Marcus Spiralski Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht & Fachanwalt für Familienrecht

Urteilskategorie

Urteilsarchiv

Private Internetnutzung: Kündigung möglich

| Die private Nutzung von Internet und E-Mail am Dienst-PC während der Arbeitszeit trotz eines entsprechenden Verbots rechtfertigt eine fristlose Kündigung, wenn der Arbeitnehmer sowohl an mehreren Tagen durchgehend und als auch über Monate hinweg regelmäßig Internetadressen (URL) aufgerufen und E-Mails zu privaten Zwecken geschrieben hat. Hierauf wies jetzt das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln hin. |

Dies gilt nach dem LAG umso mehr, wenn zwischen den einzelnen URL-Aufrufen ein Zeitraum von weniger als ein bis zwei Minuten liegt, denn dazwischen kann keine Arbeitsleistung erbracht worden sein.

Quelle | LAG Köln, Urteil vom 7.2.2020, 4 Sa 329/19, Abruf-Nr. 224488 unter www.iww.de

Testament auf Werbezetteln: Ist der Testierwille dann ernst gemeint?

| Hin und wieder werden Testamente auf unüblichen Unterlagen angefertigt. Ist dann ein ernsthafter Testierwille gegeben? Das ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. In einem aktuellen Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm war dies schwierig. |

Was war geschehen?

Der Erblasser hatte seinen letzten Willen auf insgesamt fünf mit einem Bleistift handschriftlich beschriebenen Papieren im DIN A4-Format niedergelegt, wobei es sich bei vier dieser Papiere jeweils um die Rückseite von mit Werbung für Kurse einer Schule bedruckten Zetteln handelte. Unter anderem hatten die Papiere folgenden Inhalt: Ein nicht unterschriebenes Schriftstück enthielt z. B. in der Kopfzeile die Aufschrift „Mein Testament S 50!! für Dummies“. Dann findet sich der Satz „Hiermit möchte ich … mein bisheriges Testament vom 20.7.2009 vom Notar … abgefasst für ungültig erklären und hebe hiermit vorsorglich alle bisherigen von mir errichteten Verfügungen von Todes wegen in vollem Umfang auf.“

Das sagte das Oberlandesgericht

Ein Testament ist nur wirksam, wenn der Erblasser einen ernstlichen Testierwillen bei seiner Errichtung hatte. Dabei sind, sofern die Form des Schriftstücks nicht den für Testamente üblichen Gepflogenheiten entspricht, an den Nachweis des Testierwillens strenge Anforderungen zu stellen. Können nach der so vorzunehmenden Auslegung die Zweifel nicht ausgeräumt werden, liegt kein gültiges Testament vor, da hierfür der ernstliche Testierwille außer Zweifel stehen muss. Bei solchen Zweifeln ist stets zu prüfen, ob es sich nicht lediglich um einen Testamentsentwurf handelt.

Auch wenn die Errichtung dieses Schriftstücks auf der Rückseite eines Werbezettels einer Schule nicht grundsätzlich einem ernstlichen Testierwillen entgegensteht, begründet doch die Verwendung dieser für Testamente unüblichen Schreibunterlage Anlass zu Zweifeln an einem ernstlichen Testierwillen. Diese Zweifel sieht das OLG noch verstärkt dadurch, dass der Erblasser den Text durch mit Bleistift geschrieben hat, wodurch eine dauerhafte Beständigkeit des Textes nicht sichergestellt ist. Des Weiteren enthält der Text zu Beginn und am Ende ausdrücklich Auslassungen, indem jeweils hinter der Ortsangabe durch vier Punkte gekennzeichnet worden ist, dass hier noch Eintragungen des Datums erfolgen sollten. Auch weitere Umstände sprachen dafür, dass an einigen Stellen nach der Vorstellung des Erblassers Ergänzungen, etwa die Anschrift des Bedachten, erforderlich waren.

