| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden: Eine Nachlasspflegschaft kommt nicht in Betracht, wenn nur Erbeserben des Nachlasses, nicht aber die Erben unbekannt sind. |
Manchmal ist es kompliziert: Eine vor Jahren verstorbene Erblasserin ist in Erbengemeinschaft mit weiteren Miterben als Eigentümerin eines Grundstücks eingetragen. Die Erblasserin ist zwischenzeitlich selbst beerbt worden, und zwar von mehreren Geschwistern, Neffen und Nichten, von denen einige mittlerweile ebenfalls verstorben sind. Deren Erben wiederum sind zum Teil unbekannt.
Einige (unmittelbare) Erben der Erblasserin hatten nun beantragt, eine Nachlasspflegschaft bezogen auf den Nachlass der Erblasserin anzuordnen. Die Voraussetzungen der Einrichtung einer solchen Nachlasspflegschaft liegen hier aber nach Ansicht des OLG Düsseldorf deshalb nicht vor, weil die Erben der Erblasserin nicht unbekannt sind. Denn die Erblasserin sei von ihren (bekannten) Geschwistern, Nichten und Neffen beerbt worden.
Zwar treffe es zu, dass einige dieser Erben inzwischen verstorben und ihrerseits von weiteren Personen beerbt worden sind, die zum Teil unbekannt sind. Das spielt jedoch so das OLG allenfalls für die Frage eine Rolle, ob ggf. eine Nachlasspflegschaft für einen oder mehrere dieser Erbeserben einzurichten ist. Es führt nicht dazu, dass deshalb die Erben der Erblasserin nun ihrerseits als unbekannt angesehen werden könnten.
Quelle | OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2.11.2020, I-3 Wx 163/20
| Das Amtsgericht (AG) Osnabrück weist darauf hin, dass ein Betreuer oder Vorsorgebevollmächtigter grundsätzlich keine betreuungsgerichtliche Genehmigung benötigt, wenn er für den Betroffenen die Einwilligung zur Impfung erteilt. |
Der Betreuer darf aber nur einwilligen, wenn er den Aufgabenkreis Gesundheitssorge innehat. Auch darf die betreute Person selbst nicht in der Lage sein, eine Entscheidung zu treffen. Der Betreuer muss auf die Wünsche und den mutmaßlichen Willen des Betreuten Rücksicht nehmen.
Beachten Sie | Eine Ausnahme von der Genehmigungsfreiheit dürfte anzunehmen sein, wenn eine ärztliche Einschätzung vorliegt, wonach wegen des gegenwärtigen Gesundheitszustandes des Betreuten für ihn Gefahren von einer Impfung ausgehen.
Die Ablehnung einer ärztlich empfohlenen Impfung kann dagegen genehmigungsbedürftig sein, wenn die betreute Person durch die Nichtimpfung erheblichen gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt wird.
Quelle | AG Osnabrück, PM Nr. 26/2020 vom 22.12.20
| Die Klage auf Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen gebrauchten Pkw wegen arglistiger Täuschung des Käufers hatte vor dem Landgericht (LG) Coburg überwiegend Erfolg. Nur für die zwischenzeitlich gefahrenen Kilometer musste der Kläger Abzüge hinnehmen. |Sachverhalt
Der Kläger hatte im Jahr 2018 vom Beklagten einen damals sieben Jahre alten Pkw mit einer Laufleistung von 122.000 km zum Preis von 10.500 Euro gekauft und hierbei auch einen Gewährleistungsausschluss vereinbart. Zugleich hatte der beklagte Verkäufer dem Kläger jedoch zugesichert, dass das Fahrzeug keinen Unfallschaden erlitten habe, solange es im Eigentum des Beklagten war und dass mit Ausnahme eines Schadens an der Frontstoßstange keine weiteren Beschädigungen vorlägen. In der Folgezeit wurde der Pkw nach einem Unfall des Klägers begutachtet. Dabei wurden verschiedene unreparierte und auch reparierte Vorschäden festgestellt. Tatsächlich war das Fahrzeug nämlich schon vor dessen Erwerb durch den Beklagten, dem späteren Verkäufer, bei einem Unfall beschädigt worden und musste für mehr als 5.000 Euro repariert werden.
