Wird dem Arbeitnehmer unbezahlter Sonderurlaub gewährt, darf deshalb der gesetzliche Urlaubsanspruch nicht gekürzt werden.
So entschied es aktuell das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Fall einer Krankenschwester. Diese hatte vom 1. Januar 2011 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 30. September 2011 unbezahlten Sonderurlaub. Danach verlangte sie erfolglos von ihrem Arbeitgeber die Abgeltung von 15 Urlaubstagen aus dem Jahr 2011. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben.
Die Revision des Arbeitgebers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Der von den Parteien vereinbarte Sonderurlaub habe dem Entstehen des gesetzlichen Urlaubsanspruchs zu Beginn des Kalenderjahres 2011 nicht entgegengestanden. Er habe den Arbeitgeber auch nicht zur Kürzung des gesetzlichen Urlaubs berechtigt. Nach § 1 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) habe jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Diese Vorschrift sei unabdingbar. Die Entstehung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs erfordere nur den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses und die einmalige Erfüllung der Wartezeit. Das BUrlG binde den Urlaubsanspruch damit weder an die Erfüllung der Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis noch ordne es die Kürzung des Urlaubsanspruchs für den Fall des Ruhens des Arbeitsverhältnisses an. Allerdings sehen spezialgesetzliche Regelungen für den Arbeitgeber die Möglichkeit der Kürzung des Urlaubs bei Elternzeit (§ 17 Abs. 1 S. 1 BEEG) oder Wehrdienst (§ 4 Abs. 1 S. 1 ArbPlSchG) vor. Eine Kürzungsregelung beim Ruhen des Arbeitsverhältnisses während einer Pflegezeit (§§ 3, 4 PflegeZG) finde sich dagegen nicht. Komme es zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien, hindere dies grundsätzlich weder das Entstehen des gesetzlichen Urlaubsanspruchs noch sei der Arbeitgeber zur Kürzung des gesetzlichen Urlaubs berechtigt (BAG, 9 AZR 678/12).
Einem Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes kann auch während der Freistellungsphase der Altersteilzeit fristlos gekündigt werden, wenn er während dieser Zeit Straftaten begeht.
Dies entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein im Fall eines Arbeitnehmers. Vor und während der Freistellungsphase der Altersteilzeit hatte dieser für sich verschiedene nautische Befähigungszeugnisse beantragt, für die er die Voraussetzungen nicht erfüllte. Ein Kollege unterstützte ihn dabei und bescheinigte ihm wahrheitswidrig den erfolgreichen Besuch der erforderlichen Lehrgänge und die notwendigen Fahrenszeiten als verantwortlicher Schiffsführer. Wegen dieser Taten ist gegen den Kläger ein Strafbefehl über 65 Tagessätze ergangen, der rechtskräftig ist. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos.
Das LAG wies die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers ab. Der Arbeitnehmer habe durch seine Straftaten mit dienstlichem Bezug gegen seine Treuepflicht verstoßen. Es handele sich um derartig schwere Pflichtverletzungen, dass eine Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung nicht erforderlich war. Die Kündigung sei trotz der altersteilzeitbedingten Freistellung von der Arbeit berechtigt. Der Arbeitnehmer habe seine Stellung im öffentlichen Dienst ausgenutzt, um mehrere Straftaten zu begehen, darunter eine auch nach Eintritt in die Freistellungsphase. Auch während dieser bestehe das Arbeitsverhältnis mit beiderseitigen Pflichten weiter. Ein Arbeitgeber müsse unredliches Verhalten eines Arbeitnehmers nicht hinnehmen. Das habe auch dem Arbeitnehmer bewusst sein müssen (LAG Schleswig-Holstein, 2 Sa 410/14).
Die Tendenz, dass die Polizei bei allgemeinen und bei anlassbezogenen Verkehrskontrollen Führerscheine zunehmend überprüft, lässt das staatliche Interesse an der Abgabe eines Führerscheins nach Entzug der Fahrerlaubnis sinken. Daher kann eine Wohnungsdurchsuchung zur Auffindung eines Führerscheins unverhältnismäßig sein.
So entschied es das Amtsgericht Elmshorn. Nach der Entscheidung ist eine Wohnungsdurchsuchung zur Auffindung des Führerscheins dann unzulässig, wenn die Behörde zuvor als einzige Konsequenz aus der Nichtabgabe des Führerscheins ein Zwangsgeld angedroht hat, eine Zwangsgeldfestsetzung aber bisher unterblieben ist (AG Elmshorn, 52 II 12/13).
