Fachanwalt für Arbeitsrecht & Fachanwalt für Familienrecht
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Dimitri Hense

Freiheitsrecht: Lange Unterbringung muss gut begründet werden

| Die regelmäßige Höchstfrist der geschlossenen Unterbringung beläuft sich auf ein Jahr. Soll eine Unterbringung darüber hinaus, z. B. eine solche von bis zu zwei Jahren genehmigt oder angeordnet werden, ist diese Abweichung vom Regelfall im Hinblick auf den hohen Rang des Rechts auf Freiheit der Person ausreichend zu begründen. Das hat nun der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |

Das war geschehen

Für den Betroffenen bestand seit einigen Jahren eine Betreuung. Er war auch mehrere Jahre in stationärer psychiatrischer Behandlung. Er leidet an einem hirnorganischen Psychosyndrom nach einem durch einen Verkehrsunfall bedingten Schädel-Hirn-Trauma sowie langjähriger Alkoholabhängigkeit mit Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen. Das Amtsgericht (AG) hat wiederholt die Unterbringung genehmigt. Der letzte Beschluss war auf eine Unterbringung von knapp zwei Jahren gerichtet. Die Beschwerde des Betroffenen dagegen war erfolglos, seine Rechts-beschwerde beim BGH hingegen erfolgreich.

Der BGH beanstandete die Unterbringung als solche nicht. Eine zivilrechtliche Unterbringung durch einen Betreuer wegen Selbstgefährdung des Betroffenen verlange keine akute, unmittelbar bevorstehende Gefahr. Notwendig sei aber eine ernstliche und konkrete Gefahr für dessen Leib oder Leben. So könne etwa auch eine völlige Verwahrlosung ausreichen, wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung verbunden ist.

Hohe Hürden für Überschreitung der Regeldauer von einem Jahr

Nur bei offensichtlich langer Unterbringungsbedürftigkeit dürfe aber abweichend von der Regeldauer von einem Jahr eine Unterbringung von bis zu zwei Jahren beschlossen werden. Dies könne nur unter besonderen Voraussetzungen erfolgen und sei ausreichend zu begründen. Solche Gründe könnten sich etwa aus konkreten Feststellungen über die Dauer einer notwendigen Therapie oder aus fehlenden Heilungs- und Besserungsaussichten bei anhaltender Eigengefährdung ergeben.

Dies muss für das Gericht deutlich und erkennbar hervortreten. Hierzu hatte das Landgericht (LG) keine Feststellungen getroffen. Folge: Seine Entscheidung war rechtsfehlerhaft.

Quelle | BGH, Beschluss vom 30.3.2022, XII ZB 35/22, Abruf-Nr. 229352 unter www.iww.de

Wiederholte Verkehrsdelikte: So wird man seinen Ferrari los

| Ende 2021 hatte das Landgericht (LG) Hannover einen Mann wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Darüber hinaus hatte es insbesondere die Einziehung des Kraftfahrzeugs des Angeklagten angeordnet eines Ferraris mit einem geschätzten Wert von 70.000 bis 100.000 Euro. Die hiergegen von dem Angeklagten eingelegte Revision hat das Oberlandesgericht (OLG) Celle nun verworfen. |

Das OLG folgte dabei in vollem Umfang der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft. Insbesondere hielt es die Einziehung für verhältnismäßig.

Der Angeklagte war bereits wiederholt wegen Verkehrsdelikten in Erscheinung getreten. Die in Frage stehende Tat hatte er nur kurze Zeit nach dem Erlass eines Strafbefehls wegen einer Trunkenheitsfahrt begangen. Neben dem Straftatbestand des Fahrens ohne Fahrerlaubnis hatte er Verkehrsordnungswidrigkeiten in Form eines Rotlichtverstoßes und einer Geschwindigkeitsüberschreitung verwirklicht. Zudem war er noch kurz vor der erstinstanzlichen amtsgerichtlichen Verurteilung wiederum ohne Fahrerlaubnis mit einem anderen Pkw gefahren. Die Einziehung des Ferraris vernichte entgegen der Darstellung des Angeklagten auch nicht dessen wirtschaftliche Existenz. Das Urteil ist damit rechtskräftig.

Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 27.4.2022, 2 Ss 46/22, PM vom 2.5.2022

Formerfordernis: Vorsicht bei Scan als Unterschrift: Keine wirksame Befristung eines Arbeitsvertrags möglich

| Für eine wirksame Befristung eines Arbeitsvertrags reicht eine eingescannte Unterschrift nicht aus. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitsvertrag nur für einige wenige Tage geschlossen worden ist. So hat es das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg entschieden. |

Das war geschehen

Die Klägerin war für ein Unternehmen des Personalverleihs tätig. Bei Aufträgen von entleihenden Betrieben und mit Einverständnis der Klägerin zu einer angeforderten Tätigkeit schlossen der Personalverleiher und die Klägerin über mehrere Jahre mehr als 20 kurzzeitig befristete Arbeitsverträge. Diese bezogen sich jeweils auf die anstehende ein- oder mehrtätige Tätigkeit, zuletzt auf eine mehrtätige Tätigkeit als Messehostess. Hierzu erhielt die Klägerin jeweils einen auf diese Tage befristeten Arbeitsvertrag mit einer eingescannten Unterschrift des Geschäftsführers des Personalverleihers. Die Klägerin unterschrieb diesen Vertrag und schickte ihn per Post an den Personalverleiher als Arbeitgeber zurück.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der zuletzt vereinbarten Befristung mangels Einhaltung der Schriftform geltend gemacht. Der Personalverleiher hat geltend gemacht, es sei für die Einhaltung der Schriftform nicht erforderlich, dass der Arbeitnehmerin vor Arbeitsaufnahme eine im Original unterschriebene Annahmeerklärung des Arbeitgebers zugehe. Zudem verhalte sich die Klägerin widersprüchlich, wenn sie sich gegen eine Praxis wende, die sie lange Zeit unbeanstandet mitgetragen habe.

Scan ist weder Unterschrift noch qualifizierte Signatur

Das LAG hat der Klage, wie bereits zuvor das Arbeitsgericht (ArbG), stattgegeben. Die vereinbarte Befristung sei mangels Einhaltung der zwingend vorgeschriebenen Schriftform unwirksam. Schriftform erfordere eine eigenhändige Unterschrift oder eine qualifizierte elektronische Signatur. Der vorliegende Scan einer Unterschrift genüge diesen Anforderungen nicht, da keine Eigenhändigkeit vorliegt. Den Anforderungen an eine qualifizierte elektronische Signatur genüge ein Scan ebenfalls nicht.

Auch nachträgliche eigenhändige Unterzeichnung reicht nicht aus

Eine etwaige spätere eigenhändige Unterzeichnung des befristeten Vertrags auch durch den Personalverleiher führe nicht zur Wirksamkeit der Befristung. Vielmehr müsse die eigenhändig unterzeichnete Befristungsabrede bei der Klägerin als Erklärungsempfängerin vor Vertragsbeginn vorliegen.

Nicht rechtskonforme Praxis: nicht schützenswert

Dass die Klägerin diese Praxis in der Vergangenheit hingenommen habe, stehe der jetzt innerhalb der dreiwöchigen Frist nach dem vorgesehenen Befristungsablauf erhobenen Klage nicht entgegen. Die Klägerin verhalte sich mit ihrer Klage nicht treuwidrig, vielmehr sei ein etwaiges arbeitgeberseitiges Vertrauen in eine solche nicht rechtskonforme Praxis nicht schützenswert. Aufgrund der Unwirksamkeit der Befristungsabrede bestehe das Arbeitsverhältnis bis zur Beendigung durch die zwischenzeitlich ausgesprochene Kündigung fort.