Daraufhin focht der Kläger den Kaufvertrag an und verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises. Er behauptete, der Verkäufer habe das Fahrzeug von seinem Bruder gekauft und sei in dem ihn betreffenden Kaufvertrag auf einen reparierten Unfallschaden hingewiesen worden. Der Beklagte berief sich darauf, die Unfallfreiheit des Fahrzeuges nur für die Zeit seines Besitzes zugesichert zu haben. Zu der Frage, ob der Beklagte von dem Unfall des Fahrzeugs während der Besitzzeit seines Bruders wusste, machte der Beklagte teilweise widersprüchliche Angaben. Außerdem sei der Schaden repariert worden und der Kläger hätte ausreichend Gelegenheit zur Besichtigung des Pkw vor dem Kauf gehabt. Eine arglistige Täuschung durch das Verschweigen des Unfallschadens stritt der beklagte Verkäufer ab.
Landgericht erkennt arglistige Täuschung
Das LG sah im Verhalten des Beklagten eine arglistige Täuschung und gab der KIage überwiegend statt. Danach besteht für den Verkäufer eines gebrauchten Kraftfahrzeugs die Verpflichtung, den potenziellen Käufer auch ungefragt auf bekannte Mängel oder frühere Unfallschäden hinzuweisen, selbst dann, wenn der Schaden bereits fachgerecht repariert wurde. Eine Ausnahme gilt nur für sogenannte Bagatellschäden, also ganz geringfügige äußere Schäden, beispielsweise im Lack. Angesichts der Reparaturkosten von mehr als 5.000 Euro liegt eine solche Ausnahme hier jedoch nicht vor, sodass eine Aufklärung des Klägers über diesen Unfallschaden auch geboten war.
Weil dem Beklagten aber dieser frühere Unfallschaden tatsächlich bekannt war, handelte er nach der Entscheidung des LG auch arglistig, als er den Käufer nicht darüber informierte. Dafür ist es ausreichend, dass es der Verkäufer zumindest billigend in Kauf nimmt, dass der Käufer bei wahrheitsgemäßer Information den Vertrag nicht oder jedenfalls nicht mit diesem Inhalt oder zu diesem Preis geschlossen hätte. Die Vertragsanfechtung des Klägers war damit wirksam und der Kaufvertrag war rückgängig zu machen.
Der beklagte Verkäufer musste deshalb das Fahrzeug zurücknehmen und den Kaufpreis an den Kläger zurückzahlen. Hierbei war jedoch ein Abzug für die vom Kläger zwischenzeitlich gefahrenen fast 20.000 Kilometer im Wege des sogenannten „Vorteilsausgleichs“ vorzunehmen, ein Betrag von knapp 2.700 Euro. Außerdem wurde der Beklagte zur Zahlung von Zinsen und Rechtsanwaltskosten des Klägers verurteilt.
Quelle | LG Coburg, Urteil vom 24.9.2020, 15 O 68/19
| Verwandte, die nicht zum Personenkreis der Großeltern, Geschwister oder leiblicher (nicht rechtlicher) Vater eines Kindes gehören, können kein unabhängiges Umgangsrecht ausüben und müssen eine sozial-familiäre Beziehung nachweisen, so das Oberlandesgericht (OLG) Bremen. Eine Ausnahme gilt selbst dann nicht, wenn eine Familientragödie vorliegt. |
Die Geschwister des Vaters, der die Mutter seiner drei Kinder getötet hatte, wünschten sich Umgangskontakte mit ihnen, weil die Kinder zu ihrer Familie gehörten. Die minderjährigen Kinder lebten in einer Pflegefamilie und standen unter der Vormundschaft des Jugendamts. Sie kannten die Verwandten nicht näher und lehnten Kontakte zu Familienangehörigen des Vaters ab.
