Marcus Spiralski Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht & Fachanwalt für Familienrecht

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Elterliche Sorge: Wenn die Eltern über Schutzimpfungen des Kindes uneinig sind …

| Die Entscheidung über das Durchführen von Schutzimpfungen für ein gemeinsames Kind kann bei Uneinigkeit der Eltern auf den Elternteil übertragen werden, der seine Haltung an den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) orientiert. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. wies daher die Beschwerde eines Vaters zurück. |

Sachverhalt

Die Eltern eines 2018 geborenen Kindes üben gemeinsam die elterliche Sorge aus. Die Mutter möchte das Kind gemäß den Empfehlungen der STIKO impfen lassen. Der Vater ist damit nicht einverstanden und verlangt eine gerichtliche Prüfung der Impffähigkeit des Kindes. Die Mutter hat deshalb vor dem Amtsgericht (AG) beantragt, ihr die Entscheidungsbefugnis über Standardimpfungen zu übertragen. Diesem Antrag hat das AG stattgegeben.

Kindeswohl im Blick

Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Vaters hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Wenn sich Eltern bei gemeinsamer elterlicher Sorge in einer einzelnen Angelegenheit, die für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen können, kann auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen werden. Die Entscheidung über das Durchführen von Schutzimpfungen sei eine derartige Angelegenheit von erheblicher Bedeutung, stellt das OLG fest. Dabei sei die Entscheidungskompetenz dem Elternteil zu übertragen, „dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird“. Gehe es um eine Angelegenheit der Gesundheitssorge, sei die Entscheidung zugunsten des Elternteils zu treffen, der insoweit das für das Kindeswohl bessere Konzept verfolge.

Empfehlungen der Ständigen Impfkommission ersetzt Gerichtsgutachten

Bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis über Schutzimpfungen auf einen Elternteil könne nach höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich maßgeblich darauf abgestellt werden, „dass ein Elternteil Impfungen offen gegenübersteht und seine Haltung an den Empfehlungen der STIKO orientiert, ohne dass es der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf, wenn im Einzelfall kein Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht“.

Es könne davon ausgegangen werden, „dass eine an den Empfehlungen der STIKO orientierte Entscheidung der Kindesmutter über vorzunehmende Impfungen im Ausgangspunkt das für das Kindeswohl bessere Konzept im Sinne der Rechtsprechung darstellt“, begründet das OLG. Bei der Abwägung zwischen Risiken im Fall einer Impfung und Risiken bei unterbleibender Impfung könne die Entscheidung auf den Elternteil übertragen werden, der den fachlichen Empfehlungen der STIKO folge. Diesen Empfehlungen komme die Funktion eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu.

Da nach den Empfehlungen der STIKO die Impffähigkeit in der konkreten Situation unter Berücksichtigung etwaiger Kontraindikationen ärztlich zu prüfen sei, bedürfe es auch keiner allgemeinen, unabhängig von einer konkreten Impfung vorzunehmenden gerichtlichen Aufklärung der Impffähigkeit des Kindes. Der Sorge des Vaters um die körperliche Unversehrtheit des Kindes im Hinblick auf den Impfvorgang selbst trügen die Empfehlungen der STIKO ebenfalls Rechnung. Für den Impfvorgang werde von der STIKO eine am Kindeswohl orientierte Vorgehensweise mit im Einzelnen dargestellten Handlungsvorschlägen empfohlen. Dass diese Empfehlungen vorliegend unzureichend seien, sei weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Quelle | OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 8.3.2021, 6 UF 3/21, PM Nr. 18/2021 vom 18.3.2021

Erbengemeinschaft: Kunsthistorikerin schuldet hohen Schadenersatz

| Eine Kunsthistorikerin aus Düsseldorf muss 980.000 Euro Schadenersatz an eine Erbengemeinschaft aus Essen zahlen. Dies hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf entschieden. |

