| Viele Unfälle sind fingiert die Versicherungswirtschaft geht davon aus, dass es sogar jeder siebte Unfall ist. „Opfer“ und Täter kennen sich und verabreden sich zu einem „Unfall“ an einem abgelegenen Ort. Damit der Schaden bei der Versicherung geltend gemacht werden kann, holen sie die Polizei, um der Angelegenheit einen offiziellen Charakter zu geben. Oft ist das Schädigerfahrzeug deutlich größer und schwerer als das des „Opfers“, damit einerseits schon eine leichte Berührung bei niedriger Geschwindigkeit einen deutlichen Schaden hervorruft und andererseits so niemand verletzt wird. Oft sieht es aber auch nur nach einem fingierten Unfall aus so wie in einem aktuellen Fall des Landgerichts (LG) Stuttgart. |
Wirtschaftlicher Totalschaden
Auf dem Parkplatz einer Kleingartenanlage hatte ein SUV-Fahrer beim Rangieren nicht aufpasst und ein älteres Fahrzeug eines Kleingartenkollegen so „erwischt“, dass ein wirtschaftlicher Totalschaden vorlag.
Versicherer muss Manipulation beweisen
Das LG Stuttgart: Der Versicherer muss die behauptete Unfallmanipulation beweisen. Es hob hervor, dass jedes vom Versicherer vorgetragene Merkmal auch eine sinnvolle andere Erklärung haben konnte.
Warum fuhr der Schädiger? Unfall am hellen Tag
Für den konkreten Fall bedeutete dies: Der Kleingarten war einerseits nur 850 Meter vom Wohnort entfernt. Warum ist der Kläger also dorthin gefahren, statt zu laufen? Andererseits: Viele Menschen benutzen sogar für kürzere Strecken ihr Auto.
Ein weiteres Indiz, das gegen einen fingierten Unfall sprach: Der Unfall ereignete sich am hellen Tag. Die Parteien handelten also nicht im Verborgenen. Neutrale Zeugen hätten das Unfallgeschehen jederzeit beobachten können. Außerdem fehlen bei vielen Unfällen neutrale Zeugen sehr zum Leidwesen der Beteiligten.
Polizei herbeigerufen: kein Indiz für einen fingierten Unfall
Weil der SUV ein Leasingfahrzeug war, musste dessen Fahrer sogar die Polizei rufen. Er war hierzu vertraglich verpflichtet.
Größe und Gewicht des Autos
Ein beinahe 5 Meter langer und über 2 Tonnen schwerer SUV ist ein beliebtes Kfz-Modell, keine Rarität. Ein solches Auto führt aber bei hier vorliegenden beengten Verhältnissen auf einem Parkplatz zu Rangierfehler-Risiken. Diese hatten sich realisiert.
Für den Geschädigten heißt es hier „Ende gut, alles gut“
Am Ende musste der Versicherer zahlen. Die Einwände des Versicherers prallten am Gericht ab.
Quelle | LG Stuttgart, Urteil vom 12.9.2022, 16 O 35/22, Abruf-Nr. 234167 unter www.iww.de
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt klargestellt: Auf Wunsch des Betroffenen werden mehrere Betreuer nur bestellt, wenn die Angelegenheiten des Betreuten hierdurch besser besorgt werden können. |
Betroffene wollte „Wunschbetreuer“ zusätzlich
Die Betroffene ist 82 Jahre alt und leidet an einem manisch-depressiven demenziellen Symptom und einer organischen wahnhaften Störung. Sie kann ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen. Sie hatte zwar ihrem Enkel, dem Sohn ihrer älteren Tochter, eine Vorsorgevollmacht erteilt. Zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung war sie aber bereits geschäftsunfähig. Das AG hat daher eine Betreuung für mehrere Aufgabenkreise eingerichtet und die jüngere Tochter zur Betreuerin bestellt. Dagegen hat die Betroffene Beschwerde eingelegt. Sie wünscht, dass ihr Enkel als ein weiterer Betreuer bestellt wird.
