Fachanwalt für Arbeitsrecht & Fachanwalt für Familienrecht
Urteilskategorie
Urteilsarchiv

Karin Tempel-Maier

Strafbarer Verkehrsverstoß: Wann ist das Merkmal „verbotenes Kraftfahrzeugrennen“ erfüllt?

| Das Kammergericht (KG) Berlin hat sich in zwei aktuellen Entscheidungen mit verbotenen Kraftfahrzeugrennen befasst. Dabei ging es vor allem um die Frage, ob eine nur kurze Fahrstrecke bereits das Vorliegen eines „Rennens“ ausschließt. |

„Rennen“ auch bei nur geringer Distanz?

In dem einen Beschluss (vom 18.5.2022) wies das KG darauf hin, dass ein sog. Kraftfahrzeugrennen auch bei einer nur kurzen Renndistanz gegeben sein kann. Gerade die Ermittlung und der Abgleich der für Fahrer hochmotorisierter Fahrzeuge oft wichtigen Beschleunigungspotenziale erfordere keine langen Wegstrecken. Deshalb stehe auch eine mit 50 Meter recht kurze Renndistanz einer Würdigung des Geschehens als Kraftfahrzeugrennen nicht entgegen.

Einzelrennen: nicht angepasste Geschwindigkeit

Gegenstand des anderen Beschlusses (vom 29.4.2022) war ein sog. Einzelrennen. Das KG bekräftigt darin die Auffassung, wonach für die Frage, ob von einer nicht angepassten Geschwindigkeit im Sinne des Strafgesetzbuchs (hier: § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB) auszugehen ist, entscheidend ist, ob das Fahrzeug bei der Geschwindigkeit noch sicher beherrscht werden kann. Dabei stelle die zulässige Höchstgeschwindigkeit lediglich ein Indiz dar. Eine Fortbewegung mit nicht angepasster Geschwindigkeit sei ein gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen verstoßendes oder der konkreten Verkehrssituation zuwiderlaufendes Fahren, wobei die Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnissen anzupassen ist. Darüber hinaus richte sich die angepasste Geschwindigkeit auch nach der Leistungsfähigkeit des Fahrzeugführers sowie dem technischen Zustand des Fahrzeugs.

Quelle | KG Berlin, Beschluss vom 18.5.2022, 3 Ss 16/22, Abruf-Nr. 230208 unter www.iww.de; Beschluss vom 29.4.2022, (2) 161 Ss 51/22 (15/22), Abruf-Nr. 230209 unter www.iww.de

Aufenthaltsbestimmung: Keine Rückführung eines entführten Kindes in die Ukraine

| Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat mit einer aktuellen Entscheidung die Rückführung eines von der Mutter ohne Einverständnis des Vaters aus der Ukraine nach Deutschland verbrachten Kindes abgelehnt. |

Mutter floh mit Tochter aus Odessa

Die gemeinsam sorgeberechtigten und jetzt getrenntlebenden Eheleute lebten bis März 2022 mit ihrer damals einjährigen Tochter in Odessa. Nach mehreren Fliegeralarmen, die die Eltern teilweise mit dem Kind im Auto in einer Tiefgarage verbracht hatten, begab sich die Mutter mit der Tochter ohne Zustimmung des Vaters nach Deutschland, was eine Kindesentführung im Sinne des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) darstellt.

Vater wollte Tochter in die Ukraine zurückholen

Der Vater begehrte daraufhin beim Familiengericht die Rückführung seiner Tochter in die Ukraine. Die Mutter lehnt die Rückführung der Tochter ab, da die Rückführung in ein Kriegsgebiet zu gefährlich sei. Das für Verfahren nach dem HKÜ international und örtlich zuständige Amtsgericht (AG) Stuttgart wies die Anträge des Vaters ab. Mit seiner Beschwerde zum OLG Stuttgart verfolgte der Vater die Rückführungs- und Herausgabeanträge weiter. Hilfsweise beantragte er, dass die Tochter in die Republik Moldau verbracht werden solle.

Oberlandesgericht: Rückführung des Kindes zu gefährlich

Das OLG hat die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt und alle Anträge des Vaters zurückgewiesen. Eine Rückführung des Kindes in die Ukraine sei mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden (Art. 13 Abs. 1 b) HKÜ). Die Voraussetzungen dieser Härteklausel lägen bei einer Kindesrückführung in ein Kriegsgebiet vor. Um ein Kriegsgebiet handle es sich bei dem gesamten Staatsgebiet der Ukraine seit dem 24.2.2022, wie sowohl die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes als auch die aktuelle Medienberichterstattung zeige. Dies gelte auch für die Westukraine einschließlich des Bereichs um Odessa. Es bestehe daher eine konkrete Gefahr für das Leben des noch nicht zwei Jahre alten Kindes.

