Fachanwalt für Arbeitsrecht & Fachanwalt für Familienrecht
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Dimitri Hense

Schadenersatz: Reparaturverzögerungen gehen zulasten des Schädigers

| Auch Reparaturverzögerungen führen in Verkehrssachen oft zu Rechtsstreitigkeiten. In einem aktuellen Fall hat das Amtsgericht (AG) Wesel festgestellt: Das Risiko einer Verzögerung der Reparatur aufseiten der Werkstatt trägt der Schädiger. |

In dem Rechtsstreit bestritt der Versicherer, dass eine Werkstattüberlastung die Ursache der Verzögerung war, die der Geschädigte nicht erkennen konnte. Dennoch sah das AG geschädigtenfreundlich keine Veranlassung, die Ursache näher aufzuklären. Denn es war der Ansicht: Dauert die Reparatur so lange, wie sie gedauert hat, kommt es so lange nicht darauf an, warum dies so war, wie der Geschädigte darauf keinen Einfluss hat. Sogar eine vom Versicherer behauptete Verzögerung wegen einer Fehlleistung der Werkstatt ginge nicht zulasten des Geschädigten.

Quelle | AG Wesel, Urteil vom 10.11.2023, 4 C 186/22, Abruf-Nr. 238383 unter www.iww.de

Keine Kindeswohlgefährdung: Rechtswidrigkeit einer Inobhutnahme eines Kindes mit Behinderungen

| Das Verwaltungsgericht (VG) Göttingen hat auf Antrag eines Vaters festgestellt: Die Inobhutnahme eines (damals) elfjährigen Kindes im Jahr 2020 war rechtswidrig. |

Kind mit multiplen Störungen, Eltern in Trennung

Das heute 14-jährige Kind leidet u.a. an Störungen des Sozialverhaltens, Entwicklungsstörungen und unterdurchschnittlichen Lern- und Leistungsmöglichkeiten. Seit dem Jahr 2019 ist ihm Pflegegrad 3 und ein Grad der Behinderung von 50 zuerkannt. Seit November 2022 liegt der Grad der Behinderung bei 70. Die Eltern des Kindes trennten sich in den Jahren 2018/2019 und streiten seitdem um das Sorge- und Umgangsrecht. Dem Vater wurden mit Beschluss des AG vom Juli 2020 wesentliche Teile des Personensorgerechts entzogen, nämlich das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitssorge und das Recht, Jugendhilfeanträge zu stellen. Diese Rechte wurden allein der Mutter übertragen. Im September 2020 stand dem Vater zeitweise kein Umgangsrecht zu. Im Oktober 2022 übertrug ein anderes AG den Eltern die Gesundheitssorge wieder gemeinsam.

Mehrere Hilfsmaßnahmen für das Kind

Seit 2017 bewilligte die Stadt Göttingen (Beklagte) immer wieder Hilfen nach dem Kinder- und Jugendhilferecht (Tagesgruppe, Heimerziehung, Schulbegleitung). Anfang September 2020 nahm sie das Kind mit Einverständnis der Mutter in Obhut. Die Inobhutnahme ist eine vorläufige Maßnahme zum Schutz von Kindern und Jugendlichen eine sozialpädagogische Krisenintervention. Sie beinhaltet eine vorübergehende Schutzgewährung sowie eine weiterführende Klärungshilfe. Mit Bescheiden vom November 2020 gewährte die Beklagte für das Kind Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung nach dem Wortlaut der Bescheide rückwirkend auf den Tag der Inobhutnahme. Mitte August 2022 wurde diese Hilfe beendet. Nach kurzer Unterbrechung folgten weitere Hilfen.

Mit seiner im April 2022 erhobenen Klage wollte der Vater des Kindes (Kläger) insbesondere festgestellt wissen, dass die damalige Inobhutnahme rechtswidrig war. Diesem Antrag folgte die Kammer.

Inobhutnahme war nicht erforderlich

Die Inobhutnahme war nicht erforderlich, so das AG nun. Die Erforderlichkeit sei nur gegeben, wenn allein die Inobhutnahme das Kindeswohl sichern könne und andere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht zur Verfügung stünden.