Während des Betreuungsverfahrens machten die jüngere Tochter und der Enkel sich wechselseitig Vorhaltungen über vermeintliche Verfehlungen. Das Landgericht (LG) hat die Betroffene nicht erneut angehört und die Beschwerde zurückgewiesen. Auch die Rechtsbeschwerde der Betroffenen zum BGH blieb erfolglos
Spannungen zwischen den Familienstämmen
Die jüngere Tochter ist bereit und in der Lage, die Betroffene zu betreuen. Ihre Bestellung entspricht deren Wohl und Willen, da diese sich gut mit dieser Tochter versteht. Ihr Wunsch, auch durch den Enkel betreut zu werden, ist zwar beachtlich. Diesem kann aber nur entsprochen werden, wenn die Angelegenheiten der Betroffenen dadurch besser besorgt werden könnten. Das ist nicht der Fall, da es Spannungen zwischen den Familienstämmen gibt.
Die Pflicht zur persönlichen Anhörung besteht zwar auch im Beschwerdeverfahren. Davon kann aber abgesehen werden, wenn die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften erfolgt ist und von einer erneuten Anhörung durch das Beschwerdegericht keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Eine erneute Anhörung ist folglich regelmäßig erforderlich, wenn das Beschwerdegericht eine neue Tatsachengrundlage heranzieht. Hierunter kann auch eine nachträglich erfolgte Willensänderung des Betroffenen fallen, wie hier der Wunsch nach einem weiteren Betreuer. Wenn die Beschwerde jedoch bereits aus Rechtsgründen zurückzuweisen ist, ist auch keine erneute Anhörung erforderlich, da keine neuen entscheidungserheblichen Erkenntnisse zu erwarten sind.
Quelle | BGH, Beschluss vom 7.9.2022, XII ZB 211/22, Abruf-Nr. 231840 unter www.iww.de
| Müssen bei einem Verkehrsunfall beschädigte Brillengläser durch neue ersetzt werden, ist kein Raum für einen Abzug „neu für alt“. Zwar kann es zutreffen, dass Brillengläser eine gewisse Lebensdauer haben. Dass durch die neuen Gläser allerdings eine spürbare Vermögensmehrung eingetreten ist, kann dennoch nicht angenommen werden. So sieht es das Amtsgericht (AG) Schwandorf. |
Das Argument des AG: Brillengläser werden üblicherweise an das jeweilige Brillengestell angepasst. Auch der Augenabstand wird an den Träger der Brille angepasst. Die Brillengläser können daher schon nicht ohne Weiteres weiterverwendet oder gar weiterverkauft werden, wenn der Brillenträger sich irgendwann für ein neues Gestell entscheidet.
Quelle | AG Schwandorf, Urteil vom 19.4.2023, 2 C 263/22, Abruf-Nr. 235031 unter www.iww.de
| Eine Frau hat Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit, wenn der Arbeitgeber männlichen Kollegen aufgrund des Geschlechts ein höheres Entgelt zahlt. Daran ändert sich nichts, wenn der männliche Kollege ein höheres Entgelt fordert und der Arbeitgeber dieser Forderung nachgibt. So entschied es das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Das war geschehen
Die Klägerin ist seit dem 1.3.2017 bei der Beklagten als Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb beschäftigt. Ihr einzelvertraglich vereinbartes Grundentgelt betrug anfangs 3.500 Euro brutto. Seit dem 1.8.2018 richtete sich ihre Vergütung nach einem Haustarifvertrag, der u. a. die Einführung eines neuen Eingruppierungssystems regelte. Die für die Tätigkeit der Klägerin maßgebliche Entgeltgruppe des Haustarifvertrags sah ein Grundentgelt von 4.140 Euro brutto vor. Im Haustarifvertrag heißt es: “Für den Fall, dass das neue tarifliche Grundentgelt das bisherige tarifliche Entgelt (…) überschreitet, erfolgt die Anpassung um nicht mehr als 120 Euro/brutto in den Jahren 2018 bis 2020“ (Deckelungsregelung). Infolge dieser Bestimmung zahlte die Beklagte der Klägerin seit dem 1.8.2018 ein Grundentgelt von 3.620 Euro brutto, das in jährlichen Schritten weiter angehoben werden sollte.
