Marcus Spiralski Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht & Fachanwalt für Familienrecht

Urteilskategorie

Urteilsarchiv

Trunkenheitsfahrt: E-Scooter: Eher einem Fahrrad als einem Kfz gleichzusetzen

| Darf bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter die Fahrerlaubnis (vorläufig) entzogen werden? Das ist noch nicht abschließend geklärt. Aber das Amtsgericht (AG) Essen hat jetzt abgelehnt, einen solchen Einziehungs-Beschluss zu erlassen. |

Der Beschuldigte war nachts gegen 2:31 Uhr in Essen mit einem E-Scooter alkoholisiert auf einem Gehweg gefahren. Die Blutalkoholkonzentration betrug 1,68 Promille. Das AG: Hinsichtlich der Gefährlichkeit ist ein E-Scooter eher einem Fahrrad als einem Kraftfahrzeug gleichzusetzen. Zudem führte der Angeklagte den E-Scooter nachts, sodass eine Gefährdung anderer weniger wahrscheinlich war.

Quelle | AG Essen, Urteil vom 12.1.2022, 43 Cs-39 Js 1578/21-422/21, Abruf-Nr. 227067 unter www.iww.de

Adoptionsverfahren: Gutes Verhältnis zu einem leiblichen Elternteil? Das kann einer Adoption entgegenstehen!

| Ein Volljähriger kann als Kind angenommen werden, wenn die Annahme sittlich gerechtfertigt ist. Das ist der Fall, wenn zwischen dem Annehmenden und dem Volljährigen ein Eltern-Kind-Verhältnis bereits besteht, oder dies zu erwarten ist. Hat der Volljährige aber eine ungestörte, intakte Beziehung zu einem leiblichen Elternteil, können Zweifel am o. g. Eltern-Kind-Verhältnis berechtigt sein. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe nun entschieden. |

Oberlandesgericht: Soziale Prägung zu leiblichen Eltern hat besondere Qualität

Das OLG betont, dass das natürliche Kindschaftsverhältnis zwar keine rechtliche Exklusivität für sich beanspruchen kann. Es entspräche jedoch grundsätzlich keiner Lebenserfahrung, dass derjenige, der auf der Grundlage seiner in der Kindheit erfahrenen sozialen Prägung weiterhin durch ein echtes Eltern-Kind-Verhältnis mit seinen leiblichen Eltern verbunden ist, eine Beziehung von vergleichbarer Qualität zu entfernteren Verwandten oder gar zu familienfremden Personen aufzubauen vermag.

Beziehung zur leiblichen Mutter war intakt

Im vorliegenden Fall hatte das OLG solche Zweifel wegen der ungestörten und intakten Beziehung des Anzunehmenden zu seiner leiblichen Mutter, auch wenn das OLG betont, dass gute Beziehungen zu den leiblichen Eltern der Annahme eines Eltern-Kind-Verhältnisses zwischen dem Annehmenden und dem Volljährigen nicht per se entgegenstehen. Sie sind aber geeignet, Zweifel am Bestehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses zu begründen.

Beachten Sie | Die Begründung eines Eltern-Kind-Verhältnisses kommt daher regelmäßig schon dann nicht in Betracht, wenn eine ungestörte intakte Beziehung des Anzunehmenden zu mindestens einem leiblichen Elternteil besteht, soweit nicht dieser Elternteil Lebensgefährte oder Lebensgefährtin des Annehmenden ist.

Quelle | OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.5.2022, 18 UF 60/21

Pflegeheim: Kein Einfluss pandemiebedingter Beschränkungen auf das Heimentgelt

| Bewohner einer stationären Pflegeeinrichtung müssen trotz Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen aufgrund der COVID-19-Pandemie das volle Heimentgelt zahlen. So hat es der Bundesgerichtshof (BGH) jetzt entschieden. |

Die Klägerin schuldete der Beklagten ein Zimmer sowie Pflege- und Betreuungsleistungen nach dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz in Verbindung mit dem Pflegevertrag. Diese Kernleistungen konnte sie trotz der angeordneten Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen voll erbringen. Eine Entgeltkürzung wegen Nicht- oder Schlechtleistung scheidet daher aus.

Das Heimentgelt war auch nicht wegen Störung der Geschäftsgrundlage herabzusetzen. Durch die Beschränkungen hat sich die Geschäftsgrundlage des Pflegevertrags nicht schwerwiegend geändert. Diese Beschränkungen dienten primär dem Gesundheitsschutz der (vulnerablen) Heimbewohner und der Mitarbeiter, ohne den Vertragszweck infrage zu stellen.