Quelle | OLG Hamm, Beschluss vom 15.6.2021, 10 W 18/21

Betriebsratstätigkeit: Dreh- und rollbare Bürostühle mit Armlehnen: Für Betriebsratssitzungen erforderlich?

| Ein Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, dem Betriebsrat dreh- und rollbare Bürostühle mit Armlehnen für Betriebsratssitzungen zur Verfügung zu stellen. So sieht es das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz. |

Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat für die Sitzungen, die Sprechstunden und die laufende Geschäftsführung in erforderlichem Umfang u. a. sachliche Mittel zur Verfügung zu stellen. Hierzu gehören auch Stühle in ausreichender Anzahl.

Den Anspruch auf die erforderliche Bestuhlung des Sitzungsraums hatte der Arbeitgeber im Fall des LAG erfüllt, indem er dem Betriebsrat drei dreh- und rollbare Bürostühle sowie sechs Freischwinger zur Verfügung gestellt habe. Mit diesen Freischwingern seien die Besprechungsräume des Arbeitgebers bestuhlt; sie entsprächen dem betriebsüblichen Standard und Ausstattungsniveau.

Der Betriebsrat habe seinen Beurteilungsspielraum überschritten, weil er aus Gründen des Gesundheitsschutzes die Ausstattung des Sitzungsraums mit weiteren Bürodrehstühlen mit Rollen und Armlehnen für erforderlich gehalten habe. Bei mehrstündigem Dauersitzen sei kein einleuchtender Grund dafür erkennbar, weshalb der aktive Wechsel der Sitzposition oder das Verrücken der Stühle zu gesundheitlichen oder sonstigen Belastungen der Betriebsrat-Mitglieder führen sollten.

Quelle | LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 13.8.2020, 5 TaBV 25/19, Abruf-Nr. 218488 unter www.iww.de

Autokauf: Verschweigen der Reimporteigenschaft eines Fahrzeugs

| Unterlässt der Verkäufer den Hinweis auf die Reimporteigenschaft eines Fahrzeugs, täuscht er den Käufer nicht arglistig. Ausnahme: Der Käufer hat ausdrücklich danach gefragt. So entschied es jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken. Bemerkenswert: Es gab damit seine frühere Rechtsprechung auf. |

Was war geschehen?

Die Klägerin hatte einen gebrauchten Pkw der Marke Porsche von einem privaten Verkäufer gekauft. Im schriftlichen Kaufvertrag wurde die Haftung des Verkäufers für Sachmängel ausgeschlossen. Kurze Zeit nach dem Kauf des Fahrzeugs stellte sich heraus, dass es sich bei dem Porsche um ein Reimportfahrzeug handelte.

Die Käuferin fühlte sich vom Verkäufer getäuscht. Sie erklärte die Anfechtung des Kaufvertrags. Begründung: Das Fahrzeug sei aufgrund seiner Reimporteigenschaft weniger wert.

Der Verkäufer weigerte sich, der Käuferin den Kaufpreis zurückzuerstatten. Diese klagte nun auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.

So sah es die Vorinstanz

Das Landgericht (LG) hatte in der ersten Instanz die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung scheide aufgrund des fehlenden Hinweises auf die Reimporteigenschaft des Fahrzeugs aus. Die Käuferin habe nämlich beim Verkaufsgespräch nicht explizit darauf hingewiesen, dass sie kein Reimportfahrzeug haben wolle.

So sah es das Oberlandesgericht

Das OLG Zweibrücken hat das Urteil des LG bestätigt. Es argumentiert, dass man aufgrund des geänderten Marktverhaltens beim Autokauf nicht mehr generell davon ausgehen könne, dass sich die Reimporteigenschaft eines Fahrzeuges stets mindernd auf den Verkehrswert des Fahrzeugs auswirke. Insbesondere bei älteren Gebrauchtwagen könne dies nicht angenommen werden. Der fehlende Hinweis des Verkäufers rechtfertige daher keine Anfechtung des Kaufvertrags.

Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.1.2021, 8 U 85/17, Abruf-Nr. 223721 unter www.iww.de

Betrugsvorwurf: Wer Abrechnungen fälscht, um Kreditgeber zu täuschen, muss mit Kündigung rechnen

| Die Manipulation von auf das Arbeitsverhältnis bezogenen Dokumenten und deren Verwendung zu betrügerischen Zwecken (Täuschung eines Kreditgebers) kann die persönliche Eignung des Arbeitnehmers für die ihm übertragenen Aufgaben infrage stellen, wenn im Rahmen einer kaufmännischen Tätigkeit gerade die Vertragsanbahnung zu den Arbeitsaufgaben gehört. So entschied es nun das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm. |

Die Richter stellten dabei klar, dass das Herstellen verfälschter Abrechnungen (hier: Gehaltsabrechnungen) und deren Verwendung im Rechtsverkehr (hier: als Nachweis zum Erhalt eines Hypothekendarlehens) zugleich die gegenüber dem Arbeitgeber begründete Rücksichtnahmepflicht verletzt. Ein derartiges Verhalten kann unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.

Quelle | LAG Hamm, Urteil vom 19.8.2021, 8 Sa 1671/19, Abruf-Nr. 224695 unter www.iww.de

Nutzungsausfall: Rechtfertigen 18 Kilometer am Tag zu Pandemiebeginn einen Mietwagen?

| Ja. Das Amtsgericht (AG) Braunschweig hat jetzt die Verweisung des Geschädigten mit niedrigem Fahrbedarf auf Bus und Bahn unter den Corona-Verhältnissen für unzumutbar gehalten. Es genügen nach seiner Entscheidung ca. 18 km pro Tag, um die Mietwagennutzung zu rechtfertigen. |

Ebenso haben bereits kürzlich die AG Duisburg Hamborn und Kassel entschieden.

Quelle | AG Braunschweig, Urteil vom 17.6.2021, 111 C 2148/20, Abruf-Nr. 224497 unter www.iww.de; AG Duisburg-Hamborn, Urteil vom 15.6.2021, 9 C 108/21, Abruf-Nr. 223183 unter www.iww.de; AG Kassel, Urteil vom 28.4.2021, 421 C 3709/21, Abruf-Nr. 223758 unter www.iww.de

Aktuelle Gesetzgebung: Neuer Bußgeldkatalog zum 9.11.2021

| Am 9.11.2021 ist der neue Bußgeldkatalog in Kraft getreten. Er beinhaltet zum Teil deutlich höhere Geldbußen als bisher. Hier ein Auszug der wichtigsten Änderungen. |

1. Parken und Halten

Verbotswidriges Parken auf Geh- und Radwegen sowie das jetzt verbotene Halten auf Schutzstreifen und das Parken und Halten in zweiter Reihe ist teurer geworden. Verstöße kosten bis zu 110 Euro. Bei schwereren Verstößen kann darüber hinaus ein Punkt im Fahreignungsregister („Flensburg“) eingetragen werden.

Darüber hinaus sind für das unberechtigte Parken auf einem Schwerbehinderten-Parkplatz Geldbußen von 55 Euro vorgesehen. Ebenfalls für das unberechtigte Parken auf einem Parkplatz für elektrisch betriebene Fahrzeuge oder einem Parkplatz für Carsharing-Fahrzeuge werden 55 Euro fällig. Für das rechtswidrige Parken an engen oder unübersichtlichen Straßenstellen bzw. im Bereich einer scharfen Kurve sieht der neue Bußgeldkatalog eine Geldbuße von 35 Euro vor.

Für einen allgemeinen Halt- und Parkverstoß werden jetzt bis zu 25 Euro fällig.

2. Rettungsgasse

Die unerlaubte Nutzung einer Rettungsgasse wird jetzt genauso verfolgt und geahndet wie das Nichtbilden einer Rettungsgasse. Es drohen Bußgelder zwischen 200 und 320 Euro sowie ein Monat Fahrverbot. Als Folge dieser Sanktionen ist die Eintragung von zwei Punkten im Fahreignungsregister vorgesehen.