Neben der Klägerin waren als Außendienstmitarbeiter im Vertrieb der Beklagten zwei männliche Arbeitnehmer beschäftigt, einer davon seit dem 1.1.2017. Die Beklagte hatte auch diesem Arbeitnehmer ein Grundentgelt von 3.500 Euro brutto angeboten, was dieser jedoch ablehnte. Er verlangte für die Zeit bis zum Einsetzen einer zusätzlichen leistungsabhängigen Vergütung, d. h. für die Zeit bis zum 31.10.2018, ein höheres Grundentgelt von 4.500 Euro brutto. Die Beklagte gab dieser Forderung nach. Nachdem die Beklagte dem Arbeitnehmer in der Zeit von November 2017 bis Juni 2018 wie auch der Klägerin ein Grundentgelt von 3.500 Euro gezahlt hatte, vereinbarte sie mit diesem ab dem 1.7.2018 eine Erhöhung des Grundentgelts auf 4.000 Euro brutto. Sie begründete dies damit, dass der Arbeitnehmer einer ausgeschiedenen, besser vergüteten Vertriebsmitarbeiterin nachgefolgt sei. Ab dem 1.8.2018 zahlte die Beklagte dem männlichen Arbeitnehmer ein tarifvertragliches Grundentgelt nach derselben Entgeltgruppe wie der Klägerin, das gemäß der „Deckelungsregelung“ des Haustarifvertrags 4.120 Euro brutto betrug.
Arbeitnehmerin scheiterte in den Vorinstanzen
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten rückständige Vergütung für die Zeit von März bis Oktober 2017 von monatlich 1.000 Euro brutto, rückständige Vergütung für den Monat Juli 2017 von 500 Euro brutto sowie rückständige Vergütung für die Zeit von August 2018 bis Juli 2019 von monatlich 500 Euro brutto. Sie meint, die Beklagte müsse ihr ein ebenso hohes Grundentgelt zahlen wie ihrem fast zeitgleich eingestellten männlichen Kollegen. Dies folge daraus, dass sie die gleiche Arbeit wie ihr männlicher Kollege verrichte. Wegen der Benachteiligung aufgrund des Geschlechts schulde sie ihr zudem die Zahlung einer angemessenen Entschädigung von mindestens 6.000 Euro. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Erfolg vor dem Bundesarbeitsgericht
Die Revision der Klägerin hatte vor dem BAG ganz überwiegend Erfolg. Der Arbeitgeber hat die Arbeitnehmerin in der Zeit von März bis Oktober 2017 sowie im Juli 2018 dadurch aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt, dass sie ihr, obgleich die Klägerin und der männliche Kollege gleiche Arbeit verrichteten, ein niedrigeres Grundentgelt gezahlt hat als dem männlichen Kollegen. Die Klägerin hat deshalb einen Anspruch auf das gleiche Grundentgelt wie ihr männlicher Kollege. Der Umstand, dass die Klägerin für die gleiche Arbeit ein niedrigeres Grundentgelt erhalten hat als ihr männlicher Kollege, begründet die Vermutung, dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt ist. Der Beklagten ist es nicht gelungen, diese Vermutung zu widerlegen. Insbesondere kann sich die Beklagte für den Zeitraum von März bis Oktober 2017 nicht mit Erfolg darauf berufen, das höhere Grundentgelt des männlichen Kollegen beruhe nicht auf dem Geschlecht, sondern auf dem Umstand, dass dieser ein höheres Entgelt ausgehandelt habe. Für den Monat Juli 2018 kann die Beklagte die Vermutung der Entgeltbenachteiligung aufgrund des Geschlechts insbesondere nicht mit der Begründung widerlegen, der Arbeitnehmer sei einer besser vergüteten ausgeschiedenen Arbeitnehmerin nachgefolgt.
Anspruch auf höheres Entgelt und Entschädigung wegen Benachteiligung
Für den Zeitraum seit dem 1.8.2018 ergibt sich der höhere Entgeltanspruch der Klägerin bereits aus dem Tarifvertrag. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die „Deckelungsregelung“ auf die Klägerin nicht anwendbar, weil diese zuvor kein tarifliches, sondern ein einzelvertraglich vereinbartes Entgelt erhalten hat. Das BAG hat dem auf Zahlung einer Entschädigung gerichteten Antrag der Klägerin teilweise entsprochen. Er hat ihr eine Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund des Geschlechts von 2.000 Euro zugesprochen.
