| Bei der Erhebung eines jugendhilferechtlichen Kostenbeitrags können die Kosten eines Kraftfahrzeugs nach unterhaltsrechtlichen Maßstäben einkommensmindernd zu berücksichtigen sein. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden. |
Sohn erhielt Eingliederungshilfe
Der beklagte Landkreis gewährte für den Sohn der Klägerin Eingliederungshilfe in Form der vollstationären Unterbringung nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) und zog die Klägerin zu einem Kostenbeitrag aus ihrem Einkommen heran. Mit ihrer gegen die Höhe des Kostenbeitrags gerichteten Klage machte sie insbesondere geltend, dass für die mit ihrem Kfz durchgeführten Fahrten zu ihrer Arbeitsstätte höhere Kosten sowie die unter anderem auf die Anschaffung des Kfz entfallenden Kosten eines Kredits hätten einkommensmindernd berücksichtigt werden müssen.
Die Klage hatte sowohl vor dem Verwaltungsgericht (VG) als auch vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Erfolg. Die Vorinstanzen haben die beruflich bedingten Fahrtkosten nach unterhaltsrechtlichen Maßstäben ermittelt und auch die geltend gemachten Finanzierungskosten für das genutzte Kfz vollumfänglich einkommensmindernd berücksichtigt. Hiergegen wandte sich der Beklagte mit seiner Revision. Das BVerwG hat nun das Urteil des OVG aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen.
Belastungen sind abzuziehen
Nach den gesetzlichen Regelungen (hier: §§ 91 ff. SGB VIII) zieht der Jugendhilfeträger Eltern aus ihrem Einkommen in angemessenem Umfang zu den Kosten heran, wenn er für ihr Kind vollstationäre Eingliederungshilfe erbringt. Weil die teil- bzw. vollstationären Angebote auch die Sicherstellung des notwendigen Unterhalts des untergebrachten Kindes oder jungen Menschen umfassen und insoweit zum Erlöschen der darauf gerichteten zivilrechtlichen Unterhaltsansprüche führen, tritt der öffentlich-rechtliche Kostenbeitrag an die Stelle von Ansprüchen gegen einen nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtigen. Für die Festsetzung der Kostenbeiträge bestimmt die Kostenbeitragsverordnung nach Einkommensgruppen gestaffelte Pauschalbeträge. Vom Einkommen sind Belastungen des kostenbeitragspflichtigen Elternteils in Höhe von 25 vom Hundert des Einkommens abzuziehen. Höhere Belastungen können abgezogen werden, soweit sie nach Grund und Höhe angemessen sind und die Grundsätze einer wirtschaftlichen Lebensführung nicht verletzen. In Betracht kommen insbesondere mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben sowie Schuldverpflichtungen, die der Kostenbeitragspflichtige nachzuweisen hat.
Unterhaltsrechtliche Maßstäbe entscheidend
Danach können auch Kosten für die Fahrt mit dem eigenen Kfz zur Arbeitsstätte einkommensmindernd zu berücksichtigen sein. Diese Kosten sind nicht nach sozialhilfe- oder steuerrechtlichen, sondern nach unterhaltsrechtlichen Maßstäben zu ermitteln. Sie kommen insbesondere in den unterhaltsrechtlichen Leitlinien desjenigen Oberlandesgerichts (OLG) zum Ausdruck, das für die gegen den Elternteil gerichtete Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs zuständig wäre. Dementsprechend sind diese Belastungen regelmäßig in Form einer sämtliche Kfz-Kosten (einschließlich Finanzierung) erfassenden Wegstreckenpauschale sowohl für den Weg zur Arbeitsstätte als auch für den Heimweg anzusetzen.
Dafür spricht vor allem, dass der Gesetzgeber mit der Schaffung der Berechnungsregelungen auch den Zweck verfolgte, Wertungswidersprüche zum Unterhaltsrecht zu vermeiden und die Kostenbeteiligung insofern an den Unterhaltsanspruch des Kindes anzulehnen, der Grund und Grenze der Kostenbeitragspflicht darstellt.
Daneben können Kfz-Finanzierungskosten einkommensmindernd zu berücksichtigen sein, wenn und soweit die Haltung eines Kfz außerhalb der bereits durch die Wegstreckenpauschale vollständig abgedeckten Nutzung für den Arbeitsweg nach unterhaltsrechtlichen Maßstäben anzuerkennen ist. Eine doppelte Berücksichtigung von Finanzierungskosten ist auszuschließen. Soweit die Belastungen angemessen sind und die Grundsätze einer wirtschaftlichen Lebensführung nicht verletzen, sind sie ohne Ermessensspielraum der Behörde einkommensmindernd zu berücksichtigen.