Wird der einer Unfallflucht verdächtige Fahrzeughalter bei einer Befragung nicht als Beschuldigter belehrt, sind seine Angaben gegenüber einem Polizeibeamten unverwertbar.
Hierauf wies das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg hin. Die Richter verlangten in ihrer Entscheidung eine frühzeitige Belehrung des „verdächtigen Fahrzeughalters“. Die Belehrung sei immer schon erforderlich, wenn der Fahrzeughalter als möglicher Täter in Betracht komme. Das sei der Fall, wenn er ggf. nicht mehr nur als „Auskunftsperson“ befragt werde, sondern als Beschuldigter, gegen den sich bereits ein Tatverdacht richtet. Werde die Belehrung unterlassen, bestehe für die Angaben des Befragten ein Beweisverwertungsverbot (OLG Nürnberg, 2 OLG Ss 113/13).
Organisatoren einer als Gruppenfahrt veranstalteten Fahrradtour sind nicht verpflichtet, die für die Gruppe im Straßenverkehr ergriffenen Sicherungsmaßnahmen auch für einzeln fahrende Nachzügler aufrechtzuerhalten.
Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm im Fall eines 20-jährigen Radfahrers entschieden. Dieser hatte an einer vom beklagten Schützenverein organisierten Fahrradtour der Jungschützen teilgenommen. Die in einer Gruppe fahrenden Teilnehmer wurden von Sicherungsposten begleitet, die größere, verkehrsträchtige Straßen absperrten und der Gruppe so ein gefahrloses Überqueren ermöglichten. Weil ein Teilnehmer eine Panne hatte, löste sich der Radfahrer von der Gruppe. Anschließend folgte er dieser dann alleine. Als er von einem Waldweg kommend eine übergeordnete Straße überquerte, stieß er mit einem Pkw zusammen, weil er dessen Vorfahrt nicht beachtet hatte. Er erlitt schwere Kopfverletzungen und befindet sich seit dem Unfall in einem komatösen Zustand. Er meint, der beklagte Verein habe seine Verkehrssicherungspflicht verletzt. Die Sicherungsposten hätten ihm das gefahrlose Überqueren der Straße nicht ermöglicht. Daher verlangt er unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens ein Schmerzensgeld in Höhe von 200.000 EUR.
Die Klage blieb vor dem OLG erfolglos. Die Richter konnten nicht feststellen, dass der Unfall auf einer dem beklagten Verein zuzurechnenden Pflichtverletzung beruhe. Der Verein habe die Radtour mit ausreichenden Sicherheitsvorkehrungen und unter Berücksichtigung der einschlägigen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften organisiert. Er sei nicht verpflichtet gewesen, dem Radfahrer als Nachzügler zu der vorausfahrenden Gruppe von Fahrrädern ein gefahrloses Überqueren der Straße zu ermöglichen. Für den Nachzügler habe sich eine veränderte Situation ergeben, nachdem er sich aus dem geschlossenen Verband der Fahrräder gelöst habe. Er habe nicht mehr darauf vertrauen können, dass ihm die für die Gruppe vorgesehenen Sicherungskräfte des Vereins ein gefahrloses Überqueren bevorrechtigter Straßen ermöglichen würden. Vielmehr hätten die Organisatoren darauf vertrauen dürfen, dass einzeln fahrende Nachzügler selbst auf das Einhalten der Verkehrsvorschriften achten würden (OLG Hamm, 6 U 80/13).
Der durch das Auffahren des hinteren Fahrzeugs beim Vordermann verursachte Schaden kann bei einem Kettenauffahrunfall hälftig zu teilen sein, wenn der Ablauf der Zusammenstöße der beteiligten Fahrzeuge nicht mehr aufzuklären ist.
Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm im Fall eines Kettenauffahrunfalls entschieden. Bei dem Unfall war die Beklagte mit ihrem Fahrzeug als letzte der an dem Unfall insgesamt beteiligten vier Fahrzeuge auf das vor ihr fahrende Fahrzeug des Klägers aufgefahren. Das Fahrzeug des Klägers erlitt neben dem durch das Auffahren der Beklagten verursachten Heckschaden durch eine Kollision mit dem ihm vorausfahrenden Fahrzeug auch einen Frontschaden. Im Prozess konnte nicht aufgeklärt werden, ob der Kläger zuerst auf das vor ihm fahrende Fahrzeug aufgefahren war und damit den Bremsweg für die ihm folgende Beklagte verkürzt hat. Möglicherweise wurde er mit seinem Pkw auch auf den vor ihm befindlichen Wagen aufgeschoben, als die Beklagte auf seinen Pkw auffuhr. Der Kläger meinte, der Beweis des ersten Anscheins spreche für die Unaufmerksamkeit der auffahrenden Beklagten. Daher verlangte er den 100-prozentigen Ersatz des an seinem Wagen entstandenen Heckschadens von ca. 5.300 EUR.
Die Richter am OLG sprachen ihm einen 50-prozentigen Schadenersatz zu. Er könne sich hier nicht auf einen Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden der auffahrenden Beklagten berufen. Dass ein Verschulden der Beklagten die Betriebsgefahr ihres Fahrzeuges erhöht habe, stehe nicht fest. Dies sei nicht bewiesen und ergebe sich nicht aus einem Beweis des ersten Anscheins. Zwar spreche bei gewöhnlichen Auffahrunfällen regelmäßig der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Auffahrende mit einem zu geringen Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug gefahren sei oder zu spät reagiert habe. Dieser Beweis des ersten Anscheins sei bei Kettenauffahrunfällen wie dem vorliegenden aber nicht anzuwenden. Der von dem Beweis des ersten Anscheins vorausgesetzte typische Geschehensablauf liege nicht vor, wenn nicht feststehe, ob das vorausfahrende Fahrzeug rechtzeitig hinter seinem Vordermann zum Stehen gekommen sei. In diesem Fall bestehe die Möglichkeit, dass der Vorausfahrende für den auffahrenden Verkehrsteilnehmer unvorhersehbar und ohne Ausschöpfung des Anhaltewegs „ruckartig“ zum Stehen gekommen sei, in dem er seinerseits auf seinen Vordermann aufgefahren sei. Da auch ein Verschulden des Klägers nicht feststehe, sei es gerechtfertigt, die Betriebsgefahr der Fahrzeuge der beiden Parteien gleich hoch zu bewerten. Daraus ergebe sich eine Haftungsteilung zu gleichen Teilen (OLG Hamm, 6 U 101/13).
Spätestens ab 1. Juli 2014 muss in jedem Pkw eine Warnweste mitgeführt werden. Das sieht § 53a Abs. 2 Nr. 3 der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) vor. Die Warnweste muss orange-rot, orange oder gelb sein und über zwei reflektierende Streifen im unteren Bereich der Rück- und Vorderseite verfügen.
Hinweis: Es ist ratsam – auch wenn es nicht vorgeschrieben ist – weitere Warnwesten für Mitfahrer mitzuführen, die Westen im Fahrzeug griffbereit zu lagern und im Fall einer Panne oder eines Unfalls auch tatsächlich anzulegen.
Eine Schenkung kann widerrufen werden, wenn der Beschenkte objektiv eine Verfehlung von gewisser Schwere begangen hat. Es muss zudem in subjektiver Hinsicht hinzutreten, dass diese Verfehlung Ausdruck einer Gesinnung des Beschenkten ist, die in erheblichem Maße die Dankbarkeit vermissen lässt, die der Schenker erwarten darf.
So formuliert der Bundesgerichtshof (BGH) die Voraussetzungen für den Widerruf einer Schenkung wegen groben Undanks. In dem betreffenden Fall verlangen die Erben der vormaligen Klägerin von deren Sohn die Rückübereignung eines bebauten Grundstücks, nachdem die zugrunde liegende Schenkung widerrufen wurde. Der Sohn hatte das Grundstück von seiner Mutter 2004 geschenkt bekommen. Anfang 2009 erteilte ihm die Mutter eine notariell beurkundete General- und Betreuungsvollmacht. Ein halbes Jahr später wurde die Mutter nach einem Sturz zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus eingeliefert. Kurz darauf wurde sie statt wie zunächst vorgesehen in eine Kurzzeitpflege auf Veranlassung des Sohns in eine Pflegeeinrichtung für demenzkranke Menschen aufgenommen. Hier hatte der Sohn bereits einen unbefristeten Heimvertrag abgeschlossen. Daraufhin widerrief die Mutter die erteilte Vorsorge- und Betreuungsvollmacht. Zugleich kündigte sie den Langzeitpflegevertrag und beantragte eine Kurzzeitpflege, bis die häusliche Pflege organisiert sei. Die entsprechenden Schreiben wurden von Nachbarn der Mutter auf ihre Bitte hin verfasst. Noch vor der Entscheidung des Betreuungsgerichts über die Einrichtung einer Betreuung teilte der Sohn dem Pflegeheim mit, dass eine Kündigung des Langzeitpflegevertrags nur von ihm erklärt werden dürfe. Zudem sollten weder andere Familienmitglieder noch Nachbarn zu seiner Mutter vorgelassen werden. Unter Berufung hierauf erklärte die Mutter den Widerruf der Schenkung wegen groben Undanks.