Quelle | LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.3.2022, 23 Sa 1133/21, PM Nr. 07/22 vom 13.4.2022

Bundesarbeitsgericht: Beweislast im Überstundenvergütungsprozess

| Der Arbeitnehmer muss zur Begründung einer Klage auf Vergütung geleisteter Überstunden erstens darlegen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden Umfang geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers hierzu bereitgehalten hat. Zweitens muss der Arbeitnehmer vortragen, dass der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat, da der Arbeitgeber Vergütung nur für von ihm veranlasste Überstunden zahlen muss. Diese vom Bundesarbeitsgericht (BAG) entwickelten Grundsätze zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für die Leistung von Überstunden durch den Arbeitnehmer und deren Veranlassung durch den Arbeitgeber werden durch die auf Unionsrecht beruhende Pflicht, ein System zur Messung der vom Arbeitnehmer geleisteten täglichen Arbeitszeit einzuführen, nicht verändert. |

Das war geschehen

Der Kläger war als Auslieferungsfahrer bei der Beklagten beschäftigt, die ein Einzelhandelsunternehmen betreibt. Seine Arbeitszeit erfasste der Kläger mittels technischer Zeitaufzeichnung, wobei nur Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, nicht jedoch die Pausenzeiten aufgezeichnet wurden. Zum Ende des Arbeitsverhältnisses ergab die Auswertung der Zeitaufzeichnungen einen positiven Saldo von 348 Stunden zugunsten des Klägers. Mit seiner Klage hat der Kläger Überstundenvergütung von über 5.000 Euro brutto verlangt. Er hat geltend gemacht, er habe die gesamte aufgezeichnete Zeit gearbeitet. Es sei nicht möglich gewesen, Pausen zu nehmen, weil sonst die Auslieferungsaufträge nicht hätten abgearbeitet werden können. Die Beklagte hat dies bestritten.

So sahen es die Vorinstanzen

Das Arbeitsgericht (ArbG) hat der Klage stattgegeben. Es hat gemeint, durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), wonach die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen, werde die Darlegungslast im Überstundenvergütungsprozess modifiziert. Die positive Kenntnis von Überstunden als eine Voraussetzung für deren arbeitgeberseitige Veranlassung sei jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn der Arbeitgeber sich die Kenntnis durch Einführung, Überwachung und Kontrolle der Arbeitszeiterfassung hätte verschaffen können. Ausreichend für eine schlüssige Begründung der Klage sei, die Zahl der geleisteten Überstunden vorzutragen. Da die Beklagte ihrerseits nicht hinreichend konkret die Inanspruchnahme von Pausenzeiten durch den Kläger dargelegt habe, sei die Klage begründet.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat das Urteil des ArbG geändert und die Klage mit Ausnahme bereits von der Beklagten abgerechneter Überstunden abgewiesen.

Bundesarbeitsgericht: Pauschale Behauptung reicht nicht aus

Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Das LAG hatte richtig erkannt, dass vom Erfordernis der Darlegung der arbeitgeberseitigen Veranlassung und Zurechnung von Überstunden durch den Arbeitnehmer auch nicht vor dem Hintergrund der genannten Entscheidung des EuGH abzurücken ist. Diese ist zur Auslegung und Anwendung der Arbeitszeitrichtlinie (Richtlinie 2003/88/EG) und gemäß der Charta der Grundrechte der EU (Art. 31 GRCh) ergangen. Nach gesicherter Rechtsprechung des EuGH beschränken sich diese Bestimmungen darauf, Aspekte der Arbeitszeitgestaltung zu regeln, um den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Sie sind indes grundsätzlich nicht auf die Vergütung der Arbeitnehmer anzuwenden. Die unionsrechtlich begründete Pflicht zur Messung der täglichen Arbeitszeit wirke sich deshalb nicht auf die nach deutschem materiellen und Prozessrecht entwickelten Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess aus. Hiervon ausgehend hat das LAG zutreffend angenommen, der Kläger habe nicht hinreichend konkret dargelegt, dass es erforderlich gewesen sei, ohne Pausenzeiten durchzuarbeiten, um die Auslieferungsfahrten zu erledigen. Die bloße pauschale Behauptung ohne nähere Beschreibung des Umfangs der Arbeiten genügt hierfür nicht. Das Berufungsgericht konnte daher offenlassen, ob die von der Beklagten bestrittene Behauptung des Klägers, er habe keine Pausen gehabt, überhaupt stimmt.