Auch Ausweichen auf die Republik Moldau keine Option

Eine Rückführung in die Republik Moldau komme ebenfalls nicht in Betracht, da nach dem Grundgedanken des HKÜ und der Rechtsprechung dazu grundsätzlich nur eine Rückführung in das Land des bisherigen Aufenthalts eines Kindes möglich sei. Ausschlaggebend dafür sei, dass in dem Staat, in den das Kind rückgeführt werden solle, umgehend eine gerichtliche (Sorgerechts-) Entscheidung über den weiteren Aufenthalt des Kindes ermöglicht werden solle. Dafür wären die Gerichte der Republik Moldau nicht international zuständig, da das Kind dort nicht seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe.

Ein Rechtsmittel gegen diesen Beschluss des OLG ist nicht gegeben.

Quelle | OLG Stuttgart, Beschluss vom 13.10.2022, 17 UF 186/22, PM vom 18.10.2022

Schadenersatz: Eigener Gutachter versus Versicherungsgutachter

| Der Geschädigte ist grundsätzlich berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen sogar, wenn der Schädiger bereits einen eigenen Sachverständigen beauftragt hatte. Das hat jetzt das Amtsgericht (AG) Berlin-Mitte entschieden. |

Liegt zu dem Zeitpunkt, in dem der Geschädigte ein Gutachten einholt, bereits ein Gutachten des Schädigers vor, darf der Geschädigte aufgrund des Grundsatzes der Waffengleichheit das Einholen eines eigenen Gutachtens für erforderlich halten. Dies gilt selbst dann, wenn keine Zweifel an der Objektivität oder Richtigkeit des Erstgutachtens bestehen.

Grund dafür ist die Schutzwürdigkeit des Geschädigten nach einem konkreten Schadensfall. Um sich vor einem hypothetischen Szenario schützen zu können, in dem der Haftpflichtversicherer des Schädigers von der Werkstatt in Rechnung gestellte Instandsetzungskosten als nicht unfallbedingt oder überhöht zu bezahlen ablehnt, muss der Geschädigte die Möglichkeit haben, diese Kosten substanziiert und beweiskräftig gerichtlich einzuklagen.

Quelle | AG Berlin Mitte, Urteil vom 2.9.2022, 104 C 40/22 V, Abruf-Nr. 231373 unter www.iww.de

Sozialrecht: Trotz Tod der Pflegeeltern keine Vollwaisenrente, wenn die leiblichen Eltern noch leben

| Den Status als Vollwaise i. S. d. Sozialrechts (hier: § 48 SGB VI) besitzt, wer keinen unterhaltspflichtigen Elternteil mehr hat. Das ist bei einem Kind, dessen Pflegeeltern verstorben sind, aber nicht der Fall, wenn die leiblichen Eltern noch leben. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen entschieden. |

Das war geschehen

Der Kläger kam nach der Geburt zu Pflegeeltern. Seine leiblichen Eltern leben noch. Nach dem Tod des Pflegevaters gewährte ihm der beklagte Rentenversicherungsträger eine Halbwaisenrente. Nach dem Tod der Pflegemutter beantragte er erfolglos eine Vollwaisenrente. Seine gegen den Ablehnungsbescheid gerichtete Klage war erfolgreich. Auf die Berufung des Rentenversicherungsträgers hat das LSG das Urteil geändert und die Klage abgewiesen.

Pflegekind ist nicht Vollwaise, wenn leibliche Eltern noch leben

Der Kläger habe keinen Anspruch auf Vollwaisenrente. Dieser setze voraus, dass das Kind keinen Elternteil mehr habe, der ungeachtet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig sei. In diesem Sinne sei der Kläger kein Vollwaise, da seine dem Grunde nach unterhaltspflichtigen leiblichen Eltern noch lebten.

Da Pflegekinder gegenüber Pflegeeltern nicht unterhaltsberechtigt seien, seien sie zwar mit leiblichen Kindern (und Adoptivkindern) insoweit gleichgestellt, als dass sie grundsätzlich Waisenrente nach dem Tod von Pflegeeltern(teilen) beanspruchen könnten. Die Frage, wann ein Kind Halb- bzw. Vollwaise sei, richte sich aber nur mit Blick auf die unterhaltspflichtigen leiblichen Eltern.