Vorliegend hätte es für eine Fremdunterbringung keiner Inobhutnahme bedurft. Denn die Kindesmutter, die das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht und auch das Recht, Jugendhilfeanträge zu stellen sowie die Gesundheitssorge innehatte, sei mit einer Fremdunterbringung einverstanden gewesen. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Inobhutnahme vom September 2020 habe keine unmittelbaren Konsequenzen für die anschließend getroffenen und in Zukunft noch zu treffenden Entscheidungen über weitere Hilfeleistungen.

Quelle | VG Göttingen, Urteil vom 24.8.2023, 2 A 107/22, PM vom 4.9.2023

Schadenersatz: Mietwagenkosten bei Homeoffice mit Rufbereitschaft

| Wenn der Geschädigte in ländlicher Gegend ohne ausgeprägten öffentlichen Nahverkehr lebt und im Homeoffice, aber mit Rufbereitschaft arbeitet, ist auch ein Kilometerverbrauch von durchschnittlich 12,5 Kilometern pro Tag ausreichend, um die Mietwagenkosten als erforderlich anzusehen. So sieht es das Amtsgericht (AG) Nördlingen. |

Bei einer Mietwagennutzung von unter 20 km/Tag greift die Erforderlichkeitsvermutung nicht. Das bedeutet: Der Geschädigte muss Gründe vortragen und ggf. beweisen, warum der Mietwagen dennoch für ihn notwendig war. Rufbereitschaft, also die zunächst ungewisse, aber später im Bedarfsfall dringende Fahrzeugnutzung, hatte ein anderes AG zuvor bereits für einen Feuerwehrmann anerkannt.

Quelle | AG Nördlingen, Urteil vom 21.7.2023, 1 C 129/23, Abruf-Nr. 236458 unterwww.iww.de

Bundesarbeitsgericht: Kündigung wegen Äußerung in einer Chatgruppe

| Ein Arbeitnehmer, der sich in einer aus sieben Mitgliedern bestehenden privaten Chatgruppe in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und andere Kollegen äußert, kann sich gegen eine daraus folgende außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nur im Ausnahmefall auf eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung berufen. So hat es das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. |

Chatgruppe mehrerer Arbeitnehmer

Der bei der Beklagten beschäftigte Kläger gehörte seit 2014 einer Chatgruppe mit fünf anderen Arbeitnehmern an. Im November 2020 wurde ein ehemaliger Kollege als weiteres Gruppenmitglied aufgenommen. Alle Gruppenmitglieder waren nach den Feststellungen der Vorinstanz „langjährig befreundet“, zwei miteinander verwandt. Neben rein privaten Themen äußerte sich der Kläger wie auch mehrere andere Gruppenmitglieder in beleidigender und menschenverachtender Weise u. a. über Vorgesetzte und Arbeitskollegen. Nachdem die Beklagte hiervon zufällig Kenntnis erhielt, kündigte sie das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos.

Gerichte unterschiedlicher Meinung: Bundesarbeitsgericht spricht Machtwort

Beide Vorinstanzen haben der vom Kläger erhobenen Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BAG jedoch Erfolg. Die Vertraulichkeitserwartung des Klägers in Bezug auf die ihm vorgeworfenen Äußerungen war nicht berechtigt. Eine Vertraulichkeitserwartung ist nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Das wiederum ist abhängig von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chatgruppe. Sind Gegenstand der Nachrichten wie vorliegend beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige, bedarf es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigterweise erwarten konnte, deren Inhalt werde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben.

Das BAG hat das Berufungsurteil insoweit aufgehoben und die Sache an das LAG zurückverwiesen. Dieses wird dem Kläger Gelegenheit geben, darzulegen, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung haben durfte.

Quelle | BAG, Urteil vom 24.8.2023, 2 AZR 17/23, PM 33/23

Trunkenheitsfahrt: E-Scooter: Führerschein im Regelfall weg, aber Ausnahmen möglich

| Das Landgericht (LG) Osnabrück hat im Rahmen eines Berufungsverfahrens über die Frage entschieden, ob bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter die Fahrerlaubnis zu entziehen ist. |

Amtsgericht: fünfmonatiges Fahrverbot

Erstinstanzlich sah das Amtsgericht (AG) Osnabrück von der Entziehung der Fahrerlaubnis ab. Es sprach indes ein Fahrverbot von fünf Monaten aus. Hiergegen richtete sich die Berufung der Staatsanwaltschaft.