Da das OVG zu den maßgeblichen tatsächlichen Verhältnissen hinsichtlich der Kfz-Nutzung sowie zu weiteren als einkommensmindernd geltend gemachten Positionen keine hinreichenden Feststellungen getroffen hat, war die Sache an dieses zurückzuverweisen.
Quelle | BVerwG, Urteil vom 18.1.2024, 5 C 13.22, PM 1/24
| Ein Kennenlernen über eine Dating-Plattform allein begründet keine schwerwiegenden Zweifel gegen die gesetzliche Vaterschaftsvermutung wegen Verdachts des Mehrverkehrs. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. |
Wer ist Vater des Kindes?
Die Antragstellerin begehrte vor dem Amtsgericht (AG) festzustellen, dass der B. ihr Vater ist. Dies stellte das AG antragsgemäß fest.
Die hiergegen eingelegte Beschwerde des B. hatte vor dem OLG nach einer Beweisaufnahme und Einholen eines Abstammungsgutachtens keinen Erfolg. Das OLG: Die Übereinstimmung sämtlicher untersuchter genetischer Merkmale von Mutter, Kind und B. zusammen mit den im Verfahren gewonnenen Erkenntnissen zur Beiwohnung der Mutter seitens des B. im fraglichen Zeitraum machten die Vaterschaft so wahrscheinlich, dass sich daraus ein überaus hoher Grad an Gewissheit für diese ergebe.
Die Mutter habe glaubhaft bekundet, dass der B. ihr „während der gesetzlichen Empfängniszeit … beigewohnt hat“. Damit bestehe bereits eine gesetzliche Vermutung für die Vaterschaft.
Keine schwerwiegenden Zweifel an der Vaterschaft
Der Vortrag des B. führe zu keinen schwerwiegenden Zweifeln an seiner Vaterschaft. Für derartige schwerwiegende Zweifel reiche ein nur möglicher, aber weder wahrscheinlicher noch bewiesener Mehrverkehr nicht aus. Insbesondere aus der Tatsache, dass sich die Mutter der Antragstellerin und B. über ein Internetportal kennengelernt hätten, dränge sich nicht auf, dass die Mutter in der Empfängniszeit noch mit anderen geschlechtlich verkehrt habe. Genauere Angaben des B. dazu, mit welchen Personen, wann und wo die Mutter der Antragstellerin Geschlechtsverkehr gehabt haben soll, fehlten.
Aus dem im Beschwerdeverfahren eingeholten Sachverständigengutachten errechne sich zudem eine Wahrscheinlichkeit für die Vaterschaft des B. von über 99,99 %. An der Zuverlässigkeit und Verwertbarkeit des Gutachtens bestünden keine Zweifel.
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Quelle | OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 1.2.2024, 1 UF 75/22, PM 18/24
| Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat entschieden: Ein (notarielles) Testament kann sittenwidrig sein, wenn eine Berufsbetreuerin ihre gerichtlich verliehene Stellung und ihren Einfluss auf einen älteren, kranken und alleinstehenden Erblasser dazu benutzt, gezielt auf den leicht beeinflussbaren Erblasser einzuwirken und ihn dazu zu bewegen, vor einem von ihr herangezogenen Notar in ihrem Sinne letztwillig zu verfügen. |
Das war geschehen
Eine 92 Jahre alte Frau, deren einzige noch lebende Angehörige ihre Tochter war, befand sich wegen ihres Gesundheitszustands ab Anfang September 2022 im Krankenhaus. In den letzten Tagen vor dem Tod ihrer Tochter, die sich zuvor um die Angelegenheiten der Mutter gekümmert hatte, teilten die beiden das Krankenzimmer. Zwei Tage nach dem Tod der Tochter noch im September 2022 bestellte das Amtsgericht (AG) für die Frau während des Krankenhausaufenthalts eine Berufsbetreuerin.
