| Der Versicherer darf bei der fiktiven Abrechnung wegen des Alters und Wartungsstatus des Fahrzeugs („nicht scheckheftgepflegt“) auf eine andere mühelos zugängliche und erreichbare qualitativ gleichwertige Werkstatt verweisen. Dies muss er aber korrekt tun. Weist er nur auf einen Prüfbericht hin, der Preise einer anderen Werkstatt zugrunde gelegt hat, genügt das nicht. Dies hat nun das Amtsgericht (AG) Lübeck festgestellt. |
Das AG verlangt sogar einen sog. substanziierten, also mit Tatsachen belegten Vortrag zur Alternativwerkstatt im Schriftsatz und die Vorlage eines Angebots der Werkstatt, das für den Geschädigten annahmefähig ist.
Des Weiteren beschäftigte sich das AG noch mit dem Anspruch auf die Beilackierungskosten bei der fiktiven Abrechnung. Der Versicherer hatte diese abgelehnt und das Gutachten als grob fehlerhaft verworfen, weil es die Beilackierungskosten enthalte. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) hat das AG diese Kosten jedoch dem Geschädigten zugesprochen, ebenso die Gutachtenkosten.
Quelle | AG Lübeck, Urteil vom 9.9.2022, 21 C 736/22, Abruf-Nr. 233104 unter www.iww.de
| Es steht dem Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung nicht entgegen, dass der Geschädigte von der Werkstatt kulanterweise ein kostenloses Mobilitätsfahrzeug bekommen und es während der Ausfalldauer genutzt hat. Das entschied nun das Landgericht (LG) Baden-Baden. |
Nach Ansicht des LG kommt es nur darauf an, dass der Geschädigte kein Ersatzfahrzeug aus seinem eigenen Bestand nutzen kann.
Auch der BGH hatte früher bereits ähnlich entschieden. In seinem Fall hatte der Geschädigte ein Fahrzeug von seinem Vater geliehen bekommen. Der BGH: Dadurch wird der Schädiger nicht durch eine (freiwillige) Leistung Dritter entlastet, die ihm nach dem Sinn der schadensrechtlichen Vorschriften nicht zugutekommen soll.
Das LG Baden-Baden hat hier allerdings nicht unterschieden, ob die Leihgabe im Familienkreis erfolgt und somit dem Gedanken einer Maßnahme der sozialen Sicherheit und Fürsorge entspricht oder eine Dreingabe der an der Reparatur verdienenden Werkstatt war.
Quelle | LG Baden-Baden, Urteil vom 11.11.2022, 2 O 34/22, Abruf-Nr. 232422 unter www.iww.de
| Ob Desinfektionskosten zu den erstattungsfähigen Reparaturkosten gehören, war umstritten. Nun hat der Bundesgerichtshof (BGH) Klartext gesprochen. |
Es ging um eine Desinfektion im Rahmen der Begutachtung durch den Schadengutachter. Der Kern der Entscheidung lautet: Ebenso, wie die Wahl seines individuellen Hygienekonzepts selbst, steht auch die betriebswirtschaftliche Entscheidung, ob die hierfür anfallenden Kosten gesondert ausgewiesen oder als interne Kosten der Arbeitssicherung in die Kalkulation des Grundhonorars „eingepreist“ werden, grundsätzlich dem Sachverständigen als Unternehmer zu. Angesichts der nur vorübergehenden Natur jedenfalls der verschiedenen Phasen der Corona-Pandemie mag es sogar ein Ausdruck des Bemühens um Kostentransparenz sein, die Pauschale für die Dauer ihres Anfallens gesondert auszuweisen. Es ist daher nicht bedenklich, dass der Sachverständige die Corona-Desinfektionspauschale gesondert berechnet hat.
Quelle | BGH, Urteil vom 13.12.2022, VI ZR 324/21, Abruf-Nr. 233276 unter www.iww.de
| Fährt der Schädiger mit seinem Pkw einem anderen absichtlich in dessen Fahrzeug, ist sein Haftpflichtversicherer dafür aufgrund der vorsätzlichen Begehung nicht eintrittspflichtig. Doch wie ist die Rechtslage, wenn er auch ein in direkter Nähe ordnungsgemäß geparktes Fahrzeug beschädigt? Das hat das Amtsgericht (AG) Bielefeld geklärt. |
Der Schädiger gab an, er habe weder beabsichtigt noch damit gerechnet, dass außer an seinem Zielobjekt Schaden an anderen Fahrzeugen entstehe. Es half ihm nicht: Das AG entschied, dass sich der haftungsausschließende Vorsatz nach dem Versicherungsvertragsgesetz (hier: § 103 VVG) nicht nur auf die Verletzungshandlung, sondern auch auf die Verletzungsfolgen beziehen muss. Das heißt: Schäden durch einen von den Vorstellungen des Schädigers abweichenden Geschehensablauf sind davon nicht umfasst. Folge: Der Haftpflichtversicherer muss zahlen.
