| Ja. Das Amtsgericht (AG) Braunschweig hat jetzt die Verweisung des Geschädigten mit niedrigem Fahrbedarf auf Bus und Bahn unter den Corona-Verhältnissen für unzumutbar gehalten. Es genügen nach seiner Entscheidung ca. 18 km pro Tag, um die Mietwagennutzung zu rechtfertigen. |
Ebenso haben bereits kürzlich die AG Duisburg Hamborn und Kassel entschieden.
Quelle | AG Braunschweig, Urteil vom 17.6.2021, 111 C 2148/20, Abruf-Nr. 224497 unter www.iww.de; AG Duisburg-Hamborn, Urteil vom 15.6.2021, 9 C 108/21, Abruf-Nr. 223183 unter www.iww.de; AG Kassel, Urteil vom 28.4.2021, 421 C 3709/21, Abruf-Nr. 223758 unter www.iww.de
| Am 9.11.2021 ist der neue Bußgeldkatalog in Kraft getreten. Er beinhaltet zum Teil deutlich höhere Geldbußen als bisher. Hier ein Auszug der wichtigsten Änderungen. |
1. Parken und Halten
Verbotswidriges Parken auf Geh- und Radwegen sowie das jetzt verbotene Halten auf Schutzstreifen und das Parken und Halten in zweiter Reihe ist teurer geworden. Verstöße kosten bis zu 110 Euro. Bei schwereren Verstößen kann darüber hinaus ein Punkt im Fahreignungsregister („Flensburg“) eingetragen werden.
Darüber hinaus sind für das unberechtigte Parken auf einem Schwerbehinderten-Parkplatz Geldbußen von 55 Euro vorgesehen. Ebenfalls für das unberechtigte Parken auf einem Parkplatz für elektrisch betriebene Fahrzeuge oder einem Parkplatz für Carsharing-Fahrzeuge werden 55 Euro fällig. Für das rechtswidrige Parken an engen oder unübersichtlichen Straßenstellen bzw. im Bereich einer scharfen Kurve sieht der neue Bußgeldkatalog eine Geldbuße von 35 Euro vor.
Für einen allgemeinen Halt- und Parkverstoß werden jetzt bis zu 25 Euro fällig.
2. Rettungsgasse
Die unerlaubte Nutzung einer Rettungsgasse wird jetzt genauso verfolgt und geahndet wie das Nichtbilden einer Rettungsgasse. Es drohen Bußgelder zwischen 200 und 320 Euro sowie ein Monat Fahrverbot. Als Folge dieser Sanktionen ist die Eintragung von zwei Punkten im Fahreignungsregister vorgesehen.
3. Sonstige Regelverstöße
Die vorschriftswidrige Nutzung von Gehwegen, linksseitig angelegten Radwegen und Seitenstreifen durch Fahrzeuge wird nun mit bis zu 100 Euro Geldbuße geahndet.
Für das sogenannte Auto-Posing (Verursachen von unnötigem Lärm und einer vermeidbaren Abgasbelästigung sowie unnützes Hin- und Herfahren) sind Bußgelder bis zu 100 Euro vorgesehen.
Für rechtsabbiegende Kraftfahrzeuge über 3,5 t ist innerorts Schrittgeschwindigkeit (4 bis 7, max. 11 km/h) vorgeschrieben. Verstöße hiergegen können nun mit einem Bußgeld in Höhe von 70 Euro sanktioniert werden. Außerdem wird ein Punkt im Fahreignungsregister eingetragen.
4. Geschwindigkeitsverstöße
Für normale Pkw bis 3,5 t gelten bei Geschwindigkeitsüberschreitungen künftig folgende Geldbußen:
Für Pkw mit Anhänger und Fahrzeuge, die schwerer als 3,5 Tonnen sind, sowie Fahrzeuge mit gefährlichen Gütern oder Passagierbusse gelten andere Geldbußen.
Quelle | Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Informationen zum neuen Bußgeldkatalog vom 21.10.2021, siehe auch online www.iww.de/s5645
| Physiotherapeuten, die als „freie Mitarbeiter“ in einer physiotherapeutischen Praxis arbeiten, sind abhängig beschäftigt, wenn sie in die Organisation der Praxis eingegliedert sind und kein Unternehmerrisiko tragen. Dies entschied jetzt das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg und hob ein anderslautendes Urteil des Sozialgerichts (SG) Mannheim auf. |
Sachverhalt
Ein Physiotherapeut mit eigener privater Praxis war von Mai 2017 bis Mitte 2019 zusätzlich in einer physiotherapeutischen Gemeinschaftspraxis tätig. Mit deren Inhaber hatte er einen Vertrag als „freier Mitarbeiter“ geschlossen. Die durchgeführten Behandlungen wurden über das Abrechnungssystem der Praxisinhaber abgerechnet, die 30 % des jeweiligen Abrechnungsbetrags erhielten. Die Gemeinschaftspraxis verfügt über sechs Behandlungsräume mit einer entsprechenden Ausstattung, wie Behandlungsliegen, Trainingsgeräten etc. Besondere Behandlungsarten, wie bspw. Heißluft- oder Schlingentischbehandlungen werden nur in bestimmten Behandlungsräumen durchgeführt. Im streitigen Zeitraum waren in der Gemeinschaftspraxis neben den beiden Inhabern und dem Physiotherapeuten weitere vier bzw. fünf Physiotherapeuten als sog. „freie Mitarbeiter“ tätig. Rezeptionsmitarbeiter wurden keine beschäftigt. Bei der Verteilung der Patienten auf die jeweiligen Physiotherapeuten wurde zunächst einem etwaigen Wunsch nach einem bestimmten Therapeuten Rechnung getragen. Im Übrigen überprüften die Praxisinhaber, ob sie die Behandlung je nach Kapazität persönlich übernehmen konnten. War dies nicht der Fall, wurden die Behandlungen den entsprechenden „freien Mitarbeitern“, abhängig von deren freier Zeitkapazität, angeboten. Entschied sich ein Physiotherapeut, eine bestimmte Behandlung zu übernehmen, setzte er sich unmittelbar mit dem Patienten in Verbindung und vereinbarte mit diesem einen konkreten Behandlungstermin.