Pflegekinder wären sonst doppelt abgesichert

Zwar könne ein Kind mehr als zwei Elternteile haben (z. B. leibliche Eltern und Pflegeeltern), jedoch nur Vollwaise sein, wenn kein unterhaltspflichtiger Elternteil mehr vorhanden sei. Es entspreche nicht dem gesetzgeberischen Willen, dass Pflegekindern nach Versterben beider Pflegeelternteile sowohl ein Anspruch auf Vollwaisenrente als auch grundsätzlich ein Unterhaltsanspruch gegen die leiblichen Eltern zustehe und sie somit doppelt abgesichert seien.

Denn leibliche Kinder, die in der Herkunftsfamilie gelebt haben, hätten nur Anspruch auf Vollwaisenrente, wenn sie keinen Unterhaltsanspruch gegen einen unterhaltspflichtigen Elternteil geltend machen können, wenn beide dem Grunde nach unterhaltspflichtigen Elternteile verstorben sind.

Quelle | LSG NRW, Urteil vom 14.6.2022, L 14 R 693/20

Freizeitausgleich: Auch in Pausen ständig erreichbar? Dann ist es Arbeitszeit!

| Ein Beamter hat Anspruch auf Freizeitausgleich, soweit die ihm gewährten Pausenzeiten in „Bereithaltung“ als Arbeitszeit zu qualifizieren sind und hieraus eine dienstliche Inanspruchnahme über die durchschnittlich zu erbringende regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus resultiert. Zu diesem Ergebnis kam das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG). |

Der Bundespolizist (der Kläger) beanspruchte die Anrechnung der Pausenzeiten in „Bereithaltung“ auf die Arbeitszeit im Umfang von (ursprünglich) 1.020 Minuten. Die einzelne Pause belief sich auf jeweils 30 bis 45 Minuten. Die Vorinstanzen verurteilten die Beklagte, seine Arbeitgeberin, dem Kläger bezogen auf verschiedene Arbeitstage ab August 2013 Pausenzeiten im Umfang von insgesamt 510 Minuten auf die Arbeitszeit anzurechnen, weil in diesen Zeitabschnitten der Charakter von Arbeitszeit überwogen habe. Im Übrigen blieben Klage und Berufung erfolglos.

Auf die Revision des Klägers verurteilte das BVerwG die Beklagte, dem Kläger weiteren Freizeitausgleich im Umfang von 105 Minuten zu gewähren. Der Kläger könne sich auf den beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruch wegen Zuvielarbeit stützen. Dessen Voraussetzungen seien bezogen auf die gewährten Pausenzeiten gegeben. Denn hierbei handele es sich um Arbeitszeit und nicht um Ruhezeit.

Für die insoweit vorzunehmende Abgrenzung sei maßgeblich, ob die im Rahmen einer Pausenzeit auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie die Möglichkeiten, sich zu entspannen und sich Tätigkeiten nach Wahl zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beschränken. Solche objektiv ganz erheblichen Beschränkungen lägen vor, wenn ein Bundespolizeibeamter bei anlässlich von Maßnahmen der präventiven oder repressiven Gefahrenabwehr (im vorliegenden Fall Durchsuchungsmaßnahmen und die Vollstreckung eines Haftbefehls) seine ständige Erreichbarkeit verbunden mit der Pflicht zur sofortigen Dienstaufnahme während der ihm gewährten Pausenzeiten sicherstellen müsse. Dann seien die Pausenzeiten als Arbeitszeit zu qualifizieren.

Auf den Umfang der tatsächlichen dienstlichen Inanspruchnahme komme es nicht an. Die Verpflichtung zum Tragen von Einsatzkleidung sowie zum Mitführen von Dienstwaffe und Dienstfahrzeug genüge für sich betrachtet jedoch nicht.

Quelle | BVerwG, Urteil vom 13.10.2022, 2 C 24.21, Abruf-Nr. 231850 unter www.iww.de

Entfernung aus dem Dienst: JVA-Beamter und Drogenbesitz: Das geht gar nicht!

| Ein 38-jähriger Beamter einer Justizvollzugsanstalt (JVA), der wegen des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zuvor vom Strafgericht rechtskräftig zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, ist aus dem Dienst zu entfernen. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz in Koblenz und betonte dabei auch eine abschreckende Wirkung seines Urteils. |

Damit bestätigte der für Landesbeamte zuständige Disziplinarsenat die erstinstanzliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Trier, das diese Disziplinarmaßnahme gegen den Beamten bereits in erster Instanz ausgesprochen hatte. Maßgeblich für die Zurückweisung der Berufung des Beamten war für den Senat der durch die Straftat des Beamten eingetretene Vertrauensverlust.

