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Monats-Archive: September 2021

Geschwindigkeitsüberschreitung: Messgerät LEIVTEC XV3 nicht immer zuverlässig genug

| Nach einer aktuellen Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Celle können Messergebnisse des Geräts LEIVTEC XV3 in Bußgeldverfahren derzeit nicht mehr ohne Weiteres zugrunde gelegt werden. |

Geschwindigkeitsmessungen von Kraftfahrzeugen werden vor Gericht immer wieder als fehlerträchtig angegriffen. Dabei sind die Messgeräte im Zulassungsverfahren einer strengen technischen Prüfung unterworfen. Besteht ein Gerät diese Prüfung, bietet es bei Einhaltung der vorgegebenen Bedienvorschriften i.d.R. die hinreichende Gewähr für die Richtigkeit der erzielten Messergebnisse. Messungen können dann als sog. standardisierte Messverfahren in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren ohne weitere Überprüfungen zugrunde gelegt werden. Gibt es trotz Einhaltung der Bedienvorschriften Anhaltspunkte für Fehlerquellen und unzulässige Messwertabweichungen, setzt die Verurteilung eines vermeintlichen „Temposünders“ voraus, dass das Gericht im Einzelfall feststellen kann, dass solche Messfehler zulasten des Betroffenen ausgeschlossen sind.

Einen solchen Fall musste nun das OLG Celle entscheiden: Ein Autofahrer wurde mit dem Geschwindigkeitsmessgerät LEIVTEC XV3 kontrolliert. Hiernach sollte er die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 37 km/h überschritten haben. Das Amtsgericht (AG) hatte ihn deshalb zu einer Geldbuße von 140 EUR verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hin hob das OLG dieses Urteil auf und verwies das Verfahren zur erneuten Entscheidung an das AG zurück. Grund: Die für die Bauartprüfung dieses Messgeräts zuständige Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) konnte zwischenzeitlich bei bestimmten Versuchsanordnungen seltene Messfehler reproduzieren, die zulässige Toleranzen überschritten. Da der Abschlussbericht der PTB nicht eindeutig erkennen lässt, unter welchen Messbedingungen sich Messwertabweichungen zu Ungunsten bzw. ausschließlich zugunsten Betroffener auswirken können, sieht der Senat bei diesem Messgerät derzeit keine hinreichende Gewähr mehr für die Annahme eines standardisierten Messverfahrens und für die Zuverlässigkeit der erzielten Messergebnisse.

Folge: Das AG muss deshalb mithilfe eines Sachverständigengutachtens genauer klären, ob in diesem konkreten Einzelfall die ausgewiesene Geschwindigkeitsüberschreitung sicher festzustellen ist.

Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 18.6.2021, 2 Ss (Owi) 69/21

Reparaturkosten: Wenn der Pkw zwecks Gutachtenerstellung teilweise zerlegt wird

| Wird ein Fahrzeug teilweise zerlegt, damit das Gutachten erstellt werden kann, sind die dafür entstandenen Kosten vom Schädiger zu tragen. Unerheblich ist, ob er die Teilzerlegung für unnötig hält. Denn auch die Teilzerlegung fällt unter das vom Schädiger zu tragende Werkstatt- bzw. Prognoserisiko. So sieht es das Amtsgericht (AG) Tettnang. |

Der Geschädigte muss allerdings im Gegenzug zur Zahlung des Versicherers ihm gegenüber der Werkstatt evtl. zustehende Ansprüche auf Rückzahlung an den Versicherer abtreten.

Quelle | AG Tettnang, Urteil vom 20.5.2021, 3 C 639/20, Abruf-Nr. 222893 unter www.iww.de

Teilweiser Sorgerechtsentzug: Eltern verweigern ihren Kindern beharrlich den Besuch staatlich anerkannter Schulen

| Eltern kann das Sorgerecht für ihre Kinder teilweise für den Bereich schulischer Angelegenheiten entzogen werden, wenn sie sich der Beschulung ihrer Kinder auf einer staatlich anerkannten Schule beharrlich verweigern und für ihre Kinder deshalb die Gefahr besteht, weder das erforderliche Wissen noch die erforderlichen Sozialkompetenzen erlernen zu können. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Celle entschieden. |

Sachverhalt und Verfahrensgang

Die Eltern von sieben Kindern gehören einer freikirchlichen Gemeinde an. Sie sehen sich aufgrund ihres Glaubens verpflichtet, ihre Kinder von Einflüssen fernzuhalten, die den Geboten Gottes zuwiderlaufen. Die Mutter der Kinder beschult deshalb ihre beiden ältesten Kinder (8 und 7 Jahre alt) nach dem Konzept einer „Freien Christlichen Schule“ zu Hause.

Die Landesschulbehörde hatte 2019 einen Antrag abgelehnt, die Kinder von der Schulpflicht zu befreien. Die Entscheidung eines Verwaltungsgerichts steht insoweit noch aus. Der Vater der Kinder wurde bereits in 15 Verfahren zu Bußgeldern verurteilt, weil er gegen die Schulpflicht verstoßen hatte.