3. Sonstige Regelverstöße

Die vorschriftswidrige Nutzung von Gehwegen, linksseitig angelegten Radwegen und Seitenstreifen durch Fahrzeuge wird nun mit bis zu 100 Euro Geldbuße geahndet.

Für das sogenannte Auto-Posing (Verursachen von unnötigem Lärm und einer vermeidbaren Abgasbelästigung sowie unnützes Hin- und Herfahren) sind Bußgelder bis zu 100 Euro vorgesehen.

Für rechtsabbiegende Kraftfahrzeuge über 3,5 t ist innerorts Schrittgeschwindigkeit (4 bis 7, max. 11 km/h) vorgeschrieben. Verstöße hiergegen können nun mit einem Bußgeld in Höhe von 70 Euro sanktioniert werden. Außerdem wird ein Punkt im Fahreignungsregister eingetragen.

4. Geschwindigkeitsverstöße

Für normale Pkw bis 3,5 t gelten bei Geschwindigkeitsüberschreitungen künftig folgende Geldbußen:

  • Überschreitung bis 10 km/h: 30 Euro innerorts / 20 Euro außerorts
  • Überschreitung 11 bis 15 km/h: 50 Euro innerorts / 40 Euro außerorts
  • Überschreitung 16 bis 20 km/h: 70 Euro innerorts / 60 Euro außerorts
  • Überschreitung 21 bis 25 km/h: 115 Euro innerorts / 100 Euro außerorts
  • Überschreitung 26 bis 30 km/h: 180 Euro innerorts / 150 Euro außerorts
  • Überschreitung 31 bis 40 km/h: 260 Euro innerorts / 200 Euro außerorts
  • Überschreitung 41 bis 50 km/h: 400 Euro innerorts / 320 Euro außerorts
  • Überschreitung 51 bis 60 km/h: 560 Euro innerorts / 480 Euro außerorts
  • Überschreitung 61 bis 70 km/h: 700 Euro innerorts / 600 Euro außerorts
  • Überschreitung über 70 km/h: 800 Euro innerorts / 700 Euro außerorts

Für Pkw mit Anhänger und Fahrzeuge, die schwerer als 3,5 Tonnen sind, sowie Fahrzeuge mit gefährlichen Gütern oder Passagierbusse gelten andere Geldbußen.

Quelle | Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Informationen zum neuen Bußgeldkatalog vom 21.10.2021, siehe auch online www.iww.de/s5645

„Freie Mitarbeiter“ in einer Physiotherapiepraxis: Eingliederung in Praxisorganisation: abhängig beschäftigt ohne eigenes Unternehmerrisiko

| Physiotherapeuten, die als „freie Mitarbeiter“ in einer physiotherapeutischen Praxis arbeiten, sind abhängig beschäftigt, wenn sie in die Organisation der Praxis eingegliedert sind und kein Unternehmerrisiko tragen. Dies entschied jetzt das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg und hob ein anderslautendes Urteil des Sozialgerichts (SG) Mannheim auf. |