Zum Schutz der Kinder hat das OLG dem Umgangsbegehren nicht entsprochen. Eine Auslegung der sozial-familiären Beziehung mit einem großzügigen Maßstab kam vorliegend nicht zur Anwendung. Eine sozial-familiäre Beziehung enger Bezugspersonen des Kindes ist anzunehmen, wenn diese für das Kind tatsächliche Verantwortung tragen oder getragen haben. Ausreichend ist insofern, dass die den Umgang begehrende Person für das Kind in der Vergangenheit tatsächlich Verantwortung getragen hat, dass sie damit eine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind begründet hat und dass sie deshalb für das Kind, jedenfalls in der Vergangenheit, eine enge Bezugsperson war. Das Entstehen einer sozial-familiären Beziehung setzt zwar nicht voraus, dass ein Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft mit der Umgang begehrenden Person gelebt hat. Eine sozial-familiäre Beziehung kann daher auch zu Nachbarn, Verwandten und Freunden der Eltern bestehen, wenn das Kind ein besonderes Vertrauensverhältnis zu ihnen entwickelt hat. Eine Anbahnung einer sozial-familiären Beziehung durch die Ausübung des Umgangsrechts wurde hier in Bezug auf das Kindeswohl nicht gesehen.
Gegen den Beschluss wurde keine Rechtsbeschwerde eingelegt.
Quelle | OLG Bremen, Beschluss vom 5.2.2020, 4 UF 131/19
| Wenn der Arbeitgeber Anordnungen trifft, in denen es um das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes geht, kann es zu unterschiedlichen Streitigkeiten kommen. Mit zwei Fällen haben sich jetzt die Arbeitsgerichte (ArbG) in Berlin und Siegburg beschäftigt. Die Urteile zeigen: Es sind hohe Anforderungen an die Argumentierung zu stellen, dass gesundheitliche Gründe gegen das Tragen von Schutzmasken oder Gesichtsvisieren sprechen. |
Gesichtsschutzschirm statt Mund-Nasen-Schutz?
Darf ein Arbeitnehmer darauf bestehen, bei seiner Arbeit statt eines Mund-Nasen-Schutzes einen Gesichtsschutzschirm zu tragen? „Nein“, sagt das ArbG Berlin.
Die Arbeitnehmerin war Flugsicherheitsassistentin an einem Flughafen. Sie hatte im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes geklagt. Das ArbG argumentierte, dass der Arbeitgeber seine Beschäftigten und die Besucher des Flughafens vor Infektionen schützen müsse. Ein Gesichtsvisier schütze Dritte weniger als der vorgeschriebene Mund-Nasen-Schutz.
Dass ihr das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar sei, habe die Arbeitnehmerin nicht ausreichend glaubhaft gemacht.
Weder Schutzmaske noch Gesichtsvisier?
„Ohne Schutzmaske oder Gesichtsvisier geht es nicht.“ Der Arbeitgeber darf das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung während der Arbeitszeit anordnen. Dies musste sich jetzt ein Verwaltungsmitarbeiter in einem Rathaus vom ArbG Siegburg sagen lassen.
Der Kläger ist bei der Beklagten als Verwaltungsmitarbeiter im Rathaus beschäftigt. Die Beklagte ordnete im Frühjahr 2020 in den Räumlichkeiten des Rathauses das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung für Besucher und Beschäftigte an. Der Kläger legte ein Attest vor, das ihn ohne Angabe von Gründen von der Maskenpflicht befreite. Sein Arbeitgeber wies ihn daraufhin an, ein Gesichtsvisier beim Betreten des Rathauses und bei Gängen über die Flure und in Gemeinschaftsräumen zu tragen. Der Kläger legte ein neues Attest vor, das ihn wiederum ohne Angabe von Gründen von der Pflicht zum Tragen von Gesichtsvisieren jeglicher Art befreite. Ohne Gesichtsbedeckung wollte die Beklagte den Kläger nicht im Rathaus beschäftigen. Der Kläger begehrte nun im Eilverfahren seine Beschäftigung im Rathaus ohne Gesichtsbedeckung; alternativ wollte er im Homeoffice beschäftigt werden. Das ArbG wies seine Anträge ab.
Nach Auffassung des Gerichts überwiegt der Gesundheits- und Infektionsschutz aller Mitarbeiter und Besucher des Rathauses das Interesse des Klägers an einer Beschäftigung ohne Gesichtsvisier oder Mund-Nase-Abdeckung.