Das Amtsgericht (AG) hatte keine familiengerichtlichen Maßnahmen ergriffen. Denn die Kinder wiesen weder Defizite beim Wissensstand auf noch seien solche in den Sozialkompetenzen zu erkennen.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts

Dem ist das OLG nicht gefolgt. Es hat den Eltern das Recht zur Regelung schulischer Angelegenheiten entzogen. Darüber hinaus hat es das Jugendamt als sog. Ergänzungspfleger bestellt. So kann dieses nun statt der Eltern die Entscheidungen im Hinblick auf den Schulbesuch treffen. Das Jugendamt kann notfalls sogar erzwingen, dass die Kinder für den Schulbesuch herausgegeben werden.

In Fällen, in denen das Wohl eines Kindes gefährdet ist und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, diese Gefahr abzuwenden, muss das Familiengericht die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen treffen. Das hat das OLG hier gesehen: Denn den Eltern gelinge nicht, die Kinder ausreichend mit Wissen zu versorgen und sie so auf spätere Prüfungen und die Berufsausbildung vorzubereiten. Sie konnten nicht einmal das Konzept ihrer Beschulung nachvollziehbar beschreiben. Des Weiteren unterrichtet die Mutter die Kinder nur wenige Stunden am Tag und dies überwiegend auch neben der Betreuung der weiteren fünf Geschwister. Zwar erhalte sie von einer „Freien Christlichen Schule“ eine gewisse Unterstützung. Die Kinder wären aber höchstwahrscheinlich so nicht in der Lage, einen staatlich anerkannten Schulabschluss zu erwerben.

Soziale Kompetenzen

Das OLG betont: Die Kinder können so keine sozialen Kompetenzen erwerben, die es ihnen ermöglichten, sich mit andersgläubigen Menschen auseinanderzusetzen und sich in einer Umgebung durchzusetzen und zu integrieren, in der die Mehrheit der Menschen nicht entsprechend den Glaubensvorstellungen der Familie leben. Denn sie wachsen ohne jeden Kontakt mit gleichaltrigen Kindern außerhalb ihrer Gemeinde auf. Zugang zu Computern oder Fernsehen fehle. Damit können sie auch nicht indirekt am sozialen Leben außerhalb der Gemeinde teilnehmen.

Glaubensfreiheit vs. Schutzbedürfnis

Das OLG hat bei seiner Entscheidung die grundgesetzlich verbürgte Glaubensfreiheit und das Erziehungsrecht berücksichtigt. Es erkennt die Aufgabe und das Recht der Eltern an, ihren Kindern Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln und nicht geteilte Ansichten von ihnen fernzuhalten. Dennoch sei seine Entscheidung erforderlich und verhältnismäßig, um die Kinder zu schützen. Zwar werden die Kinder bei einem Schulbesuch u. a. mit der Evolutionstheorie, der Sexualkunde und der Gleichberechtigung von Mann und Frau konfrontiert, was die Eltern hier im Hinblick auf ihre Glaubensüberzeugungen verhindern wollen. Allein durch die Behandlung dieser Unterrichtsstoffe sind die Eltern aber nicht daran gehindert, ihre Kinder in Glaubensfragen nach eigenen Vorstellungen zu erziehen.

Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 2.6.2021, 21 UF 205/20, PM vom 25.6.2021

Antrag auf Teilzeitbeschäftigung: Teilzeitanspruch kann während der Elternzeit mittels einstweiliger Verfügung durchgesetzt werden

| Arbeitnehmer können ihren Anspruch auf Teilzeit während der Elternzeit mit dem Erlass einer einstweiligen Verfügung sichern. So sieht es das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln. |

Das war geschehen

Die Klägerin befand sich nach der Geburt ihres Kindes seit dem 20.6.2020 in Elternzeit, die am 24.4.2022 enden soll. Sie beantragte am 19.2.2021 ab dem 1.5.2021 ihre Teilzeitbeschäftigung in Elternzeit bis zum 24.4.2022 im Umfang von 30 Wochenstunden. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab. Begründung: Es fehle an Beschäftigungsmöglichkeiten.

So sah es das Landesarbeitsgericht

Das LAG gab dem Antrag statt: Die Klägerin habe die Voraussetzungen für den Anspruch glaubhaft gemacht, die Arbeitszeit während der Elternzeit zu verringern. Der Arbeitgeber könne zwar dem Anspruch entgegentreten, etwa durch den Hinweis auf dringende betriebliche Gründe. Diese muss er aber ebenfalls glaubhaft machen.

Dafür genüge es nicht, bloß zu behaupten, es bestehe keine Beschäftigungsmöglichkeit. Es seien vielmehr die zugrunde liegenden Tatsachen zu bezeichnen.

Das LAG sah auch einen sog. Verfügungsgrund als gegeben an. Regelmäßig komme als Verfügungsgrund nur ein konkretes ideelles Interesse des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung in Betracht. Dieses habe die Klägerin vorliegend glaubhaft gemacht. Sie müsse bei weiterer Abwesenheit befürchten, dass andere Arbeitnehmer und nicht sie gefördert würden. Sie könne auf das „Abstellgleis“ geraten.

Seien die Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung gegeben, müsse der Arbeitgeber den Arbeitnehmer mit der von ihm angestrebten Stundenzahl beschäftigen. Eine zeitliche Begrenzung der Beschäftigung, z. B. „bis zur Entscheidung des Arbeitsgerichts in der Hauptsache“ sei nicht vorzunehmen.

Gegen die Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben.

Quelle | LAG Köln, Beschluss vom 4.6.2021, 5 Ta 71/21, PM 5/21