Quelle | BAG, Urteil vom 4.5.2022, 5 AZR 359/21, PM 16/22; EuGH, Urteil vom 14.5.2019, C-55/18 [CCOO]

Zwangsgeld: Welche Anforderungen muss die Abrechnung des Betreuers erfüllen?

| Ein Betreuer muss die Einnahmen und Ausgaben im Rechnungsjahr schriftlich so klar und übersichtlich darstellen, dass das Gericht ohne Zuziehen von Sachverständigen einen Überblick über alle Vorgänge erhält. Das sagt das Landgericht (LG) Meinigen. |

Im Streitfall war vom Amtsgericht (AG) für eine Person ein berufsmäßiger Betreuer bestellt worden. Zu seinem Aufgabenkreis zählt u.a. die Vermögenssorge. Er weigerte sich trotz gerichtlicher Anordnung, Unterlagen und Belege für Kontobewegungen vorzulegen. Deshalb wurde ihm ein Zwangsgeld auferlegt. Er legte gerichtliche Beschwerde ein. Damit hatte er keinen Erfolg.

Das LG stellte fest: Der Betreuer muss über den Ab- und Zugang des Vermögens Auskunft geben. Belege muss er hinzufügen, soweit solche erteilt zu werden pflegen. Allein die Vorlage einer Schlussrechnungsaufstellung gemeinsam mit Kontoauszügen, aus denen sich die in der Schlussrechnung aufgeführten Ein- und Auszahlungen ergeben, reicht hierfür nicht aus. Grund: Aus den Kontoauszügen ergibt sich nur, wann welcher Betrag an welchen Empfänger ausgezahlt wurde. Die Grundlage der Auszahlung ist für das Gericht daraus aber nicht erkenn- und überprüfbar, z. B. ob der Betroffene überhaupt Schuldner einer Forderung war.

Die Entscheidung des LG ist vor allem zu beachten, wenn eine Betreuung mit dem Tod des Betreuten endet, da dieser dann nicht mehr zur Begründetheit einer Ausgabe, deren Zweckmäßigkeit oder Notwendigkeit befragt werden kann.

Quelle | LG Meiningen, Beschluss vom 23.9.2021, 4 T 184/21, Abruf-Nr. 229602 unter www.iww.de

Unfallschaden: Welche Bagatellgrenze gilt für Sachverständigengutachten?

| Das Amtsgericht (AG) Greifswald sieht die Bagatellgrenze für ein Gutachten nicht als festen Betrag. Vielmehr sei sie je nach Schadensbild, das sich dem Geschädigten als Laien zeigt, im Bereich von 700 bis etwa 1.000 Euro anzusiedeln. |

Eine Schadenshöhe von 1.002,73 Euro netto liegt darüber, so das AG. Somit ist ein Gutachten gerechtfertigt.

Quelle | AG Greifswald, Urteil vom 23.3.2022, 44 C 267/21, Abruf-Nr. 228382 unter www.iww.de

Reparaturkosten: Auch bei Abtretung kein Anspruch auf Lackiererrechnung

| Durch die Abtretung wird ein Anspruch inhaltlich nicht verändert. Deshalb muss die Rechnung des Lackierers an die Werkstatt auch dann nicht offengelegt werden, wenn die Werkstatt die restlichen Reparaturkosten aus abgetretenem Recht des Geschädigten einklagt. So entschied es das Landgericht (LG) Bremen. |

Das war geschehen

Am 22.1.2020 wurde der PKW der Geschädigten bei einem Verkehrsunfall durch den haftpflichtversicherten PKW eines Versicherungsnehmers der Beklagten beschädigt. Die Beklagte teilte der Geschädigten wenig später mit, dass sie für den Schaden an ihrem Fahrzeug dem Grunde nach aufkommen wird. Die Geschädigte ließ ihren PKW bei der Klägerin reparieren. Die Klägerin stellte anschließend Leistungen in Höhe von rund 3.000 Euro in Rechnung, hiervon rund 1.160 Euro netto als Fremdleistungen für Lackierarbeiten. Auf Nachfrage der Beklagten übermittelte die Klägerin der Beklagten lediglich eine geschwärzte Rechnung des ausführenden Lackierunternehmens an die Klägerin. Nach den Zahlungen der Beklagten verblieb ein offener Restbetrag in Höhe von rund 1.900 Euro. Die Geschädigte trat ihre Ansprüche aus dem Haftpflichtschaden an die Klägerin ab. Mit anwaltlichem Schreiben forderte die Klägerin die Beklagte auf, den Restbetrag zu zahlen.

