| Mit dem Tod entfällt das Interesse des Erblassers an der Geheimhaltung seines letzten Willens den gesetzlichen Erben gegenüber insoweit, als der letzte Wille diese betrifft. Denn um sicherzustellen, dass der letzte Wille auch tatsächlich verwirklicht wird, müssen insbesondere über die Erbeinsetzung der testamentarischen Erben und die damit verbundene Enterbung der gesetzlichen Erben auch Letztere informiert werden. Das hat jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) klargestellt. |
Das war passiert: Der spätere Kläger erfuhr aufgrund einer Testamentseröffnung davon, dass er enterbt worden war. Er bemühte sich zunächst erfolglos bei dem Notar um Einsichtnahme in die Abschrift des Testaments. Die Notarkammer wies den Kläger auf die notarielle Verschwiegenheitspflicht hin. Daher beantragte er, den Notar von seiner Verschwiegenheitspflicht zu entbinden erneut erfolglos. Grund: Es sei nicht erkennbar, dass dies im mutmaßlichen Willen des Erblassers gelegen haben könnte. Der Kläger verfolgte sein Ziel jedoch weiter.
Das Oberlandesgericht (OLG) hatte die Klage noch abgewiesen. Doch der BGH gab ihm letztinstanzlich Recht. Der Notar war von seiner Verschwiegenheitspflicht hinsichtlich des Inhalts der den Kläger betreffenden letztwilligen Verfügung zu befreien. Das Interesse der verstorbenen Beteiligten an der Geheimhaltung des den Kläger betreffenden Inhalts der Verfügung von Todes wegen sei nicht nur in Bezug auf das zum Nachlassgericht gegebene Original des Testaments weggefallen, sondern auch in Bezug auf die beim Notar verbliebene Abschrift.
Quelle | BGH, Urteil vom 20.7.2020, NotZ (Brfg) 1/19, Abruf-Nr. 217729 unter www.iww.de
| Das Verwaltungsgericht (VG) Neustadt an der Weinstraße hat jetzt klargestellt: Bei einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,6 Promille ist Radfahren nicht mehr möglich. Weigert sich der Radfahrer, sich einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) zu seiner Fahrtauglichkeit und einer möglichen Alkoholproblematik zu unterziehen, kann er mit einem generellen Fahrrad-Fahrverbot belegt werden. |
Der Kläger war betrunken Fahrrad gefahren. Der Atemalkoholtest ergab 1,73 Promille, der spätere Bluttest 2,21 Promille Blutalkohol. Der Kläger wurde wegen einer Trunkenheitsfahrt im Straßenverkehr verurteilt. Die Fahrerlaubnisbehörde forderte den Kläger daraufhin auf, eine MPU zu absolvieren. Damit sollte er seine Fahreignung nachweisen. Das tat der Kläger nicht. Daraufhin untersagte ihm die Behörde, alle fahrerlaubnisfreien Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr zu nutzen.
Das wollte der Kläger nicht akzeptieren und klagte. Er sei zum ersten Mal mit seinem Fahrrad auffällig geworden. Für eine MPU fehlten ihm die finanziellen Mittel. Außenkontakte, Arztbesuche und die Betreuung seiner Mutter machten es unerlässlich, dass er sein Fahrrad nutze.
Das VG wies die Klage ab. Begründung: Die Fahrerlaubnisbehörde habe verhältnismäßig gehandelt und sei bei 1,6 Promille befugt, eine MPU anzuordnen. Dies gelte auch für Fahrräder. Ab dieser Blutalkoholkonzentration ist die allgemeine Fahreignung insgesamt fraglich, sodass eine MPU erforderlich sein kann. Dass der Kläger kein Geld für das Gutachten habe, sei irrelevant. Zwar erkenne das VG ein starkes Interesse daran an, dass der Kläger wichtige Dinge per Fahrrad erledigen wolle. Aber: Das öffentliche Interesse an der allgemeinen Verkehrssicherheit überwiege. Betrunkene Fahrradfahrer könnten ernsthafte Schäden verursachen.