Anfang Oktober 2022 erfolgte mit Notarztbegleitung die Einweisung in ein anderes Krankenhaus. Nur kurz war die Frau zwischen den beiden Krankenhausaufenthalten in einer Pflegeeinrichtung untergebracht. Während des zweiten Krankenhausaufenthalts beauftragte die Berufsbetreuerin einen Notar mit der Erstellung eines notariellen Testaments für die Frau. Im Krankenhaus beurkundete der Notar ein Testament der Frau, mit dem sie die Berufsbetreuerin zur Alleinerbin einsetzte. Den Wert des Vermögens gab sie mit 350.000 Euro an. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus Mitte Oktober 2022 nahm die Berufsbetreuerin die Frau bei sich zu Hause auf. Vier Tage danach starb die Frau dort eines natürlichen Todes.
Verstoß gegen die guten Sitten
§ 138 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) lautet: Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. Das OLG ist hier davon ausgegangen, dass das notarielle Testament sittenwidrig und damit nichtig ist und die Berufsbetreuerin deshalb hieraus für sich keine Rechte herleiten und insbesondere keinen Erbschein ausgestellt erhalten kann.
Das OLG: Ein notarielles Testament zugunsten einer Berufsbetreuerin kann sittenwidrig sein. Hier sei dies aufgrund des hohen Alters der Erblasserin, ihrer schlechten gesundheitlichen Verfassung, ihrem Gemütszustand nach dem Tod ihrer Tochter, den Umständen im Zusammenhang mit der notariellen Beurkundung sowie dem engen zeitlichen Ablauf zwischen Einrichtung der Betreuung und der Testierung der Fall.
Der Beschluss ist rechtskräftig.
Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 9.1.2024, 6 W 175/23, PM vom 25.1.2024
| Die Berichtigung eines abgeschlossenen Eintrags in das Familienbuch setzt nach dem Personenstandsgesetz (hier: § 48 PStG) voraus, dass der Eintrag inhaltlich falsch ist. Zudem muss das Gericht von der Richtigkeit der Änderung überzeugt sein. An den hierfür erforderlichen Nachweis sind strenge Anforderungen zu stellen, stellte nun das Oberlandesgericht (OLG) Celle klar. |
Antragstellerin aus Indien
Die Personenstandsdaten der aus Indien stammenden Antragstellerin sollten im Familienbuch berichtigt werden. Sie hatte anlässlich ihrer ersten Eheschließung u. a. als Geburtsjahr 1973 angegeben und dies durch Dokumente belegt sowie die Richtigkeit dieser Angaben eidesstattlich versichert. Später wollte sie erfolglos u. a. das Geburtsjahr auf 1990 ändern lassen und legte Dokumente aus Indien vor.
Ist der Geburtseintrag richtig oder nicht?
Das Verfahren (nach § 48 PStG) unterliegt dem sog. Amtsermittlungsgrundsatz. Die objektive Feststellungslast für die Unrichtigkeit trägt der Antragsteller. Eine Berichtigung unterbleibt, wenn sich nicht feststellen lässt, dass der Eintrag unrichtig und die Änderung richtig ist. Eine eidesstattliche Versicherung oder eine beeidete bzw. notariell beurkundete Erklärung kann über die (in § 9 Abs. 1 PStG genannten) Urkunden hinaus bedeutsam sein.
Ernsthafte Zweifel können eine Berichtigung gleichwohl ausschließen. Im Fall der Berichtigung eines Registereintrags ist auch die gesetzliche Beweiskraft (nach § 54 Abs. 1 PStG) zu beachten. Daher sind bei der Berichtigung an die Richtigkeit der geänderten Eintragung höhere Anforderungen bei der Überzeugungsbildung zu stellen.
Oberlandesgericht konnte nicht überzeugt werden
Im Fall des OLG konnte dieses nicht die erforderliche volle Überzeugungskraft bilden, dass das „neue“ Geburtsjahr der Antragstellerin das „richtige“ war.
Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 22.12.2022, 21 W 1/21, Abruf-Nr. 234005 unter www.iww.de
| Eine Grabbeigabe (Goldkette und Eheringe) durch den Testamentsvollstrecker ist auch bei einer Auswirkung auf ein Vermächtnis nicht grob pflichtwidrig. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. |
Testamentsvollstrecker kam Wunsch der Erblasserin nach
Die Erblasserin errichtete mit ihrem verstorbenen Ehemann ein gemeinschaftliches Testament. Sie setzten unter anderem ihre gemeinsamen Kinder, die Beteiligten zu 1) bis 3), als Erben zu gleichen Teilen ein und vermachten der Beteiligten zu 3) vorab den Schmuck der Erblasserin. Später ordnete die Erblasserin in einer notariellen Ergänzung Testamentsvollstreckung an und bestimmte den Beteiligten zu 2) zum Testamentsvollstrecker.