Die Beklagte zahlte aber nicht. Als Grund nannte sie unter anderem: Sie könne die geschwärzte Rechnung nicht berücksichtigen. Ihr stehe daher ein Leistungsverweigerungsrecht oder ein Zurückbehaltungsrecht zu.

Unterschiedliche Sichtweise der gerichtlichen Instanzen

Während das Amtsgericht (AG) der Beklagten noch überwiegend Recht gegeben hatte, sah das LG dies anders. Das LG: Es kommt nicht darauf an, dass die Werkstatt anders als der Geschädigte selbst die Rechnung hat und offenlegen könnte. Es kommt nur darauf an, dass die von der Werkstatt an den Geschädigten berechneten Lackierungskosten dem Vereinbarten oder dem Üblichen entsprechen. Der Versicherer hätte allenfalls dann gegenüber der klagenden Werkstatt einen Anspruch auf Offenlegung der Fremdleistungskosten, wenn der Geschädigte einen entsprechenden Anspruch gegen die Werkstatt aus dem mit ihr geschlossenen Werkvertrag hätte. Mangels eigener Rechtsbeziehungen zwischen der Werkstatt und dem Versicherer können die Ansprüche infolge der Abtretung nicht weiter gehen als in Fällen, in denen keine Abtretung erfolgt ist.

Gängige Praxis: Einzelleistungen durch Subunternehmen

Hintergrund: Der Geschädigte schließt mit seiner Werkstatt einen Reparaturvertrag, dem die Berechtigung innewohnt, dass die beauftragte Fachwerkstatt Subunternehmer für einzelne Leistungen heranziehen kann, die sie selbst nicht erbringen kann; dies ist zumeist die gängige Praxis. Mangels Rechtsbeziehung zwischen dem Geschädigten und dem Subunternehmer hat der Geschädigte gegen den Subunternehmer keinen Anspruch auf Offenlegung der Rechnung.

Auch aus dem Werkvertrag mit der beauftragten Fachwerkstatt kann der Geschädigte die Offenlegung der Fremdleistungsvereinbarung mit dem Subunternehmer nicht verlangen. Der Geschädigte hat „nur“ die Pflicht, die angefallenen Reparaturkosten dem Schädiger gegenüber geltend zu machen. Dieser Pflicht wird er durch Vorlage der Reparaturkostenrechnung gerecht.

Quelle | LG Bremen, Urteil vom 22.12.2021, 4 S 187/21, Abruf-Nr. 228210 unter www.iww.de

Erbrecht: Anwesenheitserfordernis für Nottestamente gilt auch während der Pandemie

| Trotz pandemiebedingter Kontaktbeschränkungen ist ein Nottestament nur wirksam, wenn während des gesamten Errichtungsakts gleichzeitig drei Zeugen anwesend sind. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf. |

Mit handschriftlich errichtetem Testament bestimmte ein Erblasser drei Personen (P. 1 bis P. 3). zu jeweils gleichen Anteilen zu seinen Erben. Mit einem weiteren Testament, überschrieben als Nottestament, geschrieben von P. 3 sowie unterschrieben vom Erblasser und von drei Zeugen, setzte der Erblasser P. 3 zur Alleinerbin ein. Gestützt auf das erste Testament hatte P. 1 einen die P. 1 bis P. 3 als Miterben zu je 1/3-Anteil ausweisenden Erbschein beantragt. Dem ist P. 3 unter Berufung auf das zweite Testament entgegengetreten. Denn die Voraussetzungen für die Errichtung eines Nottestaments hätten vorgelegen. Der Erblasser habe aufgrund seiner fortgeschrittenen Krebserkrankung befürchtet, alsbald in einen Zustand zu verfallen, in dem er nicht mehr in der Lage sein würde, ein Testament zu errichten, und in der Folge zu versterben. Ein Notar sei nicht erreichbar gewesen.

