Fachanwalt für Arbeitsrecht & Fachanwalt für Familienrecht
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Karin Tempel-Maier

Gleichbehandlungsgrundsatz: Betroffener muss wie ein vergleichbarer Mitarbeiter gestellt werden

Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz erfasst auch freiwillige aktienorientierte Vergütungsbestandteile in Form sogenannter Phantom Shares. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg.

Die Parteien stritten zweitinstanzlich u. a. über aktienorientierte Vergütungsbestandteile des Arbeitnehmers (Klägers). Der Arbeitnehmer meinte, sie stünden ihm wie vergleichbaren Mitarbeitern auch zu, während der Arbeitgeber (Beklagter) ihm diese verweigerte.

Das OLG befand, dass der Arbeitnehmer einen solchen Anspruch hatte. Da ihm dieser zu Unrecht verweigert worden war, müsse er so gestellt werden, wie vergleichbare Mitarbeitende der entsprechenden Führungsebene. Werde aber die beanspruchte Zuteilung solcher Phantom Shares entsprechend den Regelungen des Performance Phantom Share Plans über die damit verfolgte personenbezogene Ziel- und Zwecksetzung durch Zeitablauf unmöglich, komme als Sekundäranspruch ein Schadenersatzanspruch in Betracht.

Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.10.2021, 7 Sa 26/21, Abruf-Nr. 230037 unter www.iww.de

Änderungskündigung: Elternzeit schützt nicht vor Kündigung

Eine Arbeitnehmerin hat sich erfolglos gegen eine während der Elternzeit aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochenen Änderungskündigung gewandt. Das Integrationsamt hatte der Kündigung zugestimmt. Dabei bleib es auch nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Berlin-Brandenburg.

Durch die Änderung sollte das Arbeitsverhältnis zu den Bedingungen und mit den Aufgaben durchgeführt werden, die die Arbeitnehmerin vor Zuweisung des nach Behauptung der Arbeitgeberin weggefallenen anderweitigen Arbeitsplatzes innehatte. Bei einer Änderungskündigung handelt es sich nämlich um eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses verbunden mit dem gleichzeitigen Angebot, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Arbeitsbedingungen fortzusetzen.

Der ursprüngliche Arbeitsplatz der Arbeitnehmerin sei durch eine zulässige unternehmerische Entscheidung weggefallen. Eine Beschäftigung zu den bisherigen Bedingungen sei nicht mehr möglich. Deshalb habe die Arbeitgeberin nach der Zustimmung des Integrationsamts der Arbeitnehmerin auch während der Elternzeit kündigen und ihr anbieten dürfen, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedingungen fortzusetzen.

Da die Arbeitnehmerin das Änderungsangebot abgelehnt hat, wurde das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung beendet.

Quelle | LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5.7.2022, 16 Sa 1750/21, PM 15/22 vom 6.7.2022

Personenschaden: Wasserbett als Schadenersatz nach Verkehrsunfall?

Es ist möglich, dass der Schädiger nach einem Verkehrsunfall die Kosten des Geschädigten für die Anschaffung eines Wasserbetts erstatten muss. Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm knüpft jedoch bestimmte Voraussetzungen hieran.

So setzt nach der Entscheidung des OLG der Anspruch auf materiellen Schadenersatz wegen der Anschaffungskosten eines Wasserbetts voraus, dass die Anschaffung des Wasserbetts erforderlich im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier § 249 Abs. 2 BGB: „Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen.“) gewesen ist.

Das war nach Ansicht der Richter im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben. Entgegen der Darstellung des Klägers habe nämlich bereits keine ärztliche Verordnung vorgelegen, sondern nur eine hausärztliche Empfehlung. Der gerichtliche Sachverständige hat in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten explizit das Vorliegen einer medizinischen Indikation für ein sog. Wasserbett aus orthopädisch-unfallmedizinischer Sicht verneint.

Quelle | OLG Hamm, Urteil vom 18.1.22, 7 U 100/20

Bundesfinanzhof: Kein Kindergeld für Finanzbeamtin im gehobenen Dienst bei nebenberuflichem Studium der Rechtswissenschaften

Wie der Bundesfinanzhof (BFH) jetzt entschieden hat, ist eine Kindergeldgewährung wegen eines Jurastudiums des Kindes nicht mehr möglich, wenn das Kind nach Abschluss der Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin ein längerfristiges Dienstverhältnis in der Finanzverwaltung aufnimmt, das deutlich über 20 Wochenarbeitsstunden umfasst, und das Studium nur in den danach verbleibenden arbeitsfreien Zeiten durchführt.

