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Dimitri Hense

Erbrecht: Ein adoptiertes Kind kann mehrfach erben

| Ein von seiner Tante adoptiertes Kind kann bei gesetzlicher Erbfolge im Fall des Versterbens einer weiteren Schwester seiner Mutter sowohl den Erbteil seiner Adoptivmutter als auch den Erbteil seiner leiblichen Mutter, ebenfalls einer Schwester der Erblasserin, erben. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. hat entschieden, dass der Adoptivsohn hier zwei gesetzliche Erbteile erhält. |

Fallkonstellation

Die Beteiligten sind ebenso wie der Antragsteller Nichten und Neffen der Erblasserin. Diese verstarb kinderlos. Die Erblasserin hatte zwei Schwestern. Der Antragsteller ist das leibliche Kind einer dieser Schwestern. Er wurde später von der anderen Schwester der Erblasserin adoptiert. Sowohl seine leibliche Mutter als auch die Adoptivmutter waren zum Zeitpunkt des Versterbens der Erblasserin bereits verstorben. Vorverstorben waren auch der Ehemann der Erblasserin sowie ihre Eltern. Die Erblasserin hinterließ kein Testament.

Erbschein nach dem Tod der Tante

Nach dem Tod der Erblasserin beantragte der Antragsteller einen Erbschein nach gesetzlicher Erbfolge, der ihn neben den anderen Nichten und Neffen als Erben zu ½ (¼ nach der Adoptivmutter, ¼ nach der leiblichen Mutter) ausweist. Das Amtsgericht (AG) hat dem Antrag entsprochen.

OLG: Mehrere Erbteile sind möglich

Die hiergegen von den übrigen Nichten und Neffen der Erblasserin eingelegte Beschwerde hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Zu Recht sei das Nachlassgericht davon ausgegangen, dass ein adoptiertes Kind in die gesetzliche Erbfolge sowohl nach seiner leiblichen Mutter als auch nach der Adoptionsmutter eintrete, entschied das OLG. Im konkreten Fall erhalte der Antragsteller daher einen Erbteil von zwei Vierteln. Dem stehe nicht entgegen, dass nach der Adoption die Verwandtschaftsverhältnisse zu den bisherigen Verwandten erlöschen sind. Hiervon sehe das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 1756 Abs. 1 BGB) nämlich eine Ausnahme vor, sofern die Annehmenden im zweiten oder dritten Grad mit dem Kind verwandt seien. Diese Ausnahme sei im Erbrecht zu berücksichtigen und führe zu dem Erhalt mehrerer Erbteile aufgrund der über die Adoptionsmutter und die leibliche Mutter vermittelten Verwandtschaft zur verstorbenen Erblasserin.

Der Beschluss ist nicht rechtskräftig. Er kann mit der vom OLG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Rechtsbeschwerde angefochten werden.

Quelle | OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 15.12.2021, 21 W 170/21, PM 3/22 vom 12.1.2022

Rettungsdienst: Nebenjob als Notarzt ist versicherungspflichtig

| Ärztinnen und Ärzte, die im Nebenjob immer wieder als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst tätig sind, sind währenddessen regelmäßig sozialversicherungspflichtig beschäftigt. So hat es jetzt das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |

Ausschlaggebend ist die Eingliederung in den Rettungsdienst während der Tätigkeit mit den damit verbundenen Verpflichtungen, zum Beispiel der Pflicht, sich während des Dienstes örtlich in der Nähe des Notarztfahrzeugs aufzuhalten und nach einer Einsatzalarmierung durch die Leitstelle innerhalb einer bestimmten Zeit auszurücken. Dass sich die Verpflichtungen aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften ergeben, ist unerheblich. Anhaltspunkte für eine selbstständige Tätigkeit fielen demgegenüber nicht entscheidend ins Gewicht.

Quelle | BSG, Urteile vom 19.10.2021, B 12 KR 29/19 R, B 12 R 9/20 R, B 12 R 10/20 R

Reparaturschaden: Wenn das Gutachten lückenhaft ist …

| Ergibt sich aus dem Schadengutachten, dass die Reparaturkosten in der Nähe des Wiederbeschaffungswerts liegen, darf der Geschädigte auf die Richtigkeit vertrauen. Dass der Gutachter dabei einen Achsschaden ohne Vermessung, sondern nur auf der Grundlage einer Probefahrt diagnostiziert hat, mag im Ergebnis bedenklich sein. Der Geschädigte kann eine solche Lückenhaftigkeit des Gutachtens aber nicht erkennen. So entschied es das Landgericht (LG) Lübeck. |

Wenn sich der Geschädigte auf der Grundlage des Schadengutachtens zu einer Ersatzbeschaffung entschließt und diese auch vornimmt, kann der Versicherer die Reparaturkosten nicht im Nachhinein auf einen Reparaturschaden herunterrechnen. Hält der Versicherer den Achsschaden nicht für nachgewiesen, kann er versuchen, den Schadengutachter in Regress zu nehmen.