Zudem hatte die Kammer Zweifel an der Richtigkeit der ärztlichen Atteste. Die Kammer ging wie auch das OVG Münster bei der Maskentragepflicht an Schulen davon aus, dass ein solches Attest konkrete und nachvollziehbare Angaben enthalten muss, warum eine Maske nicht getragen werden könne, da der Kläger mithilfe der ärztlichen Bescheinigungen einen rechtlichen Vorteil für sich erwirken will, nämlich die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Betreten des Rathauses ohne Maske. Einen Anspruch auf Einrichtung eines Homeoffice-Arbeitsplatzes verneinte die Kammer in diesem Fall.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt werden.
Quelle | ArbG Berlin, Urteil vom 15.10.2020, 42 Ga 13034/20; ArbG Berlin, PM Nr. 34/2020 vom 18.12.2020; ArbG Siegburg, Urteil vom 16.12.2020, 4 Ga 18/20; PM vom 4.1.2021
| Der pauschale Antrag einer Rektorin, ihr eine Entlastung von ihren dienstlichen Aufgaben entsprechend der Teilzeit (86 Prozent) zu gewähren, ist unzulässig. Zu diesem Ergebnis kam das Verwaltungsgericht (VG) Osnabrück. |
Das Gericht begründete seine Entscheidung mit formalen Argumenten: Der Antrag sei inhaltlich nicht hinreichend bestimmt. Es sei nicht Aufgabe der Gerichte, durch eine etwaige Beweisaufnahme zu ermitteln, von welchen dienstlichen Aufgaben die Rektorin in welchem Umfang entlastet werden müsse, um eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit im Umfang ihrer Teilzeitbeschäftigung zu gewährleisten. Insofern folge die Kammer einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) aus dem Jahr 2015 nicht.
Zudem fehle es an der Klagebefugnis. Ein Grundsatz des Beamtenrechts sei, dass ein Beamter keinen Anspruch auf einen individuellen Ämterzuschnitt habe, sondern „nur“ einen Anspruch auf eine seinem statusrechtlichen Amt (hier Grundschulrektorin) entsprechende Verwendung. Beim konkreten Amt habe der Dienstherr ein Vorrecht (sog. Einschätzungsprärogative). Auch handele es sich bei der Frage über die konkrete Art der Entlastung der Schulen um eine Entscheidung des Organisationsermessens des Dienstherrn, die der Beamte nicht einklagen könne. Der Freizeitausgleich, der im Umfang auf ein ganzes Jahr hinausliefe, stehe ihr weder aus nationalem noch aus Unionsrecht zu. Dieser Anspruch setze eine vom Dienstherrn angeordnete Mehrarbeit voraus. Unionsrechtlich scheitere der Anspruch daran, dass die entsprechende EU-Richtlinie auf sie als Schulleiterin nicht anwendbar sei.
Das Gericht zeigte aber auch eine Lösung: Beamte hätten die Möglichkeit, Anträge zu stellen und Beschwerden zu erheben und so eine Überlastung zu dokumentieren. Eine so dokumentierte Überlastung könne nicht unmittelbar gerichtlich überprüft werden, sondern nur, wenn sie Beamten zu ihren Lasten vorgehalten werde, etwa im Rahmen einer dienstlichen Beurteilung.
Quelle | VG Osnabrück, Urteil vom 24.11.2020, 3 A 45/18, Abruf-Nr. 219439 unter www.iww.de
| Betreffend betriebsbedingte Kündigungen hat das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin in mehreren Entscheidungen festgestellt, dass allein ein Hinweis auf „Corona“ oder einen Umsatzrückgang aufgrund der Pandemie nicht ausreicht, um eine betriebsbedingte Kündigung zu rechtfertigen. |
Gesunkener Beschäftigungsbedarf
In der einen Entscheidung stellte das ArbG fest, dass der Arbeitgeber anhand seiner Auftrags- und Personalplanung im Einzelnen darstellen muss, warum nicht nur eine kurzfristige Auftragsschwankung vorliegt, sondern ein dauerhafter Auftragsrückgang zu erwarten ist. Wird im Betrieb Kurzarbeit geleistet, spricht dies gegen einen dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf (ArbG Berlin, Urteil vom 5.11.2020, 38 Ca 4569/20).
