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Familien- und Erbrecht

Betreuungsverfahren: Mehrere Betreuer nur bei besserer Versorgung des Betroffenen

| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt klargestellt: Auf Wunsch des Betroffenen werden mehrere Betreuer nur bestellt, wenn die Angelegenheiten des Betreuten hierdurch besser besorgt werden können. |

Betroffene wollte „Wunschbetreuer“ zusätzlich

Die Betroffene ist 82 Jahre alt und leidet an einem manisch-depressiven demenziellen Symptom und einer organischen wahnhaften Störung. Sie kann ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen. Sie hatte zwar ihrem Enkel, dem Sohn ihrer älteren Tochter, eine Vorsorgevollmacht erteilt. Zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung war sie aber bereits geschäftsunfähig. Das AG hat daher eine Betreuung für mehrere Aufgabenkreise eingerichtet und die jüngere Tochter zur Betreuerin bestellt. Dagegen hat die Betroffene Beschwerde eingelegt. Sie wünscht, dass ihr Enkel als ein weiterer Betreuer bestellt wird.

Während des Betreuungsverfahrens machten die jüngere Tochter und der Enkel sich wechselseitig Vorhaltungen über vermeintliche Verfehlungen. Das Landgericht (LG) hat die Betroffene nicht erneut angehört und die Beschwerde zurückgewiesen. Auch die Rechtsbeschwerde der Betroffenen zum BGH blieb erfolglos

Spannungen zwischen den Familienstämmen

Die jüngere Tochter ist bereit und in der Lage, die Betroffene zu betreuen. Ihre Bestellung entspricht deren Wohl und Willen, da diese sich gut mit dieser Tochter versteht. Ihr Wunsch, auch durch den Enkel betreut zu werden, ist zwar beachtlich. Diesem kann aber nur entsprochen werden, wenn die Angelegenheiten der Betroffenen dadurch besser besorgt werden könnten. Das ist nicht der Fall, da es Spannungen zwischen den Familienstämmen gibt.

Die Pflicht zur persönlichen Anhörung besteht zwar auch im Beschwerdeverfahren. Davon kann aber abgesehen werden, wenn die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften erfolgt ist und von einer erneuten Anhörung durch das Beschwerdegericht keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Eine erneute Anhörung ist folglich regelmäßig erforderlich, wenn das Beschwerdegericht eine neue Tatsachengrundlage heranzieht. Hierunter kann auch eine nachträglich erfolgte Willensänderung des Betroffenen fallen, wie hier der Wunsch nach einem weiteren Betreuer. Wenn die Beschwerde jedoch bereits aus Rechtsgründen zurückzuweisen ist, ist auch keine erneute Anhörung erforderlich, da keine neuen entscheidungserheblichen Erkenntnisse zu erwarten sind.

Quelle | BGH, Beschluss vom 7.9.2022, XII ZB 211/22, Abruf-Nr. 231840 unter www.iww.de

Eheliche Lebensgemeinschaft: Keine Unterhaltsvorschussleistungen bei nur räumlicher Trennung der Eltern

| Eine räumliche Trennung der Eheleute stellt kein Getrenntleben dar, solange sie eine häusliche Gemeinschaft herstellen wollen. Das hat nun das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg entschieden. |

Räumliche Trennung kurz nach der Hochzeit

Die Klägerin meinte, dass ihr ein Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen in der Zeit vom 1.8.19 bis 24.10.20 zugestanden habe, da sie in dieser Zeit getrennt von ihrem Mann gelebt habe. Sie hatte den Mann am 31.7.19 im Libanon geheiratet. Erst ab dem 25.10.20 sei er zu ihr nach Deutschland gezogen. Das Verwaltungsgericht (VG) und auch das OVG sahen das anders.

Häusliche Gemeinschaft sollte hergestellt werden und wurde es auch

Die Frau war nicht dauerhaft von ihrem Mann getrennt. Maßgeblich dafür ist allein die zivilrechtliche Definition des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 1567 Abs. 1 BGB). Danach gilt ein Elternteil, bei dem das Kind lebt, u. a. als dauernd getrennt lebend „wenn im Verhältnis zum Ehegatten oder Lebenspartner ein Getrenntleben i. S. d. § 1567 BGB vorliegt“.