Das war geschehen

Die Klägerin ist die Mutter einer 1999 geborenen Tochter, die im August 2020 ein duales Studium zur Diplom-Finanzwirtin erfolgreich abgeschlossen hatte. Anschließend nahm die Tochter eine Tätigkeit im gehobenen Dienst der Finanzverwaltung auf, die zunächst 40 Wochenstunden und ab Dezember 2020 28 Wochenstunden umfasste. Im Oktober 2020 begann die Tochter ein Studium der Rechtswissenschaften.

Die Familienkasse lehnte eine Kindergeldgewährung wegen des Universitätsstudiums ab September 2020 ab, da sie der Auffassung war, dass die Tochter ihre Erstausbildung bereits mit dem dualen Studium zur Diplom-Finanzwirtin abgeschlossen habe. Das Studium der Rechtswissenschaften sei eine Zweitausbildung, die wegen der zu umfangreichen Erwerbstätigkeit der Tochter kindergeldrechtlich nicht mehr berücksichtigt werden könne.

Das sagen die gerichtlichen Instanzen

Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage ab. Der BFH hielt die Revision der Klägerin für unbegründet. Er folgte dem FG im Ergebnis, aber nur teilweise in der Begründung. Volljährige Kinder, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, werden nach Abschluss einer Erstausbildung während einer Zweitausbildung kindergeldrechtlich nur berücksichtigt, wenn sie keiner Erwerbstätigkeit von mehr als 20 Wochenstunden nachgehen. Ob mehrere Ausbildungen zu einer einheitlichen Erstausbildung zusammengefasst werden können oder es sich um eine Erst- und eine Zweitausbildung handelt, hängt von mehreren Faktoren ab. Zunächst setzt eine einheitliche Erstausbildung einen engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen den Ausbildungsabschnitten voraus. Diesen hatte das FG im Hinblick auf den kurzen zeitlichen Abstand und die inhaltliche Nähe der beiden Studiengänge zu Recht bejaht. Zudem muss die Ausbildung im zweiten Abschnitt noch die Haupttätigkeit des Kindes darstellen und nicht hinter die Erwerbstätigkeit zurücktreten. Insofern ist eine Gesamtbetrachtung durchzuführen.

Keine Erstausbildung und Umfang von 20 Wochenstunden überschritten

Da das FG festgestellt hat, dass die Tochter bereits ein längerfristiges Beschäftigungsverhältnis aufgenommen hatte, für das der Ausbildungsberuf „Diplom-Finanzwirtin“ Voraussetzung war, allenfalls gleichviel Zeit in die Ausbildung und in die Erwerbstätigkeit investierte und sich die Ausbildungszeiten nach den arbeitsfreien Zeiten richteten, sprach die Gesamtbetrachtung für eine berufsbegleitend durchgeführte Weiterbildung (Zweitausbildung). Daher kam es auf den Umfang der Erwerbstätigkeit an, der über der Grenze von 20 Wochenstunden lag.

Quelle | BFH, Urteil vom 7.4.2022, III R 22/21, PM 29/22 vom 28.7.2022

Berechnungsformel: Urlaubsanspruch bei Wechselschichttätigkeit

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg hat entschieden: Bei der Berechnung des Urlaubsanspruchs nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) sind Freischichten nicht zu berücksichtigen, wenn diese bei Fälligkeit des Urlaubsanspruchs zu Beginn des Kalenderjahrs nicht dienstplanmäßig feststehen.

Das war geschehen

Die Klägerin ist bei dem beklagten Land im Gefangenenbewachungsdienst in Wechselschicht beschäftigt. Das beklagte Land stellt die Dienstpläne für das jeweils folgende Kalenderjahr vor Beginn des Jahres auf und sieht bei der Dienstplanung einen durchgehenden Turnus im gesamten Kalenderjahr ohne Einplanung von Freischichten, Urlaubstagen und Zusatzurlaubstagen vor. Die Dienstpläne haben einen von der 5-Tage-Woche abweichenden Schicht-Rhythmus. Aufgrund der Abweichung ist die Höhe des Urlaubsanspruchs nach § 26 Abs. 1 S. 4 TV-L gesondert zu berechnen.