Die beklagte Kunsthistorikerin hatte dem Erblasser im Jahr 2009 vier Skulpturen eines spanischen Künstlers für insgesamt 1.000.000 Euro verkauft. Wie das OLG feststellte, handelte es sich dabei jedoch um ungenehmigte Nachgüsse, die lediglich einen (Material-)Wert von 20.000 Euro haben. Im Prozess hatte die Kunstberaterin geltend gemacht, die Skulpturen von ihrem damaligen Ehemann geschenkt bekommen, jedoch jahrelang nicht ausgepackt zu haben und über ihre genaue Herkunft nichts zu wissen. Bei dem damaligen Ehemann handelt es sich um einen später wegen Betruges verurteilten Kunstberater. Der Künstler hatte 22 Originalskulpturen geschaffen, umarbeiten lassen und die hier in Rede stehende Vierergruppe aus dem Originalguss bereits veräußert, als er mit dem Ehemann Abreden zur Verwendung der restlichen Skulpturen traf. Von diesem Gespräch wusste die Kunsthistorikerin.

Nach Auffassung des Gerichts hätte sie Anlass gehabt, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu erkundigen, ob es sich bei den ihr geschenkten Figuren tatsächlich um Originale oder autorisierte Exemplare handelte. Weil sie diese Erkundigungspflicht verletzte und dies nicht offenlegte, muss sie für den Sachmangel der Skulpturen einstehen und der Erbengemeinschaft die Differenz zwischen Kaufpreis und Wert als Schaden ersetzen.

Damit bestätigt das OLG im Wesentlichen ein vorhergehendes Urteil des Landgerichts (LG) Düsseldorf. Dieses richtete sich auch gegen den früheren Ehemann, der jedoch seine Berufung zurückgenommen hat. Das OLG hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen kann die Beklagte eine Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH) einlegen.

Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 2.2.2021, 3 U 22/19, PM Nr. 5/2021

Ehescheidung: Zeitliche Grenze des Anspruchs auf nachehezeitliche Überlassung der Ehewohnung

| Der Bundesgerichtshof (BGH) musste jetzt die Frage beantworten, wie lange nach Rechtskraft der Scheidung ein Ehegatte vom anderen die Überlassung der Ehewohnung verlangen kann, wenn diese im Alleineigentum des anderen Ehegatten steht. |

Die Beteiligten bewohnten während ihrer Ehe gemeinsam eine Wohnung, die im Alleineigentum des Antragstellers steht. Seit der Trennung im Jahr 2014 und auch über die seit Dezember 2015 rechtskräftige Scheidung hinaus nutzt die Antragsgegnerin die Wohnung allein. Die Antragsgegnerin war ursprünglich Alleineigentümerin einer anderen, im selben Haus gelegenen Wohnung, die sie im Jahr 2016 unentgeltlich auf einen Sohn übertrug. Sie zahlt an den Antragsteller weder Miete oder Nutzungsentschädigung noch trägt sie die verbrauchsabhängigen Kosten. Zahlungsaufforderungen des Antragstellers sind ebenso erfolglos geblieben wie sein Herausgabeverlangen. Der Antragsteller hat beim Amtsgericht (AG) einen Räumungs- und Herausgabeantrag gestellt. Diesem hat das AG mit einer Räumungsfrist entsprochen. Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat das Oberlandesgericht (OLG) zurückgewiesen.

Der BGH hat auch die dagegen von der Antragsgegnerin eingelegte Rechtsbeschwerde zurückgewiesen. Zwar ist der aus dem Eigentum folgende Herausgabeanspruch eines Ehegatten auch nach Rechtskraft der Scheidung nicht durchsetzbar, solange das Ehewohnungsverfahren eröffnet ist. Ob es sich (noch) um eine Ehewohnung handelt, ist dabei nach der Situation im Zeitpunkt der Rechtskraft der Ehescheidung zu beurteilen. Das Ehewohnungsverfahren ist jedoch immer eröffnet, wenn es sich bei den Räumen auch während des Getrenntlebens in rechtlicher Hinsicht um die Ehewohnung gehandelt hat.