Ehegatten leben folglich getrennt, wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt. Die Eheleute wollten aber eine häusliche Gemeinschaft herstellen. Die Frau hatte eingeräumt, dass der Mann bei ihr eingezogen war.

Quelle | OVG Lüneburg, Beschluss vom 15.12.2022, 14 PA 359/22, Abruf-Nr. 233791 unter www.iww.de

Ehegattentestament: Voraussetzungen einer Pflichtteilsstrafklausel

| Pflichtteilsstrafklauseln in gemeinschaftlichen Testamenten sollen den Nachlass für den überlebenden Ehegatten möglichst ungeschmälert erhalten. Wird die Verwirkung der Pflichtteilsklausel von den Testierenden nicht nur an das Verlangen des Pflichtteils, sondern auch an den Erhalt des Pflichtteils geknüpft, setzt die Verwirkung der Klausel einen tatsächlichen Mittelabfluss voraus. Ohne Mittelabfluss besteht kein Sanktionierungsgrund. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. |

Beanspruchen des Pflichtteils sollte sich nachteilig auswirken

Die Erblasserin hatte mit ihrem vorverstorbenen Ehemann ein privatschriftliches gemeinschaftliches Testament errichtet. Sie hatte aus einer früheren Ehe eine Tochter, ihr verstorbener Ehemann hatte aus früheren Ehen zwei Töchter. Die Eheleute setzten sich gegenseitig zu Alleinerben ein. Weiter hieß es: „Wir gehen davon aus, dass unsere Kinder keinen Anspruch auf einen Pflichtteil nach dem Tod des erstverstorbenen Elternteils erheben. Nach dem Tod des überlebenden Partners wird das Vermögen unter den Kindern (…Namen der drei Töchter) zu gleichen Teilen aufgeteilt. Ausgenommen ist dabei das Kind, das einen Pflichtteil beansprucht und erhalten hat.“

Die Tochter der Erblasserin beantragte einen Erbschein, der sie und eine der zwei Töchter des vorverstorbenen Ehemanns zu je 1/2 als Erbinnen ausweisen soll. Sie meint, die weitere Tochter sei nicht Erbin der Erblasserin geworden sei, da sie nach dem Tod ihres Vaters ihren Pflichtteil geltend gemacht habe.

Erbanspruch nicht verwirkt

Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag der Tochter der Erblasserin zurückgewiesen. Die hiergegen eingelegte Beschwerde hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Gemäß der testamentarischen Schlusserbenbestimmung seien alle drei Töchter Erbinnen zu jeweils einem Drittel geworden, bestätigte das OLG. Die dritte Tochter habe ihren Erbanspruch nicht verwirkt. Nach dem Testament sollte dasjenige Kind von der Schlusserbschaft ausgenommen werden, das nach dem Tod des Erstversterbenden seinen Pflichtteil beansprucht und erhalten hat. Voraussetzung für das Auslösen der Sanktionswirkung sei damit abweichend von den üblichen Klauseln nicht nur die Geltendmachung des Pflichtteils, sondern zusätzlich ein Mittelabfluss vom Nachlassvermögen. Ob die Tochter hier überhaupt ihren Pflichtteil geltend gemacht habe, könne offenbleiben. Jedenfalls habe sie nicht ihren Pflichtteil und auch sonst nichts aus dem Nachlassvermögen erhalten.