Der Beteiligte zu 2) legte der Erblasserin seiner Behauptung zufolge auf deren Wunsch die Eheringe der Erblasserin und ihres Ehemannes an einer Goldkette mit ins Grab, obwohl sich die Beteiligten zu 1) und zu 3) mit der Grabbeigabe der Goldkette zuvor nicht einverstanden erklärt hatten. Dies veranlasste den Beteiligten zu 1), die Entlassung des Beteiligten zu 2) aus dem Amt des Testamentsvollstreckers zu beantragen. Das Nachlassgericht hat den Antrag nach Vernehmung verschiedener Zeugen zurückgewiesen.
So sah es das Oberlandesgericht
Die hiergegen eingelegte Beschwerde hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Ein Testamentsvollstrecker begeht keine grobe Pflichtverletzung, sofern er die Eheringe und eine Kette der Erblasserin auf deren Wunsch ihr mit ins Grab legt, auch wenn er dadurch einem angeordneten Vermächtnis teilweise nicht nachkommen kann. Das OLG hat die Beschwerde einer Tochter der Erblasserin zurückgewiesen.
Zu Recht habe das Amtsgericht (AG) eine als grob zu wertende Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers verneint. Es fehle bereits an dem Nachweis einer Pflichtverletzung. Der Beteiligte zu 1) habe nicht nachweisen können, dass die Grabbeilage nicht auf Wunsch der Erblasserin erfolgt sei. Die Erblasserin sei nicht gehindert gewesen, noch zu ihren Lebzeiten einer Vertrauensperson den rechtsverbindlichen Auftrag zu erteilen, die Goldkette nebst den Eheringen nach ihrem Tod als Grabbeigabe zu verwenden. Dieser insoweit als gegeben zu unterstellende geäußerte Wunsch der Erblasserin sei als wirksamer Auftrag zu deren Lebzeiten an den Beteiligten zu 2) zu verstehen. Diesen Auftrag hätten allenfalls alle drei Erben widerrufen können. Dies sei nicht geschehen.
Es lag eine Pflichtenkollision vor
Die aus dem Vermächtnis einerseits und dem Auftrag der Erblasserin andererseits resultierende Pflichtenkollision habe der Testamentsvollstrecker zugunsten einer Grabbeigabe entscheiden können, ohne dass dies als objektiv pflichtwidriger Verstoß gegen die Pflichten als Testamentsvollstrecker zu werten ist. Darüber hinaus sei selbst eine unterstellte Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers nicht schwerwiegend.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 19.12.2023, 21 W 120/23, PM 77/23
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) eine Frage zur Auslegung des Begriffs des „gewöhnlichen Aufenthalts“ vorgelegt. Dieser Begriff spielt für viele Scheidungen mit Auslandsbezug eine wichtige Rolle. |
Das war geschehen
Die Beteiligten sind deutsche Staatsangehörige und schlossen im Jahr 1989 die Ehe. Sie lebten zunächst in einer Wohnung in Berlin, die sie im Jahr 2006 gemietet hatten. Im Juni 2017 zogen sie mit nahezu ihrem gesamten Hausstand nach Schweden, wo der Ehemann beschäftigt war. Ihren inländischen Wohnsitz meldeten die Beteiligten im Juni 2017 ab. Ihre Mietwohnung in Berlin behielten sie aber bei, um nach der Auslandstätigkeit des Ehemanns wieder dorthin zurückkehren zu können. Als der Ehemann nach Moskau versetzt wurde, zogen die Beteiligten im September 2019 mit ihrem Hausstand von Stockholm nach Moskau in eine Wohnung auf dem Botschaftsgelände, also einem Wohngebiet für Ausländer. Die Beteiligten besitzen beide einen Diplomatenpass.
Im Januar 2020 reiste die Ehefrau nach Berlin, um sich dort einer Operation zu unterziehen. Im Februar 2021 kehrte sie nach Moskau zurück und wohnte in der Wohnung auf dem Botschaftsgelände. Nach Angaben des Ehemanns teilten die Beteiligten ihren beiden (bereits volljährigen) Kindern im März 2021 mit, dass sie sich scheiden lassen wollten. Die Ehefrau reiste Ende Mai 2021 ab und lebt seither in der Berliner Mietwohnung der Beteiligten. Der Ehemann lebt weiterhin in der Wohnung auf dem Botschaftsgelände.