Quelle | VG Neustadt an der Weinstraße, Urteil vom 12.8.2020, 1 K 48/20.NW, Abruf-Nr. 218366 unter www.iww.de
| Biegt ein Vorausfahrender nach links ab, ohne zu blinken, und kollidiert er dabei mit einem überholenden Pkw, haftet er voll. Das hat jetzt das Oberlandesgericht (OLG) München klargestellt. |
Für das OLG stand folgender Sachverhalt fest: Die Fahrerin des den Unfall verursachenden Pkw fuhr auf einer 5,4 Meter breiten Fahrbahn rechtsorientiert und ohne den Fahrtrichtungsanzeiger zu setzen plötzlich unter Verletzung der zweiten Rückschaupflicht nach links, um in ein Grundstück abzubiegen. Sie hatte daher die höchste Sorgfaltspflicht zu erfüllen, die die Straßenverkehrsordnung (StVO) kennt. Der überholende und deutlich schnellere Pkw wäre bei Wahrnehmung der Rückschaupflicht jederzeit erkennbar gewesen.
Die Fahrerin räumte selbst ein, zunächst den hinter ihr befindlichen Pkw gesehen zu haben, kurz vor dem Abbiegevorgang aber nicht mehr darauf geachtet zu haben. Soweit sie angab, ca. drei Meter vor dem Abbiegen geblinkt zu haben, wäre das nicht rechtzeitig gewesen. Denn der hinter ihr befindliche Fahrer hätte sich hierauf nicht mehr einstellen können. Für ihn war der Unfall daher unvermeidbar.
Quelle | OLG München, Urteil vom 22.7.2020, 10 U 601/20, Abruf-Nr. 218365 unter www.iww.de
| Es kommt immer wieder vor, dass in familienrechtlichen Verfahren ein Ehegatte nicht „mitspielt“. Das kann für ihn extrem negative Auswirkungen haben, wie ein aktueller Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Brandenburg zeigt. |
Im Fall des OLG hatte sich ein Ehegatte seit fast sechs Jahren der Aufklärung seiner in der Ehezeit erworbenen Versorgungsanrechte entzogen. Dies geschah, obwohl das Gericht einige Anordnungen getroffen und Zwangsmaßnahmen angeordnet hatte. Es hatte zudem etliche Anhörungstermine anberaumt. So wollte das Gericht das Versorgungsausgleichsverfahren fördern und abschließen vergebens.
Das OLG hat den Versorgungsausgleich ausgeschlossen. Es stellte klar: Ein Versorgungsausgleich findet ausnahmsweise nicht statt, soweit er grob unbillig wäre. Dies sei der Fall, wenn im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände die rein schematische Durchführung des Ausgleichs dem Grundgedanken des Versorgungsausgleichs, nämlich eine dauerhaft gleichmäßige Teilhabe beider Ehegatten an den in der Ehezeit insgesamt erworbenen Versorgungsanrechten zu gewährleisten, in unerträglicher Weise widersprechen würde, weil ein Ehegatte die verfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten grob verletzt hat.
Quelle | OLG Brandenburg, Urteil vom 2.4.2020, 9 UF 181/19, Abruf-Nr. 218359 unter www.iww.de
| Das Amtsgericht (AG) München wies die Klage einer Käuferin gegen einen Autohändler auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 1.400 Euro gegen Rückgabe eines Pkw Mercedes-Benz ab, da diese das Auto vor dem Gerichtstermin verschrottet hatte. |
Die Klägerin kaufte bei einem Autohändler im Januar 2017 einen 16 Jahre alten Pkw Mercedes Benz mit aktueller TÜV-Plakette und einem Kilometerstand von rund 188.000 km für einen Preis von 1.400 Euro. Laut Kaufvertrag hatte der Pkw einen Unfallschaden und einen Defekt am linken Türschloss. Nach Fahrzeugübernahme zeigten sich bereits erste Mängel: ein Fehler am Kühler und die Ölanzeige ging nicht mehr aus. Daraufhin ersetzte der Beklagte den Kühler und führte einen Ölwechsel durch. Nach weiteren Reklamationen wurden Luftfilter und Luftmengenmesser gereinigt. Anschließend fuhr die Klägerin mit dem Pkw noch über 1.000 km. Nach zwei weiteren Monaten erklärte die Klägerin den Rücktritt vom Kaufvertrag und verlangte die Rückabwicklung. Der Beklagte bot daraufhin an, den Luftfilter und -mengenmesser auszutauschen. Die Klägerin stellte das Fahrzeug in einem ADAC-Prüfzentrum vor mit dem Ergebnis, dass das Fahrzeug mängelbedingt nicht verkehrssicher sei. Die Klägerin verlangte nun anwaltlich, dass der Beklagte diese Mängel beheben müsse. Der Beklagte bot zwar eine Nachbesserung an, zu einer Reparatur kam es jedoch nicht mehr. Der Ehemann der Klägerin ließ das Fahrzeug verschrotten, ehe im Januar 2018 Klage erhoben wurde.