Quelle | AG Bielefeld, Urteil vom 9.12.2022, 417 C 130/22, Abruf-Nr. 232985 unter www.iww.de
| Wer sich sieben Wochen in einem Land mit Linksverkehr aufhielt, handelt regelmäßig lediglich unachtsam und nicht rücksichtslos, wenn er bei seiner ersten Fahrt in Deutschland gegen das Rechtsfahrgebot verstößt. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken nun klargestellt. |
Siebenwöchiger Urlaub in Thailand
Der Angeklagte verbrachte einen siebenwöchigen Urlaub in Thailand. Noch am Tag seiner Rückkehr fuhr er mit seinem Pkw auf der linken Spur einer Landstraße. Nach zwei bis drei Minuten Fahrtzeit kollidierte er in einem Kurvenbereich frontal mit einem auf derselben Fahrspur entgegenkommenden Pkw. Der Angeklagte hatte sich weder vor Fahrtantritt noch während der Fahrt darüber Gedanken gemacht, dass in Deutschland anders als in Thailand Rechtsverkehr herrscht. Die Unfallgegnerin und ihr Beifahrer wurden bei dem Unfall verletzt.
Amtsgericht und Landgericht mit „harten Entscheidungen“
Das Amtsgericht (AG) hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen verurteilt, die Fahrerlaubnis entzogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von weiteren acht Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Das Landgericht (LG) Kaiserslautern hat diese Entscheidung bestätigt.
Oberlandesgericht lässt Milde walten
Auf die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat das OLG das Urteil dahin geändert, dass der Angeklagte der fahrlässigen Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen schuldig ist, nicht jedoch der fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung. Wegen der deshalb auszusprechenden Rechtsfolgen muss sich das LG erneut mit dem Fall befassen.
Zur Begründung hat das OLG ausgeführt: Eine fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung setze ein rücksichtsloses Handeln voraus, was im Fall des Angeklagten nicht angenommen werden könne. Rücksichtslos handele ein Fahrer, der sich konkret seiner Pflicht bewusst sei, sich aber dennoch nicht an sie halte. Rücksichtslos handele auch, wem es egal sei, ob er sich an seine Pflichten als Teilnehmer im Straßenverkehr halte und einfach, ohne an die Folgen zu denken, drauflosfahre. Es müsse sich um ein überdurchschnittliches Fehlverhalten handeln, das von einer besonders verwerflichen Gesinnung geprägt sei. Gelegentliche Unaufmerksamkeit oder reine Gedankenlosigkeit würden hierfür nicht genügen. Der Angeklagte habe sich hier zwar über das Rechtsfahrgebot hinweggesetzt. Dabei habe er aber nicht bewusst oder aus Gleichgültigkeit gegenüber anderen Straßenverkehrsteilnehmern gehandelt, sondern lediglich aus Unachtsamkeit, nachdem er sich sieben Wochen in einem Land aufgehalten habe, in dem Linksverkehr herrsche.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 28.11.2022, 1 OLG 2 Ss 34/22, PM vom 6.2.2023
| Wer einem Kaufinteressenten einen Pkw für eine unbegleitete Probefahrt überlässt, riskiert im schlimmsten Fall, dass der vermeintliche Interessent das Fahrzeug einer anderen Person wirksam verkauft und übereignet. Ein solcher Fall lag nun dem Oberlandesgericht (OLG) Celle vor. |
Das war geschehen
Ein Autohaus gab einem angeblichen Kaufinteressenten einen Audi Q5 für eine einstündige Probefahrt. Der Interessent, der falsche Personalien angegeben hatte, kehrte nicht zurück. Stattdessen inserierte er das Fahrzeug auf der Verkaufsplattform Ebay und verkaufte es schließlich für 31.000 Euro in bar. Bei dem Verkauf übergab seine Frau dem Käufer gefälschte Fahrzeugpapiere. Der Käufer übergab das Fahrzeug zwei Wochen später der Polizei, die es dem Autohaus zurückgab. Dieses verkaufte es anschließend für 35.000 Euro. Der getäuschte Käufer verlangt diesen Erlös heraus.