Gesamtschau: hohe Anforderung an Ausnahme

Das LG hat nun betont: Nach höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung könne bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter die Fahrerlaubnis entzogen werden. Dies stelle hierbei den Regelfall dar. Ob eine Ausnahme bestehe, sei durch eine Gesamtschau zu ermitteln. Höchstrichterlich würden an die Annahme einer solchen Ausnahme sehr hohe Anforderungen gestellt.

Ausnahme hier gegeben

Hier lag nach Ansicht des LG ein solcher Ausnahmefall vor. Der Angeklagte habe beabsichtigt, nur eine äußerst kurze Strecke rund 150 Meter mit dem E-Scooter zu fahren. Er habe nicht nur sein Verhalten bereut und sich hierfür entschuldigt, sondern auch seinen Worten Taten folgen lassen, indem er an einem verkehrspädagogischen Seminar teilgenommen und mit medizinischen Gutachten im Rahmen der wissenschaftlichen Erkenntnisse nachgewiesen habe, dass er in den vergangenen Monaten keinen Alkohol getrunken habe. Das LG ging daher davon aus, dass der Angeklagte nun geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr sei, mithin eine Ausnahme vom Regelfall vorliege.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Quelle | LG Osnabrück, Urteil vom 17.8.2023, 5 NBs 59/23, PM 30/23

Verhüllungsverbot: Keine Ausnahmegenehmigung zum Tragen eines Gesichtsschleiers im Straßenverkehr

| Das Verwaltungsgericht (VG) Neustadt an der Weinstraße hat die Klage einer Muslimin auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom Verhüllungsverbot der Straßenverkehrsordnung zum Tragen eines Gesichtsschleiers (Niqab) beim Autofahren als unbegründet abgewiesen. Im Gegensatz zu einem aus religiösen Gründen getragenen Kopftuch (Hijab) verhüllt ein sogenannter Niqab nicht nur die Haare sowie ggf. den Hals-, Schulter und Brustbereich, sondern auch das Gesicht mit Ausnahme der Augenpartie. |

Gesicht darf nicht verhüllt werden

Die Klägerin stellte am 19.7.2021 bei dem Beklagten einen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom Verhüllungsverbot (§ 23 Abs. 4 S. 1 StVO). Danach darf, wer ein Kraftfahrzeug führt, sein Gesicht nicht so verhüllen oder verdecken, dass er nicht mehr erkennbar ist. Der Antrag wurde abgelehnt. Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren der Klägerin erhobene Klage hat das VG jetzt abgewiesen. Der religiös begründete Wunsch der Klägerin, während des Führens eines Kraftfahrzeugs der Fahrerlaubnisklasse „B“ einen Niqab zu tragen, eröffne keinen Anspruch auf die begehrte straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung von dem bestehenden Verhüllungsverbot.

Verhüllungsverbot mit dem Grundgesetz vereinbar

Das Verhüllungsverbot sei mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar. Im typischen Anwendungsfall betreffe das Verhüllungsverbot in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 2 GG) der Fahrzeugführer und Fahrzeugführerinnen. Werde das Tragen einer Kopfbedeckung als religiöses Symbol verstanden, komme daneben zwar auch die Religionsfreiheit in Betracht. Das Verhüllungsverbot führe jedoch nicht zu einer gezielten oder den Schutzbereich der Religionsfreiheit unmittelbar betreffenden Beschränkung. Dadurch, dass § 23 Abs. 4 S. 1 StVO das Tragen eines Niqabs nicht schlechthin verbiete, sondern eine generelle Anordnung nur für bestimmte Bereiche des Straßenverkehrs darstelle, werde die Religionsausübung nur in einer eng begrenzten und für die Religionsfreiheit typischerweise nicht wesentlichen Lebenssituation eingeschränkt.

