Marcus Spiralski Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht & Fachanwalt für Familienrecht

Urteilskategorie

Urteilsarchiv

Elterngeldbemessung: Provisionen können das Elterngeld erhöhen

| Als sonstige Bezüge im Lohnsteuerabzugsverfahren angemeldete Provisionen können gleichwohl als laufender Arbeitslohn das Elterngeld erhöhen, wenn die Bindungswirkung der Anmeldung für die Beteiligten des Elterngeldverfahrens weggefallen ist. Dies hat jetzt das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |

Die Klägerin ist Steuerfachwirtin. Sie erzielte vor der Geburt ihrer Tochter neben ihrem monatlichen Gehalt jeden Monat eine Provision in Höhe von 500 bis 600 EUR, die lohnsteuerrechtlich von ihrer Arbeitgeberin als sonstiger Bezug eingestuft wurde. Der beklagte Freistaat bewilligte ihr deshalb Elterngeld, ohne die Provisionen bei der Elterngeldbemessung zu berücksichtigen. Das Landessozialgericht (LSG) hat anders als das Sozialgericht der Klage auf höheres Elterngeld stattgegeben.

Das BSG hat das LSG bestätigt. Die der Klägerin in den arbeitsvertraglich vereinbarten Lohnzahlungszeiträumen regelmäßig und lückenlos gezahlten Provisionen sind materiell steuerrechtlich als laufender Arbeitslohn einzustufen. Die anderslautende Lohnsteueranmeldung ihrer Arbeitgeberin steht dem nicht entgegen. Die Lohnsteueranmeldung bindet zwar grundsätzlich die Beteiligten im Elterngeldverfahren. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Regelungswirkung der Lohnsteueranmeldung weggefallen ist, weil sie wie hier aufgrund eines nachfolgenden Einkommensteuerbescheids überholt ist.

Quelle: | BSG, Pressemitteilung Nr. 13/20 vom 25.6.20, B 10 EG 3/19 R, Abruf-Nr. 216517 unter www.iww.de.

Auslandsehen: Wann ist eine Auslandsehe aufhebbar?

| Ist ein Ehegatte zwar 16, aber noch nicht 18 Jahre alt, hat ein Gericht ein eingeschränktes Ermessen, wenn es darum geht, ob eine Auslandsehe aufzuheben ist. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt klargestellt: Steht fest, dass die Aufhebung in keiner Hinsicht unter Gesichtspunkten des Minderjährigenschutzes geboten ist, sondern sprechen gewichtige Umstände dagegen, kann das Gericht hiervon absehen. Denn die einschlägige Vorschrift des BGB besagt, dass die Ehe aufgehoben werden „kann“, nicht „muss“ |.

Sachverhalt

Die Ehe wurde 2001 im Libanon geschlossen. Damals war die Ehefrau 16, der Ehemann 21 Jahre alt. Sie lebten seit 2003 in Deutschland. Sie trennten sich 2016 und bekamen bis dahin vier Kinder. Die zuständige Behörde beantragte 2018, die Ehe aufzuheben. Dies war vor dem AG Tempelhof-Kreuzberg und dem Kammergericht erfolglos.

Aufhebungsrecht verwirkt

Der BGH sah es zwar als möglich an, dass die Ehe aufgehoben werden könne. Denn allein das Fortsetzen der Ehe nach Eintritt der Volljährigkeit bestätige diese nicht. Jedoch müsse der Ehegatte die den Ehemangel begründenden Tatsachen kennen und es müsse ihm wenigstens allgemein bewusst sein, dass er die Ehe wegen eines Eingehungsmangels auflösen lassen könne. Dies, so der BGH, sei der Ehefrau hier nicht bewusst gewesen. Sie habe nicht gewusst, dass sie durch ihr Verhalten ein möglicherweise vorhandenes Aufhebungsrecht aufgibt.

Entscheidung des BGH

Der BGH: Von der Aufhebung ist abzusehen. Denn dies steht in krassem Gegensatz zur 15 Jahre lang bewusst im Erwachsenenalter gelebten Familienwirklichkeit. Nach fast 14 Jahren des ehelichen Zusammenlebens in Deutschland und vier Kindern ist eine Aufhebung nicht geboten. Die Ehefrau kann sich zudem scheiden lassen.