Sachverhalt

Ein Physiotherapeut mit eigener privater Praxis war von Mai 2017 bis Mitte 2019 zusätzlich in einer physiotherapeutischen Gemeinschaftspraxis tätig. Mit deren Inhaber hatte er einen Vertrag als „freier Mitarbeiter“ geschlossen. Die durchgeführten Behandlungen wurden über das Abrechnungssystem der Praxisinhaber abgerechnet, die 30 % des jeweiligen Abrechnungsbetrags erhielten. Die Gemeinschaftspraxis verfügt über sechs Behandlungsräume mit einer entsprechenden Ausstattung, wie Behandlungsliegen, Trainingsgeräten etc. Besondere Behandlungsarten, wie bspw. Heißluft- oder Schlingentischbehandlungen werden nur in bestimmten Behandlungsräumen durchgeführt. Im streitigen Zeitraum waren in der Gemeinschaftspraxis neben den beiden Inhabern und dem Physiotherapeuten weitere vier bzw. fünf Physiotherapeuten als sog. „freie Mitarbeiter“ tätig. Rezeptionsmitarbeiter wurden keine beschäftigt. Bei der Verteilung der Patienten auf die jeweiligen Physiotherapeuten wurde zunächst einem etwaigen Wunsch nach einem bestimmten Therapeuten Rechnung getragen. Im Übrigen überprüften die Praxisinhaber, ob sie die Behandlung je nach Kapazität persönlich übernehmen konnten. War dies nicht der Fall, wurden die Behandlungen den entsprechenden „freien Mitarbeitern“, abhängig von deren freier Zeitkapazität, angeboten. Entschied sich ein Physiotherapeut, eine bestimmte Behandlung zu übernehmen, setzte er sich unmittelbar mit dem Patienten in Verbindung und vereinbarte mit diesem einen konkreten Behandlungstermin.

Antrag der Deutschen Rentenversicherung

Die Deutsche Rentenversicherung stellte auf Antrag des Physiotherapeuten im November 2017 fest, dass dieser abhängig beschäftigt und sozialversicherungspflichtig sei. Hiergegen klagten sowohl die Praxisinhaber als auch der Physiotherapeut vor dem SG. Sie führten an, dass der Physiotherapeut nicht weisungsgebunden gewesen sei und seine Arbeitszeiten selbst habe bestimmen können.

Sozialgericht: Merkmale für selbstständige Tätigkeit

Das SG stellte fest, dass der Physiotherapeut in seiner Tätigkeit bei der Gemeinschaftspraxis nicht im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung tätig geworden sei. Die für eine selbstständige Tätigkeit sprechenden Merkmale überwögen, weil der Physiotherapeut seine Arbeitszeit habe selbst bestimmen und ihm angebotene Behandlungen von Patienten auch ohne Angabe von Gründen habe ablehnen können.

Landessozialgericht: Eingliederung in Organisationsstruktur maßgeblich

Das LSG gab nun der Rentenversicherung Recht: Zwar könnten auch Physiotherapeuten ihre Leistungen im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit erbringen. Maßgeblich sei aber die konkrete Ausgestaltung und die Eingliederung in die Organisationsstruktur und Arbeitsabläufe der Gemeinschaftspraxis. So habe der Physiotherapeut hier im Rahmen seiner Tätigkeit im Wesentlichen nur solche Patienten behandelt, deren Behandlung ihm seitens der Inhaber der Gemeinschaftspraxis angetragen wurden. Zudem habe er die in der Praxis vorgehaltene Ausstattung (spezielle Behandlungsräume, Telefonanlage zur Vereinbarung von Terminen mit den Patienten, EDV-Ausstattung mit elektronisch geführter Terminplanung) genutzt. Über eigene Behandlungsräume, die er jederzeit ohne Abstimmung mit anderen in der Praxis tätigen Physiotherapeuten hätte in Anspruch nehmen können, habe der Physiotherapeut hier in der Gemeinschaftspraxis nicht verfügt.

Zudem sei der Physiotherapeut nicht werbend aufgetreten und weder auf dem Praxisschild der Gemeinschaftspraxis als Erbringer von physiotherapeutischen Leistungen aufgeführt noch im Internetauftritt der Gemeinschaftspraxis als solcher namentlich genannt. Darüber hinaus sei die Abrechnung der von ihm durchgeführten Behandlungen mit den Krankenkassen bzw. die Rechnungsstellung gegenüber den Privatpatienten durch die Inhaber der Gemeinschaftspraxis über das von ihr vorgehaltene Abrechnungssystem erfolgt.