Im Juli 2021 hat der Ehemann beim Amtsgericht (AG) einen Scheidungsantrag gestellt, dem die Ehefrau seinerzeit mit der Begründung entgegengetreten ist, dass eine Trennung der Ehegatten frühestens im Mai 2021 erfolgt sei.
So sahen es die Vorinstanzen
Das AG hat den Scheidungsantrag zurückgewiesen, weil das (nach deutschem Recht erforderliche) Trennungsjahr noch nicht abgelaufen sei und Gründe für eine Härtefallscheidung nicht vorlägen. Auf die Beschwerde des Ehemanns hat das Kammergericht (KG) Berlin die Ehe der Beteiligten nach russischem Sachrecht geschieden. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich das auf die Ehescheidung anzuwendende Recht gemäß EU-Verordnung, der sog. Art. 8 Rom III-VO, richte, weil eine Rechtswahl gemäß dieser Verordnung nicht erfolgt sei. Vorliegend sei also das russische Sachrecht anzuwenden, weil nach dem Vortrag der Beteiligten davon auszugehen sei, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Ehemanns in Moskau sei, während der dortige gewöhnliche Aufenthalt der Ehefrau erst mit ihrer Abreise nach Deutschland im Mai 2021 geendet habe, also weniger als ein Jahr vor Anrufung des AG. Ein Versorgungsausgleich sei in Ermangelung eines entsprechenden Antrags im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht durchzuführen.
Hiergegen richtete sich die Rechtsbeschwerde der Ehefrau, die eine Scheidung nach deutschem Sachrecht und zusammen mit dem Scheidungsausspruch eine von Amts wegen im Scheidungsverbund zu treffende Entscheidung über den Versorgungsausgleich erstrebte.
Bundesgerichtshof legt dem Europäischen Gerichtshof Grundsatzfragen vor
Der BGH hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: „Nach welchen Kriterien ist der gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten i. S. v. Art. 8 Buchst. a und b Rom III-VO zu bestimmen, insbesondere beeinflusst die Entsendung als Diplomat die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts im Empfangsstaat oder steht sie einer solchen sogar entgegen? Der BGH fragte weiter: „Muss die physische Präsenz der Ehegatten in einem Staat von gewisser Dauer gewesen sein, bevor davon ausgegangen werden kann, dass dort ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet wurde?“ Und: „Setzt die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ein gewisses Maß an sozialer und familiärer Integration in dem betreffenden Staat voraus?“
Beachten Sie | Die Antwort des EuGH darf mit Spannung erwartet werden, weil sie in ähnlichen Konstellationen oft zum Tragen kommen wird.
Quelle | BGH, Beschluss vom 20.12.2023, XII ZB 17/23, PM 16/24
| Die Erbeinsetzung eines behandelnden Arztes führt nicht zur (Teil-) Nichtigkeit eines Testaments. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat jetzt auf eine Beschwerde hin dem Erbscheinsantrag u.a. des behandelnden Arztes stattgegeben. |
Das war geschehen
Die Erblasserin hatte ihren behandelnden Arzt in mehreren Testamenten, zuletzt in einem Testament aus dem Jahr 2021, neben weiteren Freunden und Verwandten zum Miterben eingesetzt. Das Testament aus dem Jahr 2021 hatte sie ihrem Arzt vorgelegt und ihn um Bestätigung ihrer Testierfähigkeit gebeten. Der Arzt hatte einen entsprechenden Vermerk auf dem Testament angebracht. Nach dem Tod der Erblasserin beantragen nunmehr der behandelnde Arzt und zwei weitere Miterben, einen Erbschein auf der Grundlage dieses Testaments zu erteilen.
Miterbe focht Testament an
In dem Erbscheinsverfahren hatte einer der übrigen Miterben das Testament mit der Begründung angefochten, es liege ein Verstoß gegen die Berufsordnung der hessischen Ärztekammer (§ 32 BO-Ä) vor. Gemäß § 32 Abs. 1 BO-Ä ist es „Ärztinnen und Ärzten nicht gestattet, von Patientinnen und Patienten (…) Geschenke oder andere Vorteile (…) sich versprechen zu lassen oder anzunehmen, wenn hierdurch der Eindruck erweckt wird, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird“. Des Weiteren sei die herzkranke und pflegebedürftige Erblasserin testierunfähig gewesen. Der Miterbe hatte seinerseits einen Erbscheinsantrag auf der Grundlage eines vorangegangenen Testaments gestellt.