Quelle | BGH Beschluss vom 22.7.2020, XII ZB 131/20, Abruf-Nr. 217370 unter www.iww.de.

Corona-Pandemie: Getrenntlebende Eltern: Flugreisen nach Mallorca in Corona-Zeiten keine alltägliche Entscheidung

| Das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig hat jetzt entschieden: Die Flugreise eines getrenntlebenden Elternteils mit den gemeinsamen Kindern in Zeiten der Corona-Pandemie ist keine Angelegenheit des täglichen Lebens mehr. Folge: Sie bedarf der Zustimmung des anderen mitsorgeberechtigten Elternteils. |

Die Mutter hatte in den Sommerferien eine Flugreise nach Mallorca mit den beiden gemeinsamen Kindern gebucht. Der Vater war damit nicht einverstanden.

Zwar kann über Auslandsreisen, auch mit dem Flugzeug, grundsätzlich der jeweils betreuende Elternteil allein entscheiden, wenn die Reise nicht mit Nachteilen bzw. Gefahren für das Kind verbunden ist. Daher boten bislang Flugreisen in das europäische Ausland wenig Anlass für Streitigkeiten.

Anders ist dies aber, so nun das OLG, in den Zeiten der Corona-Pandemie: Auch wenn keine Reisewarnung für das Urlaubsziel bestehe, führe die Ausbreitung von COVID-19 weiterhin zu Einschränkungen im internationalen Luft- und Reiseverkehr und Beeinträchtigungen des öffentlichen Lebens. Hinzu komme, dass nach wie vor die Lockerungen der Beschränkungen nur auf Probe erfolgt seien und keine Planungsverlässlichkeit bezüglich eines gebuchten Rückflugs gewährleistet sei. Wenn es erneut zu staatlich notwendigen Reaktionen auf Ausbrüche des Virus komme, bestehe die Gefahr längerer Quarantänen oder eines Festsitzens im Ausland. Das könne zu einer erheblichen Belastung für das seelische Wohlbefinden eines Kindes führen. Überdies gebe es weiterhin Unsicherheiten über die Infektionswege des Coronavirus, weshalb auch nicht geklärt sei, welche konkrete, gegebenenfalls erhöhte Ansteckungsgefahr im Zusammenhang mit Flugreisen beständen. Eine Flugreise ins Ausland müsse daher durch beide sorgeberechtigten Elternteile gemeinsam entschieden werden.

Können sich die Eltern nicht einigen, kann das Familiengericht auf Antrag einem Elternteil die Entscheidungsbefugnis darüber übertragen. Dabei muss sich das Familiengericht an dem Kindeswohl im konkreten Einzelfall orientieren und die Entscheidungsbefugnis auf den Elternteil übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird.

Quelle | OLG Braunschweig, Pressemitteilung vom 3.8.2020, Urteil vom 30.7.2020, 2 UF 88/20, Abruf-Nr. 217471 unter www.iww.de.

Kündigungsfristen: Ein Privathaushalt ist weder Betrieb noch Unternehmen

| Für Arbeitsverhältnisse, die ausschließlich in einem privaten Haushalt durchzuführen sind, gelten keine verlängerten Kündigungsfristen. So entschied es aktuell das Bundesarbeitsgericht (BAG) |

Der Wortlaut des einschlägigen Gesetzes (§ 622 Abs. 2 BGB) besagt, dass verlängerte Kündigungsfristen gelten, wenn das Arbeitsverhältnis „in dem Betrieb oder Unternehmen“ für eine bestimmte Zeit bestanden hat. Damit sind Arbeitsverhältnisse ausgenommen, die wie im Streitfall vorliegend eine Haushaltshilfe ausschließlich in einem privaten Haushalt durchzuführen sind.

Quelle | BAG, Urteil vom 11.6.20, 2 AZR 660/19, Abruf-Nr. 217308 unter www.iww.de.