Die Schlussfolgerung des BGH: Der Beklagten war es zuzumuten, am unveränderten Vertrag festzuhalten. Er wies darauf hin, dass der Lockdown das gesamte gesellschaftliche Zusammenleben erfasste, also auch Nichtheimbewohner.

Quelle | BGH, Urteil vom 28.4.2022, III ZR 240/21, PM 78/2022 vom 1.6.2022

Pflichtteilsstrafklausel: Korrektur eines Nachlassverzeichnisses zu verlangen, bedeutet nicht, den Pflichtteil zu fordern

| Setzen sich Eheleute in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Alleinerben und ihre Kinder zu Schlusserben des Längstlebenden ein, wird häufig eine sog. Pflichtteilsstrafklausel vereinbart. Danach verliert ein Schlusserbe seinen Erbanspruch nach dem Längstlebenden, wenn er schon nach dem Tod des Erstverstobenen seinen Pflichtteil fordert. Er erhält dann auch nach dem Tod des Längstlebenden nur seinen Pflichtteil. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat nun entschieden: Eine solche Pflichtteilsstrafklausel ist nicht bereits erfüllt, wenn der Schlusserbe nach dem Tod des Erstversterbenden eine Korrektur des ihm vorgelegten Nachlassverzeichnisses fordert. |

Das war geschehen

Die Erblasserin war Witwe. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor, von denen eines vorverstorben war und seinerseits zwei Kinder hinterließ. Einige Jahre vor dem Tod des erstverstorbenen Ehemanns errichteten die Eheleute ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und ihre Kinder, ersatzweise deren Abkömmlinge, zu Schlusserben des Längstlebenden beriefen.

„Berliner Testament“

Für den Fall, dass einer der Schlusserben nach dem Tod des Erstverstorbenen seinen Pflichtteil fordert, bestimmten die Eheleute, dass er dann auch nach dem Längstlebenden nur seinen Pflichtteil erhalten solle (sog. Pflichtteilsstrafklausel). Nach dem Tod des Ehemanns forderte die Schlusserbin die Erblasserin auf, ihr ein Nachlassverzeichnis vorzulegen und verlangte nach dessen Zusendung eine Nachbesserung sowie die Vorlage eines Wertgutachtens betreffend einer in den Nachlass fallenden Immobilie. Zu einer Auszahlung oder einer gerichtlichen Geltendmachung des Pflichtteils kam es nicht.

Als auch die Erblasserin gestorben war, beantragte die Antragstellerin als eine der Schlusserben einen gemeinschaftlichen Erbschein auf der Grundlage des gemeinschaftlichen Testaments der Eheleute. Sie berücksichtigte dabei allerdings nicht die Schlusserbin, da diese ihren Erbanteil verwirkt habe. Das Nachlassgericht kündigte mit dem angefochtenen Beschluss den Erlass des beantragten Erbscheins an. Hiergegen legte die Schlusserbin Beschwerde mit dem Argument ein, sie habe nicht ihren Pflichtteil nach dem Tod des Erstverstobenen von der jetzigen Erblasserin gefordert.

Pflichtteilsstrafklausel war hier nicht erfüllt

Das OLG gab ihr Recht. Die Pflichtteilsstrafklausel sei nicht erfüllt. Auch wenn das Einfordern des Nachlassverzeichnisses und die hieran geübte Kritik zu einer Belastung der überlebenden Ehegattin geführt habe, sei darin allein noch kein Fordern des Pflichtteils zu sehen. Dies sei zunächst nur das Verlangen einer Auskunft über den Wert des Nachlasses. Auf eine solche Auskunft sei der Pflichtteilsberechtigte angewiesen, um eine für ihn sinnvolle Entscheidung treffen zu können. Eheleute, die bereits den überlebenden Ehegatten vor einem Auskunftsverlangen der Schlusserben schützen wollten, müssten dies im Rahmen der testamentarischen Pflichtteilsstrafklausel deutlich zum Ausdruck bringen.

Der Beschluss ist rechtskräftig.