Das Nachlassgericht hielt das „Nottestament“ nicht für wirksam, weil die das Testament mitunterzeichnenden Zeugen nicht gleichzeitig anwesend gewesen seien. Sie hätten die Niederschrift nacheinander und jeweils einzeln dem Erblasser vorgelesen und den Text unterschrieben. Die hiergegen eingelegte Beschwerde lag nun dem OLG Düsseldorf vor.

Das OLG pflichtete der Entscheidung des Nachlassgerichts bei. Der vom Nachlassgericht eingenommene Rechtsstandpunkt, ein Nottestament verlange die gleichzeitige Anwesenheit von drei Zeugen während des gesamten Errichtungsakts, entspreche der einhellig in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung. Anlass, hiervon aufgrund pandemiebedingter Einschränkungen abzuweichen, bestünde nicht.

Die Vorschriften über den Errichtungsakt seien zwingend (Formulierung „muss“) und schon grundsätzlich nicht ausnahmefähig. Ihre Bedeutung liege darin, dass durch möglichst klare und unmissverständliche Wiedergabe der Erklärungen des Erblassers und persönliche Anwesenheit der Zeugen dessen letzter Wille sowohl zum Ausdruck als auch zur Geltung gebracht werden soll.

Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 6.1.2022, I-3 Wx 216/21, Abruf-Nr. 228060 unter www.iww.de

Familienkasse: Trotz privater Rentenversicherung: Kindergeld für behindertes Kind?

| Das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg entschied in einem Fall eines behinderten Kindes: Bei der Ermittlung der dem Kind zur Verfügung stehenden Mittel ist nur der steuerpflichtige Ertragsanteil einer privaten Rente zu berücksichtigen. Das FG setzte sich außerdem mit verfahrensrechtlichen Fragen dem Bekanntgabezeitpunkt bei Einschaltung eines privaten Postdienstleisters und der von der beklagten Familienkasse angewandten Änderungsnorm auseinander. |

Das war geschehen

Die beklagte Familienkasse hatte für den Streitzeitraum Dezember 2019 bis Juli 2021 Kindergeld festgesetzt. Sie hob diese Festsetzung mit Bescheiden vom März 2021 auf. Der Kindsvater machte geltend, es gebe keine Änderungsnorm. Die Verhältnisse hätten sich nicht geändert. Außerdem habe die Familienkasse die Einkünfte und Bezüge des Kindes fehlerhaft berechnet. Dessen Erbschaft von der Mutter sei zweckgebunden gewesen und zum Abschluss einer privaten Rentenversicherung verwendet worden. Die abweisende Einspruchsentscheidung datiert vom 28.7.2021, der Absendevermerk vom 29.7.2021. Die Familienkasse schilderte die interne Organisation der Postaufgabe unter Einschaltung eines privaten Postdienstleisters. Nach den Angaben des Vertreters des Klägers ging ihm die Einspruchsentscheidung am 3.8.2021 zu. Seine Klage vom 3.9.2021 sei fristgemäß.

Beachten Sie | Kindergeld wird einem Kind gewährt, das wegen einer vor Vollendung des 25. Lebensjahrs eingetretenen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Infolgedessen kommt es darauf an, ob das Kind seinen existenziellen Lebensbedarf mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln decken kann.

Finanzgericht: Monatsfrist gewahrt

Die Klage hatte Erfolg. Das FG entschied, die Klage sei innerhalb der Monatsfrist erhoben worden. Ein Abgangsvermerk der Stelle, die das Schriftstück an die Postausgangsstelle weiterleite, reiche nicht aus. Erforderlich sei ein Absendevermerk der Poststelle. Die Schilderungen der organisatorischen Abwicklung lasse zwar auf eine Postaufgabe am 29.7.2021 schließen. Die Zugangsfiktion am dritten Tag sei jedoch erschüttert. Der Verfahrensablauf des Postdienstleisters sei nicht bekannt, ein tatsächlicher Zugang am 3.8.2021 möglich und die Klage zulässig.