Arbeitnehmer und Arbeitgeber: Mindestlohn soll bis 2022 in vier Stufen steigen

| Der gesetzliche Mindestlohn (derzeit 9,35 EUR brutto je Zeitstunde) soll nach der Empfehlung der Mindestlohnkommission ab 2021 stufenweise erhöht werden, um den Mindestschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verbessern. |

In die Mindestlohnfindung fließen Daten von tariflichen Stundenverdiensten ohne Sonderzahlungen aus dem Tarifindex des Statistischen Bundesamts ein. Die Kommission hat darauf Wert gelegt, Lohnkostensteigerungen für die betroffenen Betriebe vor dem Hintergrund der gegenwärtigen wirtschaftlichen Krise tragfähig zu gestalten.

Der gesetzliche Mindestlohn soll demnach wie folgt steigen:

  • zum 1.1.2021 auf 9,50 EUR
  • zum 1.7.2021 auf 9,60 EUR
  • zum 1.1.2022 auf 9,82 EUR
  • zum 1.7.2022 auf 10,45 EUR

Beachten Sie | Die Bundesregierung muss die Erhöhung noch per Rechtsverordnung umsetzen.

Quelle | Mindestlohnkommission, Dritter Beschluss vom 30.6.2020, abrufbar unter www.iww.de/s3976.

Arbeitszeugnis: Welches Datum ist im Arbeitszeugnis richtig?

| Das Zeugnisdatum, mit dem ein qualifiziertes Arbeitsendzeugnis versehen wird, muss den Tag der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses bezeichnen. Nicht bezeichnen muss es dagegen den Tag, an dem das Zeugnis physisch ausgestellt worden ist. So entschied jetzt das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln. |

Im Arbeitsleben ist es üblich, in ein Arbeitszeugnis als Zeugnisdatum das Datum der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufzunehmen. Das hat das Bundesarbeitsgericht auch höchstrichterlich gebilligt. Dies schafft zum einen Rechtssicherheit. Zum anderen beugt es der Gefahr von Spekulationen vor, ob zwischen den Arbeitsvertragsparteien ein Streit über Erteilung und Inhalt des Zeugnisses ausgetragen worden ist. Ein solcher Streit könnte entstehen, wenn zwischen dem rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses und dem Zeitpunkt der tatsächlichen Erstellung eines Zeugnisses ein längerer Zeitraum verstrichen ist.

Quelle | LAG Köln, Beschluss vom 27.3.2020, 7 Ta 200/19, Abruf-Nr. 215705 unter www.iww.de.

Arbeitslosengeld: Nordic Walking: gesund aber auch gefährlich

| Ein Mann, der Beklagte, und eine Frau betrieben gemeinsam Sport (Nordic Walking). Dabei geriet einer der Walkingstöcke des Beklagten zwischen die Beine der Frau. Sie stürzte und verletzte sich. Zwei Jahre lang konnte sie nicht arbeiten und wurde daraufhin entlassen. Die Bundesagentur für Arbeit verlangte als Klägerin das der Frau gezahlte Arbeitslosengeld vom Beklagten zurück. Dieser habe den Unfall fahrlässig verursacht und sollte daher dessen Folgen tragen. |

Das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig-Holstein gab der Behörde im Grundsatz Recht. Beim Nordic Walking sollten Sportler die Stöcke nach hinten halten. Geschieht dies nicht, können sie für den Unfall eines Mitsportlers haften. Der Beklagte sei daher grundsätzlich schadenersatzpflichtig.

Aber das OLG machte hier eine Ausnahme: Denn die Frau hatte ihre Kündigung widerspruchslos hingenommen. Daher trage sie ein überwiegendes Mitverschulden, zumal ihr Arbeitgeber ihr einen „leidensgerechten“ Arbeitsplatz hätte zuweisen und sie dort hätte weiter beschäftigen können. Der Beklagte musste daher entgegen dem o. g. Grundsatz das Arbeitslosengeld nicht erstatten.

Beachten Sie | Beim Nordic Walking müssen Sportler die Stöcke nah am Körper und hinter den Beinen halten. Der Unfall wäre nicht passiert, hätte sich der Beklagte daran gehalten. Interessante Unterhaltungen oder das Genießen einer schönen Landschaft entschuldigen einen Verstoß gegen diese Regel nicht. Gegebenenfalls müssen die Sportler den Abstand zwischen sich vergrößern, so das OLG.

Quelle | OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 30.7.2020, 6 U 46/18, Abruf-Nr. 217470 unter www.iww.de.