Quelle | OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 1.2.2022, 21 W 182/21, PM 26/2022 vom 28.3.2022

Beamtenbezüge: Zu viel gezahlte Dienstbezüge müssen zurückgezahlt werden

| Erhält ein Beamter nach einem Dienstherrenwechsel vom ehemaligen Dienstherren weiter Dienstbezüge ausgezahlt, sind diese zurückzuzahlen. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz und wies die Klage eines Beamten ab, der die Beträge behalten wollte. |

Das war geschehen

Der Kläger, ein Professor, folgte im Jahr 2020 dem Ruf einer Universität außerhalb von Rheinland-Pfalz und wurde dort mit Wirkung zum 1.9.2020 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zum Universitätsprofessor ernannt. Gleichwohl zahlte das Land Rheinland-Pfalz dem Kläger für September noch Bezüge in Höhe von rund 5.000 Euro netto aus.

Gegen den sodann ergangenen Rückforderungsbescheid erhob der Kläger erfolglos Widerspruch. Im sich anschließenden Klageverfahren brachte er vor, er habe seinen damaligen Dienstherren bereits im Juni 2020 über seinen Wechsel an die neue Universität informiert. Darüber hinaus sei er nicht verpflichtet gewesen, seinen Kontoauszug auf Zahlungen des Beklagten zu prüfen, da er mit einer weiteren Auszahlung von Dienstbezügen durch diesen nicht habe rechnen müssen. Schließlich habe der Beklagte die Überzahlung ausschließlich selbst zu verantworten, sodass aus Billigkeitsgründen jedenfalls teilweise von der Rückforderung abzusehen sei.

Verwaltungsgericht: Bezüge ohne rechtlichen Grund

Dem folgte das VG Koblenz nicht. Es wies die Klage ab. Es führte aus, dem Kläger seien Bezüge ohne rechtlichen Grund gezahlt worden. Diese seien grundsätzlich nach den entsprechenden Rechtsvorschriften zurückzuzahlen. Der Kläger könne nicht mit Erfolg einwenden, dass er „entreichert“ sei, weil er die Bezüge bereits verbraucht habe. Dies sei bei einer Überzahlung nur anzunehmen, wenn der Empfänger die Beträge restlos für seine laufenden Lebensbedürfnisse verbraucht habe. Zwar könne bei relativ geringen Beträgen monatlicher Überzahlungen über einen langen Zeitraum angenommen werden, dass die zu viel gezahlten Bezüge im Rahmen der normalen Lebensführung verbraucht worden seien. Um einen solchen Fall handle es sich hier aber nicht. Dem Kläger sei vielmehr lediglich einmalig ein mehr als nur geringfügiger Betrag (ein vollständiges Nettogehalt nebst Berufungs- und Bleibeleistungsbezug) ausgezahlt worden. In Anbetracht dessen hätte es dem Kläger oblegen, darzulegen und zu beweisen, dass er den ihm überwiesenen Betrag bereits restlos verbraucht habe.

Überdies sei dem Kläger eine Berufung auf den Entreicherungseinwand verwehrt, da er der verschärften Haftung unterliege. Denn der Mangel des rechtlichen Grundes sei so offensichtlich, dass der Kläger ihn hätte erkennen müssen. Es gehöre aufgrund der beamtenrechtlichen Treuepflicht zu den Sorgfaltspflichten des Klägers, bei besoldungsrelevanten Änderungen im dienstlichen oder persönlichen Bereich erst recht im Falle des Dienstherrenwechsels auf Überzahlungen zu achten. Die vorliegende Überzahlung hätte dem Kläger aufgrund der Gesamtumstände auffallen müssen. Anlass für einen Teilerlass der Rückforderungssumme aus Billigkeitsgründen habe nicht bestanden. Der Beklagte habe zeitnah die Überzahlung erkannt und den Kläger zur Rückzahlung aufgefordert.

Gegen diese Entscheidung steht den Beteiligten die Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz zu.

Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 22.2.2022, 5 K 1066/21.KO, PM 8/2022

Gleichstellungsgesetz: Entschädigung wegen Transsexualität? – Ende offen!

| In einem laufenden Güteverfahren vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Düsseldorf wurde über die Forderung einer transsexuellen Klägerin nach Entschädigung verhandelt. Ein interessanter Fall, bei dem sich Kundenwünsche und das Recht auf sexuelle Identität gegenüberstanden. |

Die transsexuelle Klägerin hatte sich bei einem Wohn- und Pflegezentrum als Pflegerin beworben. Sie erhielt nach einem Bewerbungsgespräch und einem Probearbeiten eine Absage. Diese wurde mit den Rückmeldungen einiger Bewohner begründet, die sich aufgrund der „Neigung“ der Klägerin nicht von ihr pflegen lassen wollten. Die Klägerin sah sich wegen ihrer sexuellen Identität benachteiligt. Sie verlangt eine Entschädigung wegen der erlittenen Persönlichkeitsrechtsverletzung nach dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz (hier: § 15 Abs. 2 AGG) von etwa vier Gehältern, stellt die Höhe aber in das Ermessen des Gerichts.