Dies erfolgt nach der Formel:

  • Urlaubstage x Arbeitstage im Jahr bei abweichender Verteilung
  • Arbeitstage im Jahr bei einer Fünftagewoche

Streit besteht zwischen den Parteien darüber, wie die in der Formel einzusetzenden Arbeitstage zu ermitteln sind. Das beklagte Land hat bei der Ermittlung der Arbeitstage der Klägerin die durchschnittlich zum Zweck der Einhaltung der tariflichen Jahresarbeitszeit in der Wechselschicht zu gewährenden Freischichten von den dienstplanmäßig vorgesehenen Schichten abgezogen. Die Freischichten seien abzuziehen, weil während dieser Schichten keine Arbeitspflicht bestehe. Die Klägerin hält den Abzug der Freischichten von den dienstplanmäßigen Arbeitstagen für unzulässig und hat auf die Feststellung weiterer Urlaubstage geklagt.

So sieht es das LAG

Das LAG hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Bei einer von der Fünf-Tage-Woche abweichenden Verteilung der Arbeitszeit sei zu ermitteln, an wie vielen Kalendertagen dienstplanmäßig gearbeitet werden muss oder in Fällen des nachträglichen Wegfalls der Arbeitspflicht, etwa wegen Arbeitsunfähigkeit, Urlaubs oder sonstiger Freistellung hätte gearbeitet werden müssen. Bei einem zu Beginn des Kalenderjahrs durchgängig für das gesamte Jahr aufgestellten Dienstplan ohne Einplanung von Freischichten seien Arbeitstage alle Kalendertage, an denen die Beschäftigten für einen Arbeitseinsatz in der Tag- oder Nachtschicht vorgesehen seien. § 26 Abs. 1 S. 3 TV-L regele ausdrücklich, dass Arbeitstage solche Kalendertage seien, an denen die Beschäftigten dienstplanmäßig zur Arbeit vorgesehen seien. Nachträgliche Änderungen des Dienstplans hätten keinen Einfluss auf den Jahresurlaubsanspruch, der am 1.1. des Kalenderjahrs fällig sei und genommen werden könne. Es könne nicht erst am Jahresende rückblickend geprüft und festgestellt werden, wie viele Freischichten an ursprünglich geplanten Arbeitstagen tatsächlich gewährt worden seien im Fall der Klägerin deutlich weniger als die durchschnittlich zu gewährenden Freischichten.

Das LAG hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) nicht zugelassen.

Quelle | LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4.5.2022, 23 Sa 1135/21, PM 13/22 vom 24.6.2022

Inhaltsirrtum: Wenn die Erbausschlagung missglückt…

Ein Irrtum über die Person desjenigen, dem die Ausschlagung der Erbschaft zugutekommt, berechtigt nicht zur Anfechtung. Es handelt sich dabei lediglich um einen unbeachtlichen Motivirrtum. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Hamm. |

Die Kinder der Ehefrau des Erblassers hatten das Erbe mit dem Ziel ausgeschlagen, die Alleinerbenstellung der Mutter zu erreichen. Sie hatten dabei aber verkannt, dass sich dann noch die Frage nach anderen gesetzlichen Erben der ersten und zweiten Ordnung stellt. Die auf diese Erkenntnis folgende Anfechtung der Erbausschlagung hat das OLG zurückgewiesen.

Man kann aber auch anderer Meinung sein. So hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf entschieden, dass ein zur Anfechtung berechtigender Inhaltsirrtum vorliegt, wenn der (auch rechtskundig beratene) Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen, sondern wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt.

Beachten Sie | Bei Erbausschlagungen ist also stets Vorsicht geboten.

Quelle | OLG Hamm, Urteil vom 21.4.2022, 15 W 51/19; OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 21.9.2017, 3 Wx 173/17 und vom 12.3.2019, 3 Wx 166/17

Haftungsquote: Hälftige Haftung bei Unfall auf Baumarkt-Parkplatz

Auf Fahrgassen eines Parkplatzes, die vorrangig der Parkplatzsuche dienen und nicht dem fließenden Verkehr, gilt nicht die Vorfahrtsregel „rechts vor links“! Die Fahrer sind vielmehr verpflichtet, defensiv zu fahren und die Verständigung mit dem anderen Fahrer zu suchen. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat eine hälftige Haftungsquote für die Unfallfolgen auf einem Parkplatz eines Baumarkts ausgesprochen.

Das war geschehen

Der Kläger begehrt restlichen Schadenersatz nach einem Verkehrsunfall auf dem Parkplatz eines Baumarkts in Wiesbaden. Der Betreiber hatte die Geltung der StVO angeordnet. Auf die zur Ausfahrt des Parkplatzgeländes führende Fahrgasse münden von rechts mehrere Fahrgassen ein. Der Beklagte befuhr eine dieser von rechts auf die Ausfahrtfahrgasse einmündenden Fahrgassen, an deren beiden Seiten sich im rechten Winkel angeordnete Parkboxen befanden. Auch die zur Ausfahrt führende Fahrgasse verfügt im linken Bereich über Parkboxen. Im Einmündungsbereich der Fahrgassen kam es zum Zusammenstoß mit dem klägerischen Fahrzeug.