Umsatzrückgang
In weiteren Entscheidungen sagte das ArbG, dass die Erklärung, es habe einen starken Umsatzrückgang gegeben und man habe nicht anders auf denselben reagieren können, als eine Anzahl von Kündigungen auszusprechen, keine ausreichende Begründung zur Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung sei (ArbG Berlin, Urteile vom 25.8.2020, 34 Ca 6664/20, 34 Ca 6667/20, 34 Ca 6668/20).
Home-Office „rettet“ vor Arbeitsortswechsel
Schließlich stellte das ArbG in einem anderen Verfahren Folgendes fest: Auch wenn kein allgemeiner Anspruch auf eine Tätigkeit im Home-Office bestehe, könne die mögliche Arbeit von zu Hause aus bei vorhandenen technischen Voraussetzungen einer Änderungskündigung zur Zuweisung eines anderen Arbeitsortes entgegenstehen. Die stärkere Verbreitung des Arbeitens im Home-Office aufgrund der Pandemie zeige, dass Arbeiten von zu Hause aus möglich sei. Gegen die Entscheidung wurde die Berufung beim LAG Berlin-Brandenburg eingelegt (ArbG Berlin, Urteil vom 10.8.2020, 19 Ca 13189/19).
Quelle | Alle Entscheidungen: ArbG Berlin; ArbG Berlin, PM Nr. 34/2020 vom 18.12.2020
| Das Amtsgericht (AG) Frankfurt a. M. Familiengericht hat entschieden: Das Bewerfen eines Kindes mit einer Kartoffel und das Ziehen an dessen Arm stellen nicht ohne Weiteres Handlungen dar, die den Erlass einer Gewaltschutzanordnung rechtfertigen. |
Was war geschehen?
Im Rahmen des zugrundeliegenden Gewaltschutzverfahrens trug der Vertreter des achtjährigen Antragstellers vor, dass Letzterer im Hof eines Wohnhauses in Frankfurt a. M. zusammen mit einem anderen Kind gespielt habe. Hierdurch habe sich die das Nachbarhaus bewohnende Antragsgegnerin wohl gestört gefühlt. Aus diesem Grund habe sie nach den Kindern mit Kartoffeln geworfen und den Antragsteller dabei am Rücken getroffen. Außerdem habe die Antragsgegnerin den Antragsteller an einem anderen Tag am Arm festgehalten und gezogen. Das Kind habe geweint und könne nun aus Angst nachts nicht mehr schlafen. Der Antragsteller beantragte deshalb beim Frankfurter Familiengericht die Festsetzung eines Annäherungs- und Kontaktaufnahmeverbots im Wege der einstweiligen Verfügung.
So sah es das AG
Das AG hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Schwelle der vorsätzlichen Körperverletzung durch das Treffen mit einer aus dem zweiten Stock geworfenen Kartoffel am Rücken nicht erreicht sei. Es sei weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich geworden, dass bei dem Kind durch den Kartoffelwurf ein von seinen normalen körperlichen Funktionen abweichender Zustand hervorgerufen worden sei.
Auch das durch den Antragsteller behauptete Festhalten und Zerren am Arm stelle noch keinen erheblichen Eingriff in die Integrität der körperlichen Befindlichkeit dar. Soweit das Kind behaupte, es könne wegen des Vorfalls mit dem Arm nicht mehr schlafen, sei dies zwar grundsätzlich eine sich körperlich auswirkende Form psychischer Gewalt. Es fehle diesbezüglich zum Zeitpunkt des Handelns jedoch am erforderlichen Vorsatz der Antragsgegnerin.
Zudem läge in dem Zerren auch keine Freiheitsberaubung oder Drohung. Zwar könnte man darin eine nach dem Strafgesetzbuch strafbewährte Nötigung sehen. Diese sei jedoch vom Schutzbereich des Gewaltschutzgesetzes gerade nicht erfasst.
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.
