Marcus Spiralski Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht & Fachanwalt für Familienrecht

Urteilskategorie

Urteilsarchiv

Enkelunterhalt: Unterhaltspflicht von Großeltern

| Nicht nur Eltern müssen ihren Kindern Unterhalt zahlen, solange diese zur Schule gehen oder sich noch in einer Ausbildung befinden. Dieselbe Pflicht kann nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 1607 BGB) auch die Großeltern eines Kindes treffen, wenn die Eltern wegen mangelnder Leistungsfähigkeit keinen Unterhalt zahlen können oder sich der Unterhaltsanspruch rechtlich nur schwer durchsetzen lässt. Das hat jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg klargestellt. |

Das Amtsgericht (AG) hatte den Antrag zurückgewiesen: Es sei nicht ersichtlich, warum die Kindesmutter nicht vollschichtig arbeiten und dadurch den Barunterhalt für das Kind aufbringen könne.

Das OLG hat diese Frage anders entschieden. Es könne offengelassen werden, ob die Mutter vollschichtig arbeiten müsse. Selbst bei einer Vollzeittätigkeit reiche ihr Einkommen nicht aus, um den Unterhalt des Kindes ganz oder teilweise zu erbringen. Um den eigenen Unterhalt sicherzustellen, müsse ihr der angemessene Selbstbehalt von zurzeit 1.400 Euro belassen werden. Da die Mutter auch bei einer Vollzeittätigkeit nicht so viel verdienen könne, dass sie den Unterhalt für das Kind zahlt und 1.400 Euro für ihren Lebensunterhalt behalten könne, komme eine Haftung der Großeltern für den Unterhalt des Enkels in Betracht. Das OLG hob hervor: Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass der Kindesvater im Laufe des Verfahrens eine Arbeitsstelle angetreten habe und seitdem Unterhalt zahle. Denn es seien noch Rückstände für die Vergangenheit offen. Im Ergebnis könne daher Auskunft von den Großeltern über deren Einkommen und Vermögen verlangt werden. Im Anschluss an diese Auskunft ist zu entscheiden, ob die Großeltern tatsächlich Unterhalt schulden.

Quelle | OLG Oldenburg, Beschluss vom 16.12.2021, 13 UF 85/21, PM 3/22 vom 14.1.2022

Adoptivkind: Auskunftsanspruch gegenüber leiblicher Mutter

| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass eine leibliche Mutter auch nach einer Adoption ihrem Kind Auskunft über die Identität des leiblichen Vaters geben muss. |

Eine im Jahr 1984 geborene Antragstellerin verlangte von ihrer leiblichen Mutter, der Antragsgegnerin, Auskunft über die Person des leiblichen Vaters. Bei der Geburt war die in problematischen Familienverhältnissen aufgewachsene Antragsgegnerin gerade 16 Jahre alt geworden. Sie hatte die Schwangerschaft erst im siebten Monat bemerkt und die Hauptschule, deren siebte Klasse sie damals besuchte, ohne Schulabschluss verlassen. Nach der Geburt lebte sie mit der Antragstellerin zunächst in einem Mutter-Kind-Heim und später in einer Mädchen-Wohngemeinschaft, ehe die Antragstellerin von einem Ehepaar adoptiert wurde.

Ein 1985 durchgeführtes Vaterschaftsfeststellungsverfahren blieb ebenso erfolglos wie ein außergerichtlicher Vaterschaftstest mit einem weiteren Mann. Ende 2003 kam es auf Vermittlung des Jugendamts zu einem Treffen zwischen Antragstellerin und Antragsgegnerin. Nachdem die Antragstellerin die Antragsgegnerin im März 2018 erfolglos aufgefordert hatte, Namen und Anschrift des leiblichen Vaters zu benennen, hat sie diese Auskunft nun im gerichtlichen Verfahren verlangt.

