Marcus Spiralski Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht & Fachanwalt für Familienrecht

Urteilskategorie

Urteilsarchiv

Sachverständigenhonorar: Fahrtkosten des Schadengutachters sind auch bei fahrfähigem Fahrzeug erstattungsfähig

| Auch wenn das beschädigte Fahrzeug noch fahrfähig und verkehrssicher ist, muss der Geschädigte nicht zum Schadengutachter fahren. Er darf, weil das üblich ist, das Fahrzeug in der Werkstatt begutachten lassen. |

So sieht es das Amtsgericht Landshut. Hierfür spreche, dass Schadengutachter oft nicht die notwendige Ausrüstung hätten, insbesondere keine Hebebühne. Der Geschädigte sei auch nicht verpflichtet, zuvor den Markt zu erkunden, welcher Schadengutachter ausreichend ausgerüstet ist. Der Geschädigte verstößt somit nicht gegen seine Schadenminderungspflicht, nur weil Fahrtkosten des Gutachters angefallen sind. Aber: Er muss einen ortsnahen Sachverständigen auswählen.

Quelle | Amtsgericht Landshut, Urteil vom 10.10.2017, 4 C 1245/17, Abruf-Nr. 197290 unter www.iww.de.

Sorgerecht: Im Vollstreckungsverfahren werden keine sorgerechtlichen Fragen mehr entschieden

| Wurde die elterliche Sorge auf den anderen Elternteil übertragen, und soll die Anordnung zur Herausgabe des Kindes vollstreckt werden, wird in dem Vollstreckungsverfahren weder die Ausgangsentscheidung noch das Kindeswohl erneut überprüft. |

Diese Klarstellung traf das Oberlandesgericht (OLG) Hamm im Fall einer Kindesmutter. Der Frau war die elterliche Sorge für das Kind entzogen und auf den Kindesvater übertragen worden. Trotz der vorliegenden Gerichtsentscheidung wollte die Frau das Kind aber nicht an den Vater herausgeben. Auf Antrag des Vaters wurde daraufhin ein Ordnungsgeld, bzw. ersatzweise eine Ordnungshaft gegen die Frau verhängt. Ihre Beschwerde hiergegen begründet sie damit, dass die Übertragung des Sorgerechts fehlerhaft sei und das Kindeswohl gefährde.

Das OLG wies ihre Beschwerde jedoch zurück. Die Richter wiesen darauf hin, dass man sich vorliegend im Vollstreckungsverfahren befinde. Dort werde die Ausgangsentscheidung nicht erneut überprüft. Im Rahmen der Anordnung eines Ordnungsmittels wegen Zuwiderhandlung gegen die Anordnung der Herausgabe von Personen sei davon auszugehen, dass das Kindeswohl im Erkenntnisverfahren überprüft wurde. Das Vollstreckungsverfahren diene dagegen der effektiven Durchsetzung einer gerichtlichen Entscheidung, die im Erkenntnisverfahren unter umfassender Beachtung der Vorgaben des materiellen Rechts – und mithin auch des Kindeswohls – getroffen wurde. Die Kindesmutter hätte Rechtsmittel gegen die Ausgangsentscheidung einlegen und ihre Argumente dort vorbringen müssen.

Quelle | OLG Hamm, Beschluss vom 5.4.2017, 3 WF 41/17, Abruf-Nr. 198234 unter www.iww.de.

Erbrecht: Beseitigung eines Ölschadens ist keine Nachlassverbindlichkeit

| Müssen bei einem geerbten Haus Ölschaden beseitigt werden, um dieses Haus nutzen zu können, sind die Kosten für die Beseitigung des Schadens keine Nachlassverbindlichkeit. Die Erbschaftsteuer mindert sich nicht. |

Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) klargestellt. Etwas anderes gilt nach der Entscheidung nur, wenn schon zu Lebzeiten des Erblassers eine öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Verpflichtung (etwa gegenüber einem Mieter) bestand, einen Mangel oder Schaden zu beseitigen. Dann mindern die Aufwendungen, die der Erbe zu tragen hat, als Nachlassverbindlichkeit die Erbschaftsteuer (§ 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG).

Das war für den BFH hier aber nicht der Fall. Allein die Tatsache, dass der Erblasser durch den Einkauf nicht geeigneten Öls die Ursache für den späteren Austritt des Öls und damit für die zur Schadensbeseitigung erforderlichen Aufwendungen gesetzt hatte, reicht für den Abzug der Aufwendungen als Nachlassverbindlichkeit nicht aus. Insbesondere war nicht festzustellen, dass der Erblasser noch zu Lebzeiten verpflichtet war, das Öl zu beseitigen.