Diese Sperrwirkung ist im Ergebnis aber zeitlich begrenzt. Denn ein Jahr nach Rechtskraft der Ehescheidung erlöschen nicht nur die Ansprüche auf Eintritt in ein Mietverhältnis oder auf seine Begründung, sondern auch diejenigen auf Überlassung der Ehewohnung, wenn sie nicht vorher rechtshängig gemacht worden sind.

Im Fall des BGH war die Jahresfrist längst abgelaufen, ohne dass die Antragsgegnerin Ansprüche auf Überlassung der Ehewohnung gerichtlich geltend gemacht hat. Da ihr auch nicht aus anderen Gründen, etwa einer sonstigen Vereinbarung zwischen den Beteiligten, ein Recht zum Besitz an der Wohnung zusteht, war sie verpflichtet, die Wohnung herauszugeben.

Quelle | BGH, Beschluss vom 10.3.2021, XII ZB 243/20, PM Nr. 51/21

Schadenminderungspflicht: Überangebot bei nahezu zeitgleichem Verkauf verspätet

| Bereits vor etwa elf Jahren hatte der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden: Ein von der gegnerischen Versicherung übermitteltes höheres Restwertangebot („Überangebot“) ist zu berücksichtigen, falls das unfallbeschädigte Fahrzeug bis dahin noch nicht zum Restwert aus dem vom Geschädigten eingeholten Gutachten verkauft wurde. Nun stellt das Amtsgericht (AG) Lübeck klar: Geht ein Restwert-Überangebot des Versicherers ein, ist es möglich, dass sich dieses mit dem Verkauf des verunfallten Fahrzeugs zum gutachterlich ermittelten Wert überschneidet. Der Geschädigte verstößt dann nicht gegen die Schadenminderungspflicht, wenn er zum niedrigeren Betrag verkauft. |

Im Fall des AG ging das Überangebot per Mail um 10:30 Uhr beim Anwalt des Geschädigten ein. Am gleichen Tag um 11:04 Uhr schickte der Geschädigte den Nachweis an die Kanzlei, dass er das unfallbeschädigte Fahrzeug kurz zuvor verkauft hatte.

Der eintrittspflichtige Versicherer meinte, das Überangebot habe vor dem Verkauf vorgelegen. Denn es komme darauf an, wann es beim Anwalt eingeht. Schließlich sei der Anwalt der Vertreter des Geschädigten. Davon abweichend könne man sich den Fall ja auch so denken, dass der Geschädigte nach der Arbeit zu seinem Händler fährt und verkauft, aber ein Überangebot seit ein paar Stunden bei ihm im Briefkasten liegt.

Das sah das AG anders. Denn nach der Verkehrsanschauung könne auch vom Anwalt nicht erwartet werden, dass er von einer E-Mail unmittelbar nach dem Eingang Kenntnis erlangt.

Quelle | AG Lübeck, Hinweisbeschluss vom 10.2.2021, 27 C 2389/20, Abruf-Nr. 220570 unter www.iww.de

Fortbildungskosten: Eigenkündigung: Hinweis auf offene Kosten ist kein selbstständiges Schuldversprechen

| Die im Kündigungsschreiben des Arbeitnehmers geäußerte Bitte, eine Rechnung über Fortbildungskosten zu erstellen, die der Arbeitgeber verauslagt hat, stellt ohne Hinzutreten weiterer Umstände kein selbstständiges Schuldversprechen oder abstraktes Schuldanerkenntnis dar. Hierauf wies das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hin. Das gelte auch, wenn der Arbeitnehmer gleichzeitig erklärt, es sei ihm bewusst, dass durch die Weiterbildung und die Vertragsvereinbarung noch Kosten offen seien. |

Was war geschehen? Der Arbeitgeber hatte den Arbeitnehmer zu einer Fortbildung angemeldet, die dieser auch wahrnahm. Der Arbeitgeber trug die Kosten. Beide hatten jedoch u. a. vereinbart, dass der Arbeitnehmer, sollte er das Arbeitsverhältnis (hier: innerhalb von 24 Monaten) kündigen, die Fortbildungskosten (anteilig) zurückerstatten müsse. Das klagte der Arbeitgeber nun ein vergeblich.