Quelle | BAG, Urteil vom 16.2.2023, 8 AZR 450/21, PM 10/23
| Kommt es bei einer Verfolgungsfahrt mit einem Polizeifahrzeug zu einem Unfall, haftet der verfolgte Autofahrer auch für einen am Polizeiauto entstandenen Schaden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Fahrweise des Polizeifahrzeugs nicht völlig unangemessen war und sich die Beamten nicht in eine übermäßige Gefahr begeben haben. Das hat das Landgericht (LG) Frankenthal in einem aktuellen Urteil klargestellt. Der Autofahrer wurde zu Schadenersatz in Höhe von rund 15.000 Euro verurteilt. |
Verfolgungsjagd führte zu Schäden am Polizeiauto
Der Autofahrer entzog sich einer Verkehrskontrolle und fuhr mit hoher Geschwindigkeit davon. Daraufhin wurde er von einem Streifenwagen verfolgt. Die Verfolgungsjagd führte von der Autobahn über eine Bundesstraße schließlich auf eine Kreisstraße. Nachdem es dem Flüchtenden kurzzeitig gelungen war, außer Sichtweite der Verfolger zu kommen, fuhr er plötzlich von der Kreisstraße ab, durchbrach eine Leitplanke und kam auf einem Parkplatz zum Stehen. Die Polizeibeamten erkannten jedoch das stehende Fahrzeug und bremsten ebenfalls unvermittelt ab, um den Mann zu stellen und eine weitere Flucht zu Fuß zu verhindern. Dabei geriet der Streifenwagen ins Schlingern und schlug ebenfalls gegen die Leitplanke. Den dadurch entstandenen Schaden an dem Polizeifahrzeug wollte das Land Rheinland-Pfalz von dem Mann ersetzt bekommen.
Schaden wird Autofahrer zugerechnet
Das LG gab der Klage des Landes vollumfänglich statt. Der Schaden an dem Streifenwagen sei dem Fluchtverhalten des Mannes und damit dem Betrieb des Fluchtfahrzeugs zuzurechnen. Die Grenze der Zurechnung läge erst dort, wo sich die Verfolger in gänzlich unangemessener Weise einer Gefahr aussetzten. Hier seien aber sowohl die Verfolgung als auch das harte Bremsmanöver geboten gewesen, nachdem der Flüchtende auf dem Parkplatz entdeckt worden war. Der Polizeibeamte habe deshalb beim Bremsen ein gewisses Risiko eingehen dürfen, um das Ziel zu erreichen, den Flüchtenden zu ergreifen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es ist Berufung zum Pfälzischen Oberlandesgericht (OLG) in Zweibrücken eingelegt worden.
Quelle | Landgericht Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 24.5.2023, 1 O 50/22, PM vom 22.6.2023
| Voraussetzung für die Zuerkennung von Nutzungsausfallentschädigung ist, dass es sich um einen Gegenstand für die eigenwirtschaftliche Lebensführung handelt. Oldtimerfahrzeuge sind aber in der Regel Liebhaberstücke und weisen das grundsätzliche Gepräge von nicht für die eigenwirtschaftliche Lebensführung zwingend notwendigen Gegenständen auf. Das kann im Einzelfall anders sein, nämlich wenn der Geschädigte das historische Fahrzeug als Alltagsfahrzeug nutzt. Das muss der Geschädigte allerdings darlegen und ggf. beweisen, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Celle. |
Subjektive Annehmlichkeiten allein rechtfertigen keinen Nutzungsausfallersatz, der sich als wirtschaftliche Einbuße an objektiven Maßstäben orientieren muss. Andernfalls bestünde die Gefahr, unter Verletzung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 253 BGB) die Ersatzpflicht auf Nichtvermögensschäden auszudehnen.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 1.3.2023, 14 U 149/22, Abruf-Nr. 234113 unter www.iww.de
| Eine räumliche Trennung der Eheleute stellt kein Getrenntleben dar, solange sie eine häusliche Gemeinschaft herstellen wollen. Das hat nun das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg entschieden. |
Räumliche Trennung kurz nach der Hochzeit
Die Klägerin meinte, dass ihr ein Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen in der Zeit vom 1.8.19 bis 24.10.20 zugestanden habe, da sie in dieser Zeit getrennt von ihrem Mann gelebt habe. Sie hatte den Mann am 31.7.19 im Libanon geheiratet. Erst ab dem 25.10.20 sei er zu ihr nach Deutschland gezogen. Das Verwaltungsgericht (VG) und auch das OVG sahen das anders.