Das Amtsgericht (AG) hat den Antrag zurückgewiesen, weil der Antragsgegnerin die Auskunftserteilung unmöglich sei. Auf die Beschwerde der Antragstellerin hat das Oberlandesgericht (OLG) diese Entscheidung geändert und die Antragsgegnerin antragsgemäß verpflichtet, der Antragstellerin alle Männer mit vollständigem Namen und Adresse zu nennen, die der Antragsgegnerin in der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt haben.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die dagegen von der Antragsgegnerin eingelegte Rechtsbeschwerde zurückgewiesen.

Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 1618a BGB) müssen Eltern und Kinder einander Beistand leisten. Auch wenn die Vorschrift keine konkreten Sanktionen bei einem Verstoß vorsieht, können Eltern und Kindern aus der Vorschrift wechselseitig Rechtsansprüche erwachsen. Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Staates, der Schutzbedürftigkeit des Einzelnen vor der Vorenthaltung verfügbarer Informationen über die eigene Abstammung bei der Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den Betroffenen angemessen Rechnung zu tragen.

Zudem geht es nicht allein um die Durchsetzung finanzieller Interessen. Vielmehr wird mit dem Auskunftsanspruch eine Rechtsposition von ganz erheblicher verfassungsrechtlicher Bedeutung gestärkt, nämlich das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung.

Dass die Antragsgegnerin wegen der Adoption der Antragstellerin und dem daraus folgenden Erlöschen des rechtlichen Eltern-Kind-Verhältnisses nicht mehr die rechtliche Mutter der Antragstellerin ist, steht dem Anspruch nicht entgegen. Denn das Auskunftsschuldverhältnis zwischen Kind und Mutter ist vor der Adoption entstanden. Würde man dies anders sehen, würde die Adoption hinsichtlich des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung zu einer nicht gerechtfertigten Schlechterstellung gegenüber Kindern führen, deren rechtliche Eltern-Kind-Beziehung zu ihrer leiblichen Mutter fortbesteht. Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin auch keine erheblichen, gegen ihre Auskunftsverpflichtung sprechenden Abwägungsgesichtspunkte vorgetragen, sondern im Gegenteil zu keinem Zeitpunkt bestritten, dass der Auskunftsanspruch der Antragstellerin grundsätzlich besteht. Somit hat sie sich nicht auf konkrete Belange berufen, die mit Blick auf ihr ebenfalls verfassungsrechtlich geschütztes Recht auf Achtung ihrer Privat- und Intimsphäre dazu führen könnten, das Bestehen des Auskunftsanspruchs zu verneinen.

Mit der bloßen Mitteilung, sie könne sich an keinen möglichen Erzeuger erinnern, hat die Antragsgegnerin den Auskunftsanspruch nicht erfüllt. Sie hat auch nicht dargelegt, dass ihr eine Erfüllung auch nach Einholen der ihr zumutbaren Erkundigungen unmöglich ist. Sie könnte sich an eine Reihe von möglichen Kontaktpersonen wenden, um Hinweise zu potenziellen leiblichen Vätern der Antragstellerin zu erhalten. Diesen Nachfragemöglichkeiten fehlt es weder an der Erfolgsaussicht noch sind sie der Antragsgegnerin unzumutbar.

Quelle | BGH, Beschluss vom 19.1.2022, XII ZB 183/21, PM 7/22 vom 19.1.2022

Arbeitnehmer: Selbstbeurlaubung: ein großer Fehler!

| Ein unentschuldigtes Fehlen eines Arbeitnehmers und eine eigenmächtige Urlaubnahme sind geeignet, eine außerordentliche Kündigung auszusprechen. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern klargestellt. |

Das LAG machte dabei deutlich, dass der Arbeitnehmer sich auch nicht selbst beurlauben oder freistellen darf, wenn er möglicherweise einen Anspruch auf Erteilung von Urlaub oder eine Freistellung gehabt hätte. Denn einen solchen Anspruch hätte er im Wege des gerichtlichen Rechtsschutzes, ggf. im Wege einer einstweiligen Verfügung, durchsetzen müssen, nicht aber durch eigenmächtiges Handeln.