Das Landgericht hat der von den Rechtsnachfolgern der während des Rechtsstreits verstorbenen Mutter weiterverfolgten Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen, da ein zum Widerruf der Schenkung berechtigendes schweres Fehlverhalten nicht angenommen werden könne.
Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Der Widerruf einer Schenkung setzte objektiv eine Verfehlung des Beschenkten von gewisser Schwere voraus. In subjektiver Hinsicht müsse diese Verfehlung Ausdruck einer Gesinnung des Beschenkten sein, die in erheblichem Maße die Dankbarkeit vermissen lasse, die der Schenker erwarten dürfe. Ob diese Voraussetzungen erfüllt seien, müsse aufgrund einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Das Oberlandesgericht habe vorrangig darauf abgestellt, dass der Sohn aufgrund verschiedener Gutachten über den Gesundheitszustand und die Pflegebedürftigkeit von einer möglichen Geschäftsunfähigkeit seiner Mutter habe ausgehen dürfen. Dabei habe es außer Acht gelassen, dass die Mutter als Schenkerin unabhängig von der Frage ihrer Geschäftsfähigkeit erwarten durfte, dass der von ihr umfassend bevollmächtigte Sohn ihre personelle Autonomie respektierte. Dazu hätte er sie zunächst nach ihrem Willen hinsichtlich ihrer weiteren Pflege befragen müssen. Soweit es die Umstände zuließen, hätte er diesen Willen berücksichtigen müssen. Soweit dies unmöglich gewesen wäre, hätte er mit ihr zumindest die Gründe hierfür besprechen müssen. Da das Berufungsgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, aus welchen objektiven oder subjektiven Gründen dies unterblieben ist, konnte der BGH die Sache nicht abschließend entscheiden (BGH, X ZR 94/12).
Wer seine – durch eine bestehende Ehe – gesetzlich zugeordnete Vaterschaft nicht wirksam angefochten hat und deswegen rechtlicher Vater ist, schuldet dem Kind auch dann Unterhalt, wenn unstreitig ist, dass er nicht der leibliche Vater ist.
Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm im Fall eines Mannes entschieden, der der rechtliche Vater des 1996 geborenen Antragsgegners ist. Die Mutter hat nach der Scheidung der gemeinsamen Ehe erneut geheiratet, und zwar den biologischen Vater des Antragsgegners. Die Vaterschaftsanfechtungsklage des Antragstellers blieb wegen Fristablaufs ohne Erfolg. Mit Jugendamtsurkunde vom 23.9.2003 verpflichtete er sich, Kindesunterhalt an den Antragsgegner zu zahlen. Nun beantragt er Verfahrenskostenhilfe für die Abänderung der urkundlich begründeten Unterhaltsverpflichtung. Er begründet das damit, dass seine Inanspruchnahme aus der Urkunde treuwidrig sei. Der Antragsgegner ignoriere seine Existenz und akzeptiere nur den biologischen Vater als Vater.
Mit diesem Antrag ist er vor dem OLG erfolglos geblieben. Die Richter stellten fest, dass sich der durch eine Jugendamtsurkunde zur Zahlung von Kindesunterhalt verpflichtete rechtliche Vater nicht darauf berufen könne, er sei nach Treu und Glauben nicht zu Unterhaltszahlungen verpflichtet, weil er nicht der leibliche Vater des Antragsgegners sei. Nach den einschlägigen familienrechtlichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), die zwingendes Recht seien, wirkten die Vaterschaftstatbestände mit Wirkung für und gegen alle. Deswegen könne sich der rechtliche Vater nur und erst dann auf die Vaterschaft eines anderen Mannes berufen, wenn die gesetzliche Vermutung seiner Vaterschaft aufgrund einer gerichtlichen Vaterschaftsanfechtung beseitigt sei. Diese gerichtliche Klärung sei unverzichtbar, selbst wenn unter den Beteiligten kein Streit darüber bestehe, wer der leibliche Vater sei (OLG Hamm, 2 WF 190/13).