Häusliche Gemeinschaft sollte hergestellt werden und wurde es auch
Die Frau war nicht dauerhaft von ihrem Mann getrennt. Maßgeblich dafür ist allein die zivilrechtliche Definition des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 1567 Abs. 1 BGB). Danach gilt ein Elternteil, bei dem das Kind lebt, u. a. als dauernd getrennt lebend „wenn im Verhältnis zum Ehegatten oder Lebenspartner ein Getrenntleben i. S. d. § 1567 BGB vorliegt“.
Ehegatten leben folglich getrennt, wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt. Die Eheleute wollten aber eine häusliche Gemeinschaft herstellen. Die Frau hatte eingeräumt, dass der Mann bei ihr eingezogen war.
Quelle | OVG Lüneburg, Beschluss vom 15.12.2022, 14 PA 359/22, Abruf-Nr. 233791 unter www.iww.de
| Pflichtteilsstrafklauseln in gemeinschaftlichen Testamenten sollen den Nachlass für den überlebenden Ehegatten möglichst ungeschmälert erhalten. Wird die Verwirkung der Pflichtteilsklausel von den Testierenden nicht nur an das Verlangen des Pflichtteils, sondern auch an den Erhalt des Pflichtteils geknüpft, setzt die Verwirkung der Klausel einen tatsächlichen Mittelabfluss voraus. Ohne Mittelabfluss besteht kein Sanktionierungsgrund. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. |
Beanspruchen des Pflichtteils sollte sich nachteilig auswirken
Die Erblasserin hatte mit ihrem vorverstorbenen Ehemann ein privatschriftliches gemeinschaftliches Testament errichtet. Sie hatte aus einer früheren Ehe eine Tochter, ihr verstorbener Ehemann hatte aus früheren Ehen zwei Töchter. Die Eheleute setzten sich gegenseitig zu Alleinerben ein. Weiter hieß es: „Wir gehen davon aus, dass unsere Kinder keinen Anspruch auf einen Pflichtteil nach dem Tod des erstverstorbenen Elternteils erheben. Nach dem Tod des überlebenden Partners wird das Vermögen unter den Kindern (…Namen der drei Töchter) zu gleichen Teilen aufgeteilt. Ausgenommen ist dabei das Kind, das einen Pflichtteil beansprucht und erhalten hat.“
Die Tochter der Erblasserin beantragte einen Erbschein, der sie und eine der zwei Töchter des vorverstorbenen Ehemanns zu je 1/2 als Erbinnen ausweisen soll. Sie meint, die weitere Tochter sei nicht Erbin der Erblasserin geworden sei, da sie nach dem Tod ihres Vaters ihren Pflichtteil geltend gemacht habe.
Erbanspruch nicht verwirkt
Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag der Tochter der Erblasserin zurückgewiesen. Die hiergegen eingelegte Beschwerde hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Gemäß der testamentarischen Schlusserbenbestimmung seien alle drei Töchter Erbinnen zu jeweils einem Drittel geworden, bestätigte das OLG. Die dritte Tochter habe ihren Erbanspruch nicht verwirkt. Nach dem Testament sollte dasjenige Kind von der Schlusserbschaft ausgenommen werden, das nach dem Tod des Erstversterbenden seinen Pflichtteil beansprucht und erhalten hat. Voraussetzung für das Auslösen der Sanktionswirkung sei damit abweichend von den üblichen Klauseln nicht nur die Geltendmachung des Pflichtteils, sondern zusätzlich ein Mittelabfluss vom Nachlassvermögen. Ob die Tochter hier überhaupt ihren Pflichtteil geltend gemacht habe, könne offenbleiben. Jedenfalls habe sie nicht ihren Pflichtteil und auch sonst nichts aus dem Nachlassvermögen erhalten.
Der Hinweis der anderen Töchter, sie habe ihren Pflichtteil erhalten, dieser sei aber „gleich null“ gewesen, überzeuge nicht. Ein „ins Leere gehender bzw. wertloser Pflichtteil … (löse) nicht die Sanktionswirkung der testamentarischen Pflichtteilsklausel aus“. Durch das zusätzliche Erfordernis des „Erhaltens“ hätten die Eheleute deutlich gemacht, dass es ihnen „um das Zusammenhalten des Nachlassvermögens, dessen Werthaltigkeit und den Schutz des überlebenden Ehegatten“ gegangen sei. Wenn die Tochter nichts aus dem Nachlass erhalten habe, sei der Nachlass nicht geschmälert und es bestehe nach dem Willen der Ehegatten kein Grund für eine Sanktionierung.