Quelle | LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 23.11.2021, 5 Sa 88/21, Abruf-Nr. 226862 unter www.iww.de

Betriebliches Eingliederungsmanagement: Datenschutz beachten

| Arbeitnehmer sind auf die Art und den Umfang der im betrieblichen Eingliederungsmanagement erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Die entsprechende Datenverarbeitung muss zudem datenschutzkonform geschehen. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg klargestellt. |

Um die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements zu erreichen, sei es nicht erforderlich, dass der Arbeitnehmer Vertretern, die nicht im betrieblichen Eingliederungsmanagement-Verfahren beteiligt des Arbeitgebers sind, mitgeteilte Diagnosedaten bekannt macht. Wenn dem Arbeitnehmer dennoch eine Einwilligung in eine solche Datenoffenlegung abverlangt wird, ist im besonderen Maße auf die Freiwilligkeit hinzuweisen.

Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.10.2021, 4 Sa 70/20, Abruf-Nr. 226471 unter www.iww.de

Kündigungsschutzklage: Angekündigter Amoklauf: fristlose Kündigung möglich

| Kündigt ein Arbeitnehmer einer Kollegin gegenüber glaubhaft an, er beabsichtige, seinen Vorgesetzten aus dem Fenster zu schmeißen und er sei kurz vor einem Amoklauf, kann dies eine fristlose Kündigung rechtfertigen. So entschied es das Arbeitsgericht (ArbG) Siegburg. |

Der Arbeitnehmer war bei der beklagten Stadt seit über 13 Jahren in der Buchhaltung beschäftigt. Er äußerte gegenüber seiner Kollegin nach einer Auseinandersetzung mit seinem Vorgesetzten: „Diesen kleinen Wicht schmeiße ich aus dem Fenster. Ich lasse mir das nicht länger gefallen. Ich bin kurz vor‘m Amoklauf. Ich sage dir, bald passiert was. Der lebt gefährlich, sehr gefährlich.“

Der Arbeitnehmer erhielt daher eine fristlose und hilfsweise eine fristgerechte Kündigung. Hiergegen erhob er Kündigungsschutzklage.

Das ArbG wies die Klage ab. Es hielt die fristlose Kündigung für gerechtfertigt, nachdem es die Kollegin als Zeugin vernommen hatte. Der Kündigungsgrund lag nach Auffassung des ArbG darin, dass der Arbeitnehmer in ernst zu nehmender Art und Weise gegenüber seiner Kollegin Äußerungen getätigt habe, die sowohl die Ankündigung für eine Gefahr von Leib und Leben des Vorgesetzten als auch die Ankündigung eines Amoklaufs beinhaltet hätten. Er habe die Drohung nach Überzeugung des Gerichts absolut ernst gemeint. Eine vorherige Abmahnung sei in diesem Fall entbehrlich. Eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sei dem Arbeitgeber nicht zuzumuten.

Quelle | ArbG Siegburg, Urteil vom 4.11.2021, 5 Ca 254/21, Abruf-Nr. 227028 unter www.iww.de

Vergütungsanspruch: Pflichtpraktikum als Zulassungsvoraussetzung für Studium: kein gesetzlicher Mindestlohn

| Praktikanten, die ein Pflichtpraktikum absolvieren, das nach einer hochschulrechtlichen Bestimmung Zulassungsvoraussetzung für die Aufnahme eines Studiums ist, haben keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. So hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. |

Praktikum ja, Vergütung nein

Die Klägerin beabsichtigte, sich an einer privaten, staatlich anerkannten Universität um einen Studienplatz im Fach Humanmedizin zu bewerben. Nach der Studienordnung ist u. a. ein sechsmonatiger Krankenpflegedienst Zugangsvoraussetzung. Vor diesem Hintergrund absolvierte die Klägerin bei der Beklagten, die ein Krankenhaus betreibt, ein solches Praktikum auf einer Krankenpflegestation. Eine Vergütung wurde nicht vereinbart.