Das LAG: Ist der Arbeitnehmer aus personenbedingten Gründen bis zum Ablauf der Bleibefrist nicht mehr in der Lage, seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachzukommen, hat er es auch nicht mehr in der Hand, den berechtigten Erwartungen des Arbeitgebers zu entsprechen, die in die Fortbildung getätigten Investitionen nutzen zu können. Ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer trotzdem an das Arbeitsverhältnis zu binden, lässt sich nicht an seinem Interesse an einer möglichst langfristigen Nutzung der einmal getätigten Investition festmachen.

Eine Rückzahlungsklausel in einer Fortbildungsvereinbarung muss, um nicht unangemessen benachteiligend zu sein, deshalb u.a. vorsehen, dass die Rückzahlungsverpflichtung entfällt, wenn das Arbeitsverhältnis aus nicht vom Arbeitnehmer zu vertretenden personenbedingten Gründen, die bis zum Ablauf der Bleibedauer anhalten, vom Arbeitnehmer durch Ausspruch einer Kündigung oder aufgrund einer aus diesen Gründen geschlossenen Auflösungsvereinbarung beendet wird. Das war hier nicht der Fall. Der Arbeitnehmer musste daher nicht zahlen.

Quelle | LAG Hamm, Urteil vom 29.1.2021, 1 Sa 954/20, Abruf-Nr. 220828 unter www.iww.de

Wachpolizisten: Vergütung von Umkleide-, Rüst- und Wegezeiten

| Das An- und Ablegen einer auf Weisung des Arbeitgebers während der Tätigkeit als Wachpolizist zu tragenden Uniform und persönlichen Schutzausrüstung nebst Dienstwaffe ist keine zu vergütende Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer die dienstlich zur Verfügung gestellten Umkleide- und Aufbewahrungsmöglichkeiten nicht nutzt, sondern sich im privaten Bereich umkleidet und rüstet. Das hat jetzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt. |

Das Landesarbeitsgericht (LAG) hatte den Klagen von zwei beim beklagten Land angestellten Wachpolizisten im Zentralen Objektschutz zum Teil stattgegeben und Vergütung für die Umkleidezeiten zugesprochen. Die auf vollständige Vergütung der Wegezeiten gerichteten Klagen wurden dagegen im Wesentlichen abgewiesen. Nur soweit der eine Kläger einen Umweg von seiner Wohnung zur Arbeitsstätte zurückzulegen hatte, stellte das LAG die Vergütungspflicht fest.

Die Revisionen der Kläger hatten vor dem BAG keinen, die Revisionen des beklagen Landes nur zum Teil Erfolg: Das Umkleiden und Rüsten mit einer besonders auffälligen Dienstkleidung, persönlichen Schutzausrüstung und Dienstwaffe ist keine zu vergütende Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer eine dienstlich zur Verfügung gestellte Umkleide- und Aufbewahrungsmöglichkeit nicht nutzt, sondern für die Verrichtung dieser Tätigkeiten seinen privaten Wohnbereich wählt. Ebenfalls nicht vergütungspflichtig ist die für das Zurücklegen des Wegs zur Arbeit von der Wohnung zum Einsatzort und zurück aufgewandte Zeit, denn der Arbeitsweg zählt zur privaten Lebensführung.

Dagegen ist die für einen Umweg zum Aufsuchen des dienstlichen Waffenschließfachs erforderliche Zeit zu vergüten. Es handelt sich um eine fremdnützige Zusammenhangstätigkeit.