Der Hinweis der anderen Töchter, sie habe ihren Pflichtteil erhalten, dieser sei aber „gleich null“ gewesen, überzeuge nicht. Ein „ins Leere gehender bzw. wertloser Pflichtteil … (löse) nicht die Sanktionswirkung der testamentarischen Pflichtteilsklausel aus“. Durch das zusätzliche Erfordernis des „Erhaltens“ hätten die Eheleute deutlich gemacht, dass es ihnen „um das Zusammenhalten des Nachlassvermögens, dessen Werthaltigkeit und den Schutz des überlebenden Ehegatten“ gegangen sei. Wenn die Tochter nichts aus dem Nachlass erhalten habe, sei der Nachlass nicht geschmälert und es bestehe nach dem Willen der Ehegatten kein Grund für eine Sanktionierung.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 21.2.2023, 21 W 104/22, PM 13/23

Teil-Erbauseinandersetzung: Miterben bleiben Vertragspartner des Mieters

| Im Mietrecht herrscht der Grundsatz „Kauf bricht nicht Miete“. Das bedeutet: Veräußert der Vermieter den vermieteten Wohnraum nach der Überlassung an den Mieter an einen Dritten, tritt der Erwerber anstelle des Vermieters in die sich während der Dauer seines Eigentums aus dem Mietverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten ein. Dieser Grundsatz ist aber auf die Erbauseinandersetzung weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Das hat jetzt das Amtsgericht (AG) Köln entschieden. |

Das war geschehen

Eine Miterbengemeinschaft bestand aus drei Personen. Zum Nachlass gehörte eine vermietete Wohnung. Die Erbengemeinschaft übertrug einem Miterben die Wohnung im Wege einer Teil-Erbauseinandersetzung. Das bestehende Mietverhältnis wurde übernommen. Der Miterbe ging davon aus, alleiniger Vermieter geworden zu sein. Er kündigte den Mietvertrag wegen Eigenbedarfs, da seine 19 Jahre alte Tochter die Wohnung beziehen wollte. Die Mieter widersprachen der Kündigung.

Räumungsklage scheiterte: Erbauseinandersetzung wirkt sich nicht auf Dritte aus

Die Räumungsklage scheiterte vor dem AG. Die Eigenbedarfskündigung habe das Mietverhältnis nicht beendet. Bei einer Mehrheit von Vermietern müsse die Kündigung, um wirksam zu sein, von allen Vermietern ausgesprochen werden, es sei denn, es bestehe eine wirksame Ermächtigung des einen Vermieters durch die jeweils anderen. Dies sei hier nicht der Fall. Der klagende Miterbe sei nicht alleiniger Vermieter der Wohnung. Das Mietverhältnis sei auf die Mitglieder der Erbengemeinschaft übergegangen. Auch durch die Teil-Erbauseinandersetzung sei der Kläger nicht alleiniger Vermieter geworden. Es existiere kein Grundsatz, wonach die Erbauseinandersetzung auf Schuldverhältnisse des Erblassers mit Dritten wirke. Der Kläger vermenge insoweit die dingliche Rechtslage bzw. schuldrechtliche Abreden der Erben im Innenverhältnis. Der Mietvertrag habe ab dem Versterben zwischen dem Kläger und den weiteren Erben als Personenmehrheit auf Vermieterseite einerseits und den beklagten Mietern als Personenmehrheit auf Mieterseite andererseits bestanden.

Quelle | AG Köln, Urteil vom 9.1.2023, 203 C 144/22

Namensrecht: Klage auf Änderung des russisch klingenden Nachnamens erfolglos

| Das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz hat die Klage eines Ehepaares abgewiesen, das seinen russisch klingenden Nachnamen ändern wollte. |

Die Kläger beantragten bei der beklagten Verbandsgemeinde eine Namensänderung, weil sie und ihre Tochter seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine aufgrund ihres russisch klingenden Nachnamens Benachteiligungen im Alltag erlebten. Die Verbandsgemeinde lehnte die Namensänderung ab. Dagegen legten die Kläger Widerspruch ein und erhoben, nachdem dieser nicht innerhalb von drei Monaten seit Eingang beschieden worden war, Untätigkeitsklage beim VG.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Eine Änderung des Familiennamens, so das VG, sei nach den gesetzlichen Bestimmungen nur gerechtfertigt, wenn ein wichtiger Grund dafür vorliege. Das sei hier nicht der Fall.