Landesarbeitsgericht und Bundesarbeitsgericht weisen Klage ab

Mit ihrer Klage hat die Klägerin eine Vergütung von rund 10.000 Euro brutto nach dem Mindestlohngesetz (MiLoG) verlangt. Sie hat geltend gemacht, sie habe im Rahmen einer Fünftagewoche täglich 7,45 Stunden Arbeit geleistet. Ein Vorpraktikum vor Aufnahme eines Studiums sei kein Pflichtpraktikum im Sinne des MiLoG, daher greife die gesetzliche Ausnahme von der Vergütungspflicht nicht ein.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin beim BAG hatte keinen Erfolg. Die Klägerin unterfällt nicht dem persönlichen Anwendungsbereich des o. g. Gesetzes. Der Ausschluss von Ansprüchen auf den gesetzlichen Mindestlohn erfasst nach dem in der Gesetzesbegründung deutlich zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers nicht nur obligatorische Praktika während des Studiums, sondern auch solche, die in Studienordnungen als Voraussetzung zur Aufnahme eines bestimmten Studiums verpflichtend vorgeschrieben sind. Dem steht nicht entgegen, dass die Studienordnung von einer privaten Universität erlassen wurde, denn diese Universität ist staatlich anerkannt. Hierdurch ist die von der Hochschule erlassene Zugangsvoraussetzung im Ergebnis einer öffentlich-rechtlichen Regelung gleichgestellt und damit gewährleistet, dass durch das Praktikumserfordernis in der Studienordnung nicht der grundsätzlich bestehende Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für Praktikanten sachwidrig umgangen wird.

Quelle | BAG, Urteil vom 19.1.2022, 5 AZR 217/21, PM 1/22 vom 19.1.2022

Fristlose Kündigung: Unbefugte Kenntnisnahme und Weitergabe fremder Daten

| Liest eine Arbeitnehmerin, die im Rahmen ihrer Buchhaltungsaufgaben Zugriff auf den PC und das E-Mail-Konto ihres Arbeitgebers hat, unbefugt eine an ihren Vorgesetzten gerichtete E-Mail und fertigt von dem Anhang einer offensichtlich privaten E-Mail eine Kopie an, die sie an eine dritte Person weitergibt, rechtfertigt dies eine fristlose Kündigung. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln entschieden. |

Fristlose Kündigung

Die Klägerin ist bei der Arbeitgeberin, einer evangelischen Kirchengemeinde, seit 23 Jahren als Verwaltungsmitarbeiterin beschäftigt. Soweit für ihre Buchhaltungsaufgaben erforderlich, hatte sie Zugriff auf den Dienstcomputer des Pastors. In diesem Dienstcomputer nahm die Klägerin eine E-Mail zur Kenntnis, die den Pastor auf ein gegen ihn gerichtetes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts sexueller Übergriffe auf eine im Kirchenasyl der Gemeinde lebende Frau hinwies. Im E-Mail-Konto fand sie als Anhang einer privaten E-Mail einen Chatverlauf zwischen dem Pastor und der betroffenen Frau, den sie auf einem USB-Stick speicherte und eine Woche später anonym an eine ehrenamtliche Mitarbeiterin der Gemeinde weiterleitete. Die Klägerin gab an, sie habe die im Kirchenasyl lebende Frau schützen und Beweise sichern wollen. Nach Bekanntwerden der Vorkommnisse kündigte die Kirchengemeinde das Arbeitsverhältnis fristlos.

Erste Instanz gab der Arbeitnehmerin Recht

Erstinstanzlich hatte die Klägerin mit ihrer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Aachen Erfolg. Das Gericht erkannte in ihrem Verhalten zwar einen an sich wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung, hielt diese jedoch aufgrund des langen und bisher unbelastet verlaufenen Arbeitsverhältnisses und mangels Wiederholungsgefahr für unverhältnismäßig.