Nachlassgericht gab Miterben Recht
Das Nachlassgericht hatte beide Erbscheinsanträge zurückgewiesen. Das Testament aus dem Jahr 2021 sei in Bezug auf die Erbeinsetzung des behandelnden Arztes wegen eines Verstoßes gegen § 32 BO-Ä teilnichtig, sodass keiner der beiden Erbscheinsanträge zutreffend sei.
Beschwerde des Arztes hatte Erfolg
Vor dem OLG hatte die hiergegen gerichtete Beschwerde u.a. des behandelnden Arztes Erfolg. Der Arzt sei wirksam als Miterbe eingesetzt worden, stellte das OLG fest.
Die berufsständische Regelung in der Satzung der Landesärztekammer stelle zwar im Ausgangspunkt ein Verbotsgesetz i. S. d. Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 134 BGB) dar. Eine verfassungskonforme Auslegung ergebe jedoch, dass ein etwaiger Verstoß des Arztes nicht zur Nichtigkeit der Testierung durch den Erblasser führe. Anders als vergleichbare Verbotsgesetze für den Bereich der Pflege in Heimen, deren Schutzbereich auch den Testierenden erfasse, richte sich § 32 BO-Ä in erster Linie an den behandelnden Arzt als Mitglied der Ärztekammer. Die Vorschrift enthalte demnach kein an den Testierenden gerichtetes Testierverbot. Eine solche Auslegung würde einen unangemessenen Eingriff in die durch das Grundgesetz (Art. 14 Abs. 1 GG) geschützte Testierfreiheit darstellen, so das OLG.
Konkrete Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit der Erblasserin lagen nach Ansicht des OLG ebenfalls nicht vor.
Die Entscheidung ist anfechtbar. Weil es sich um eine bislang noch nicht höchstrichterlich entschiedene Frage handelt, hat das OLG die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 21.12.2023, 21 W 91/23, PM 1/24
| Das Oberlandesgericht (OLG) München hat jetzt entschieden: Eltern dürfen den Eintrag im Geburtsregister nicht für eine spätere Entscheidung des Kindes freihalten. Es ist in jedem Fall sein körperliches Geschlecht einzutragen. |
Eltern wollten kein Geschlecht eintragen lassen
Die Eltern verlangten vom Standesamt, das Geschlecht ihres im Rahmen einer Hausgeburt zur Welt gekommenen Neugeborenen im Geburtsregister als „ohne“ einzutragen. Das ist zwar möglich. Dafür ist es aber erforderlich, dass Neugeborene keinem Geschlecht zuzuordnen ist.
Hausgeburt ohne ärztliche Unterlagen
Wegen der Hausgeburt war die einzige vorliegende Angabe zum Geschlecht die der Hebamme. Sie hatte im Formular zur Geburtsanzeige bei der Angabe des Geschlechts ein Kreuz im Kästchen „ohne“ gesetzt. Ärztliche Unterlagen gab es nicht.
Auf Nachfragen durch die Kreisverwaltung berief sich die Hebamme auf ihre (nach dem Gesetz nicht existente) Schweigepflicht und antwortete nicht. Es konnte nicht aufgeklärt werden, warum sie das o. g. Kreuz gesetzt hatte bzw. weswegen das Kind keinem Geschlecht zuzuordnen gewesen sein sollte.
Standesamt verweigerte Eintragung und bekam Recht
Folge: Das Standesamt weigerte sich, die Geburt entsprechend dem Wunsch der Eltern „ohne Geschlecht“ einzutragen. Das OLG verwarf den Einwand der Eltern, sie müssten die geschlechtliche Identität des Neugeborenen schützen. Denn dieses habe zum einen noch keine Vorstellung von seiner Geschlechtszugehörigkeit. Zum anderen sei es unerheblich, ob die Eltern es subjektiv als divers oder geschlechtslos ansähen. Schließlich fehle es an einem Recht der Eltern, den Eintrag bis zu einer späteren Entscheidung des Kindes selbst offenzuhalten. Relevant seien ausschließlich die körperlichen Merkmale des Kindes.