Quelle | BAG, Urteil vom 31.3.2021, 5 AZR 292/20, PM Nr. 7/21

Aufsichtspflichtverletzung: Dreijähriges Kind von Pferd getreten: Haften die Eltern?

| Beim Besuch eines Reitturniers müssen Eltern ihr drei Jahre altes Kleinkind so beaufsichtigen, dass es nicht aus dem Blick gelassen wird und ggf. sofort an die Hand genommen werden kann. Erst ab einem Alter von vier Jahren gibt es einen Freiraum, wobei aber eine regelmäßige Kontrolle in kurzen Zeitabständen für erforderlich gehalten wird. Das entschied jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Fall, in dem ein kleines Kind in einen Pferdetransporter geklettert und vom Huf eines Pferdes am Kopf getroffen worden war. |

Der BGH: Eltern müssen bei der Ausübung der elterlichen Sorge dem Kind gegenüber zwar nur für die Sorgfalt einstehen, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen. Für grobe Fahrlässigkeit haften sie aber stets. Der Umfang der Aufsicht über Minderjährige bestimmt sich nach deren Alter, Eigenart und Charakter. Die Grenze richtet sich danach, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen in der konkreten Situation tun müssen, um Schädigungen zu verhindern.

Bei einem Reitturnier darf Kindern ohne ausreichendes Gefahren- und Verantwortungsbewusstsein kein Freiraum gewährt werden, der es ihnen ermöglicht, in einen Pferdetransporter oder -anhänger von Turnierteilnehmern zu gelangen. Klettert ein nicht beaufsichtigtes dreijähriges Kind in einen Pferdetransporter und wird dort von einem Pferd getreten, haften Eltern und Pferdehalter als Gesamtschuldner, d.h. gemeinsam. Im Innenverhältnis, also zwischen Eltern und Pferdehalter, hafteten die Eltern in diesem Fall allein. Denn die Pferdehalter durften sich auf eine hinreichende Beaufsichtigung von Kindern verlassen.

Quelle | BGH, Urteil vom 19.1.2021, VI ZR 210/18, Abruf-Nr. 220534 unter www.iww.de

Unfallkosten: Geschädigter darf trotz Reparatur fiktiv abrechnen

| Wer trotz durchgeführter Reparatur fiktiv abrechnen möchte, muss die tatsächlich aufgewendeten Reparaturkosten nicht offenlegen. Das bestätigte das Oberlandesgericht (OLG) München. |

Der Versicherer hatte eine „Fantasiezahl“ (5.000 Euro statt rund 9.400 Euro laut Sachverständigengutachten) in den Raum gestellt und entsprechend abgerechnet. So wollte er den Geschädigten dazu zwingen, die aufgewendeten Kosten offenzulegen. Das ist ihm nicht gelungen. Denn müsste der Versicherer lediglich irgendeinen Betrag in den Raum stellen, um den Kläger im praktischen Ergebnis zur Vorlage der Reparaturkostenrechnung zu zwingen, sei dies mit der Wahlmöglichkeit des Geschädigten zwischen einer Abrechnung auf der Grundlage tatsächlicher oder fiktiver Reparaturkosten unvereinbar, so das OLG.

Quelle | OLG München, Urteil vom 17.12.2020, 24 U 4397/20, Abruf-Nr. 220407 unter www.iww.de

Corona-Pandemie: „Kurzarbeit Null“ kürzt den Urlaub

| Das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf hat sich vor Kurzem ausführlich mit der Auswirkung von Kurzarbeit auf Urlaubsansprüche der betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen befasst. |

Sachverhalt

Die Klägerin ist seit dem 1.3.2011 als Verkaufshilfe mit Backtätigkeiten bei der Beklagten, einem Betrieb der Systemgastronomie, beschäftigt. Sie ist in einer Drei-Tage-Woche teilzeittätig. Vereinbarungsgemäß stehen ihr pro Jahr 28 Werktage bzw. umgerechnet 14 Arbeitstage Urlaub zu. Seit dem 1.4.2020 galt für die Klägerin infolge der Corona-Pandemie von April bis Dezember wiederholt „Kurzarbeit Null“, d. h. der Arbeitsausfall betrug 100 Prozent. In den Monaten Juni, Juli und Oktober 2020 bestand diese durchgehend. Im August und September 2020 hatte die Beklagte ihr insgesamt 11,5 Arbeitstage Urlaub gewährt.