Berufung: Arbeitnehmerin unterliegt

Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Kirchengemeinde hatte Erfolg. Das LAG Köln sah das für die Aufgaben der Klägerin notwendige Vertrauensverhältnis als unwiederbringlich zerstört an. In der unbefugten Kenntnisnahme und Weitergabe fremder Daten lag für das Gericht auch wegen der damit einhergehenden Verletzung von Persönlichkeitsrechten ein schwerwiegender Verstoß gegen die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht. Dieser sei auch nicht durch die von der Klägerin vorgetragenen Beweggründe, die im Kirchenasyl lebende Frau schützen und Beweise sichern zu wollen, gerechtfertigt gewesen. Denn mit ihrer Vorgehensweise habe die Klägerin keines der angegebenen Ziele erreichen können. Angesichts der Schwere der Pflichtverletzung überwiege das Lösungsinteresse der Gemeinde das Beschäftigungsinteresse der Klägerin deutlich. Selbst die erstmalige Hinnahme dieser Pflichtverletzung sei der Gemeinde nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich auch für die Klägerin erkennbar ausgeschlossen.

Das LAG hat die Revision nicht zugelassen.

Quelle | LAG Köln, Urteil vom 2.11.2021, 4 Sa 290/21, PM 1/22 vom 3.1.2022

Ordnungswidrigkeit: Handy auf dem Oberschenkel ablegen, heißt, es zu benutzen

| Wird dem Betroffenen die verbotswidrige Benutzung eines Mobiltelefons zur Last gelegt, ist entscheidend, ob er es wirklich „benutzt“ hat. Das hat das Bayrische Oberste Landesgericht (BayObLG) jetzt für das Ablegen des Handys auf dem Oberschenkel bejaht. |

Denn, so das Gericht, eine verbotswidrige Benutzung eines Mobiltelefons liege nicht nur vor, wenn dieses mit der Hand ergriffen wird. Vom Wortsinn (gemäß Duden, siehe www.duden.de, Stichwort „halten“) her bedeute „halten“ einerseits „festhalten“ und andererseits „bewirken, dass etwas in seiner Lage, seiner Stellung oder Ähnlichem bleibt“. Demnach liegt ein Halten nicht nur vor, wenn ein Gegenstand mit der Hand ergriffen wird, sondern auch, wenn er zwischen Schulter und Ohr geklemmt wird. Zudem ist ein Halten gegeben, wenn das Gerät in sonstiger Weise mithilfe der menschlichen Muskulatur in seiner Position bleibt.

Ein Mobiltelefon kann während der Fahrt, verbunden mit den damit einhergehenden Geschwindigkeits- und Richtungsänderungen, nicht allein durch die Schwerkraft auf dem Schenkel verbleiben. Es bedarf bewusster Kraftanstrengung, um die Auflagefläche so auszubalancieren, dass das Mobiltelefon nicht vom Bein herunterfällt. Auch dieses durch menschliche Kraftanstrengung bewirkte Ausbalancieren unterfällt dem Begriff des Haltens.

Quelle | BayObLG, Urteil vom 10.1.2022, 201 ObOWi 1507/21, Abruf-Nr. 227073 unter www.iww.de

Verfassungsbeschwerde: Herausgabe von Wartungsunterlagen eines Geschwindigkeitsmessgeräts im standardisierten Messverfahren

| Der Verfassungsgerichtshof (VGH) Rheinland-Pfalz hat jetzt einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, der eine Verurteilung wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes zugrunde lag. |

Sachverhalt

Mit seiner Verfassungsbeschwerde machte ein Autofahrer u. a. geltend, die Nichtüberlassung der Wartungs- und Instandsetzungsunterlagen des Messgeräts sowie bestimmter Messdaten (Falldatensätze der gesamten Messreihe einschließlich der Statistikdatei und Case-List) verstoße gegen Grundrechte der Landesverfassung.

