| Ein Servicetechniker hatte einen Mund-Nasen-Schutz nicht getragen, obwohl der Arbeitgeber dies angeordnet hatte. Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat die außerordentliche Kündigung für wirksam befunden, die der Arbeitgeber nach erfolgloser Abmahnung ausgesprochen hatte. |
Das war geschehen
Der Kläger war bei der beklagten Arbeitgeberin als Servicetechniker im Außendienst beschäftigt. Aufgrund der Pandemie wies der Beklagte alle Servicetechniker an, bei Kundenkontakt eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Anfang Dezember 2020 weigerte sich der Kläger, einen Serviceauftrag bei einem Kunden durchzuführen, der auf das Tragen einer Maske bestand.
Der Kläger reichte bei der Arbeitgeberin ein auf Blankopapier ausgestelltes ärztliches Attest unter dem Betreff „Rotzlappenbefreiung“ ein. Dort heißt es, dass es für den Kläger „aus medizinischen Gründen unzumutbar ist, eine nicht-medizinische Alltagsmaske oder eine vergleichbare Mund-Nasen-Bedeckung im Sinne der SARS-COV-2 Eindämmungsmaßnahmenverordnung zu tragen“. Daraufhin erteilte die Arbeitgeberin dem Kläger die Weisung, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Sie erkenne das Attest mangels konkreter nachvollziehbarer Angaben nicht an, werde aber die Kosten für den medizinischen Mund-Nasen-Schutz übernehmen.
Der Kläger lehnte den Serviceauftrag weiter ab. Die Arbeitgeberin mahnte ihn zunächst ab. Unbeeindruckt teilte der Kläger mit, er werde den Einsatz auch künftig nur durchführen, wenn er keine Maske tragen müsse. Daraufhin kündigte die Arbeitgeberin ihm.
Die Argumente des Arbeitsgerichts
Das ArbG Köln hat dessen Kündigungsschutzklage abgewiesen. Mit seiner beharrlichen Weigerung, den angeordneten und vom Kunden verlangten Mund-Nasen-Schutz zu tragen, habe der Kläger wiederholt gegen seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen verstoßen.
Das Attest rechtfertige das Verhalten des Klägers nicht: Denn zum einen sei das Attest nicht aktuell gewesen. Zum anderen sei es ohne konkrete Diagnose eines Krankheitsbilds nicht aussagekräftig, um zu rechtfertigen, dass der Kläger aus gesundheitlichen Gründen von der Maskenpflicht befreit sei.
Schließlich bestünden Zweifel an der Ernsthaftigkeit der vom Kläger behaupteten medizinischen Einschränkungen. Denn er habe den Mund-Nasen-Schutz als „Rotzlappen“ bezeichnet und sei dem Angebot einer betriebsärztlichen Untersuchung nicht nachgekommen.
Gegen das Urteil ist die Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) Köln möglich.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 17.6.2021, 12 Ca 450/21, PM 3/21
| Erkennt der Vater eines Kindes die Vaterschaft nicht an, können Gerichte dies klären. Über einen solchen Fall hat nun das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg entschieden. |
Eine junge Frau war sich sicher, wer der Vater ihrer Tochter sei. Das Amtsgericht (AG) holte ein DNA-Gutachten. Das Ergebnis: Die Vaterschaft des vermeintlichen Vaters war mangels Übereinstimmung der genetischen Merkmale ausgeschlossen. Davon unbeeindruckt blieb die Mutter bei ihrer Behauptung. Sie vermutete, der vermeintliche Vater habe zur Entnahme der DNA-Probe seinen Bruder geschickt. Beide sähen sich sehr ähnlich.
Das OLG ordnete die erneute Begutachtung an. Diesmal sollte die Mutter bei der Entnahme der Probe anwesend sein. Überraschung: Der vermeintliche Vater war auch der tatsächliche Vater des Kindes.
Folge: Die Akten werden nun der Staatsanwaltschaft übersandt. Diese wird prüfen, ob gegen den Antragsgegner und seinen Bruder ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird.
