die Möglichkeit der Überschuldung bewusst war, weil er selbst keine genauen Vorstellungen vom Nachlassbestand hatte. Insofern kann derjenige die Annahme der Erbschaft nicht anfechten, der sich eine falsche Vorstellung über die Größe des Nachlasses gemacht hat, ohne dessen Zusammensetzung näher zu kennen. Mit anderen Worten kann sich derjenige nicht auf einen Anfechtungsgrund berufen, der nicht aufgrund einer Bewertung ihm bekannter oder zugänglicher Fakten zu dem Ergebnis gelangt war, die Erbschaft wolle er annehmen oder ausschlagen, sondern seine Entscheidung auf spekulativer  bewusst ungesicherter Grundlage getroffen hat.

Quelle | OLG Brandenburg, Beschluss vom 23.7.2019, 3 W 55/19, Abruf-Nr. 212528 unter www.iww.de.

Haftungsrecht: Ohne Sicherheitsgurt droht ein Mitverschulden

| Wer als Beifahrer den Sicherheitsgurt nicht nutzt, muss sich bei einem vom Fahrer verschuldeten Unfall ein Mitverschulden anrechnen lassen. Die Verschuldensquote richtet sich nach dem jeweiligen Einzelfall. |

Diese Grundsatzentscheidung traf das Oberlandesgericht (OLG) Rostock im Fall eines 16-jährigen Mädchens, die zu zwei Bekannten ins Auto gestiegen war. Nach kurzer Fahrt kam das vom damals 21-jährigen Beklagten geführte Fahrzeug von der Straße ab und kollidierte mit Straßenbäumen. Der Fahrer und das Mädchen erlitten schwere Verletzungen. Der weitere Beifahrer verstarb noch an der Unfallstelle. Das Mädchen erlitt u.a. ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und ist seit dem Unfall schwerbehindert. Sie benötigt eine Betreuung rund um die Uhr und besucht eine Einrichtung zur Förderung von behinderten Menschen. Die Haftpflichtversicherung des Fahrers zahlte ein Schmerzensgeld von 30.000 EUR.

Das Mädchen verlangt vom Fahrer und dessen Haftpflichtversicherung ein weiteres Schmerzensgeld von mindestens 320.000 EUR sowie eine monatliche Schmerzensgeldrente in Höhe von mindestens 500 EUR monatlich sowie den Ersatz ihres Verdienstausfalls.

Das Landgericht hat nach einer Beweisaufnahme festgestellt, dass das Mädchen als Beifahrerin auf der Rückbank des Fahrzeugs beim Unfall nicht angeschnallt war. Hätte sie den Sicherheitsgurt angelegt, hätte sie einen wesentlichen Teil der Verletzungen nicht erlitten. Das Landgericht hat deshalb das bereits gezahlte Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 EUR für ausreichend erachtet und die Klage abgewiesen.

Vor dem OLG ging es insbesondere um die Rechtsfrage, nach welchen Kriterien das Mitverschulden des Mädchens zu bewerten ist.

In seinem Grundsatzurteil stellt das OLG fest, dass die geltend gemachten Ansprüche (Schmerzensgeld, monatliche Schmerzensgeldrente, Verdienstausfall ab dem Unfall bis zum fiktiven Renteneintritt und weiterer Schadensersatz), zu 2/3 berechtigt sind. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen, weil ein Schmerzensgeld von 30.000 EUR die Ansprüche erfüllt hätte. Abweichend vom Landgericht hat das OLG nunmehr entschieden, dass die Mitverursachung nicht danach zu bemessen ist, welche unfallbedingten Verletzungen des Mädchens aus dem nicht angelegten Sicherheitsgurt resultieren. Vielmehr müsse in der Gesamtheit betrachtet werden, wie der Schaden entstanden ist. Dabei müssten alle Umstände abgewogen werden. Um eine so zu bildende Mithaftungsquote müssten die Ansprüche dann gekürzt werden.

Vorliegend hat das OLG die Mitverursachung des Mädchens mit 1/3 bemessen. Der Anteil des Unfallverursachers habe deutlich überwogen. Er habe die zulässige Geschwindigkeit von 80 km/h um mehr als 25 Prozent überschritten und eine Kurve geschnitten.

Durch das Grundurteil besteht die Möglichkeit, im Wege einer Nichtzulassungsbeschwerde ggf. die Überprüfung durch den Bundesgerichtshof herbeizuführen. Da die genauen gesundheitlichen Folgen für die Klägerin und auch ihre Verdienstchancen noch nicht feststehen, wird der Senat weiteren Beweis zu erheben haben. Ein entsprechender Beweisbeschluss, mit dem ein fachärztliches Gutachten beauftragt worden ist, ist ebenfalls verkündet worden.

Quelle | OLG Rostock, Grundurteil vom 25.10.19, 5 U 55/17, Abruf-Nr. 212530 unter www.iww.de.