Dem Autofahrer war eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen worden. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte mittels eines mobilen Messgeräts des Typs PoliScan Speed M1 der Firma Vitronic. Nachdem seine Verteidigerin Einsicht in die Bußgeldakte erhalten hatte, beantragte sie, ihr weitere Dokumente zu überlassen u. a. die Wartungs- und Instandsetzungsunterlagen des Messgeräts, die nicht Bestandteil der Bußgeldakte sind.

So entschieden die Instanzen

Das Amtsgericht (AG) lehnte den Antrag ab und verurteilte den Autofahrer wegen des Geschwindigkeitsverstoßes zu einer Geldbuße von 140 Euro. Sein beim Oberlandesgericht (OLG) Koblenz gestellter Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde blieb ohne Erfolg.

Kehrtwende durch den Verfassungsgerichtshof

Die Entscheidungen des AG und OLG verletzten den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren, so der VGH. Aus diesem Grundsatz folge das Recht des Betroffenen, Unterlagen über Messgerät und Geschwindigkeitsmessung einzusehen.

„Waffengleichheit“ …

So werde dem auch vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in jüngerer Zeit betonten Gedanken der „Waffengleichheit“ zwischen Bußgeldbehörde und Betroffenem Rechnung getragen und Autofahrern zu ermöglichen, nach Entlastungsmomenten in Gestalt von Fehlern im Messverfahren zu suchen.

… aber kein unbegrenzter Informationsanspruch

Allerdings bestehe ein Informationsanspruch nicht unbegrenzt. Er setze zum einen voraus, dass der Betroffene die begehrten Informationen hinreichend konkret benenne. Zum anderen sei erforderlich, dass die Dokumente einen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Ordnungswidrigkeitenvorwurf sowie eine erkennbare Relevanz für die Verteidigung aufwiesen. Zudem dürften dem Anspruch keine gewichtigen verfassungsrechtlich verbürgten Interessen, z. B. die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege oder schützenswerte Interessen Dritter entgegenstehen. Im Fall der begehrten Einsicht in die Wartungs- und Instandsetzungsunterlagen des Messgeräts seien die Voraussetzungen eines Einsichtsrechts erfüllt.

Da die Verfassungsbeschwerde bereits wegen der verweigerten Einsichtnahme in die genannten Unterlagen erfolgreich war, könne die vom Autofahrer weiter aufgeworfene Frage dahinstehen, ob das Messergebnis wegen der vom Messgerät nicht gespeicherten sog. Rohmessdaten verwertbar gewesen sei.

Quelle | VGH Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 13.12.2021, VGH B 46/21, PM 8/21

Ordnungswidrigkeit: Wegen langen Zeitablaufs kann vom Fahrverbot abgesehen werden

| Liegt zwischen der Ordnungswidrigkeit und der Ahndung der Tat ein längerer Zeitraum, kann es sein, dass ein Fahrverbot wegen des langen Zeitraums entfällt. Das hat das Amtsgericht (AG) Trier nun bestätigt. |

Der Zeitraum zwischen Ordnungswidrigkeit und Ahndung, ab welchem ein Entfallen des Fahrverbots zu prüfen ist, wird oft pauschal auf zwei Jahre bestimmt. Diese Frist ist aber nicht zwingend, sondern muss letztlich im Einzelfall geprüft werden.

Das AG hat den Betroffenen am 3.9.2021 wegen einer am 30.10.2019 vorsätzlich begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung um 50 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften verurteilt. Aufgrund des langen Zurückliegens der Tat hat das AG das Regelfahrverbot nicht mehr als erforderlich angesehen und von der Verhängung abgesehen. Die Geldbuße hat es auch nicht erhöht.

Quelle | AG Trier, Urteil vom 3.9.2021, 27c OWi 8143 Js 10147/20, Abruf-Nr. 226376 unter www.iww.de