Quelle | OLG Oldenburg, Beschluss vom 19.4.2021, 3 UF 138/20, PM 24/21
| Nach einer aktuellen Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Celle können Messergebnisse des Geräts LEIVTEC XV3 in Bußgeldverfahren derzeit nicht mehr ohne Weiteres zugrunde gelegt werden. |
Geschwindigkeitsmessungen von Kraftfahrzeugen werden vor Gericht immer wieder als fehlerträchtig angegriffen. Dabei sind die Messgeräte im Zulassungsverfahren einer strengen technischen Prüfung unterworfen. Besteht ein Gerät diese Prüfung, bietet es bei Einhaltung der vorgegebenen Bedienvorschriften i.d.R. die hinreichende Gewähr für die Richtigkeit der erzielten Messergebnisse. Messungen können dann als sog. standardisierte Messverfahren in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren ohne weitere Überprüfungen zugrunde gelegt werden. Gibt es trotz Einhaltung der Bedienvorschriften Anhaltspunkte für Fehlerquellen und unzulässige Messwertabweichungen, setzt die Verurteilung eines vermeintlichen „Temposünders“ voraus, dass das Gericht im Einzelfall feststellen kann, dass solche Messfehler zulasten des Betroffenen ausgeschlossen sind.
Einen solchen Fall musste nun das OLG Celle entscheiden: Ein Autofahrer wurde mit dem Geschwindigkeitsmessgerät LEIVTEC XV3 kontrolliert. Hiernach sollte er die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 37 km/h überschritten haben. Das Amtsgericht (AG) hatte ihn deshalb zu einer Geldbuße von 140 EUR verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hin hob das OLG dieses Urteil auf und verwies das Verfahren zur erneuten Entscheidung an das AG zurück. Grund: Die für die Bauartprüfung dieses Messgeräts zuständige Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) konnte zwischenzeitlich bei bestimmten Versuchsanordnungen seltene Messfehler reproduzieren, die zulässige Toleranzen überschritten. Da der Abschlussbericht der PTB nicht eindeutig erkennen lässt, unter welchen Messbedingungen sich Messwertabweichungen zu Ungunsten bzw. ausschließlich zugunsten Betroffener auswirken können, sieht der Senat bei diesem Messgerät derzeit keine hinreichende Gewähr mehr für die Annahme eines standardisierten Messverfahrens und für die Zuverlässigkeit der erzielten Messergebnisse.
Folge: Das AG muss deshalb mithilfe eines Sachverständigengutachtens genauer klären, ob in diesem konkreten Einzelfall die ausgewiesene Geschwindigkeitsüberschreitung sicher festzustellen ist.
Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 18.6.2021, 2 Ss (Owi) 69/21
| Wird ein Fahrzeug teilweise zerlegt, damit das Gutachten erstellt werden kann, sind die dafür entstandenen Kosten vom Schädiger zu tragen. Unerheblich ist, ob er die Teilzerlegung für unnötig hält. Denn auch die Teilzerlegung fällt unter das vom Schädiger zu tragende Werkstatt- bzw. Prognoserisiko. So sieht es das Amtsgericht (AG) Tettnang. |
Der Geschädigte muss allerdings im Gegenzug zur Zahlung des Versicherers ihm gegenüber der Werkstatt evtl. zustehende Ansprüche auf Rückzahlung an den Versicherer abtreten.
Quelle | AG Tettnang, Urteil vom 20.5.2021, 3 C 639/20, Abruf-Nr. 222893 unter www.iww.de
| Eltern kann das Sorgerecht für ihre Kinder teilweise für den Bereich schulischer Angelegenheiten entzogen werden, wenn sie sich der Beschulung ihrer Kinder auf einer staatlich anerkannten Schule beharrlich verweigern und für ihre Kinder deshalb die Gefahr besteht, weder das erforderliche Wissen noch die erforderlichen Sozialkompetenzen erlernen zu können. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Celle entschieden. |
Sachverhalt und Verfahrensgang
Die Eltern von sieben Kindern gehören einer freikirchlichen Gemeinde an. Sie sehen sich aufgrund ihres Glaubens verpflichtet, ihre Kinder von Einflüssen fernzuhalten, die den Geboten Gottes zuwiderlaufen. Die Mutter der Kinder beschult deshalb ihre beiden ältesten Kinder (8 und 7 Jahre alt) nach dem Konzept einer „Freien Christlichen Schule“ zu Hause.
Die Landesschulbehörde hatte 2019 einen Antrag abgelehnt, die Kinder von der Schulpflicht zu befreien. Die Entscheidung eines Verwaltungsgerichts steht insoweit noch aus. Der Vater der Kinder wurde bereits in 15 Verfahren zu Bußgeldern verurteilt, weil er gegen die Schulpflicht verstoßen hatte.