Dem stünden die von ihm geltend gemachten Milderungsgründe nicht entgegen. Vielmehr sei auch unter Berücksichtigung dieser Gründe das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit in die Amtsführung des JVA-Beamten irreversibel zerstört. Die Dienstentfernung sei danach unumgänglich, auch um die Bediensteten im Justizvollzug wirksam an ihre Pflichten zu erinnern und von einer Nachahmung abzuhalten.

Quelle | OVG Koblenz, Urteil vom 2.11.2022, 3 A 10295/22.OVG, PM 16/22 vom 25.11.2022

Schadenersatz: Unfall mit Baumstumpf – wer zahlt?

| Die öffentliche Hand muss dafür sorgen, dass auf Freiflächen, die wie Parkplätze aussehen, keine Baumstümpfe stehen, die Autos beschädigen können. Das Landgericht (LG) Köln entschied nun, dass die Klägerin von der beklagten Stadt teilweise Schadenersatz für ihren beschädigten Pkw erhält. |

Das war geschehen

Die Klägerin wollte ihren Pkw nach Einbruch der Dunkelheit in Köln Mülheim auf einem unbefestigten, nicht gepflasterten Streifen von ca. 1,5 qm neben der Straße parken. Hinter der Freifläche, auf der früher Bäume standen, verlief ein gepflasterter Gehweg. Rechts und links davon war alles asphaltiert. Andere Pkw hatten dort geparkt. Ein Schild wies auf die Parkmöglichkeit in diesem Bereich während des Wochenmarktes hin. Bei der regelmäßigen Begehung der Fläche, zuletzt am Vortag des Unfalls der Klägerin, fielen keine Verschmutzungen oder Laubbedeckungen auf. Mittlerweile ist der Platz umgestaltet und erneuert worden. Die Klägerin behauptet, mit ihrem Pkw auf einen 20 bis 25 cm hohen Baumstumpf aufgefahren zu sein, der auf der unbefestigten Freifläche gestanden habe. Ihr sei dadurch ein Schaden von über 3.000 Euro netto entstanden.

Hälftiger Schadenersatz

Das LG sprach der Klägerin nur die Hälfte des geltend gemachten Schadenersatzes zu. Grund: Die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflichten verletzt, indem sie den Baumstumpf auf der Freifläche, die sich neben den asphaltierten Parkflächen befand, nicht so entfernt hat, dass ein Fahrzeug beim Abstellen nicht beschädigt wird. Diese Pflicht habe die Beklagte getroffen, weil sie damit rechnen musste, dass Verkehrsteilnehmer diese Freifläche für einen Parkplatz halten konnten. Die Beklagte war auch für die Freifläche als Trägerin der Straßenbaulast für Gemeindestraßen zuständig. Zur öffentlichen Straße gehören dabei auch befestigte Seitenstreifen, Parkplätze und Parkflächen. Dadurch, dass die Beklagte den Baumstumpf auf der von der Klägerin benannten Freifläche weder vollständig entfernt hatte, noch kenntlich machte oder ein Befahren der Fläche verhinderte, verletzte sie auch die ihr obliegende Amtspflicht.

Unfallhergang plausibel

Die Kammer war davon überzeugt, dass sich der Unfall so abgespielt hat, wie die Klägerin dies geschildert hat. Zwei Beifahrerinnen haben als Zeuginnen ausgesagt und die Angaben der Klägerin bestätigt. Der Beklagten war es auch zuzumuten, Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen. Dass dieser Baumstumpf eine Gefahrenquelle darstellt, hätte bei einer regelmäßigen Kontrolle auffallen müssen.

Nach Einbruch der Dunkelheit ist besondere Sorgfalt gefordert

Aber: Die Klägerin treffe ein Mitverschulden von 50 Prozent. Sie hätte bei den schlechten Sichtverhältnissen nach Einbruch der Dunkelheit besser auf eventuelle Hindernisse achten müssen.