Quelle | LG Lübeck, Urteil vom 28.5.2021, 2 O 298/19, Abruf-Nr. 226210 unter www.iww.de

EU-Führerschein: Anfang 2022: Diese Führerscheine müssen Sie jetzt umtauschen

| Bis 2033 muss jeder Führerschein, der vor dem 19.1.2013 ausgestellt wurde, in den neuen EU-Führerschein umgetauscht werden. Das geschieht stufenweise. Die erste Frist endet am 19.1.2022 für die Geburtsjahrgänge 1953 bis 1958. |

Der letzte Stichtag lautet 19.1.2033, aber je nach Geburtsjahr des Fahrerlaubnisinhabers oder Ausstellungsjahr des Führerscheins greift die Umtauschpflicht früher. Bei Unterlassen droht ein Verwarngeld, von dem aufgrund der Corona-Pandemie zunächst abgesehen werden kann. Dies hat jedoch keine Verschiebung der Umtauschfrist zur Folge. Ausführliche Informationen finden Sie unter www.iww.de/s5916.

Quelle | Bundesministerium für Digitales und Verkehr: Vorgezogener Umtausch von Führerscheinen vom 7.6.2021

Haftung: Neues zu Parkplatzunfällen

| Parkplatzunfälle sind ein regelrechter Dauerbrenner in der Rechtsprechung. Eine aktuelle Entscheidung des Amtsgerichts (AG) Hamburg fügt den reichhaltigen Varianten eine neue hinzu. |

Das AG: Steht als Ergebnis der Beweisaufnahme nur fest, dass sich die Kollision in einem Parkhaus während des Rückwärtsfahrens des Beklagten ereignet hat und gibt es keinerlei Anhaltspunkte für ein sorgfaltswidriges Verhalten des Klägers, tritt die vom klägerischen Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr zurück. Er haftet folglich nicht.

Quelle | AG Hamburg, Urteil vom 22.9.2021, 26 C 422/19, Abruf-Nr. 225053 unter www.iww.de

Trunkenheit im Verkehr: Sein Fahrrad zu schieben, heißt nicht, es zu führen

| „Wer sein Fahrrad liebt, der schiebt.“ Das gilt auch im juristischen Sinne, denn das bloße Schieben eines Fahrrads ist kein Führen eines Fahrzeugs i. S. d. Strafgesetzbuchs (StGB). So sieht es das Landgericht (LG) Freiburg. |

Zwar bedient der Schiebende sich des Lenkers. Er leitet also das Zweirad unter eigenverantwortlicher Handhabung einer seiner wesentlichen technischen Vorrichtungen durch den öffentlichen Verkehrsraum. Dennoch geht die herrschende Meinung davon aus, dass das Schieben eines Fahrrads nicht als Führen im Sinne des § 316 StGB angesehen werden kann. Denn u. a. ist die Gefahrenlage viel geringer.

Quelle | LG Freiburg, Urteil vom 26.10.2021, 11/21 10 Ns 530 Js 30832/20

Arbeitszeitkonto: So leicht kann der Arbeitgeber den Saldo nicht bestreiten

Arbeitszeitkonto: So leicht kann der Arbeitgeber den Saldo nicht bestreiten

| Führt der Arbeitgeber für den einzelnen Arbeitnehmer ein Arbeitszeitkonto und weist er vorbehaltlos eine bestimmte Anzahl von Guthabenstunden aus, stellt er damit den Saldo des Kontos streitlos. Will der Arbeitgeber im Nachhinein den sich aus dem Arbeitszeitkonto zugunsten des Arbeitnehmers ergebenden Saldo erheblich bestreiten, muss er folgendermaßen vorgehen: Ausgehend von einer gestuften Darlegungslast muss er im Einzelnen darlegen, aufgrund welcher Umstände der ausgewiesene Saldo unzutreffend sei oder sich bis zur vereinbarten Schließung des Arbeitszeitkontos reduziert habe. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern. |

Diese Grundsätze gelten nach der Entscheidung aber nicht, wenn sich der Arbeitnehmer zur Begründung seines Anspruchs auf selbst gefertigte Arbeitszeitaufstellungen beruft, die sich der Arbeitgeber nicht zu eigen gemacht hat. In diesem Fall sind zunächst vom Arbeitnehmer die den behaupteten Saldo begründenden Tatsachen im Einzelnen darzulegen. Die Darlegungslast richtet sich nach den für einen Überstundenprozess geltenden Maßstäben.

Quelle | LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 5.11.2019, 5 Sa 73/19, Abruf-Nr. 212721 unter www.iww.de

Geschwindigkeitsüberschreitung: Wenn der Abstand zwischen Verkehrszeichen und Messstelle zu klein ist

| Dass eine wesentlich zu hohe Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb einer geschlossenen Ortschaft nicht immer mit Fahrverbot geahndet wird, hat das Amtsgericht (AG) St. Ingbert entschieden, denn es gibt Anforderungen an die Positionierung der Messstelle. |

Die Betroffene ist innerhalb einer geschlossenen Ortschaft mit einer Geschwindigkeit von nach Toleranzabzug 65 km/h bei erlaubten 30 km/h gemessen worden. In diesem Fall hat das AG dennoch kein Fahrverbot verhängt. Zwar muss ein Kraftfahrer die Geschwindigkeit bereits ab dem die Geschwindigkeit beschränkenden Verkehrszeichen einhalten. Allerdings darf er nach der obergerichtlichen Rechtsprechung mit gewissen Abständen bis zu einer Messstelle rechnen.