So argumentiert die Arbeitnehmerin

Die Klägerin ist der Ansicht, die Kurzarbeit habe keinen Einfluss auf ihre Urlaubsansprüche. Konjunkturbedingte Kurzarbeit erfolge nicht auf Wunsch des Arbeitnehmers, sondern im Interesse der Arbeitgeberin. Kurzarbeit sei auch keine Freizeit. So unterliege sie während der Kurzarbeit Meldepflichten. Auch könne die Arbeitgeberin die Kurzarbeit kurzfristig vorzeitig beenden, weswegen es an einer Planbarkeit der freien Zeit fehle. Sie begehrt deshalb die Feststellung, dass ihr für das Jahr 2020 der ungekürzte Urlaub von 14 Arbeitstagen zustehe, d.h. noch 2,5 Arbeitstage.

So argumentiert die Arbeitgeberin

Dem trat die Arbeitgeberin entgegen. Mangels Arbeitspflicht während der „Kurzarbeit Null“ entstünden keine Urlaubsansprüche. Sie habe deshalb den Urlaubsanspruch der Klägerin für 2020 bereits vollständig erfüllt.

Das stellt das Landesarbeitsgericht fest

Das LAG Düsseldorf hat die Klage abgewiesen. Das LAG: Aufgrund der „Kurzarbeit Null“ in den Monaten Juni, Juli und Oktober 2020 hat die Klägerin in diesem Zeitraum keine Urlaubsansprüche erworben. Der Jahresurlaub 2020 steht ihr deshalb nur anteilig im gekürzten Umfang zu. Für jeden vollen Monat der „Kurzarbeit Null“ war der Urlaub um 1/12 zu kürzen, was sogar eine Kürzung um 3,5 Arbeitstage ergeben würde. Im Hinblick darauf, dass der Erholungsurlaub bezweckt, sich zu erholen, setzt dies eine Verpflichtung zur Tätigkeit voraus.

Kurzarbeit kürzt Urlaubsanspruch

Da während der Kurzarbeit die beiderseitigen Leistungspflichten aufgehoben sind, werden Kurzarbeiter wie vorübergehend teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer behandelt, deren Erholungsurlaub ebenfalls anteilig zu kürzen ist. Dies entspricht dem Europäischen Recht, weil nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) während „Kurzarbeit Null“ der europäische Mindesturlaubsanspruch nicht entsteht. Das deutsche Recht enthält dazu keine günstigere Regelung. Weder existiert diesbezüglich eine spezielle Regelung für Kurzarbeit noch ergibt sich etwas anderes aus den Vorschriften des Bundesurlaubsgesetzes. Insbesondere ist „Kurzarbeit Null“ nicht mit Arbeitsunfähigkeit zu vergleichen. An alledem hat der Umstand nichts geändert, dass die Kurzarbeit der Klägerin durch die Corona-Pandemie veranlasst ist.

Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 12.3.2021, 6 Sa 824/20 PM Nr. 5/21

Fristlose Kündigung: Im laufenden Prozess eigenmächtig Urlaub genommen

| Tritt ein Arbeitnehmer während eines laufenden Kündigungsschutzverfahrens eigenmächtig Urlaub an, rechtfertigt dies eine fristlose Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung. Zu diesem Ergebnis kam das Landearbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg. |

Ein eigenmächtiger Urlaubsantritt sei an sich geeignet, einen wichtigen Grund im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 626 Abs. 1 BGB) zu bilden. Dies gelte auch, wenn der eigenmächtige Urlaubsantritt nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist einer unwirksamen Kündigung während einer Prozessbeschäftigung erfolgt sei. Dabei sei es unerheblich, ob sich bei Auslegung der Erklärungen der Parteien zur Prozessbeschäftigung ergebe, dass eine auflösend bedingte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses oder eine Beschäftigung zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung vereinbart worden sei. Einer Abmahnung bedürfe es regelmäßig nicht. Kein Arbeitnehmer könne erwarten, dass der Arbeitgeber einen eigenmächtigen Urlaubsantritt billige.

Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 1.10.2020, 17 Sa 1/20, Abruf-Nr. 218921 unter www.iww.de