Das Amtsgericht (AG) hatte keine familiengerichtlichen Maßnahmen ergriffen. Denn die Kinder wiesen weder Defizite beim Wissensstand auf noch seien solche in den Sozialkompetenzen zu erkennen.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts
Dem ist das OLG nicht gefolgt. Es hat den Eltern das Recht zur Regelung schulischer Angelegenheiten entzogen. Darüber hinaus hat es das Jugendamt als sog. Ergänzungspfleger bestellt. So kann dieses nun statt der Eltern die Entscheidungen im Hinblick auf den Schulbesuch treffen. Das Jugendamt kann notfalls sogar erzwingen, dass die Kinder für den Schulbesuch herausgegeben werden.
In Fällen, in denen das Wohl eines Kindes gefährdet ist und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, diese Gefahr abzuwenden, muss das Familiengericht die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen treffen. Das hat das OLG hier gesehen: Denn den Eltern gelinge nicht, die Kinder ausreichend mit Wissen zu versorgen und sie so auf spätere Prüfungen und die Berufsausbildung vorzubereiten. Sie konnten nicht einmal das Konzept ihrer Beschulung nachvollziehbar beschreiben. Des Weiteren unterrichtet die Mutter die Kinder nur wenige Stunden am Tag und dies überwiegend auch neben der Betreuung der weiteren fünf Geschwister. Zwar erhalte sie von einer „Freien Christlichen Schule“ eine gewisse Unterstützung. Die Kinder wären aber höchstwahrscheinlich so nicht in der Lage, einen staatlich anerkannten Schulabschluss zu erwerben.
Soziale Kompetenzen
Das OLG betont: Die Kinder können so keine sozialen Kompetenzen erwerben, die es ihnen ermöglichten, sich mit andersgläubigen Menschen auseinanderzusetzen und sich in einer Umgebung durchzusetzen und zu integrieren, in der die Mehrheit der Menschen nicht entsprechend den Glaubensvorstellungen der Familie leben. Denn sie wachsen ohne jeden Kontakt mit gleichaltrigen Kindern außerhalb ihrer Gemeinde auf. Zugang zu Computern oder Fernsehen fehle. Damit können sie auch nicht indirekt am sozialen Leben außerhalb der Gemeinde teilnehmen.
Glaubensfreiheit vs. Schutzbedürfnis
Das OLG hat bei seiner Entscheidung die grundgesetzlich verbürgte Glaubensfreiheit und das Erziehungsrecht berücksichtigt. Es erkennt die Aufgabe und das Recht der Eltern an, ihren Kindern Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln und nicht geteilte Ansichten von ihnen fernzuhalten. Dennoch sei seine Entscheidung erforderlich und verhältnismäßig, um die Kinder zu schützen. Zwar werden die Kinder bei einem Schulbesuch u. a. mit der Evolutionstheorie, der Sexualkunde und der Gleichberechtigung von Mann und Frau konfrontiert, was die Eltern hier im Hinblick auf ihre Glaubensüberzeugungen verhindern wollen. Allein durch die Behandlung dieser Unterrichtsstoffe sind die Eltern aber nicht daran gehindert, ihre Kinder in Glaubensfragen nach eigenen Vorstellungen zu erziehen.
Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 2.6.2021, 21 UF 205/20, PM vom 25.6.2021
| Arbeitnehmer können ihren Anspruch auf Teilzeit während der Elternzeit mit dem Erlass einer einstweiligen Verfügung sichern. So sieht es das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln. |
Das war geschehen
Die Klägerin befand sich nach der Geburt ihres Kindes seit dem 20.6.2020 in Elternzeit, die am 24.4.2022 enden soll. Sie beantragte am 19.2.2021 ab dem 1.5.2021 ihre Teilzeitbeschäftigung in Elternzeit bis zum 24.4.2022 im Umfang von 30 Wochenstunden. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab. Begründung: Es fehle an Beschäftigungsmöglichkeiten.
So sah es das Landesarbeitsgericht
Das LAG gab dem Antrag statt: Die Klägerin habe die Voraussetzungen für den Anspruch glaubhaft gemacht, die Arbeitszeit während der Elternzeit zu verringern. Der Arbeitgeber könne zwar dem Anspruch entgegentreten, etwa durch den Hinweis auf dringende betriebliche Gründe. Diese muss er aber ebenfalls glaubhaft machen.