Quelle | BFH, Urteil vom 26.7.2017, II R 33/15, Abruf-Nr. 197530 unter www.iww.de.

Kindergeld: So erhalten Großeltern Kindergeld für ihre Enkel

| Auch Großeltern können Kindergeld bekommen. Nämlich dann, wenn sie Enkel überwiegend in ihrem Haushalt versorgen und betreuen. Das ist gesichertes Recht. Neu ist, dass ein Kindergeldanspruch auch bestehen kann, wenn der Enkel aus dem Haushalt der Großeltern schon ausgezogen ist. |

Die Einzelheiten dazu stehen in einer Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Rheinland-Pfalz. Im konkreten Fall hatten Tochter und Kind noch bei den Eltern gelebt. Die Tochter studierte. Also kümmerten sich vorrangig die Großeltern um die Enkelin – und beantragten auch einvernehmlich das Kindergeld. Als Tochter und Enkelin ausgezogen waren, zahlte die Familienkasse kein Kindergeld mehr. Die Großeltern klagten. Sie argumentierten, dass die Enkelin weiterhin überwiegend in ihrem Haushalt versorgt und betreut wurde. Sie konnten nachweisen, dass sich die Enkelin an mehreren Tagen der Woche in ihrem Haushalt befand und dort in einem eigenen Zimmer übernachtete.

Hinweis: Großeltern, die für Enkelkinder einen Kindergeldanspruch durchsetzen wollen, sollten eine Art Tagebuch führen. Darin sollte stehen, an welchen Tagen sich das Enkelkind wie lange im Haushalt aufgehalten hat. Nur mit diesen Aufzeichnungen und entsprechenden Zeugenaussagen der Eltern können Großeltern den Kindergeldanspruch problemlos durchsetzen.

Quelle | FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.8.2017, 4 K 2296/15, Abruf-Nr. 197559 unter www.iww.de.

Insolvenz des Arbeitgebers: Bei Insolvenz kann auch der Auszubildende seine Vergütung zurückzuzahlen haben

| Unter bestimmten Voraussetzungen muss auch ein Auszubildender seine Ausbildungsvergütung zurückzahlen, wenn der Arbeitgeber insolvent ist. |

Diese Entscheidung traf das Bundesarbeitsgericht (BAG) zulasten eines Auszubildenden. Weil der Arbeitgeber die Ausbildungsvergütung nicht regelmäßig zahlte, traf man sich vor Gericht. Hier schlossen die Parteien einen Vergleich. Der Arbeitgeber verpflichtete sich darin, rückständige Ausbildungsvergütung von 2.800,00 EUR netto zu zahlen. Den Betrag zahlte er erst, nachdem der Auszubildende die Zwangsvollstreckung eingeleitet hatte.

Fast ein Jahr später wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt. Der Eröffnungsbeschluss nennt als Grundlage der Eröffnung neben zwei Anträgen aus dem Jahr 2014 ausdrücklich auch einen bereits am 7.10.2010 – und damit mehr als zwei Jahre vor der Zahlung der rückständigen Ausbildungsvergütung – gestellten Insolvenzantrag. Der Insolvenzverwalter verlangt die Rückzahlung der Ausbildungsvergütung. Der Auszubildende hat geltend gemacht, es sei nicht nachvollziehbar, warum das Verfahren auch auf den Antrag vom 7.10.2010 hin eröffnet worden sei. Zudem könne ihm durch die Anfechtung nicht die Ausbildungsvergütung entzogen werden, die auch sein Existenzminimum habe sichern sollen. Die Richter am BAG entschieden jedoch zugunsten des Insolvenzverwalters. Sie begründeten das folgendermaßen:

  • Zahlungen des Arbeitgebers an Arbeitnehmer und Auszubildende, die nicht in der geschuldeten Art erfolgen (inkongruente Deckung), können vom späteren Insolvenzverwalter ohne weitere Voraussetzungen zur Masse zurückgefordert werden (Insolvenzanfechtung). Voraussetzung ist, dass die Zahlungen nach dem Insolvenzantrag vorgenommen worden sind, der zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens geführt hat.
  • Dabei sind Zahlungen, die der Arbeitgeber erbringt, um eine unmittelbar bevorstehende Zwangsvollstreckung abzuwenden (Druckzahlungen), nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) nicht in der geschuldeten Weise erbracht und damit inkongruent. Diese Einordnung hat der Gesetzgeber wiederholt unbeanstandet gelassen. Deshalb hat sich das BAG der Rechtsprechung des BGH angeschlossen. Zuletzt wurde die im Entwurf eines „Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz“ (BT-Drs. 18/7054) vorgesehene Gesetzesänderung, nach der eine inkongruente Deckung nicht allein deswegen vorliegen sollte, weil die Befriedigung durch Zwangsvollstreckung erwirkt oder zu deren Abwendung bewirkt worden war, nicht verwirklicht. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber bewusst dagegen entschieden, solche Zahlungen als kongruent anzusehen (BT-Drs. 18/11199 S. 10).
  • Die Arbeitsgerichte sind auch daran gebunden, dass das Amtsgericht als Insolvenzgericht im rechtskräftigen Eröffnungsbeschluss auch den Insolvenzantrag vom 7.10.2010 als Eröffnungsgrundlage bestimmt hatte. Anlass, eine verfassungsrechtlich legitimierte Anfechtungssperre bei Druckzahlungen zu erwägen, besteht nach ständiger Rechtsprechung des BAG nicht. Der Arbeitnehmer kann in solchen Fällen die zur Absicherung des Existenzminimums vorgesehenen und geeigneten staatlichen Hilfen wie Grundsicherung und Insolvenzgeld in Anspruch nehmen. Das gilt auch für den Fall der Rückforderung einer Ausbildungsvergütung.

Quelle | BAG, Urteil vom 26.10.2017, 6 AZR 511/16, Abruf-Nr. 197779 unter www.iww.de.

Freizeitausgleich: Arbeitgeber darf bei Plusstunden Freizeitausgleich anordnen

| Das LAG Hamm hat entschieden, dass ein Arbeitgeber Freizeitausgleich zum Abbau von „Plusstunden“ auf einem Arbeitszeitkonto anordnen kann, wenn sich seine Weisung dabei in den Grenzen der Billigkeit bewegt. |

Das LAG formulierte es in seinem Leitsatz wie folgt: „Die Gewährung von Freizeitausgleich zum Abbau von „Plusstunden“ auf das Arbeitszeitkonto erfolgt im Wege des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts in den Grenzen der Billigkeit gem. § 106 Satz 1 GewO , ohne besondere Abreden ist die Zustimmung des Arbeitnehmers nicht erforderlich.“

Quelle | LAG Hamm, Urteil vom 18.5.17, 18 Sa 1143/16, Abruf-Nr. 197361 unter  www.iww.de.

Betriebsübergang: Grundsätzlich besteht im Kleinbetrieb kein Wiedereinstellungsanspruch

| Ein Wiedereinstellungsanspruch kann grundsätzlich nur Arbeitnehmern zustehen, die Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) genießen. |

Diese Entscheidung traf das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Fall eines Mannes, der seit 1987 als

vorexaminierter Apothekenangestellter beschäftigt war. Am 28.11.2013 kündigte der Arbeitgeber allen Angestellten zum 30.6.2014. Bei der Apotheke handelte es sich um einen Kleinbetrieb im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG). Daher hatte der Mann keinen Kündigungsschutz. Entsprechend wehrte er sich nicht gegen die Kündigung.

Der Arbeitgeber führe den Betrieb jedoch über den 30.6.2014 hinaus mit verringerter Beschäftigtenzahl weiter. Er übergab ihn dann am 1.9.2014 an einen neuen Inhaber. Mit diesem hatte er im Juli 2014 einen Kaufvertrag über die Apotheke einschließlich des Warenlagers geschlossen. Der Kaufvertrag sah zudem vor, dass der neue Inhaber drei Arbeitnehmer übernimmt und weiterbeschäftigt. Der Arbeitnehmer verklagte daraufhin beide auf Wiedereinstellung.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Arbeitnehmer hat dieses Urteil teilweise angegriffen. Mit seiner Berufung verfolgt er den Wiedereinstellungsanspruch nur gegen den neuen Inhaber weiter. Das Landesarbeitsgericht hat seine Berufung zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Die Richter wiesen darauf hin, dass ein Wiedereinstellungsanspruch grundsätzlich nur Arbeitnehmern zustehen kann, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung Kündigungsschutz nach dem KSchG genießen. Ob sich in Kleinbetrieben im Einzelfall ausnahmsweise ein Wiedereinstellungsanspruch ergeben kann, musste vorliegend nicht entschieden werden. Der Angestellte hätte einen solchen Anspruch erfolgreich nur gegenüber dem ursprünglichen Inhaber verfolgen können, weil dieser den Betrieb zunächst selbst fortgeführt hatte. Gegen diesen richtete sich die Revision jedoch nicht. Die Klage gegen den ursprünglichen Inhaber ist bereits vom Arbeitsgericht rechtskräftig abgewiesen worden.