Die Tatsache allein, dass ein Familienname fremdsprachigen Ursprungs sei oder nicht Deutsch klinge, sei im Allgemeinen kein wichtiger Grund für eine Namensänderung. Für die in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Kläger sei die begehrte Namensänderung auch nicht im Interesse der weiteren Eingliederung geboten.

Soweit die Kläger darüber hinaus geltend machten, seit Beginn des Krieges in der Ukraine aufgrund ihres russisch klingenden Nachnamens Benachteiligungen im Alltag ausgesetzt zu sein, komme den geschilderten Vorkommnissen kein die Namensänderung rechtfertigendes Gewicht zu. Die Kläger hätten nicht dargelegt, dass der von ihnen getragene Nachname eine seelische Belastung für sie und ihre Tochter darstelle. Ein bloß vernünftiger Grund oder mit der Namensführung verbundene einfache Unzuträglichkeiten seien insoweit nicht ausreichend.

Wirtschaftliche Gründe berechtigten vorliegend ebenfalls nicht zur Namensänderung. Sie beträfen nur die Nebentätigkeit des Klägers. Unabhängig davon handele es sich um einen vereinzelt gebliebenen Vorfall, sodass sich schon mit Blick auf die hauptberufliche Stellung des Klägers keine Anhaltspunkte für erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation der Familie ergäben.

Gegen diese Entscheidung können die Beteiligten einen Antrag auf Zulassung der Berufung stellen.

Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 5.4.2023, 3 K 983/22.KO, PM 8/23

Pfändungsfreibetrag: BGH ändert Rechtsprechung zu Unterhaltszahlungen

| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat eine Kehrtwende bezüglich der Frage gemacht, ob Unterhaltszahlungen bei der Bestimmung des pfandfreien Betrags nur in Höhe der tatsächlichen Unterhaltszahlungen oder in Höhe des gesetzlichen Anspruchs zu berücksichtigen sind. |

Vater wollte von Teil der Pfändung verschont bleiben

Der Gläubiger vollstreckt gegen den Schuldner, seinen Vater, wegen Unterhalt. Der Vater zahlt einem weiteren Kind Unterhalt. Im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (PfÜB) hat das AG festgesetzt, dass dem Vater für seinen eigenen notwendigen Unterhalt ein Betrag pfandfrei zu belassen ist. Im Hinblick auf den Unterhalt für das weitere Kind hat es festgesetzt, dass ihm darüber hinaus bis zu einem bestimmten Betrag weitere 50 Prozent zu belassen sind.

Das Amtsgericht (AG) hat die Vollstreckungserinnerung des Vaters zurückgewiesen. Auf dessen sofortige Beschwerde hat das Beschwerdegericht den pfandfreien Betrag heraufgesetzt, damit der Vater seine Unterhaltspflicht gegenüber dem weiteren Kind erfüllen kann. Es hat die weitere Unterhaltspflicht des Vaters nicht in der sich aus dem Gesetz ergebenden Höhe, sondern nur in Höhe des tatsächlich geleisteten geringeren Unterhalts für das weitere Kind anerkannt. Im Übrigen blieb die sofortige Beschwerde erfolglos. Der Vater begehrte dann, allerdings erfolglos, mit der Rechtsbeschwerde zum BGH, den pfandfreien Betrag auf die Höhe der gesetzlichen Unterhaltspflicht heraufzusetzen.

So sieht es der Bundesgerichtshof

Der BGH: Vollstreckt ein Gläubiger wegen Unterhalt, ist dem Schuldner so viel zu belassen, als er für seinen notwendigen Unterhalt bedarf und um seine laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden oder gleichstehenden Berechtigten zu erfüllen. Das bedeutet: Beim pfandfreien Betrag sind diese Unterhaltspflichten gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden oder gleichstehenden Berechtigten nur in dem Umfang zu beachten, in dem der Schuldner diese Pflichten den weiteren Berechtigten gegenüber erfüllt oder diese gegen ihn vollstrecken.