Keine Beeinträchtigung des Grundrechts auf freie Religionsausübung

Die Voraussetzungen einer Befreiung vom Verhüllungsverbot lägen nicht vor. Insbesondere könne sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, dass durch die Ablehnung ihres Antrags überragende Rechtsgüter verletzt würden. Eine schwerwiegende Grundrechtsbeeinträchtigung durch die Ablehnung der begehrten Ausnahmegenehmigung sei nicht anzuerkennen. Deren Erteilung stünden im Rahmen der Abwägung der privaten und öffentlichen Interessen im Gegenteil hochrangige Rechtsgüter in Form der Verkehrssicherheit, des Schutzes von Leib und Leben sowie der körperlichen Unversehrtheit Dritter entgegen. Insbesondere gewährleiste das Verhüllungsverbot die Feststellbarkeit der Identität von Kraftfahrzeugführern bei automatisierten Verkehrskontrollen, um diese bei Rechtsverstößen heranziehen zu können. Die repressive Verfolgung diene zugleich präventiv der Abwehr künftiger Verkehrsverstöße. Durch die Ablehnung des Antrags sei die Klägerin auch nicht in Art. 3 GG verletzt, da das Verhüllungsverbot religions- und geschlechtsunabhängig gelte. Die Ablehnung sei auch verhältnismäßig. Insbesondere sei das Ziel des Verhüllungsverbots angesichts der Missbrauchsmöglichkeiten nicht durch eine Fahrtenbuchauflage oder andere Vorkehrungen zu erreichen.

Gegen das Urteil kann Antrag auf Zulassung der Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz gestellt werden.

Quelle | VG Neustadt, Urteil vom 26.7.2023, 3 K 26/23.NW, PM 16/23

Testament: Ersatzerben trotz namentlicher Bestimmung von Schlusserben

| Nennen die Erblasser in einem gemeinschaftlichen Testament ausschließlich bestimmte Schlusserben namentlich, schließt dies nicht aus, dass später Ersatzerben eintreten können. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg entschieden. |

Zwei Kinder als Schlusserben, eines verstarb

Die Eheleute setzten sich in einem handschriftlichen Testament gegenseitig als Erben und die beiden erstehelichen Kinder der Ehefrau zu Schlusserben nach dem Überlebenden ein. Dabei führten sie die beiden Kinder namentlich auf. Vor dem Schlusserbfall verstarb eines der beiden Kinder und hinterließ seinerseits ein Kind. Nach dem Tod der zunächst überlebenden Ehefrau beantragte das andere Kind der Eheleute einen ihn als Alleinerben ausweisenden Erbschein, der zunächst erteilt und später eingezogen wurde. Dieses Kind der Eheleute ist der Auffassung, dass durch die ausdrückliche namentliche Benennung der Schlusserben im Testament sichergestellt sein sollte, dass einzig und allein diesen beiden bzw. bei Vorversterben eines Schlusserben nur einem von ihnen allein der Nachlass zufließen sollte. Hätten die Erblasser gewollt, dass eines der Enkelkinder anstelle eines der benannten Schlusserben an dessen Stelle treten solle, hätten sie dies im Testament auch niedergeschrieben. Dem folgt das OLG Brandenburg jedoch nicht.

Oberlandesgericht: Auch Enkelkind kann erben

Das OLG: Nach einer gesetzlichen Auslegungsregel im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 2069 BGB) ist das Enkelkind als Abkömmling seines als Schlusserben eingesetzten, vorverstorbenen Vaters an dessen Stelle als Ersatzerbe getreten. Es ist gerade keine Anwachsung des Erbteils seines vorverstorbenen Vaters auf das überlebende Kind erfolgt.

Zuwendungen an einen Abkömmling werden durch die o. g. Vorschrift im Zweifel auf dessen Abkömmlinge erstreckt, wenn der ursprünglich Bedachte nach Errichtung des Testaments weggefallen ist. § 2069 BGB ist unabhängig davon anzuwenden, ob die Abkömmlinge namentlich benannt sind oder sich die Zuwendung an diese aus anderen Formulierungen ergibt. Die namentliche Benennung der Söhne als Schlusserben ist kein hinreichender Anhaltspunkt dafür, dass die Erstreckung auf die Abkömmlinge der Bedachten dem Willen des Erblassers widerspricht.