Der Beklagte behauptet, sowohl Luftfilter als auch Luftmengenmesser erneuert zu haben. Er bestreitet, dass der Pkw nicht verkehrssicher gewesen sei, dieser habe keine schwerwiegenden Mängel gehabt. Bei einer ersten Vorführung beim TÜV Ende 2016 sei festgestellt worden, dass die Achse links durchgerostet gewesen ist. Nach deren Austausch habe der TÜV bei der erneuten Vorstellung des Fahrzeugs nicht bemängelt, dass, wie später vom Prüfzentrum des ADAC behauptet, das Bodenblech, Holme an den Schwellen, Kraftfahrzeugbehälter oder/und Tankfüllrohr angerostet seien.
Ein Sachverständiger kam zu dem Ergebnis, dass einige dieser Roststellen mit äußerster Wahrscheinlichkeit bereits zum Kaufzeitpunkt vorhanden gewesen seien. Dies stehe im Widerspruch zur Hauptuntersuchung des TÜV, da ein Durchrosten der genannten Bleche nicht in kurzen Zeiträumen von bis zu zweit Monaten erwartbar sei. Darauf kam es hier aber nicht an.
Die Klägerin hat das Fahrzeug verschrotten lassen, obwohl sie wusste, dass sie einen Rechtsstreit über die Mangelhaftigkeit des Fahrzeuges führt. Zwar wird grundsätzlich zugunsten der Klägerin vermutet, dass die Durchrostung bereits bei Fahrzeugübergabe vorhanden war. Da das Gericht allerdings begründete Zweifel hat, dass wegen des TÜV-Berichts das Fahrzeug tatsächlich mangelhaft war und die Klägerin die Beweisführung vereitelt hat, kann dies hier nicht zulasten des Beklagten gehen. Daher bleibt es ausnahmsweise dabei, dass die Klägerin nachweisen muss, dass das Fahrzeug im Zeitpunkt der Übergabe mängelbehaftet war. Diesen Nachweis sah das Gericht nicht als erbracht an.
Das Urteil ist rechtskräftig nach Zurückweisung der Berufung.
Quelle | AG München, Urteil vom 23.8.2019, 173 C 1229/18, Abruf-Nr. 217935 unter www.iww.de; PM Nr. 42 vom 18.9.2020
| Das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg sagt: „Nein, aber ….“. Es hält zunächst fest, dass Privatgespräche ohne Einwilligung des Gesprächspartners weder auf einem Datenträger aufgezeichnet noch durch Abspielen der Aufzeichnung anderen zugänglich gemacht werden dürfen. Eine Zuwiderhandlung verletze zum einen das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen. Zum anderen stelle sie auch eine Straftat dar. Das Verbot gelte grundsätzlich auch im familiengerichtlichen Verfahren. Folge sei, dass das Gericht eine ohne Einwilligung des Betroffenen angefertigte Audioaufnahme nicht als Beweismittel verwerten dürfe. Doch dann schränkt das OLG diesen Grundsatz ein und erlaubte die Verwertung im konkreten Fall. |
Der Schutz des gesprochenen Wortes gelte nämlich nicht schrankenlos. Insbesondere, wenn das aufgenommene Gespräch wie im Fall des OLG nicht der unantastbaren Intimsphäre zuzuordnen ist, sondern in Konflikt zu dem ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht eines anderen tritt, zu dessen Durchsetzung die Audioaufnahme verhelfen soll, könne sich das Selbstbestimmungsrecht über das eigene Wort nicht über dessen schutzwürdige Belange schlechthin hinwegsetzen. Ein so absolutes Verwertungsverbot nicht gestatteter Tonaufnahmen sei unannehmbar.
Daraus folgert das OLG: Zur Glaubhaftmachung im Gewaltschutzverfahren kann auch eine Tonbandaufnahme von Äußerungen des Antragsgegners herangezogen werden. Dies erschien dem OLG in seinem Fall als vertretbar, da das Gespräch im öffentlichen Straßenraum aufgenommen worden war. Außerdem hatte die Antragstellerin den Antragsgegner zuvor darauf hingewiesen, dass sie Gespräche mit ihm aufnehmen werde.