Der Wortlaut der einschlägigen Vorschrift der Zivilen Prozessordnung (hier: § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO) ist insoweit nicht eindeutig. Er kann zwar dahin verstanden werden, dass auf den Betrag abzustellen ist, der potenziell erforderlich wäre, um die laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten zu erfüllen. Es kommt jedoch auch ein Verständnis in Betracht, wonach insoweit ein Bedarf des Schuldners nur in dem Umfang anzunehmen ist, in dem er tatsächlich leistet.

Nach Sinn und Zweck des Gesetzes ist aber die letztgenannte Auslegung zutreffend, so der BGH. Er betont: Solange der Schuldner seinen laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber den weiteren Unterhaltsberechtigten nur teilweise nachkommt, werden diese durch die Zwangsvollstreckung des Unterhaltsgläubigers nicht benachteiligt. Sie können auch den pfandfreien Betrag dadurch erhöhen lassen, dass sie ihrerseits wegen ihres (teilweise) nicht erfüllten Unterhaltsanspruchs eine Änderung des PfÜB erwirken. Das schließt nicht aus, dass der Schuldner künftig freiwillig Unterhalt leisten wird. Er kann ebenfalls den PfÜB ändern lassen. Dem Problem, dass ihm vor einer Erhöhung des pfandfreien Betrags noch keine Mittel zur Verfügung stehen, um seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht in größerem Umfang nachzukommen, kann ggf. durch eine befristete Erhöhung Rechnung getragen werden.

Unterhaltsgläubiger sollen nicht benachteiligt sein

Würde man dem Schuldner stets den pfandfreien Betrag in Höhe der gesetzlichen Unterhaltspflichten belassen, wäre nicht sichergestellt, dass dieser Betrag den weiteren Unterhaltsberechtigten zufließt. Hat der Schuldner seine Unterhaltspflichten nicht oder nicht vollumfänglich erfüllt, liegt nahe, dass der pfandfreie Betrag ganz oder teilweise bei ihm verbleibt. In diesem Fall würde der vollstreckende Unterhaltsgläubiger zum Vorteil des Schuldners benachteiligt, ohne dass den weiteren Unterhaltsberechtigten hiermit gedient wäre. Das würde dem im Zwangsvollstreckungsrecht bezweckten Schutz der Unterhaltsgläubiger zuwiderlaufen und wäre mit deren Privilegierung nicht zu vereinbaren.

Quelle | BGH, Urteil vom 18.1.2023, VII ZB 35/20, Abruf-Nr. 234009 unter www.iww.de

Erbauseinandersetzung: Anfechtung eines Testaments

| Auch wenn ein Testament aus Sicht des Erblassers klar formuliert ist, kann die gesetzliche Erbfolge einsetzen. So zeigt es nun das Landgericht (LG) Wuppertal. |

Das war geschehen

Die spätere Erblasserin war Eigentümerin eines neuwertigen Hausgrundstücks und verfügte über Barvermögen von rund 30.000 Euro. Ende 2002 verfasste sie ein handschriftliches Testament mit folgendem Wortlaut: „Mein Sohn S soll Erbe sein. Meine Tochter T soll ihren Pflichtteil erhalten. Das ist nicht als Straf- oder Benachteiligungsaktion zu sehen. Aber dieser Weg ist die einzige Möglichkeit, ablaufmäßig und verfahrenstechnisch zu gewährleisten, dass der Sohn unser Wohnhaus, das eine Belastung ist, erhalten kann. Ein Verschleudern-Müssen wollten wir nicht.“ Damit schien aus Sicht der Erblasserin alles klar geregelt. Doch das war ein Irrtum.

Testamentsanfechtung der Tochter nach Veräußerung der Immobilie

Für Zwecke der Pflichtteilbemessung wurde für die Immobilie vom Gutachterausschuss ein Wert von 710.000 Euro ermittelt. Auf dieser Basis erfolgte der Abschluss eines „Erbauseinandersetzungsvertrags“. Kurze Zeit später veräußerte der Sohn die Immobilie zu einem Preis von 819.000 Euro. Daraufhin hat die Tochter den Erbauseinandersetzungsvertrag und das Testament angefochten. Mit Erfolg: Nach der Entscheidung des LG ist infolge der Anfechtung die gesetzliche Erbfolge eingetreten.