Quelle | BAG, Urteil vom 19.10.2017, 8 AZR 845/15, Abruf-Nr. 197782 unter www.iww.de.

Befristung: Arbeitsvertrag eines Profi-Fußballspielers kann wirksam befristet werden

| Der Arbeitsvertrag eines Profi-Fußballspielers kann wirksam befristet werden. Als sachlicher Grund gelten die Besonderheiten des Profisports. |

So entschied es das Arbeitsgericht Köln im Fall eines Berufsfußballspielers aus Köln. Sein Vertrag war bis zum 30.6.2017 befristet. Er wollte mit seiner Klage erreichen, dass die Befristung für unwirksam erklärt wird.

Damit hatte er jedoch vor dem Arbeitsgericht in erster Instanz keinen Erfolg. Das Gericht verwies auf das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG). Das bestimmt, dass eine über zwei Jahre hinausgehende Befristungsdauer nur wirksam ist, wenn ein sachlicher Grund dafür vorliegt.

Die Frage, inwieweit bei dieser rechtlichen Hürde die Besonderheiten des Profifußballs zu berücksichtigen sind, ist nicht neu in der Rechtsprechung. Zuletzt hatte sich das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz in einem Urteil vom 17.2.2016 (4 Sa 202/15) damit beschäftigt. Anders als die Vorinstanz nahm das LAG an, dass ein sachlicher Grund für die Befristung aufgrund der Besonderheiten im Rechtsverhältnis zwischen einem Bundesliga-Verein und einem Lizenzspieler gegeben sei. Dieser Rechtsstreit ist derzeit beim Bundesarbeitsgericht anhängig (7 AZR 312/16).

Das Arbeitsgericht Köln hielt die Befristung des Arbeitsvertrags aufgrund der Besonderheiten im Bereich des Profifußballs ebenfalls für wirksam. Die „Eigenart der Arbeitsleistung“ rechtfertige ungeachtet der geringeren Verdienstmöglichkeiten auch in der Regionalliga die Befristung.

Quelle | Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 19.10.2017, 11 Ca 4400/17, Abruf-Nr. 197780 unter www.iww.de.

Fahrverbot: Blasenschwäche schützt bei Geschwindigkeitsüberschreitung i.d.R. nicht vor Fahrverbot

| Wer infolge einer schwachen Blase plötzlich starken Harndrang verspürt und deswegen die zulässige Höchstgeschwindigkeit so überschreitet, dass nach der Bußgeldkatalogverordnung (BKatV) ein Regelfahrverbot zu verhängen ist, ist regelmäßig auch mit dem Fahrverbot zu belegen. Ob die durch eine Blasenschwäche hervorgerufene Situation ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigt, hat der Bußgeldrichter im Einzelfall festzustellen. |

Auf diese Rechtslage hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hingewiesen. Der Betroffene hatte die außerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit um 29 km/h überschritten. Dafür erhielt er eine Geldbuße von 80 EUR. Außerdem verhängte die Behörde ein einmonatiges Fahrverbot, weil der Betroffene bereits vier Monate zuvor eine ähnliche Geschwindigkeitsüberschreitung begangen hatte.

Der Betroffene trug vor, dass er nach einer Prostataoperation nur noch über eine eingeschränkte Kontinenz verfüge. Er habe während der Fahrt einen starken, schmerzhaften Harndrang verspürt. Daher sei er nur noch darauf fokussiert gewesen, „rechts ran fahren“ zu können. Aufgrund des dichten Verkehrs auf der Bundesstraße habe er allerdings zunächst keine Gelegenheit zum Anhalten finden können. Das Amtsgericht sah in dieser Argumentation keinen Grund, vom Fahrverbot abzusehen.