Quelle | LG Köln, Urteil vom 24.11.2022, 5 O 94/22

Umgangsrecht: Keine Hilfe vom Jugendamt beansprucht: keine Verfahrenskostenhilfe

| Das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg hat jetzt klargestellt: Beantragt ein Elternteil in einem Umgangsverfahren Verfahrenskostenhilfe, bevor er eine Beratung oder Vermittlung durch das Jugendamt beansprucht hat, kann diese im Einzelfall wegen Mutwilligkeit abgelehnt werden. Es ist vom Hilfsbedürftigen zu verlangen, dass er die ihm kostenfrei zugänglichen Angebote insbesondere die Vermittlungsbemühungen des Jugendamts wahrnimmt, um sein Ziel wenigstens versuchsweise zu erreichen, bevor er gerichtliche Hilfe in Anspruch nimmt. |

Der Vater hatte die Umgangsregelung jedoch beantragt, ohne darzulegen, dass er das Jugendamt um Vermittlung gebeten hätte oder warum diese Bemühungen aussichtslos sein sollten. Die Uneinigkeit der Eltern erschien dem Gericht überbrückbar.

Quelle | OLG Hamburg, Beschluss vom 18.8.2022, 12 WF 87/22, Abruf-Nr. 231992 unter www.iww.de

Bußgeldkatalog: Rotlichtverstoß mit einem SUV allein rechtfertigt noch kein erhöhtes Bußgeld

| Bei der Bemessung einer Geldbuße darf von dem im Bußgeldkatalog vorgesehenen Regelfall nur abgewichen werden, wenn auch der betreffende Einzelfall deutlich vom Normalfall abweicht. Nicht ausreichend ist der pauschale Verweis, dass der Pkw-Fahrer bei seinem Rotlichtverstoß einen SUV fuhr. Da er in einem aktuellen Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt jedoch eine gravierende Vorbelastung hatte, hat das Gericht die den Regelsatz übersteigende Geldbuße in Höhe von 350 Euro sowie das verhängte einmonatige Fahrverbot als gerechtfertigt anerkannt. |

Das war geschehen

Das Amtsgericht (AG) hatte den Mann wegen eines Rotlichtverstoßes zu der o. g. Geldbuße und einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt. Dabei hatte es die vom Bußgeldkatalog neben dem Fahrverbot vorgesehene Regelbuße von 200 Euro auf 350 Euro erhöht. Zur Begründung hatte es auf die vorhandene Vorbelastung sowie die „größere abstrakte Gefährdung durch das geführte Kraftfahrzeug“ verwiesen. Die kastenförmige Bauweise und erhöhte Frontpartie erhöhten „bei einem SUV das Verletzungsrisiko für andere Verkehrsteilnehmer“.

Merkmal „SUV“ rechtfertigt allein keine Erhöhung der Regelbuße

Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde hatte vor dem OLG keinen Erfolg, obwohl das OLG klarstellte, dass die Argumentation des AG keine Erhöhung der Regelbuße rechtfertige. Der Bußgeldkatalog diene der gleichmäßigen Behandlung sehr häufig vorkommender, wesentlich gleich gelagerter Sachverhalte, betonte das OLG. Er solle eine Schematisierung herbeiführen, sodass „besondere Umstände des Einzelfalls zurücktreten“. Nur ein deutliches Abweichen vom Normalfall rechtfertige deshalb eine Abweichung vom Bußgeldkatalog. Die Feststellung solcher außergewöhnlichen Umstände bedürfe einer „über die Benennung eines diffusen Fahrzeugtyps oder Modells hinausgehender Betrachtung des Einzelfalls“. Die vom AG erwähnte „größere“ abstrakte Gefährdung bzw. „erhöhte“ Verletzungsgefahr erfülle nicht die Anforderungen an derartige Feststellungen. Es fehle an der erforderlichen Einzelfallbetrachtung, soweit sich die Zumessungserwägungen auf einen „noch nicht einmal trennscharf bestimmbaren Fahrzeugtyp“ ohne nähere Definition beschränkten. Jedenfalls wären „die wesentlichen gefährdungsrelevanten Charakteristika“ zu ergründen gewesen. Da die Gruppe der „SUV“ sehr heterogen sei, erscheine zudem ein Schluss von der Gruppenzugehörigkeit auf gefahrrelevante Umstände nicht möglich. Schließlich, so das OLG, sei die vom AG angenommene erhöhte Verletzungsgefahr nicht allgemeinkundig, sondern Gegenstand von Untersuchungen mit diametralen Ergebnissen.