Quelle | OLG München, Beschluss vom 1.9.2023, 31 Wx 210/23 e
| Das Verwaltungsgericht (VG) Minden hat in einem Eilverfahren entschieden: Die Kriterien des BVerfG zur Masernimpfung u. a. bei Kindergartenkindern sind auch auf Schulkinder übertragbar. Das bedeutet: Die Eltern müssen die Impfung ihrer eine Schule besuchenden Kinder nachweisen. |
Der Kreis forderte die Eltern von zwei schulpflichtigen Kindern unter Androhung von Zwangsgeld dazu auf, nachzuweisen, dass ihre Kinder gegen Masern geimpft sind oder aus medizinischen Gründen nicht dagegen geimpft werden können. Die Eltern hielten die Anordnungen für eine unzulässige Impfpflicht ihrer Kinder. Ihre Eilanträge dagegen blieben jedoch erfolglos.
Die Voraussetzungen des Infektionsschutzgesetzes waren im Fall des VG erfüllt (hier: § 20 Abs. 12 S. 1, Abs. 13 S. 1 IfSG). Die Eingriffe in das Recht der Eltern auf Gesundheitssorge sowie der Erziehung und das Recht auf körperliche Unversehrtheit der Kinder waren gerechtfertigt. Denn die Masernimpfung dient den überragend gewichtigen Rechtsgütern des Grundrechts auf Leben und der körperlichen Unversehrtheit einer Vielzahl von Personen.
Zwar können Eltern, anders als bei Kindergartenkindern, nicht vermeiden, dass ihre schulpflichtigen Kinder immunisiert werden. Eine Impfung nach den medizinischen Standards dient aber dem Kindeswohl. So hatte es bereits das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden.
Quelle | VG Minden, Beschluss vom 6.11.2023, 7 L 882/23 und 7 L 883/23, Abruf-Nr. 238285 unter www.iww.de
| Das Standesamt muss eine Scheidung trotz falschem Heiratsdatum im Eheregister eintragen. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Celle klargestellt. |
Fehler des Gerichts
Die Ehe wurde geschieden. Im Tenor des Scheidungsbeschlusses war aufgrund eines Versehens der Eheleute ein falsches Heiratsdatum angegeben. Die von der Frau beantragte Berichtigung lehnte das Amtsgericht (AG) ab. Das Standesamt weigerte sich, die Scheidung in das Eheregister einzutragen. Im Hinblick darauf begehrt die Frau erfolglos Verfahrenskostenhilfe für eine Beschwerde.
Folgen des Fehlers
Der Scheidungsbeschluss ist nicht zu berichtigen. Eine Berichtigung beseitigt nämlich nur Fehler bei der Willensäußerung, nicht aber bei der Willensbildung des Gerichts. Die irrtümliche Annahme des AG über das Heiratsdatum betrifft die Willensbildung.
Das Verfahren, das Bestehen oder Nichtbestehen einer Ehe festzustellen, kommt ebenfalls nicht in Betracht. Denn eine solche Feststellung wirkt nur unter den Ehegatten, unter denen die Scheidung unstreitig ist, und bindet das Standesamt deshalb nicht. Die Scheidung ist als Folgebeurkundung zur Eheschließung in das Eheregister aufzunehmen. Grundlage dafür kann nur der rechtskräftige Scheidungsbeschluss, nicht aber eine bloß zwischen den Ehegatten wirkende Feststellung sein.
Scheidung einzutragen
Der rechtskräftige Scheidungsbeschluss hat trotz des unrichtigen Heiratsdatums im Tenor die Ehe geschieden, sodass die Scheidung vom Standesamt einzutragen ist. Die falsche Datums- und Registerbezeichnung ist eine im Hinblick auf die Scheidung in jeder Hinsicht unschädliche Falschbezeichnung. Das Standesamt nimmt Eintragungen aufgrund vorgelegter öffentlicher Urkunden, aber auch eigener Ermittlungen vor. Aus dem Scheidungsbeschluss, der dem Standesamt als öffentliche Urkunde vorliegt, kann ohne Weiteres und unmittelbar auf die Scheidung geschlossen werden. Es gibt keinen Grund, der das Standesamt daran hindern könnte, die Scheidung als Folgetatsache zur Eheschließung einzutragen.
Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 19.10.2023, 17 WF 148/23, Abruf-Nr. 238199 unter www.iww.de