Kein unternehmerisches Risiko

Der Physiotherapeut habe auch kein nennenswertes Unternehmerrisiko getragen. So habe er weder eigenes Kapital noch die eigene Arbeitskraft mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt. Seine Tätigkeit habe keine relevanten Betriebsmittel erfordert. Er habe für die erbrachten Behandlungsleistungen eine Vergütung in Höhe von 70 % der von der Gemeinschaftspraxis abgerechneten Vergütungen mit den gesetzlichen Krankenkassen und der Privatpatienten erhalten. Das Risiko, nicht wie gewünscht arbeiten zu können, weil Behandlungsmöglichkeiten anderweitig vergeben wurden, stelle kein Unternehmerrisiko dar, sondern eines, das auch jeden Arbeitnehmer treffe, der nur Zeitverträge bekomme oder auf Abruf arbeite und nach Stunden bezahlt werde.

Für seine Tätigkeit habe der Physiotherapeut zudem lediglich eine tragbare Liege und Kinesiotape und damit keine nennenswerten Betriebsmittel eingesetzt. Die Kosten für den Unterhalt seines Kraftfahrzeugs bedingten kein unternehmerisches Risiko, weil Kraftfahrzeuge zur Erreichung des Arbeitsplatzes regelmäßig auch von Beschäftigten unterhalten würden.

Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.7.2021, L 4 BA 75/20, PM vom 27.9.2021

Nachlass: Eröffnung des kompletten Ehegatten-Testaments auch den Kindern gegenüber?

| Nach dem Tod eines der Ehegatten kündigte das Nachlassgericht an, das gemeinschaftliche Testament seinem gesamten Inhalt nach auch den Kindern gegenüber zu eröffnen. Dagegen wehrte sich der überlebende Ehegatte mit dem Argument, dass die Bekanntgabe der Verfügungen, die die gemeinsamen Kinder aktuell nicht beträfen, seinem Geheimhaltungsinteresse zuwiderlaufen würde. Dem hat das Oberlandesgericht (OLG) München in einem aktuellen Beschluss aber entschieden widersprochen. |

Das Gericht muss den Beteiligten den sie betreffenden Inhalt der Verfügung von Todes wegen bekannt geben. Beteiligte sind dabei alle, denen durch die Verfügung ein Recht gewährt oder genommen oder deren Rechtslage in sonstiger Weise unmittelbar beeinflusst wird. Die gemeinsamen Kinder des Erblassers und seiner Ehefrau, die durch das gemeinschaftliche Testament zunächst enterbt werden, sind dabei bereits Beteiligte kraft Gesetzes.

Eine Ausnahme bilden gemeinschaftliche Testamente. Da grundsätzlich nur die Verfügungen des verstorbenen Ehepartners zu eröffnen sind, müssen danach die Verfügungen des überlebenden Ehepartners nicht bekannt gegeben werden, wenn und soweit es sich tatsächlich um trennbare Verfügungen handelt. Allerdings kommt es nicht auf die Wünsche und etwaige Geheimhaltungsinteressen der Eheleute an, sondern schlicht auf die Frage der Trennbarkeit. Die Trennbarkeit ist nur gegeben, wenn beide Erbfälle in dem Testament getrennt gestaltet und formuliert sind.

Quelle | OLG München, Beschluss vom 7.4.2021, 31 Wx 108/21, Abruf-Nr. 222416 unter www.iww.de

Unfallschaden: Reifenpreis muss nicht der niedrigste sein

| Das Amtsgericht (AG) Hamburg-Wandsbek hat jetzt bei der fiktiven Abrechnung eines Unfallschadens klargestellt: Auch soweit der Prüfbericht den Ansatz eines zu hohen Reifenpreises beanstandet, belegt das Nennen einer Bezugsquelle mit einem niedrigeren Preis nicht, dass der vom Sachverständigen ermittelte Preis unangemessen oder unüblich ist. |

Oft wird in Prüfberichten auf den Preis eines Reifendiscounters abgestellt. Doch darauf kommt es nicht an. Der Preis muss im üblichen Rahmen liegen. Das genügt.

Quelle | AG Hamburg-Wandsbek, Urteil vom 1.6.2021, 715 C 81/21, Abruf-Nr. 223184 unter www.iww.de