Quelle | OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.6.2023, 3 W 41/23, Abruf-Nr. 236400 unter www.iww.de

Kündigung: Wenn der Kirchenmusiker die Trauerfeier versäumt …

| Die Gemeinde hatte den Termin für eine Trauerfeier mit einem Kirchenmusiker abgestimmt und ihn dann absprachegemäß angesetzt. Der Kirchenmusiker kümmerte sich jedoch stattdessen um ein Kindermusical und erschien nicht. Die Gemeinde kündigte ihm daraufhin fristlos. Doch das war unzulässig, so das Arbeitsgericht (ArbG) Lübeck. |

Versäumter Termin nicht das einzige Fehlverhalten

Der Kirchenmusiker wandte z. B. ein: Dass der Pfarrer die Musikauswahl auf seinen Anrufbeantworter gesprochen habe, habe er nicht mitbekommen. Er habe so viel zu tun, dass er diesen kaum noch abhöre. Er habe sich so sehr um das nicht von der Gemeinde beauftragte Musical gekümmert, dass er seinen Kalender kaum mehr beachtet habe. Am Tag der Trauerfeier habe er weder Anrufe des Pfarrers noch des Beerdigungsunternehmens angenommen. Der Mann war jedoch nicht „unbescholten“: Wegen anderer Vorfälle hatte er bereits drei Abmahnungen „kassiert“ und das innerhalb weniger Monate. Aus der Sicht der Gemeinde war die Sache daher klar: Sie kündigte dem Kirchenmusiker fristlos.

Kein wichtiger Grund für eine Kündigung

Das ArbG: Es liegt kein wichtiger Kündigungsgrund im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 626 Abs. 1 BGB) für die fristlose Kündigung vor. Der Musiker habe seine Arbeit nicht beharrlich und vorsätzlich verweigert. Dass er sich erst spät und dies auch nur per E-Mail entschuldigt habe, belege keinen Vorsatz.

Die Gemeinde hätte den Musiker auch zunächst abmahnen müssen. Der 61-Jährige war bereits seit 15 Jahren bei der Gemeinde angestellt. Es sei daher zu erwarten, dass er sein Verhalten künftig ändere.

Das ArbG: Die lange Beschäftigungsdauer führte auch zum Ausschluss der ordentlichen Kündigung entsprechend dem Tarifvertrag kirchlicher Arbeitnehmer (hier: § 27 Abs. 3 KAT).

Quelle | ArbG Lübeck, Urteil vom 15.6.2023, 1 Ca 323 öD/23

Verkehrsverstöße: Voraussetzungen einer Fahrtenbuchauflage

| Eine Fahrtenbuchauflage kommt für den Fahrzeughalter nur in Betracht, wenn es nach einem Verkehrsverstoß unmöglich oder unzumutbar ist, den Täter festzustellen. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hat in zwei Entscheidungen dazu Stellung genommen, wann die Voraussetzungen dafür vorliegen, dass ein Fahrtenbuch angeordnet werden darf: |

Fahrtenbuchauflage „kassiert“: Ermittlungen waren nicht umfassend genug

In dem einen Fall hat das OVG die Fahrtenbuchauflage aufgehoben. Mit Blick darauf, dass vieles etwa ein klares Tatfoto und die Zeugnisverweigerung der klagenden Halterin des Pkw für einen Täter aus dem Familienkreis gesprochen habe, hätte die Behörde bei der Meldebehörde mögliche, den Tätermerkmalen entsprechende Familienangehörige unter derselben Anschrift wie die Klägerin ermitteln müssen. Auf Grundlage dieser Information hätten dann womöglich deren Lichtbilder aus dem Personalausweisregister für einen Fotoabgleich angefordert werden können. Dies wäre ohne nennenswerten Aufwand möglich gewesen. Es sei in Verfahren dieser Art regelmäßig üblich und hätte im konkreten Fall zu einem Tatverdacht gegen den Sohn der Klägerin geführt.