Hintergrund: Jeder Motivirrtum berechtigt dazu, eine letztwillige Verfügung anzufechten. Hier war die Vorstellung der Erblasserin, der Sohn werde das Haus behalten, wenn er Alleinerbe wird, ein solches Motiv, das für die Verfügung der Erblasserin in ihrem Testament bestimmend war. Den Erhalt des Hauses hat die Erblasserin wörtlich verbunden mit der Erwägung, dass sie das Haus nicht verschleudert sehen wolle. Darin kommt zum Ausdruck, dass das Haus in der Familie bleiben und nicht verkauft werden sollte.

Quelle | LG Wuppertal, Urteil vom 5.12.2022, 2 O 317/21, Abruf-Nr. 233423 unter www.iww.de

BAföG: Keine Verwertung eines Erbteils am Elternhaus

| Werden BAföG-Leistungen unter Anrechnung des Wertes eines Miterbenanteils von 1/12 an einer von einem angehenden Studenten, seiner Mutter und seinen schulpflichtigen Brüdern bewohnten Immobilie versagt, verstößt dies gegen das Grundgesetz (Art. 3 Abs. 1 GG). So sieht es das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) . |

Ein angehender Student beantragte erfolglos BAföG-Leistungen, da er 1/12 seines Elternhauses geerbt hatte, in dem er mit seiner Mutter und seinen Geschwistern wohnte. Erst seine Verfassungsbeschwerde war erfolgreich. Das BVerfG: Die Anrechnung wirtschaftlich unverwertbaren Vermögens ist eine unbillige Härte. Auch die Notwendigkeit, Vermögen im Wege der Zwangsversteigerung einzusetzen, kann ein Verwertungshindernis begründen. Denn dabei entsteht in der Regel ein erheblicher wirtschaftlicher Verlust. Unbeachtet geblieben ist, dass auch die Familie des Studenten gezwungen würde, ihren Anteil am Grundstück voraussichtlich unwirtschaftlich zu verwerten, obwohl sie ihr Vermögen nicht einsetzen muss, um diesem ein Studium zu ermöglichen, wobei ihm nur ein geringer Anteil am Grundstück zusteht.

Quelle | BVerfG, Beschluss vom 21.3.2023, 1 BvR 1620/22, Abruf-Nr. 235163 unter www.iww.de

Klinikärztin: Keine Bonus-Monate beim Elterngeld wegen Bereitschaftsdienst

| Der Bereitschaftsdienst von Klinikärzten ist Arbeitszeit. Er zählt auch als Zeit der Erwerbstätigkeit im Sinne des Elterngeldrechts und kann deshalb dazu führen, dass ein Arzt keine sog. Partnerschaftsbonus-Monate beim Elterngeld bekommt. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt entschieden. |

Das war geschehen

Geklagt hatte eine Klinikärztin. Nach der Geburt ihres Kindes im Jahr 2016 hatte sie elf Monate das Basiselterngeld bezogen, ihr Ehemann anschließend drei weitere Monate. Danach arbeiteten beide in Teilzeit und nahmen die vier sog. Partnerschaftsbonus-Monate in Anspruch. Das setzte nach dem damaligen Recht voraus, dass beide Elternteile in diesen vier Monaten gleichzeitig im Monatsdurchschnitt nicht weniger als 25 und nicht mehr als 30 Wochenstunden erwerbstätig waren. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Ärztin, wenn man ihre Bereitschaftsdienste in der Klinik vollständig mitzählte, in einigen Monaten mehr als 30 Stunden pro Woche gearbeitet hatte. Deshalb forderte die zuständige Behörde das für die vier Partnerschaftsbonus-Monate zunächst nur vorläufig gezahlte Elterngeld zurück.

Bereitschaftsdienst keine Erwerbstätigkeit?