Mit seiner Rechtsbeschwerde war der Betroffene – vorläufig – erfolgreich. Die Richter am OLG haben das Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Die Begründung des angefochtenen Urteils sei mangelhaft. Es sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein sehr starker Drang zur Verrichtung der Notdurft, der durch eine besondere körperliche Disposition des Betroffenen bedingt und der ursächlich für die Geschwindigkeitsüberschreitung sei, einen Grund darstellen könne, vom Regelfahrverbot abzusehen. Dies sei aber keineswegs der Normalfall. Ein bestimmter körperlichen Zustand reiche noch nicht aus. Das würde dem Betroffenen einen „Freibrief“ für pflichtwidriges Verhalten im Straßenverkehr geben. Dieser müsse vielmehr seine Fahrt entsprechend planen. Er müsse gewisse Unwägbarkeiten (wie etwa Stau, Umleitungen etc.) in seine Planungen einstellen. Zudem müsse er entsprechende Vorkehrungen treffen oder ggf. auf anfänglich aufgetretenen Harn- oder Stuhldrang rechtzeitig reagieren, damit ihn ein starker Drang zur Verrichtung der Notdurft nicht zu pflichtwidrigem Verhalten verleite. Ausgehend hiervon müsse der Bußgeldrichter die näheren Umstände einer solchen Fahrt auch bei seiner Entscheidung abwägen. Das sei im vorliegenden Urteil nicht erkennbar gewesen.

Bei der erneuten Verhandlung müsse der Tatrichter die Umstände berücksichtigen, unter denen sich der Betroffene zu der Fahrt entschlossen habe. Er müsse klären, wie der Betroffene auf seinen Harndrang während der Fahrt habe reagieren können. Weiter müsse er prüfen, ob das Auftreten eines dringenden Harndrangs eine Situation sei, in welche der Betroffene häufiger komme. In diesem Fall müsse er sich hierauf entsprechend einstellen. Es würde das Maß seiner Pflichtwidrigkeit geradezu erhöhen, wenn er gleichwohl ein Fahrzeug führe, obwohl er wegen quälenden Harndrangs so „abgelenkt“ gewesen sei, dass er die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht mehr habe beachten können.

Quelle | OLG Hamm, Beschluss vom 10.10.2017, 4 RBs 326/17, Abruf-Nr. 197653 unter www.iww.de.

Fahrverbot: Knapp über der Promillegrenze ist auch zuviel

| Jeder Autofahrer weiß es: Ab 0,5 Promille Alkohol im Blut wird es kritisch – Bußgeld, Fahrverbot oder gar der Entzug der Fahrerlaubnis sind fast so sicher wie das Amen in der Kirche. Wie aber ist es, wenn der Grenzwert nur ein klitzekleines bisschen überschritten ist? Kann man darauf hoffen, dass das Gericht dann ein Auge zudrückt nach dem Motto: Fast nüchtern ist so gut wie ganz nüchtern? |

Keineswegs, wie eine Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Bamberg zeigt. In dem zu entscheidenden Fall hatte der Autofahrer 0,54 Promille Alkohol im Blut. Das nahm das zunächst entscheidende Amtsgericht zum Anlass, das im Bußgeldbescheid noch verhängte Fahrverbot gegen Erhöhung der Geldbuße wegfallen zu lassen. Zu Unrecht, wie das OLG Bamberg nunmehr befand. Das Gericht verwies darauf, dass bei Ordnungswidrigkeiten nach § 25a StVG, also beim Führen eines Kraftfahrzeugs mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,5 Promille oder mehr, regelmäßig ein Fahrverbot zu verhängen ist. Angesichts des höheren Unrechtsgehalts und der Gefährlichkeit einer derartigen Ordnungswidrigkeit verstehe sich die grundsätzliche Angemessenheit eines Fahrverbots regelmäßig von selbst, argumentierten die Richter. Da sie auch sonst keine schwerwiegenden Gründe für einen Wegfall des Fahrverbots erkennen konnten, hoben sie das Urteil des Amtsgerichts auf. Dieses muss nun neu entscheiden.

Fazit: Das Herantrinken an Promillegrenzen ist für Autofahrer gefährlich. Wer gerade zur Weihnachtszeit ganz sicher gehen will, lässt die Finger entweder vom Glühwein oder vom Autoschlüssel.

Quelle | OLG Bamberg, Urteil vom 29.10.2012, 3 Ss OWi 1374/12, Abruf-Nr. 130022 unter www.iww.de.