Der Unterhaltsanspruch eines geschiedenen Ehegatten kann verwirkt sein, wenn er dem unterhaltsverpflichteten Ehegatten über Jahre wiederholt zu Unrecht sexuellen Missbrauch vorwirft und die Vorwürfe objektiv geeignet sind, den Unterhaltsverpflichteten in der Öffentlichkeit nachhaltig verächtlich zu machen und so seine familiäre, soziale und wirtschaftliche Existenz zu zerstören.
Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm im Fall eines seit 2002 geschiedenen Ehepaars entschieden. Nach der Trennung der Eheleute im Jahre 1999 behauptete die Ehefrau im Rahmen der familiengerichtlichen Auseinandersetzung, der Ehemann habe die 1993 geborene gemeinsame Tochter sexuell missbraucht. Daraufhin eingeholte Sachverständigengutachten kamen 2001 zu dem Ergebnis, dass es keine Anhaltspunkte für einen Missbrauch des Kindes durch den Vater gibt. In Kenntnis dieses Ergebnisses erklärte die Ehefrau noch im Jahre 2001 gegenüber der Vermieterin des Ehemanns, der Ehemann sei ein „Kinderschänder“ und äußerte 2002 gegenüber seiner Lebensgefährtin, er habe pädophile Neigungen. Einen Verdacht, der Ehemann habe die gemeinsame Tochter missbraucht, teilte sie 2002 zudem dem Jugendamt mit. Wegen dieser Äußerungen verurteilte das Landgericht Duisburg die Ehefrau im Jahre 2003 dazu, es zu unterlassen, gegenüber Dritten zu behaupten, der Ehemann sei ein Kinderschänder. Den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs wiederholte die Ehefrau 2002 zudem gegenüber zwei ihrer Kinder. Auch im Rahmen einer zivilgerichtlichen Auseinandersetzung mit dem Ehemann 2005 deutete sie den Vorwurf an. Im vorliegenden Verfahren hat die Ehefrau nachehelichen Unterhalt in Höhe von monatlich über 1.500 EUR verlangt. Sie hat u.a. gemeint, ihr Anspruch sei nicht verwirkt. Ihre Verdachtsmomente für einen sexuellen Missbrauch habe sie äußern dürfen, wahrheitswidrig erhobene Missbrauchsvorwürfe könnten ihr auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht als Fehlverhalten vorgeworfen werden, weil sie seinerzeit an Depressionen gelitten habe.
Das Unterhaltsverlangen der Ehefrau ist erfolglos geblieben. Die Richter am OLG hielten ihren Anspruch auf Nachscheidungsunterhalt für verwirkt. Die Ehefrau habe dem Ehemann über Jahre wiederholt zu Unrecht den sexuellen Missbrauch der Tochter vorgeworfen. Nach der Vorlage der Sachverständigengutachten stellten ihre Äußerungen gegenüber unbeteiligten Dritten wie der Vermieterin, der Lebensgefährtin, den Kindern und einer Zivilrichterin ein schwerwiegendes, eindeutig bei der Ehefrau liegendes Fehlverhalten dar. Die wiederholt und über mehrere Jahre ohne tatsächliche Anhaltspunkte auch Dritten gegenüber geäußerten Missbrauchsvorwürfe seien objektiv geeignet gewesen, den Ehemann in der Öffentlichkeit nachhaltig verächtlich zu machen und hätten so seine familiäre, soziale und wirtschaftliche Existenz zerstören können. Bei den schon objektiv sehr schwerwiegenden Vorwürfen komme es nicht darauf an, ob sie von der Ehefrau im Zustand einer Schuldunfähigkeit erhoben worden seien. Bei derart schweren und nachhaltigen Beeinträchtigungen gebiete es die nacheheliche Solidarität auch nicht mehr, einem ggf. schuldlos handelnden Ehegatten Unterhalt zu gewähren (OLG Hamm, 2 UF 105/13).