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 21.2.2023, 21 W 104/22, PM 13/23
| Im Fall mehrerer Geschwindigkeitsverstöße von erheblichem Gewicht kann sich die Fahrtenbuchauflage auf den gesamten Fuhrpark eines Halters erstrecken. Das hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Saarland entschieden. |
Das OVG hat darauf abgestellt, dass die Geschäftsführung der Halterin für keine der der Anordnung der Fahrtenbuchauflage zugrunde gelegten Geschwindigkeitsüberschreitungen die Fahrer bzw. die als Fahrer jedenfalls in Betracht kommenden Mitarbeiter namentlich benannt hat. Dabei waren die Fotos durchweg sehr deutlich.
Das lässt erkennen, dass für die mangelnde Mitwirkung nicht ein etwaig wechselnder Benutzerkreis ausschlaggebend war und eine daraus resultierende Schwierigkeit, den Fahrzeugführer zum Tatzeitpunkt zu ermitteln. Erkennbar ist vielmehr die bereits im Grundsatz fehlende Bereitschaft der Halterin, ihrer Obliegenheit, an der Aufklärung der mit ihren Fahrzeugen begangenen Verkehrsverstöße so weit mitzuwirken, wie ihr das möglich und zumutbar ist.
Quelle | OVG, Beschluss vom 19.4.2023, 1 B 25/23, Abruf-Nr. 235788 unter www.iww.de
| Im Mietrecht herrscht der Grundsatz „Kauf bricht nicht Miete“. Das bedeutet: Veräußert der Vermieter den vermieteten Wohnraum nach der Überlassung an den Mieter an einen Dritten, tritt der Erwerber anstelle des Vermieters in die sich während der Dauer seines Eigentums aus dem Mietverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten ein. Dieser Grundsatz ist aber auf die Erbauseinandersetzung weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Das hat jetzt das Amtsgericht (AG) Köln entschieden. |
Das war geschehen
Eine Miterbengemeinschaft bestand aus drei Personen. Zum Nachlass gehörte eine vermietete Wohnung. Die Erbengemeinschaft übertrug einem Miterben die Wohnung im Wege einer Teil-Erbauseinandersetzung. Das bestehende Mietverhältnis wurde übernommen. Der Miterbe ging davon aus, alleiniger Vermieter geworden zu sein. Er kündigte den Mietvertrag wegen Eigenbedarfs, da seine 19 Jahre alte Tochter die Wohnung beziehen wollte. Die Mieter widersprachen der Kündigung.
Räumungsklage scheiterte: Erbauseinandersetzung wirkt sich nicht auf Dritte aus
Die Räumungsklage scheiterte vor dem AG. Die Eigenbedarfskündigung habe das Mietverhältnis nicht beendet. Bei einer Mehrheit von Vermietern müsse die Kündigung, um wirksam zu sein, von allen Vermietern ausgesprochen werden, es sei denn, es bestehe eine wirksame Ermächtigung des einen Vermieters durch die jeweils anderen. Dies sei hier nicht der Fall. Der klagende Miterbe sei nicht alleiniger Vermieter der Wohnung. Das Mietverhältnis sei auf die Mitglieder der Erbengemeinschaft übergegangen. Auch durch die Teil-Erbauseinandersetzung sei der Kläger nicht alleiniger Vermieter geworden. Es existiere kein Grundsatz, wonach die Erbauseinandersetzung auf Schuldverhältnisse des Erblassers mit Dritten wirke. Der Kläger vermenge insoweit die dingliche Rechtslage bzw. schuldrechtliche Abreden der Erben im Innenverhältnis. Der Mietvertrag habe ab dem Versterben zwischen dem Kläger und den weiteren Erben als Personenmehrheit auf Vermieterseite einerseits und den beklagten Mietern als Personenmehrheit auf Mieterseite andererseits bestanden.
Quelle | AG Köln, Urteil vom 9.1.2023, 203 C 144/22