Nach dem im Saarland geltenden Erlass soll die Messstelle „grundsätzlich nicht unmittelbar hinter dem ersten maßgebenden geschwindigkeitsregelnden Verkehrszeichen, aber noch in dessen Wirkungsbereich eingerichtet werden”. Hier war der Abstand zwischen Verkehrszeichen und Messstelle mit 32 Metern sehr gering. Das hat das AG zum Absehen vom Fahrverbot veranlasst.

Quelle | AG St. Ingbert, Urteil vom 23.6.2021, 22 OWi 63 Js 270/21 (533/21), Abruf-Nr. 224318 unter www.iww.de

Corona-Pandemie: Lockdown: Arbeitgeber trägt nicht das Betriebsrisiko

| Muss der Arbeitgeber seinen Betrieb aufgrund eines staatlich verfügten allgemeinen „Lockdowns“ zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vorübergehend schließen, trägt er nicht das Risiko des Arbeitsausfalls und ist nicht verpflichtet, den Beschäftigten Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu zahlen. Das hat jetzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. |

Sachverhalt

Die Beklagte betreibt einen Handel mit Nähmaschinen und Zubehör und unterhält in Bremen eine Filiale. Dort ist die Klägerin seit Oktober 2019 als geringfügig Beschäftigte gegen eine monatliche Vergütung von 432 Euro im Verkauf tätig. Im April 2020 war das Ladengeschäft aufgrund der „Allgemeinverfügung über das Verbot von Veranstaltungen, Zusammenkünften und der Öffnung bestimmter Betriebe zur Eindämmung des Coronavirus“ der Freien Hansestadt Bremen vom 23.3.2020 geschlossen. Deshalb konnte die Klägerin nicht arbeiten und erhielt auch keine Vergütung.

Mit ihrer Klage hat sie die Zahlung ihres Entgelts für den Monat April 2020 unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs begehrt. Sie hat gemeint, die Schließung des Betriebs aufgrund behördlicher Anordnung sei ein Fall des von der Beklagten als Arbeitgeberin zu tragenden Betriebsrisikos. Dagegen hat die Beklagte Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, die von der Stadt Bremen zur Pandemiebekämpfung angeordneten Maßnahmen beträfen das allgemeine Lebensrisiko, das nicht beherrschbar und von allen gleichermaßen zu tragen sei.

Unterschiedliche Sichtweisen der Instanzen

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die vom Landesarbeitsgericht (LAG) zugelassene Revision der Beklagten beim BAG hatte Erfolg. Das BAG: Die Klägerin hat für den Monat April 2020, in dem ihre Arbeitsleistung und deren Annahme durch die Beklagte aufgrund der behördlich angeordneten Betriebsschließung unmöglich war, keinen Anspruch auf Entgeltzahlung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs.

Arbeitgeber trägt nicht Risiko des Arbeitsausfalls

Der Arbeitgeber trägt auch nicht das Risiko des Arbeitsausfalls, wenn wie hier zum Schutz der Bevölkerung vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen infolge von SARS-CoV-2-Infektionen durch behördliche Anordnung in einem Bundesland die sozialen Kontakte auf ein Minimum reduziert und nahezu flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen geschlossen werden. In einem solchen Fall realisiert sich nicht ein in einem bestimmten Betrieb angelegtes Betriebsrisiko. Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung ist vielmehr Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage.

Lücken im sozialversicherungsrechtlichen Regelungssystem

Es ist Sache des Staates, gegebenenfalls für einen adäquaten Ausgleich der den Beschäftigten durch den hoheitlichen Eingriff entstehenden finanziellen Nachteile zu sorgen wie es zum Teil mit dem erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld geschehen ist. Soweit ein solcher wie bei der Klägerin als geringfügig Beschäftigte nicht gewährleistet ist, beruht dies auf Lücken in dem sozialversicherungsrechtlichen Regelungssystem. Aus dem Fehlen nachgelagerter Ansprüche lässt sich jedoch keine arbeitsrechtliche Zahlungspflicht des Arbeitgebers herleiten.

Quelle | BAG, Urteil vom 13.10.2021, 5 AZR 211/21, PM 31/21

Sozialschutzpaket: Informationen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales

| Die Corona-Pandemie hat nach wie vor Einfluss auf den Arbeitsmarkt in Deutschland. Die Bundesregierung reagiert mit unterschiedlichen Maßnahmen, u. a. dem Sozialschutzpaket und erleichtertem Kurzarbeitergeld. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) stellt sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber Informationen auf ihrer Website zur Verfügung. |

Quelle | BMAS, Coronavirus: Informationen zu Kurzarbeit und Sozialschutz, abrufbar unter www.iww.de/s5744