Berufungsverhandlung ging nicht wunschgemäß aus

Das Landgericht (LG) hat der Klage auf Basis einer Haftung des Beklagten in Höhe von 25 Prozent stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers führte zu einer Änderung der Haftungsquote auf 50 Prozent. Maßgeblich für die Höhe der Schadenersatzverpflichtung des Beklagten sei, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden sei, betonte das OLG. Die Verursachungsbeiträge der Fahrer der unfallbeteiligten Fahrzeuge seien hier als gleichgewichtig anzusehen und der Schaden zu teilen.

Gegenseitige Rücksichtnahme erwartet

Der Beklagte könne nicht geltend machen, dass sein Vorfahrtsrecht verletzt wurde. Zwar seien die Regeln der Straßenverkehrsordnung auf öffentlich zugänglichen Privatparkplätzen wie hier grundsätzlich anwendbar. Fahrgassen auf Parkplätzen seien jedoch keine dem fließenden Verkehr dienenden Straßen und gewährten deshalb keine Vorfahrt. „Kreuzen sich zwei dem Parkplatzsuchverkehr dienende Fahrgassen eines Parkplatzes…, gilt für die herannahenden Fahrzeugführer das Prinzip der gegenseitigen Rücksichtnahme…, d.h. jeder Fahrzeugführer ist verpflichtet, defensiv zu fahren und die Verständigung mit dem jeweils anderen Fahrzeugführer zu suchen“, unterstreicht das OLG.

Fahrgassen ohne Straßencharakter: kein fließender Verkehr

Etwas anderes gelte nur, wenn die angelegten Fahrspuren eindeutig und unmissverständlich Straßencharakter hätten und sich bereits aus ihrer baulichen Anlage ergebe, dass sie nicht der Suche von freien Parkplätzen dienten, sondern der Zu- und Abfahrt der Fahrzeuge. Für einen solchen Straßencharakter könnten etwa die Breite der Fahrgassen sprechen oder auch bauliche Merkmale einer Straße wie Bürgersteige, Randstreifen oder Gräben. Derartige straßentypische bauliche Merkmale fehlten hier. Die Fahrgassen dienten ersichtlich nicht dem fließenden Verkehr, da an ihnen jeweils Parkboxen angeordnet waren. Da es am Straßencharakter für die vom Klägerfahrzeug befahrene Fahrgasse fehle, habe der Beklagte auch nicht die hohen Sorgfaltsanforderungen beim Einfahren auf eine Fahrbahn gemäß der Straßenverkehrsordnung (§ 10 StVO) erfüllen müssen.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 22.6.2022, 17 U 21/22, PM 59/22

Nach dem TÜV-Besuch: Wenn die Motorhaube plötzlich hochklappt…

Was für ein Schreck! Als die beiden Frauen mit dem Auto auf die Stadtautobahn auffuhren, klappte auf einmal die Motorhaube hoch und die Sicht war versperrt. Geistesgegenwärtig konnten die beiden auf den Seitenstreifen fahren. Personenschaden gab es keinen. Aber der Pkw (Renault Clio) hatte einen Totalschaden. Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg sprach Schadenersatz zu.

Kurz zuvor war der Ehemann der Fahrerin zur Hauptuntersuchung beim Technischen Überwachungsverein (TÜV) gewesen und hatte die orangene Plakette erhalten. Er verklagte das Land Niedersachsen vor dem Landgericht (LG) Oldenburg auf Schadenersatz. Zunächst ohne Erfolg. Das LG wies die Klage ab und argumentierte, ein Verschulden des TÜV-Prüfers stehe nicht fest. Der Prüfer hatte vor Gericht ausgesagt, er kontrolliere nach der Prüfung des Motors stets standardmäßig, dass die Motorhaube wieder ordnungsgemäß einraste. Warum sie letztlich hochgeklappt sei, könne nicht mehr festgestellt werden, so das LG.