Keine ausreichende Überzeugung der Täterschaft

In dem anderen Verfahren hat das OVG ausgeführt: Die Feststellung eines Fahrzeugführers ist auch dann unmöglich, wenn die Ermittlungen auf einen bestimmten Täter hindeuten und eine Person ernsthaft verdächtig ist, die Behörde jedoch keine ausreichende Überzeugung von der Täterschaft des Verdächtigen gewinnen konnte. Nichts anderes gilt, wenn zwar die Bußgeldbehörde einen Bußgeldbescheid erlassen hat, dann allerdings im Zwischenverfahren das Verfahren einstellt, da letztlich doch keine ausreichende Überzeugung von der Täterschaft gewonnen werden konnte.

Abzustellen ist dabei, so das OVG, auf das im Ordnungswidrigkeitenverfahren erforderliche Maß der Überzeugung. Ist die Feststellung des Fahrzeugführers unmöglich, kommt es nicht darauf an, ob der Fahrzeughalter seine Mitwirkungspflicht erfüllt hat, indem er alle ihm möglichen Angaben gemacht hat, oder ob ihn ein Verschulden an der Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers trifft. Denn die Fahrtenbuchauflage hat eine präventive und keine strafende Funktion.

In jedem Fall muss die Bußgeldbehörde alle nach den Umständen des Einzelfalls angemessenen und zumutbaren Maßnahmen treffen. Ob die Aufklärung angemessen war, richtet sich danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können.

Es lag eine Verwechslung vor

Das hat das OVG hier wegen einer erkennbaren Verwechslung des Vor- und Nachnamens des vom Fahrzeughalter benannten Fahrzeugführers verneint.

Quelle | OVG Münster, Urteile vom 31.5.2023, 8 A 2361/22, Abruf-Nr. 236227 unter www.iww.de und vom 3.5.2023, 8 B 185/23, Abruf-Nr. 236226 unterwww.iww.de

Bewerbungsabsage: Verfassungsfeindliche Chatnachrichten können Einstellung in die Polizei verhindern

| Ein Bewerber für die Polizei, der in privaten Chatnachrichten verfassungsfeindliche Symbole empfangen und versendet hat, darf wegen fehlender charakterlicher Eignung abgelehnt werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin jetzt entschieden. |

Verfassungsfeindliche Symbole auf dem Handy

Der im Jahr 2000 geborene Kläger bewarb sich 2022 für die Einstellung in den Berliner Polizeidienst. Im Rahmen eines später wegen nicht ausreichenden Tatverdachts eingestellten Ermittlungsverfahrens wurden auf seinem Handy mehrere Chat-Verläufe sichergestellt, in denen er drei Bilder mit verfassungsfeindlichen Symbolen empfangen und diese an mindestens drei weitere Personen weitergeleitet hatte. Bild 1 und 2 zeigen Adolf Hitler, Bild 3 zeigt eine männliche Person mit schwarzer Hautfarbe, welche ein T-Shirt mit einem Hakenkreuz trägt. Die Polizei lehnte die Bewerbung des Klägers ab.

Bewerbung zu Recht abgelehnt

Das VG hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen. Die Polizei habe aufgrund des mehrfachen kommentarlosen Versendens verfassungsfeindlicher Symbole über den Messenger-Dienst WhatsApp die charakterliche Eignung des Klägers für den Polizeiberuf verneinen dürfen. Aus dem Weiterleiten der rassistischen und den Holocaust verharmlosenden Bilder könne zwar noch keine rechtsradikale Überzeugung des Klägers abgeleitet werden. Für die Ablehnung der Bewerbung sei aber bereits das unreflektierte, jedoch bewusste Versenden der Bilder mit menschenverachtenden und antisemitischen Bezügen ausreichend.

Besonders hohe Anforderungen an Polizeibedienstete

An Polizisten dürften besonders hohe Anforderungen an die charakterliche Stabilität gestellt werden, weil sie sich jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einsetzen und Menschen jeglicher Herkunft unabhängig von ihrer Religion achten und schützen müssten. Unerheblich sei, ob das Versenden der Bilder strafrechtlich relevant sei. Denn der Kläger habe nicht erkennen lassen, dass er sein nur neun Monate vor der Bewerbung liegendes Fehlverhalten reflektiert, das Unrecht erkannt und daraus Schlüsse für die Zukunft gezogen habe.

Quelle | VG Berlin, Urteil vom 21.6.2023, VG 36 K 384/22, PM 31/23