Dagegen klagte die Ärztin. Sie meinte, dass der Bereitschaftsdienst keine Erwerbstätigkeit im Sinne des Gesetzes sei. Sie müsse sich zwar in der Klinik aufhalten, könne die Zeit im Bereitschaftsdienstzimmer aber weitgehend frei nutzen. Wenn man nur die Zeiten zähle, in denen sie tatsächlich zum Einsatz gekommen sei, habe sie durchweg weniger als 30 Stunden pro Woche gearbeitet. Mit dieser Argumentation hatte sie in erster Instanz vor dem Sozialgericht (SG) Erfolg.

Zeiten des Bereitschaftsdienstes konsequent zu berücksichtigen

Auf die Berufung der Elterngeldstelle hat das LSG ihre Klage aber in einer jetzt veröffentlichten Entscheidung in zweiter Instanz abgewiesen. Nach Auffassung des Gerichts ist der Bereitschaftsdienst vollständig als Zeit der Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen, weil die Ärztin sich auf Weisung ihres Arbeitgebers in der Klinik aufhalten musste und weil dieser Dienst vergütet wurde. Ein weiterer Gesichtspunkt sei, dass die Ärztin sich während des Bereitschaftsdienstes gerade nicht um die Betreuung ihres Kindes kümmern konnte. Außerdem richte sich die Höhe des Elterngeldes nach dem Einkommen vor der Geburt. Hier wirke sich auch Einkommen aus Bereitschaftsdiensten positiv für den Elterngeldberechtigten aus. Dann sei es aber konsequent, solche Zeiten auch bei den Voraussetzungen der Partnerschaftsbonus-Monate zu berücksichtigen.

Quelle | LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 15.12.2022, L 2 EG 3/21, PM 2/23

Präventivunterbringung: Um optimale Förderung zu erzielen, darf nicht ins Sorgerecht eingegriffen werden

| Das Bürgerliche Gesetzbuch regelt (hier: § 1666 BGB): Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, muss das Familiengericht die Maßnahmen treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind. In diesem Zusammenhang hat das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig jetzt entschieden: § 1666 BGB gebietet es nicht, ein autistisches Kind präventiv unterzubringen. |

Familiengericht entzog Mutter die elterliche Sorge

Das Familiengericht (FG) hatte der alleinsorgeberechtigten Mutter Teile der elterlichen Sorge entzogen, um das 14-jährige Kind unterzubringen. Dieses leidet unter frühkindlichem Autismus und hat einen hohen Betreuungs- und Förderbedarf. Die Mutter werde langfristig nicht in der Lage sein, die Betreuung und Versorgung ohne Gefahr für das Wohl des Kindes sicherzustellen, so das Gericht. Sie werde von den Beteiligten als liebevolle Mutter wahrgenommen, fördere das Kind aber nicht ausreichend. Langfristig lasse sich daher eine Unterbringung nicht vermeiden.

Künftige Risiken rechtfertigen keine gegenwärtige Unterbringung

Das OLG hat die Entscheidung aufgehoben. Seine Begründung: Die Möglichkeit, dass ein allein betreuender Elternteil eines schwer behinderten Kindes künftig ausfällt, gefährdet das Kindeswohl nicht gegenwärtig. Die vorbeugende Fremdunterbringung, um das Kind ohne konkreten Anlass frühzeitig in eine Einrichtung einzugewöhnen, rechtfertigt nicht den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und der Gesundheitsfürsorge.

Keine Besserung der Gesamtsituation

Auch der Vorwurf, dass die Mutter das Kind nicht bestmöglich fördere, gefährdet das Kindeswohl nicht. Sowohl die Mutter als auch die Betreuung des Kindes in der Schule stellen sicher, dass dessen unverzichtbare Bedürfnisse gewährleistet werden. Eingriffe in das Sorgerecht, um eine optimale Förderung zu erzwingen, sind vom Kinderschutzrecht auch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nicht erfasst. Die Unterbringung des Kindes zum jetzigen Zeitpunkt würde seine Gesamtsituation nicht verbessern, da die psychische Belastung durch die Trennung von der Mutter und seinem bekannten Umfeld schwerer wiegt.

Quelle | OLG Braunschweig, Beschluss vom 22.12.2022, 2 UF 122/22, Abruf-Nr. 233107 unter www.iww.de