Dafür genüge es nicht, bloß zu behaupten, es bestehe keine Beschäftigungsmöglichkeit. Es seien vielmehr die zugrunde liegenden Tatsachen zu bezeichnen.
Das LAG sah auch einen sog. Verfügungsgrund als gegeben an. Regelmäßig komme als Verfügungsgrund nur ein konkretes ideelles Interesse des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung in Betracht. Dieses habe die Klägerin vorliegend glaubhaft gemacht. Sie müsse bei weiterer Abwesenheit befürchten, dass andere Arbeitnehmer und nicht sie gefördert würden. Sie könne auf das „Abstellgleis“ geraten.
Seien die Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung gegeben, müsse der Arbeitgeber den Arbeitnehmer mit der von ihm angestrebten Stundenzahl beschäftigen. Eine zeitliche Begrenzung der Beschäftigung, z. B. „bis zur Entscheidung des Arbeitsgerichts in der Hauptsache“ sei nicht vorzunehmen.
Gegen die Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben.
Quelle | LAG Köln, Beschluss vom 4.6.2021, 5 Ta 71/21, PM 5/21
| Die Drohung, sich krankschreiben zu lassen, falls die Schichteinteilung nicht wie gewünscht erfolgt, stellt eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht dar, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern. |
Dennoch kann nach Ansicht des LAG die Interessenabwägung zugunsten des Arbeitnehmers ausgehen. Das ist z. B. der Fall, wenn die Drohung mit der Krankschreibung auf einem innerbetrieblichen Konflikt zwischen Arbeitnehmern beruhte, auf den der Arbeitnehmer bereits mit einer Eigenkündigung reagiert hat, und das Arbeitsverhältnis deshalb in Kürze wie hier vorliegend in vier Wochen endet.
Quelle | LAG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 4.5.2021, 5 Sa 319/20, Abruf-Nr. 222886 unter www.iww.de
| Der Arbeitgeber ist bei Kurzarbeit nicht berechtigt, den Erholungsurlaub der hiervon betroffenen Arbeitnehmer anteilig im Verhältnis zu den Jahresarbeitstagen zu kürzen, wenn keine Kurzarbeit „Null“ zugrunde liegt. So entschied es jetzt das Arbeitsgericht (ArbG) Osnabrück im Fall mehrerer Arbeitnehmer. |
Sachverhalt
Mehrere Arbeitnehmer verlangen mit ihrer Klage, Urlaubstage gutzuschreiben, die ihnen für Zeiten von Kurzarbeit im Verhältnis zu ihren Jahresarbeitstagen durch den Arbeitgeber anteilig gekürzt worden sind. Der an einzelnen Tagen durchgeführten Kurzarbeit lagen mehrere nahtlos aufeinanderfolgende Betriebsvereinbarungen zur Kurzarbeit zugrunde. Die Arbeitszeit der klagenden Parteien war nicht auf „Null“ reduziert worden.
Die Betriebsvereinbarungen wurden jeweils erst kurze Zeit vor Beginn der Kurzarbeit zwischen den Betriebspartnern geschlossenen. Die Information der betroffenen Arbeitnehmer erfolgte danach. Dem Arbeitgeber war es nach den Betriebsvereinbarungen zur Kurzarbeit gestattet, die Kurzarbeit vorzeitig und kurzfristig mit einer „Ansagefrist“ von zwei Werktagen zu beenden oder zu reduzieren.
Die klagenden Parteien sind der Ansicht, dass die durchgeführte Kurzarbeit keinen Einfluss auf ihre Urlaubsansprüche hat. Der Kurzarbeiter habe nicht ähnlich einem Teilzeitbeschäftigten eine vorhersehbare und frei gestaltbare Freizeit durch Kurzarbeit gewonnen, die er nutzen könne, um sich auszuruhen oder Freizeitaktivitäten nachzugehen.