Vorbelastung des Pkw-Fahrers führt zu Abweichen von Normalfall

Die verhängte Geldbuße sei aber im Ergebnis wegen der gravierenden Vorbelastung des Pkw-Fahrers gerechtfertigt. Die Regelbuße beziehe sich auf einen nicht vorgeahndeten Fahrer. Vorliegend habe der Mann 13 Monate vor der hier zu beurteilenden Ahndung bereits einen Rotlichtverstoß begangen. „Diese Vorahndung führt in der Gesamtschau des vorliegenden Einzelfalls dazu, dass ein deutliches Abweichen von dem im Katalog geregelten Normalfall festzustellen ist“, betont das OLG.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 29.9.2022, 3 Ss-OWi 1048/22, PM 79/22

Öffentlicher Dienst: Rückentattoo hindert Bewerber, Polizist zu werden

| Das Land Rheinland-Pfalz darf einen Bewerber für den Polizeidienst ablehnen, der über den gesamten oberen Rückenbereich eine Tätowierung mit den Worten „Loyalty, Honor, Respect, Family“ trägt. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Trier entschieden. |

Das war geschehen

Der Bewerber hatte sich um Einstellung in den gehobenen Polizeidienst des Landes Rheinland-Pfalz beworben. Das Land lehnte seine Einstellung jedoch wegen Zweifeln an seiner charakterlichen Eignung ab. Die Tätowierung mit den Begriffen im Zusammenhang mit der gewählten Schriftart „Old English“ vermittele den Gesamteindruck eines „Ehrenkodex“, der über den Bedeutungsgehalt der einzelnen tätowierten Begriffe hinausreiche und inhaltlich mit den Werten einer „modernen Bürgerpolizei“ nicht in Einklang gebracht werden könne. Hiergegen hat der Bewerber um einstweiligen Rechtsschutz beim VG ersucht, mit dem er die Einstellung in den Polizeidienst begehrt. Zur Begründung machte er im Wesentlichen geltend, es sei willkürlich, aufgrund einer nicht sichtbaren Tätowierung auf seine Nichteignung zu schließen.

Verwaltungsgericht: Zweifel des Arbeitgebers an charakterlicher Eignung

Diesem Antrag hat das VG nicht entsprochen. Der Bewerber habe keinen Anspruch auf Einstellung in den gehobenen Polizeidienst. Nach den maßgeblichen Vorschriften seien Einstellungen in ein öffentliches Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen, wobei dem Dienstherrn ein Beurteilungsspielraum zustehe, der nur einer begrenzten gerichtlichen Kontrolle unterliege. Die erforderliche charakterliche Eignung des Bewerbers habe das Land zutreffend verneint, denn dieser habe seine Zweifel an der charakterlichen Nichteignung des Bewerbers plausibel, willkürfrei und ohne sachwidrige Erwägungen dargelegt.

Wertesystem des Bewerbers unvereinbar mit Pflicht eines Polizeibeamten

Zu Recht habe das Land ausgeführt, dass die in der Tätowierung enthaltenen Begriffe und insbesondere die Voranstellung der Begriffe „Loyalität“ und „Ehre“ an erster und zweiter Stelle bei einem unbefangenen Betrachter den Verdacht nahelegen müssen, dass diese Werte für den Antragsteller eine besondere Bedeutung haben und hieraus der Schluss gezogen werden könne, dass dieser ein archaisches und überkommenes Wertesystem vertrete, in welchem der Loyalität zu einer bestimmten Person oder Personengruppe und der Aufrechterhaltung einer wie auch immer gearteten „Ehre“ eine übersteigerte Bedeutung zukomme. Eine solche persönliche Einstellung sei jedoch mit der Pflicht eines Polizeibeamten zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten unvereinbar.

Bewerber gab keine plausible Erklärung ab

Im Fall des Bewerbers könne nicht ausgeschlossen werden, dass dieser aufgrund seines Wertesystems der „Loyalität“ und „Ehre“ eine höhere Bedeutung als den Freiheitsrechten der Bürger zumesse, zumal dieser nicht hinreichend dargelegt habe, auf welchen Bezugspunkt sich diese Attribute beziehen. Aufgrund der unplausiblen Erklärung zu den Hintergründen der Tätowierung komme eine andere Bewertung als die vom Land angenommene nicht in Betracht.

Quelle | VG Trier, Beschluss vom 27.9.2022, 7 L 2837/22.TR, PM 26/22