Vor dem AG Düsseldorf trug der Rechtsanwalt der Beklagten vor, dass diese die Klägerin nicht habe benachteiligen wollen. Sie sei aber verpflichtet, die Wünsche ihrer Kunden zu berücksichtigen. Folge: Die Absage sei gerechtfertigt gewesen. Eine Entschädigung sei deshalb nicht geschuldet.

Die Beklagte bot aber ohne Anerkennung einer Rechtspflicht eine Entschädigung an. Die Parteien kamen überein, eine außergerichtliche Einigung zu herbeiführen zu wollen. Ein neuer Gerichtstermin wurde noch nicht bestimmt.

Quelle | AG Düsseldorf, Urteil vom 25.2.2022, 3 Ca 600/22

Datenschutz: Schadenersatz bei unzulässigem Detektiveinsatz

| Schadenersatz aufgrund datenschutzrechtlicher Bestimmungen wegen rechtswidriger Detektivüberwachung setzt keine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung (mehr) voraus. Einen Ausschluss vermeintlicher Bagatellschäden sieht das Gesetz nicht vor. Das bestätigte nun das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG). |

Die Parteien stritten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen sowie um Aufwendungs- und Schadenersatz. Der Arbeitgeber verdächtigte den Arbeitnehmer des Arbeitszeitbetrugs. Er ließ ihn daher durch eine Detektei observieren. Der Arbeitnehmer hielt das für unzulässig. Er fordert Schadenersatz.

Das LAG stellte zunächst fest: Die Observierung durch eine Detektei war hier unzulässig. Nach der Datenschutz-Grundverordnung (Art. 82 Abs. 1 DS-GVO) habe jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden sei, zudem Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen. Gerade bei immateriellen Schäden sei die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu berücksichtigen, dass der geschuldete Schadenersatz „eine wirklich abschreckende Wirkung“ haben muss. Die bisherige deutsche Rechtsprechung, die immateriellen Schadenersatz nur bei schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen zugesprochen habe, sei nicht mehr anwendbar. Da der Begriff des Schadens in der DS-GVO ein europarechtlicher sei, dürfe nicht auf nationale Erheblichkeitsschwellen oder andere Einschränkungen abgestellt werden. Einen Ausschluss vermeintlicher Bagatellschäden sehe das Gesetz nicht vor.

Ein immaterieller Schaden könne in einer unzulässigen Observierung durch eine Detektei bestehen. Die Observation einschließlich personenbezogener Datenerhebung seien hier rechtswidrig gewesen. Ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an der Erhebung personenbezogener Daten im Wege der Observation des Arbeitnehmers, um eine Straftat im Beschäftigungsverhältnis aufzudecken, habe hier nicht vorgelegen.

Zwar sei ein versuchter Prozessbetrug eine Straftat, die auch eine Detektivüberwachung rechtfertigen könne. Hierfür müsse jedoch ein berechtigter Anlass vorliegen. Die Observation habe den Arbeitnehmer auch in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Der Detektiv beobachtete ihn an sechs Tagen in seinem Privatleben. Dabei lief er ihm einmal bis in einen Park hinterher.

Quelle | Hessisches LAG, Urteil vom 18.10.2021, 16 Sa 380/20, Abruf-Nr. 228198 unter www.iww.de

Heimliche Handyaufnahme: Arbeitnehmer muss nicht stets mit Kündigung rechnen

| Arbeitnehmer dürfen ihre Vorgesetzten nicht heimlich aufnehmen. Dies hat aber nicht immer eine wirksame Kündigung zur Folge. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz. |

Ein Kassierer war zunächst mit einer anderen Arbeitnehmerin und später mit seinem Vorgesetzten in Streit geraten. Den Streit mit seinem Vorgesetzten nahm der Kassierer mit seinem Handy auf wie er behauptet hat, spontan. Davon wusste der Vorgesetzte allerdings nichts. Als sein Arbeitgeber von den Aufnahmen erfuhr, kündigte er dem Kassierer.