Getäuschter Käufer verklagte das Autohaus
Zu Recht, so das OLG, weil er das Eigentum wirksam von dem „Betrüger“ erlangt hatte. Zwar kann grundsätzlich nur der Eigentümer wirksam über eine Sache verfügen. Übergibt ein Nichtberechtigter die Kaufsache aber beim Verkauf an den Käufer, kann dieser auch dann Eigentümer werden, wenn die Sache tatsächlich nicht dem Verkäufer gehörte.
Autohaus handelte fehlerhaft
Ein solcher sog. gutgläubiger Erwerb von einem Nichtberechtigten scheidet zwar aus, wenn die Kaufsache dem wahren Eigentümer gestohlen wurde oder ihm sonst abhandengekommen ist. Hier hatte das Autohaus den Wagen aber freiwillig für eine unbegleitete einstündige Probefahrt herausgegeben. Damit hatte es den Besitz an dem Pkw freiwillig aufgegeben, auch wenn das Auto über eingebaute SIM-Karten geortet werden konnte. Diese Ortungsmöglichkeit stand einer Begleitung bei der Probefahrt schon deshalb nicht gleich, weil eine Ortung nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung über die Polizei und den Hersteller möglich war. Sie schloss einen gutgläubigen Erwerb des Wagens daher nicht aus.
Professionelle Fälschung der Kfz-Papiere nicht zu erkennen
Darüber hinaus scheidet ein gutgläubiger Erwerb zwar auch dann aus, wenn der Käufer grob fahrlässig nicht erkannt hat, dass der Verkäufer nicht der Eigentümer war. Bei dem Kauf eines Kraftfahrzeugs muss er sich zumindest den Kraftfahrzeugbrief bzw. die Zulassungsbescheinigung Teil II vorlegen lassen, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen. Die Zulassungsbescheinigung war hier aber so professionell gefälscht, dass der Käufer die Fälschung nicht erkennen musste. Der Verkauf eines gebrauchten Pkw auf der Straße gegen Bargeld ist nach Auffassung des Senats auch nicht unüblich und musste keinen Verdacht erwecken, zumal der Kaufpreis nicht auffallend günstig war. Dass der Verkäufer den Zweitschlüssel nicht mit übergeben konnte, hatte er nachvollziehbar damit erklärt, dass sich der Käufer erheblich verspätet hatte, er selbst nicht habe warten können und vergessen habe, seiner Frau den Zweitschlüssel zu geben.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 12.10.2022, 7 U 974/21, PM vom 20.10.2022
| Das Verwaltungsgericht (VG) Trier hat einen Eilantrag gegen eine Fahrerlaubnisentziehung wegen Nichtbeibringung eines angeforderten fachärztlichen Gutachtens über die Fahreignung abgelehnt. |
Das war geschehen
Der 89-jährige Antragsteller wurde im Februar des Jahres von der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde dazu aufgefordert, sich einer fachärztlichen Untersuchung zu unterziehen, weil Zweifel an seiner Fahreignung entstanden seien. Nach einem hausärztlichen Attest leide er unter Hypertonie und Sturzneigung. Hinzu kämen zahlreiche weitere Aspekte, die Bedenken gegen die Fahreignung nahelegten. Der Senior sei 2017 und 2021 in Parkraumunfälle verstrickt gewesen und habe bei den jeweiligen Unfallaufnahmen durch Polizeibeamte einen verwirrten Eindruck hinterlassen. Anlässlich der letzten Verkehrsunfallaufnahme sei zudem eine Vielzahl von alten Unfallschäden am gesamten Fahrzeug festgestellt worden. Diese Schäden habe der Senior nicht plausibel erklären können, sondern habe insoweit widersprüchliche Angaben gemacht.
Angefordertes Gutachten nicht vorgelegt
Der Senior legte ein entsprechendes Gutachten innerhalb der ihm gesetzten Frist von vier Monaten nicht vor; einen ihm angebotenen Begutachtungstermin im Juni des Jahres nahm er nicht wahr. Daraufhin entzog ihm die Fahrerlaubnisbehörde mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid die Fahrerlaubnis.