Zeugnisklage: Klage voreilig? Prozesskostenhilfe kann trotzdem möglich sein!

| Wird eine Zeugnisklage voreilig eingereicht, ohne den Anspruch zuvor außergerichtlich geltend zu machen, besteht normalerweise kein Anspruch auf Prozesskostenhilfe. Je nach Reaktion des Gegners kann sich das aber ausnahmsweise ändern. So hat es jetzt das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln entschieden. |

Im Fall des LAG Köln hatte der Gegner überhaupt nicht reagiert und das Zeugnis trotz der Klage nicht zeitnah erteilt. Das LAG entschied: In diesem Fall kann die Prozesskostenhilfe für die anschließende weitere Rechtsverfolgung zu bewilligen sein.

Quelle | LAG Köln, Beschluss vom 4.5.2020, 1 Ta 59/20, Abruf-Nr. 216969 unter www.iww.de.

Corona-Pandemie: „Sabbatjahr“ kann nicht wegen der Corona-Pandemie vorzeitig beendet werden

| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hat entschieden: Die Beeinträchtigungen durch die Corona-Pandemie genügen regelmäßig nicht als Grund dafür, ein sog. „Sabbatjahr“ vorzeitig zu beenden. |

Die beiden Antragsteller sind verbeamtete Lehrer. Beide traten zum Schuljahr 2019/2020 in die Freistellungsphase der ihnen bewilligten Teilzeitbeschäftigungen im Blockmodell, das sog. „Sabbatjahr“, ein. Sie gingen gemeinsam auf Weltreise. Anfang April 2020 beantragten sie per E-Mail noch von Australien aus, das Freistellungjahr vorzeitig zu beenden. Sie wiesen darauf hin, die Freistellungszeit sei infolge der Belastungen durch die Pandemiebeschränkungen für sie entwertet worden.

Erstinstanzlich blieben beide Eilanträge vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf und dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen ohne Erfolg. Die Verwaltungsgerichte waren übereinstimmend der Auffassung, der besondere Härtefall, in dem Beamten die Fortsetzung der Teilzeitbeschäftigung nicht mehr zuzumuten ist, liege jeweils nicht vor. Insbesondere reiche es nicht aus, dass die Antragsteller ihre Weltreise nicht, wie geplant, hätten fortsetzen können. Lehrkräften in Freistellungsphasen sei es wie anderen Bürgern auch zumutbar, ihre privaten Lebensverhältnisse an den pandemiebedingten Einschränkungen auszurichten, die zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in großen Teilen zudem nicht mehr bestünden.

Das OVG hat diese Entscheidungen jetzt bestätigt. Die Beschlüsse sind unanfechtbar.

Quelle | OVG Münster, Beschlüsse vom 24.7.2020, 6 B 925/20 und 6 B 957/20, Abruf-Nr. 217469 unter www.iww.de.

Sorgfaltspflicht: Hier ist besondere Sorgfalt geboten: Fahrstreifenwechsel innerhalb eines Kreisverkehrs

| Will ein Autofahrer vom kurveninneren auf den äußeren Fahrstreifen eines Kreisverkehrs wechseln, um aus dem Kreisverkehr herauszufahren, muss er die Sorgfaltspflichten der Straßenverkehrsordnung (StVO) beachten. Er muss z. B. den Wechsel rechtszeitig und deutlich ankündigen und die Fahrtrichtungsanzeiger (Blinker) benutzen. Eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer muss ausgeschlossen sein. |

Im vorliegenden Fall kam es in einem zweispurigen Kreisverkehr zu einem Verkehrsunfall auf dem äußeren Fahrstreifen in einer unübersichtlichen Verkehrssituation, bei der eine Verkehrsteilnehmerin einem Gelenkbus Vorfahrt beim Einfahren in den Kreisverkehr gewährte.

Das Oberlandesgericht Hamm (OLG) verlangt im Zweifel vom abbiegewilligen Autofahrer, der sich in diesem Fall noch auf der inneren Fahrspur befand, dass er eine „Extrarunde“ im Kreisverkehr fährt, sich dann rechtzeitig auf die rechte äußere Spur einordnet und erst von dort aus abbiegt.

Quelle | OLG Hamm, Urteil vom 4.2.2020, 9 U 90/19, Abruf-Nr. 216902 unter www.iww.de.