Der Kassierer wandte ein, sein Vorgesetzter habe sich ihm gegenüber zuvor unsachgemäß, diskriminierend und ehrverletzend geäußert. Da das klärende Gespräch unter vier Augen stattfand, wollte der Kassierer das Verhalten seines Vorgesetzten mit den Tonaufnahmen dokumentieren. Er war, so der Kassierer, davon ausgegangen, dass dies erlaubt sei.

Das LAG: Sowohl die fristlose als auch die hilfsweise ordentliche Kündigung sind unwirksam. Zwar gelte der Grundsatz, dass Personalgespräche nicht mitgeschnitten werden dürfen und dies zu einer außerordentlichen Kündigung führen könne (Verletzung des Persönlichkeitsrechts). Entscheidend sei hier aber, dass es zu den o. g. beleidigenden Äußerungen des Vorgesetzten gekommen war. Diese verletzten wiederum das Persönlichkeitsrecht des Kassierers. Er war davon ausgegangen, dass man ihm ohne die Aufzeichnungen nicht glauben würde.

Das LAG hob hervor: Selbst, wenn die Tonaufnahme nicht gerechtfertigt war, habe sich der Kassierer in einem sog. Verbotsirrtum befunden. Dies sei hier zu seinen Gunsten zu berücksichtigen gewesen. Ebenso zu seinen Gunsten bewertete das LAG, dass der Kassierer 17 Jahre lang bei seinem Arbeitgeber tätig war, ohne dass es Störungen gegeben hatte.

Diese Bewertung gilt nach dem LAG auch für die ordentliche Kündigung. Auch hier sei eine Kündigung unverhältnismäßig.

Quelle | LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.11.2021, 2 Sa 40/21

Fahrzeugmiete: Entgeltzahlung: Dienstleistung anstelle von Geldleistung

| Als Gegenleistung für eine mietweise Gebrauchsüberlassung können auch Dienstleistungen vereinbart werden. Bei solchen „atypischen“ Gegenleistungen gilt für die Hauptleistung des Vermieters Mietvertragsrecht, während für die Leistungspflicht des Mieters Dienstvertragsrecht anwendbar ist. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf. |

Ein Marketingberater mietete zwei Fahrzeuge. In beiden Formularmietverträgen ließen die Parteien die Spalte „Mietzins“ offen. Der Mieter erbrachte im Anschluss an die Vertragsschlüsse für die Vermieterin mehrere Marketingdienstleistungen, entwarf Flyer und erstellte Marketingkonzepte. Nachdem der Mieter die Fahrzeuge mehrere Monate genutzt und sie anschließend der Vermieterin zurückgegeben hatte, stellte diese ihm die Miete mit 10.000 Euro in Rechnung. Der Mieter wandte ein, er habe mit der Vermieterin vereinbart, dass die Miete in Form seiner Dienstleistungen erbracht werden sollte. Die Vermieterin bestritt dies und meinte, die Leistungen seien für sie wertlos gewesen, da man sie im Ergebnis nicht verwendet habe.

Die erste und zweite Instanz hatten die Klage abgewiesen. Grund: Ein Mietzahlungsanspruch stehe der Vermieterin nicht zu, da das Entgelt vom Mieter nicht in Geld zu entrichten, sondern in Form von Dienstleistungen zu erbringen gewesen sei, die er auch während der Nutzungszeit erbracht habe.

Nach Ansicht des OLG sei davon auszugehen, dass der Vermieter als Gegenleistung für die Nutzung des (jeweiligen) Mietfahrzeugs Dienstleistungen im Bereich der Marketingberatung für die Vermieterin erbringen sollte. Dies habe er auch unstreitig getan. Unerheblich sei, ob die Vermieterin diese Leistungen habe verwenden können, da bei Dienstleistungen kein Erfolg geschuldet sei. Selbst, wenn die Dienstleistungen in ihrer Qualität beeinträchtigt gewesen seien, werde die vereinbarte Vergütung geschuldet.

Für die Vereinbarung einer Geldleistung als Gegenleistung eines Mietvertrags ist derjenige darlegungs- und beweispflichtig, der sich auf eine solche Vereinbarung beruft, hier also die Vermieterin. Diesen Beweis habe sie nicht angetreten, indem sie pauschal behauptet habe, dies sei der Fall. Hiergegen spreche zudem, dass die entsprechende Spalte in den Mietverträgen offengelassen worden ist. Ein Berufen darauf, dass die Mietpreise im Laden der Vermieterin aushängen, reiche hierfür nicht aus. Des Weiteren habe die Vermieterin die Vorschläge des Mieters über mehrere Monate entgegengenommen, also nicht widersprochen bzw. sich darauf berufen, solches sei nicht erforderlich. Vielmehr habe sie sich zu den einzelnen Projekten geäußert.

Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 1.10.2021, 24 U 301/20, Abruf-Nr. 228964 unter www.iww.de

Nutzungsentschädigung: Rückabwicklung eines Leasingvertrags

| Ist ein Leasingvertrag über ein Auto rückabzuwickeln, steht dem Leasingnehmer grundsätzlich ein Anspruch auf Rückzahlung der bereits geleisteten Leasingraten zu. Demgegenüber kann der Leasinggeber, also derjenige, der das Auto zur Verfügung gestellt hat, Nutzungsentschädigung für die zwischenzeitlich gefahrenen Kilometer verlangen. Über die einzelnen Voraussetzungen dieser Ansprüche, insbesondere über die Frage, wie die Höhe des Nutzungsersatzes zu bemessen ist, hat jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig entschieden. |

Das war geschehen

Das klagende Unternehmen erreichte aufgrund eines Mangels des von ihm geleasten Fahrzeugs Audi A6 Avant 50 TDI quattro tip-tronic eine Rückabwicklung des Leasingvertrags mit der beklagten Leasinggeberin. Es forderte von dieser anschließend die Rückzahlung der geleisteten Leasingraten. Die Beklagte rechnete ihrerseits mit der Nutzungsentschädigung auf und beanspruchte dabei 0,67 % des Neupreises pro gefahrenen 1.000 km, wobei dieser Pauschale die Erwartung einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 150.000 km zugrunde liegt. Diesen Prozentfaktor hatte das vermittelnde Autohaus in ein Formular eingetragen, das die Beklagte zur Verfügung gestellt und der Geschäftsführer der Klägerin bei Rückgabe des Fahrzeugs unterschrieben hatte. In diesem Formular befand sich unter der Angabe „Prozentfaktor: 0,67 %“ ein weiteres Feld „Nutzungsentschädigung“, das das Autohaus nicht ausgefüllt hatte. Die Beklagte berief sich darauf, der „Prozentfaktor“ sei durch die Unterschrift des Geschäftsführers der Klägerin rechtsverbindlich festgelegt worden.

Oberlandesgericht: Verstoß gegen Transparenzgebot in AGB

Das OLG entschied: Dieser Abrede kommt keine Geltung zu. Anders als vom Landgericht (LG) Braunschweig angenommen, handele es sich bei der unterzeichneten Erklärung um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), welche die Beklagte einseitig für eine Vielzahl von Verträgen festgelegt habe. Um den Vertragspartner vor der einseitigen Inanspruchnahme der Vertragsgestaltungsmacht zu schützen, unterliegen AGB grundsätzlich inhaltlichen Beschränkungen und müssen klar und verständlich formuliert sein. Zwar gebe es bei einer Preis- oder Berechnungsabrede keine Inhaltskontrolle, jedoch habe die Beklagte gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB) verstoßen, weil nur das Feld „Prozentfaktor“ und nicht das Feld „Nutzungsentschädigung“ ausgefüllt worden sei. Die Formulierung lasse keinen Rückschluss darauf zu, dass sie die Grundlage für die Berechnung der Nutzungsentschädigung bilde. Es sei außerdem nicht erkennbar, auf welche Bezugspunkte sich der Prozentfaktor beziehe. Auch von einem Geschäftsführer einer Handelsgesellschaft könne nicht verlangt werden, dass er präsentes Wissen über die Einzelheiten der Berechnung einer Nutzungsentschädigung habe.

Lineare Berechnungsmethode statt Prozentfaktor

Das OLG hat die Anrechnung der Nutzungsentschädigung nach der „linearen Berechnungsmethode“ vorgenommen. Dabei wird der Kaufpreis des Fahrzeugs zu der voraussichtlichen Restlaufleistung ins Verhältnis gesetzt und mit der tatsächlichen Fahrleistung des Käufers multipliziert. Die Gesamtlaufleistung hat der Senat unter Berücksichtigung des statistischen Mittelwerts für das streitgegenständliche Fahrzeug auf 300.000 km geschätzt. Die Berücksichtigung der höheren Gesamtlaufleistung führte im Ergebnis zu einer erheblichen Reduzierung der geforderten Nutzungsentschädigung. Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Quelle | OLG Braunschweig, Urteil vom 1.2.2022, 7 U 566/20, PM vom 8.3.2022