Antrag der Deutschen Rentenversicherung
Die Deutsche Rentenversicherung stellte auf Antrag des Physiotherapeuten im November 2017 fest, dass dieser abhängig beschäftigt und sozialversicherungspflichtig sei. Hiergegen klagten sowohl die Praxisinhaber als auch der Physiotherapeut vor dem SG. Sie führten an, dass der Physiotherapeut nicht weisungsgebunden gewesen sei und seine Arbeitszeiten selbst habe bestimmen können.
Sozialgericht: Merkmale für selbstständige Tätigkeit
Das SG stellte fest, dass der Physiotherapeut in seiner Tätigkeit bei der Gemeinschaftspraxis nicht im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung tätig geworden sei. Die für eine selbstständige Tätigkeit sprechenden Merkmale überwögen, weil der Physiotherapeut seine Arbeitszeit habe selbst bestimmen und ihm angebotene Behandlungen von Patienten auch ohne Angabe von Gründen habe ablehnen können.
Landessozialgericht: Eingliederung in Organisationsstruktur maßgeblich
Das LSG gab nun der Rentenversicherung Recht: Zwar könnten auch Physiotherapeuten ihre Leistungen im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit erbringen. Maßgeblich sei aber die konkrete Ausgestaltung und die Eingliederung in die Organisationsstruktur und Arbeitsabläufe der Gemeinschaftspraxis. So habe der Physiotherapeut hier im Rahmen seiner Tätigkeit im Wesentlichen nur solche Patienten behandelt, deren Behandlung ihm seitens der Inhaber der Gemeinschaftspraxis angetragen wurden. Zudem habe er die in der Praxis vorgehaltene Ausstattung (spezielle Behandlungsräume, Telefonanlage zur Vereinbarung von Terminen mit den Patienten, EDV-Ausstattung mit elektronisch geführter Terminplanung) genutzt. Über eigene Behandlungsräume, die er jederzeit ohne Abstimmung mit anderen in der Praxis tätigen Physiotherapeuten hätte in Anspruch nehmen können, habe der Physiotherapeut hier in der Gemeinschaftspraxis nicht verfügt.
Zudem sei der Physiotherapeut nicht werbend aufgetreten und weder auf dem Praxisschild der Gemeinschaftspraxis als Erbringer von physiotherapeutischen Leistungen aufgeführt noch im Internetauftritt der Gemeinschaftspraxis als solcher namentlich genannt. Darüber hinaus sei die Abrechnung der von ihm durchgeführten Behandlungen mit den Krankenkassen bzw. die Rechnungsstellung gegenüber den Privatpatienten durch die Inhaber der Gemeinschaftspraxis über das von ihr vorgehaltene Abrechnungssystem erfolgt.
Kein unternehmerisches Risiko
Der Physiotherapeut habe auch kein nennenswertes Unternehmerrisiko getragen. So habe er weder eigenes Kapital noch die eigene Arbeitskraft mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt. Seine Tätigkeit habe keine relevanten Betriebsmittel erfordert. Er habe für die erbrachten Behandlungsleistungen eine Vergütung in Höhe von 70 % der von der Gemeinschaftspraxis abgerechneten Vergütungen mit den gesetzlichen Krankenkassen und der Privatpatienten erhalten. Das Risiko, nicht wie gewünscht arbeiten zu können, weil Behandlungsmöglichkeiten anderweitig vergeben wurden, stelle kein Unternehmerrisiko dar, sondern eines, das auch jeden Arbeitnehmer treffe, der nur Zeitverträge bekomme oder auf Abruf arbeite und nach Stunden bezahlt werde.
Für seine Tätigkeit habe der Physiotherapeut zudem lediglich eine tragbare Liege und Kinesiotape und damit keine nennenswerten Betriebsmittel eingesetzt. Die Kosten für den Unterhalt seines Kraftfahrzeugs bedingten kein unternehmerisches Risiko, weil Kraftfahrzeuge zur Erreichung des Arbeitsplatzes regelmäßig auch von Beschäftigten unterhalten würden.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.7.2021, L 4 BA 75/20, PM vom 27.9.2021