So argumentierte der Arbeitgeber
Die Beklagte stützt sich zur Berechtigung der anteiligen Urlaubskürzung während der Kurzarbeit auf Entscheidungen des EuGH und des BAG über entsprechende Urlaubskürzungen gegenüber Teilzeitbeschäftigten und bei Gewährung eines Sabbaticals für Arbeitnehmer sowie auf eine obergerichtliche Entscheidung bei Kurzarbeit „Null“. Im Übrigen könne es nicht sein, dass dann, wenn der Betrieb nach Ende der Kurzarbeit durch die Arbeitnehmer, die ihren vollen Jahresurlaub nehmen könnten, nach Wiederanlaufen nach der Kurzarbeit dadurch blockiert würde.
Arbeitsgericht: Rechtswidrige Kürzung ist zurückzunehmen
Das ArbG hat den Klagen vollumfänglich stattgegeben und den Arbeitgeber verpflichtet, den gekürzten Urlaubsanteil dem Urlaubskonto der klagenden Arbeitnehmer gutzuschreiben.
Die anteilige Kürzung ist rechtwidrig. Unabhängig davon, dass Erholungsurlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz für das Bestehen des Arbeitsverhältnisses als solches unabhängig von der Erbringung einer konkreten Arbeitsleistung gewährt wird, kann vorliegend nicht von einem zur anteiligen Urlaubskürzung berechtigenden Ruhen des Arbeitsverhältnisses für die Dauer der Kurzarbeit gesprochen werden. Bei einer Kurzarbeit-Vereinbarung, bei der die Arbeitszeit nicht auf „Null“ für diesen Zeitraum herabgesetzt wird, besteht keine vergleichbare Gesetzeslage zum Teilzeitrecht oder sonstigen andauernden Unterbrechungen der gegenseitigen Leistungspflicht aus dem Arbeitsverhältnis, wie bei einem „Sabbatical“. Vielmehr zeigt die vergleichbare Lage zu sonstigen Ruhenstatbeständen im Arbeitsverhältnis, z.B. bei Elternzeit, dass hierfür anteilige Urlaubskürzung gesetzlich möglich ist. In Kenntnis dessen hätte der Gesetzgeber auch bei Kurzarbeit anteilige Urlaubskürzungen statuieren können. Dies hat der Gesetzgeber nicht nur unterlassen, sondern nach dem Bundesurlaubsgesetz gerade zum Ausdruck gebracht, dass Kurzarbeit nicht zur Verdienstschmälerung betreffend Urlaubsentgelt dienen soll.
Es lag keine Kurzarbeit „Null“ vor
Wegen der Durchführung von Kurzarbeit nur an einzelnen Tagen (statt Kurzarbeit „Null“) sowie der kurzfristigen Einführung als auch der vorliegenden Möglichkeit der vorzeitigen Beendigung oder Reduzierung der durchgeführten Kurzarbeit mit einer Ansagefrist von zwei Werktagen sieht das ArbG es als verfehlt an, einer derartigen Kurzarbeit die gleiche Rechtswirkung zuzusprechen, wie bei einem länger andauernden Ruhen des Arbeitsverhältnisses. Es kann weder davon gesprochen werden, dass bei derartiger Kurzarbeit Arbeitnehmer ihren Erholungsurlaub bereits anteilig quasi realisiert haben. Es ist auch unerheblich, dass Arbeitnehmer nach Ende der Kurzarbeit ihre restlichen Urlaubsansprüche nehmen können. Dies liegt in der Natur der Sache. Eine etwaige dadurch einhergehende Betriebsblockade erscheint nicht nur im Hinblick auf die sonstigen Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer als Spekulation und ohne Belang.
Die Berufung zum Landesarbeitsgericht (LG) wurde wegen der Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Quelle | ArbG Osnabrück, PM vom 10.6.2021
| Der Notar, der ein Nachlassverzeichnis aufnehmen muss, ist regelmäßig auch verpflichtet, selbstständig die aufzunehmenden Gegenstände und Forderungen zu ermitteln. Ein Verzeichnis, das sich nur auf die Beurkundung von Angaben des Erben beschränkt, erfüllt die Anforderungen nicht. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Celle entschieden. |
Inwieweit der Notar bei Erstellen eines notariellen Nachlassverzeichnisses zur Durchsicht von Kontounterlagen verpflichtet ist, vor allem, um zu prüfen, ob im Verwendungszweck „Schenkung“ oder eine ähnliche Formulierung gebraucht ist, oder ob er die Kontoauszüge auf Auffälligkeiten überprüfen muss, die für eine Schenkung sprechen, lässt sich nur für den konkreten Einzelfall bestimmen. Im Streitfall ging das dem OLG etwas zu weit. Dass die Anforderungen an den Notar in solchen Fällen durchaus hoch sind, hat das OLG bereits früher entschieden, nämlich zu Nachfragen bei Banken oder Finanzämtern sowie zur Sichtung eines Bankschließfachs.
Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 25.3.2021, 6 U 74/20, Abruf-Nr. 222979 unter www.iww.de
| Trifft ein elfjähriges Kind beim Überqueren einer Straße ein Mitverschulden an einem Verkehrsunfall? Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat in einer aktuellen Entscheidung die situationsbedingte Überforderung des Kindes berücksichtigt, eine Gefahrenlage im Straßenverkehr richtig einzuschätzen. |
Die damals 11-jährige Klägerin überquerte als letztes von vier Kindern kurz vor 8:00 Uhr morgens im Dunkeln eine Straße in der Nähe ihrer Schule. Eines der vorausgehenden Kinder trug eine gelb reflektierende Jacke. Dieser Gruppe näherte sich ein Pkw mit einer Geschwindigkeit von mindestens 55 km/h anstatt erlaubter 50 km/h. Kurz bevor die Klägerin den Bürgersteig erreichte, erfasste sie das Fahrzeug.
Die Klägerin erlitt durch den Unfall insbesondere einen Beckenbruch, einen Dammriss und eine Mittelgesichtsprellung. Sie wurde mehrtägig stationär behandelt. Sie verlangt von dem Fahrer, der Halterin und der Haftpflichtversicherung des Unfallfahrzeugs ein Schmerzensgeld und die Verpflichtung, für künftige unfallbedingte Schäden aufzukommen. Das Landgericht (LG) Verden hat in erster Instanz ein Mitverschulden der Klägerin angenommen, aufgrund dessen ihre Ansprüche um 25 Prozent gemindert seien.
Unangepasste Fahrweise einerseits …
Das OLG Celle hat der Klägerin demgegenüber in vollem Umfang Recht gegeben. Der Autofahrer habe den Unfall jedenfalls ganz überwiegend verschuldet. Ein Fahrzeugführer muss sich so verhalten, dass eine Gefährdung insbesondere von Kindern, hilfsbedürftigen und älteren Menschen ausgeschlossen ist. Hier hätte der Fahrer sein Fahrverhalten sofort anpassen müssen, als er die Kinder im Straßenbereich wahrnahm. Darüber hinaus hätte er den Unfall auch verhindern können, wenn er nur die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten hätte.
… aber auch fehlerhaftes Verhalten des Kindes
Zwar hatte sich das Kind ebenfalls falsch verhalten. Es hatte nämlich beim Überqueren der Straße den vorfahrtsberechtigten Fahrzeugverkehr nicht ausreichend beachtet. Nach dem OLG traf es insoweit aber kein Verschulden. Kinder, so das OLG, können ohnehin erst ab Vollendung des zehnten Lebensjahrs für Unfälle im Straßenverkehr verantwortlich sein. Hier kam hinzu, dass das nur unwesentlich ältere Kind nachvollziehbar überfordert war, weil es sich schon auf der Straße befand, als es das Fahrzeug wahrnahm, Entfernung und Geschwindigkeit dieses Fahrzeugs auch aufgrund der Dunkelheit falsch einschätzte und reflexhaft die falsche Entscheidung traf, der Gruppe hinterherzulaufen. Der Autofahrer habe sich auch nicht darauf verlassen dürfen, dass sich das Kind richtig verhalten werde.
Schwere Langzeitschäden für das Kind
Das OLG hat deshalb nicht nur die Verpflichtung der Beklagten festgestellt, der Klägerin ihren materiellen Schaden vollständig zu ersetzen. Er hat sie auch zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verurteilt, das mit insgesamt 35.000 EUR noch deutlich über den Vorstellungen der Klägerin selbst lag. Die Klägerin hatte schwere Verletzungen und Dauerschäden erlitten, u.a. im Genitalbereich, mit möglichen Risiken auch bei späteren Schwangerschaften. Aufgrund ihres jungen Alters hatte und hat sie noch lange an den Verletzungsfolgen zu tragen. Dies war bei der Schmerzensgeldbemessung bislang nicht berücksichtigt worden.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 19.5.2021, 14 U 129/20