Der Kläger hatte mit seiner Berufung gegen dieses Urteil beim OLG jetzt Erfolg. Nach den Ausführungen des gerichtlich hinzugezogenen Sachverständigen stehe fest, dass die Motorhaube nicht ordnungsgemäß verriegelt gewesen sei, so das OLG. Der ganze Schließmechanismus sei entfettet und trocken gewesen, was dazu geführt habe, dass das Schloss nicht richtig arretiert habe. Offenbar habe der Prüfer die Arretierung der Motorhaube nicht sichergestellt. Eine andere Schadensursache komme nicht infrage. Insbesondere könne ausgeschlossen werden, dass der Kläger oder seine Frau die Motorhaube nach der TÜV-Untersuchung geöffnet und dann nicht wieder richtig verschlossen hätten. Für sie hätte so kurz nach dem TÜV-Besuch auch keine Verpflichtung bestanden, das Auto noch einmal zu kontrollieren. Der Kläger müsse sich daher auch kein Mitverschulden anrechnen lassen.

Der Kläger erhält nach dem Richterspruch Ersatz für den Totalschaden. Außerdem muss das Land Niedersachsen ihm die Rechtsanwaltskosten ersetzen.

Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 3.6.2022, 6 U 31/22

Verkehrssicherungspflicht: Wenn der höhenbewegliche Poller beim Überfahren plötzlich hochfährt…

Ein Poller, der von einem Durchfahrtberechtigten ferngesteuert abgesenkt werden kann, muss mit mehreren Sicherungseinrichtungen versehen sein. Diese müssen verhindern, dass der Poller automatisch hochfährt, während ein auch unberechtigtes weiteres Fahrzeug darüberfährt. So hat es jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart entschieden.

Der Kläger folgte mit seinem Pkw dem Pkw eines für einen Parkplatz Zufahrtsberechtigten. Am Eingang des Parkplatzes befindet sich eine automatische Polleranlage. Diese ist üblicherweise hochgefahren. Der Poller kann per Funk abgesenkt werden. Ein Schild oder Verkehrszeichen mit einem Hinweis auf die Polleranlage fehlt. Auch eine Ampel war zum Zeitpunkt des Ereignisses nicht angebracht. Der Kläger folgte dem Berechtigten über den Poller hinweg. Dabei kollidierte sein Pkw mit dem hochfahrenden Poller. Der Kläger verlangte vom sog. Verkehrssicherungspflichtigen der Anlage seinen Schaden ersetzt.

Das OLG: Eine reine Induktionsschleifensteuerung genügt nicht. Es muss mittels Schildern gewarnt und/oder mittels einer Ampel die Durchfahrt geregelt sein. Eine rein akustische Warnung genügt nicht, weil derjenige, der den Poller in seiner Überfahrtstellung im Boden gar nicht erkannt hat, diese Warnung nicht in Zusammenhang mit dem Poller bringt.

Quelle | OLG Stuttgart, Urteil vom 24.8.2022, 4 U 13/22, Abruf-Nr. 231612 unter www.iww.de

Bundessozialgericht: Kinderzuschlag grundsätzlich nur für erwerbsfähige Eltern

Kann kein Familienmitglied hilfebedürftig im Sinne des Sozialgesetzbuchs (SGB II) sein, besteht kein Anspruch auf Kinderzuschlag. Dies gilt auch, wenn Grund für die fehlende Hilfebedürftigkeit die mangelnde Erwerbsfähigkeit der Eltern ist. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) nun entschieden.

Die Klägerin Mutter dreier unter 15 Jahre alter Kinder und ihr Ehemann waren beide schon dem Grunde nach nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II. Sie waren anders als in der Grundsicherung für Arbeitsuchende vorausgesetzt nicht erwerbsfähig. Ihr Leistungsvermögen war zeitlich auf unter drei Stunden täglich begrenzt. Hieraus folgt, dass sie auch nicht hilfebedürftig im Sinne der Grundsicherung für Arbeitsuchende sein konnten. Damit konnte durch den Kinderzuschlag aber auch Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II weder vermieden noch deren Bestehen ausgeschlossen werden. Dies ist jedoch Anspruchsvoraussetzung für den Kinderzuschlag.

Der Kinderzuschlag hat einen sozialpolitischen Zweck: Es sollen Familien unterstützt werden, bei denen der SGB II-Leistungsbezug sich allein aus dem Bedarf der Kinder ergibt, während die Eltern ihren Bedarf zumindest zum überwiegenden Teil durch Erwerbseinkommen selbst decken können. Da in diesem Fall auch kein anderes Familienmitglied die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II erfüllte, hat das BSG die ablehnenden Entscheidungen der Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit und der Vorinstanzen bestätigt.

Quelle | BSG, Urteil vom 13.7.2022, B 7/14 KG 1/21 R, PM 28/22 vom 13.7.2022