Quelle | OLG Brandenburg, Beschluss vom 5.8.2020, 15 UF 126/20, Abruf-Nr. 218358 unter www.iww.de
| Hat der Kaskoversicherer ein Schadensgutachten erstellen lassen, ist er verpflichtet, es dem Versicherungsnehmer zur Verfügung zu stellen. Das ergibt sich aus den gegenseitigen Treuepflichten des Versicherungsvertrags. Der Versicherer muss das Gutachten nur vorlegen, wenn der Versicherungsnehmer dies verlangt. So entschied jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig. |
Außerdem muss, so das OLG, für den Versicherer das verfolgte Ziel des Versicherungsnehmers ersichtlich sein. Das ist etwa der Fall, wenn der Versicherungsnehmer den Reparaturauftrag im vom Versicherer akzeptierten Umfang, also auf der Grundlage der gutachterlichen Feststellungen, erteilen möchte, oder die Werte kennen möchte, um ein Ersatzfahrzeug zu beschaffen und das Unfallfahrzeug zu verkaufen.
Quelle | OLG Schleswig, Urteil vom 13.7.2020, 16 U 137/19, Abruf-Nr. 217708 unter www.iww.de
| Wird der Bewerber in einer Stellenanzeige dazu aufgefordert, seine Konfession anzugeben, kann dies ein ausreichendes Indiz für einen Verstoß (unterschiedliche Behandlung wegen der Religion) nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sein. So hat es nun das Arbeitsgericht (ArbG) Karlsruhe entschieden. |
Es ging um die Stellenanzeige in Bezug auf eine Sekretariatsstelle im Büro einer geschäftsleitenden Oberkirchenrätin. Die Klägerin hatte angegeben, konfessionslos zu sein. Sie war bei der Besetzung der Stelle nicht berücksichtigt worden.
Die Klägerin wurde, so das ArbG, wegen ihrer Religion benachteiligt. Eine berufliche Anforderung hier: Angehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft wäre nur gerechtfertigt gewesen, wenn sie angesichts des Ethos der Kirche und der Art der Tätigkeit oder der Umstände ihrer Erbringung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Die Beweislast hierfür trägt der Arbeitgeber.
Hier ging es jedoch (lediglich) um eine Mitarbeit im Sekretariat. Die Klägerin hätte die Beklagte also nicht in ihren Glaubensgrundsätzen und in Fragen der Verkündigung oder des Selbstverständnisses der Kirche vertreten (sog. verkündungsferne Tätigkeit). Am Ende musste die Beklagte der Klägerin über 5.000 EUR als Entschädigung zahlen.
Quelle | ArbG Karlsruhe, Urteil vom 18.9.2020, 1 Ca 171/19, Abruf-Nr. 218344 unter www.iww.de
| Auch die Kosten für die Fahrzeugdesinfektion (hier: rund 60 EUR) sind als Schaden nach einem Verkehrsunfall zu erstatten. So hat jetzt das Amtsgericht (AG) Heinsberg entschieden. Diese sei in Zeiten der Corona-Pandemie nach einer Kfz-Reparatur notwendig, da die Reparatur ein Berühren des Fahrzeugs durch Dritte erfordere. |
Das Urteil stellt damit inhaltlich auf die Notwendigkeit der Desinfektion ab und nicht nur auf das sogenannte Werkstattrisiko, wonach der Geschädigte keinen Einfluss hat, wie die Werkstatt abrechnet.
Quelle | AG Heinsberg, Urteil vom 4.9.2020, 18 C 161/20, Abruf-Nr. 217974 unter www.iww.de
| Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern hat jetzt verdeutlicht: Ein Arbeitnehmer, der eine Rechnung als sachlich und rechnerisch richtig zeichnet, ohne dies geprüft zu haben bzw. in dem Wissen, dass dieses nicht zutrifft, haftet für einen Schaden, der durch die Begleichung der Rechnungssumme entsteht. |
Im Streitfall ging es um eine aufaddierte Rechnungssumme von über 260.000 Euro im Baugewerbe, die trotz eines sog. Vier-Augen-Prinzips im betrieblichen Ablauf beglichen wurde, ohne dass entsprechende Leistungen erbracht wurden. Das Arbeitsgericht (AG) Stralsund als Vorinstanz erkannte eine Schadenersatzsumme von rund 170.000 Euro an.
Im vorliegenden Fall erfülle das Verhalten des Arbeitnehmers zumindest die Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit, die regelmäßig eine volle Haftung bewirke, so das LAG Mecklenburg-Vorpommern.
Quelle | LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 12.5.2020, 2 Sa 180/19, Abruf-Nr. 217873 unter www.iww.de