Quelle | AG Frankfurt a. M., Beschluss vom 16.11.2020, 456 F 5230/20 EAGS; PM Nr. 17/2020 vom 18.12.2020
| Erweiterte Möglichkeiten der Datenübermittlung bei Kindeswohlgefährdungen sieht ein Gesetzentwurf des Bundesrates vor (Bundestagsdrucksache 19/24446 vom 18.11.2020). Wie es in der Vorlage heißt, ist die bisherige Ermächtigungsgrundlage defizitär. |
Ein im Interesse der Kinder und Jugendlichen erforderlicher Informationsaustausch zwischen den Gerichten und den Staatsanwaltschaften einerseits und den Jugendämtern andererseits dürfe jedoch nicht an überhöhten Hürden scheitern, so der Bundesrat. Deshalb soll das Kriterium der „erheblichen Gefährdung“ durch Bezugnahme auf das einfache Kindeswohl ersetzt werden mit dem Ziel einer Prüfung der Gefährdungslage durch das Jugendamt. Denn die Gerichte und Staatsanwaltschaften seien bisher nur ermächtigt, erhebliche Gefährdungen Minderjähriger zu melden.
Quelle | Deutscher Bundestag, heute im bundestag (hib) 1278/2020 vom 19.11.2020
| Oft geht es bei Verkehrsunfällen nicht „bloß“ um ein Bußgeld. Schnell kann auch eine strafrechtliche Verurteilung im Raum stehen, z. B., wenn im Rahmen einer Straßenverkehrsgefährdung eine sog. Rücksichtslosigkeit nachgewiesen wird. Doch wann ist ein Verhalten in diesem Sinn rücksichtslos? Zwei Oberlandesgerichte (OLG) haben sich in der letzten Zeit mit dieser Frage befasst. |
1. Wann ist eine Straßenverkehrsgefährdung rücksichtslos?
Rücksichtslos handelt, wer sich zwar seiner Pflichten als Verkehrsteilnehmer bewusst ist, sich aber aus eigensüchtigen Gründen, etwa seines ungehinderten Fortkommens wegen, darüber hinwegsetzt. Das gilt auch, wenn derjenige darauf vertraut hat, dass es zu einer Beeinträchtigung anderer Personen nicht kommen werde.
Das OLG Karlsruhe hat jetzt ergänzt: Rücksichtslos handelt auch, wer sich aus Gleichgültigkeit nicht auf seine Pflichten besinnt und Hemmungen gegen seine Fahrweise gar nicht erst aufkommen lässt kurz: unbekümmert um die Folgen seiner Fahrweise drauflosfährt.
Hierauf, so betont es das OLG, kann allerdings nicht schon aus den äußeren Umständen geschlossen werden, wenn ein Verkehrsteilnehmer in einer leichten Rechtsbiegung der Bundesstraße bei einer einsehbaren Überholstrecke bis zu 250 Metern einen Überholvorgang mit konkreter Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer durchführt, obwohl hier wenigstens 320 Meter erforderlich gewesen wären. Rücksichtslos handelt ein Verkehrsteilnehmer auch nicht, wenn er vor einem Überholvorgang in verkehrstypischer Weise wiederholt bis an die gestrichelte Mittellinie heranfährt, um zur Verbesserung seiner Sicht an einem zu überholenden Lkw vorbeizuschauen.
2. Gefahr und Risiko müssen zusammenhängen
Eine o. g. Strafbarkeit setzt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der konkreten Gefahr und den durch die Unübersichtlichkeit der Strecke begründeten Risiken voraus. So hat es jetzt das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) entschieden. Die Richter: Dieser Zusammenhang kann nur festgestellt werden, wenn auszuschließen ist, dass die konkrete Gefahr nur gelegentlich des zu schnellen Fahrens entstanden ist, also positiv festzustellen ist, dass die Gefahr ohne die Unübersichtlichkeit des Streckenverlaufs nicht eingetreten wäre.
Im vorliegenden Fall hatte ein Pkw-Fahrer eine unübersichtliche Mehrfachkurve in einem Waldstück mit stark überhöhter Geschwindigkeit passiert, was zum Kontrollverlust über den Pkw führte. Durch den hieraus resultierenden Verkehrsunfall verursachte er sorgfaltspflichtwidrig den Tod seiner Beifahrerin. Der Pkw-Fahrer musste sich hier einen groben Verkehrsverstoß zurechnen lassen. Jetzt muss die Vorinstanz noch einmal prüfen, ob die o.g. Voraussetzungen tatsächlich vorgelegen haben.
Quelle | OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5.8.2020, 1 Rv 34 Ss 406/20, Abruf-Nr. 218013 unter www.iww.de; BayObLG, Beschluss vom 22.7.20, 207 StRR 245/20, Abruf-Nr. 218008 unter www.iww.de