Keine Änderung in den Verhältnissen

Änderungen in den einen Kindergeldanspruch begründenden Verhältnissen habe es nicht gegeben. Die Familienkasse habe bereits bei der Kindergeldfestsetzung Kenntnis von der privaten Rente des Kindes gehabt. Der (rückwirkende) Aufhebungsbescheid sei daher rechtswidrig.

Kindergeldberechtigung liegt vor

Außerdem sei der Kläger kindergeldberechtigt. Sein Kind sei nicht imstande, sich selbst zu unterhalten. Es sei „(neben den Einkünften aus Kapitalvermögen) nur der steuerpflichtige Ertragsanteil der privaten Rente zu berücksichtigen“. Es komme auf die Einkünfte und Bezüge im Sinne des Einkommensteuergesetzes (EStG) an. Laufende oder einmalige Geldzuwendungen von Eltern seien unschädliches Kindesvermögen. Es dürfe keinen Unterschied machen, wie das Kind das ererbte Vermögen verwende, ob es die geerbten Mittel abhebe oder mit diesen eine private Lebensversicherung abschließe und die Rente zum Lebensunterhalt einsetze. Nichts anderes gelte, wenn das Kind den von der Mutter geerbten Geldbetrag vor Abschluss der privaten Rentenversicherung um (im Verhältnis zum geerbten Vermögen geringe) eigene Mittel aufstocke. Die monatlichen Rentenzahlungen stellten, soweit sie deren steuerpflichtigen Ertragsanteil überstiegen, eine unbeachtliche Vermögensumschichtung dar. Die nach dem EStG ermittelten zur Verfügung stehenden Mittel des Kinds deckten damit dessen existenziellen Lebensbedarf nicht. Die Aufnahme einer Erwerbsfähigkeit scheide aufgrund der Behinderung aus. Werde der Aufhebungsbescheid vom 10.3.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufgehoben, lebe die Kindergeldfestsetzung wieder auf.

Das FG ließ die Revision beim Bundesfinanzhof (BFH) zu.

Quelle | FG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.4.2022, 1 K 2137/21

Verkehrsunfall: Gestaltung der Reparaturpreise ist Werkstattsache

| Bei einer Unfallschaden-Reparatur kontrollieren regulierende Versicherungen die Rechnungspositionen sehr genau. In einem Fall des Amtsgerichts (AG) Bergisch-Gladbach führte dies allerdings zu weit. |

Vor der Lackierung eines Unfallschadens musste das Kfz besonders gründlich gereinigt werden und am Ende der Schleifarbeiten musste der Schleifstaub entfernt werden. Das war unstreitig. Der Versicherer meinte jedoch, das dürfe nicht gesondert berechnet werden, sondern dies sei bereits in den Lackierkosten eingepreist. Das hat das AG Bergisch-Gladbach anders gesehen.

Das AG stellte klar: Die Werkstatt ist nicht gezwungen, ihre Leistung in der vom Versicherer für richtig gehaltenen Weise zu kalkulieren. Doch selbst, wenn das anders wäre, unterfiele das dem Werkstattrisiko, das dem Schädiger zuzurechnen ist. Dem Geschädigten könne nämlich nicht zugemutet werden, die fünf Seiten lange Rechnung so zu „durchleuchten“, dass ihm eine Position als überflüssig auffiele, die gerade rd. 2,5 Prozent des Gesamtbetrags ausmache. Hier kam hinzu, dass die Rechnung mit 7.380 Euro fast 4.000 Euro unter dem Betrag von 11.300 Euro lag, den das Sachverständigengutachten auswies. Allein schon deshalb war es seitens der Versicherung von vornherein nicht notwendig, die Rechnung derart kritisch „unter die Lupe“ zu nehmen, so das AG.

Quelle | AG Bergisch-Gladbach, Urteil vom 10.3.2022, 66 C 11/22, Abruf-Nr. 228133 unter www.iww.de