Fahrerlaubnisrechtliche Nichteignung des Seniors
Zu Recht, so das VG. Die Fahrerlaubnisbehörde sei rechtlich zutreffend von der fahrerlaubnisrechtlichen Nichteignung des Seniors ausgegangen, nachdem dieser das im Februar angeforderte fachärztliche Gutachten nicht vorgelegt habe. Sie sei berechtigt, Aufklärungsmaßnahmen zu ergreifen, wenn Tatsachen bekannt würden, die für sich gesehen noch nicht für eine rechtsfehlerfreie Annahme einer fahrerlaubnisrechtlichen Nichteignung ausreichten, die aber konkrete Bedenken an der Fahreignung des Betroffenen begründeten. Weigere der Betroffene sich, eine berechtigterweise angeordnete Begutachtung durchführen zu lassen, oder lege er das Untersuchungsergebnis nicht fristgerecht vor, könne die Behörde auf die Nichteignung schließen.
Begründete Bedenken an Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen
Vorliegend sei die Gutachtensanforderung berechtigterweise erfolgt. Der Fahrerlaubnisbehörde seien Tatsachen bekannt geworden, die Bedenken an der körperlichen oder geistigen Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen begründeten. Ausreichend seien insoweit alle Tatsachen, die nachvollziehbar den Verdacht rechtfertigten, es könne eine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen vorliegen. Ob solche Verdachtsmomente vorlägen, beurteile sich nach den gesamten Umständen des Einzelfalls. Diese rechtfertigten vorliegend die getroffene Gutachtensanordnung.
Erkrankungen und Vielzahl an Unfallschäden lagen vor
Die ärztlich attestierte Hypertonie und Sturzneigung reichten für sich genommen bereits aus, um Zweifel an der Eignung des Seniors zum Führen von Kraftfahrzeugen zu begründen; erst recht gelte dies in der Gesamtschau der vielen bekannt gewordenen weiteren Umstände. Anlässlich der Verkehrsunfallaufnahmen 2017 und 2021 habe er einen verwirrten Eindruck und teilweise nicht nachvollziehbare Angaben zum Unfallgeschehen gemacht. Im Übrigen seien im Rahmen der Verkehrsunfallaufnahme viele alte Unfallschäden am Pkw vorgefunden worden, deren Entstehung nicht nachvollziehbar, sondern vielmehr mit sich widersprechenden Angaben erklärt worden sei. All dies begründe erhebliche Eignungszweifel. Die dem Senior eingeräumte Frist von vier Monaten zur Vorlage des Gutachtens sei angemessen gewesen. Er habe im Juni des Jahres auch die Möglichkeit zur Wahrnehmung eines Gutachtertermins gehabt. Diesen habe er jedoch in vorwerfbarer Weise nicht wahrgenommen.
Quelle | VG Trier, Beschluss vom 13.9.2022, 1 L 2108/22.TR, PM 24/22
| Das Kammergericht (KG) Berlin hat sich in zwei aktuellen Entscheidungen mit verbotenen Kraftfahrzeugrennen befasst. Dabei ging es vor allem um die Frage, ob eine nur kurze Fahrstrecke bereits das Vorliegen eines „Rennens“ ausschließt. |
„Rennen“ auch bei nur geringer Distanz?
In dem einen Beschluss (vom 18.5.2022) wies das KG darauf hin, dass ein sog. Kraftfahrzeugrennen auch bei einer nur kurzen Renndistanz gegeben sein kann. Gerade die Ermittlung und der Abgleich der für Fahrer hochmotorisierter Fahrzeuge oft wichtigen Beschleunigungspotenziale erfordere keine langen Wegstrecken. Deshalb stehe auch eine mit 50 Meter recht kurze Renndistanz einer Würdigung des Geschehens als Kraftfahrzeugrennen nicht entgegen.
Einzelrennen: nicht angepasste Geschwindigkeit
Gegenstand des anderen Beschlusses (vom 29.4.2022) war ein sog. Einzelrennen. Das KG bekräftigt darin die Auffassung, wonach für die Frage, ob von einer nicht angepassten Geschwindigkeit im Sinne des Strafgesetzbuchs (hier: § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB) auszugehen ist, entscheidend ist, ob das Fahrzeug bei der Geschwindigkeit noch sicher beherrscht werden kann. Dabei stelle die zulässige Höchstgeschwindigkeit lediglich ein Indiz dar. Eine Fortbewegung mit nicht angepasster Geschwindigkeit sei ein gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen verstoßendes oder der konkreten Verkehrssituation zuwiderlaufendes Fahren, wobei die Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnissen anzupassen ist. Darüber hinaus richte sich die angepasste Geschwindigkeit auch nach der Leistungsfähigkeit des Fahrzeugführers sowie dem technischen Zustand des Fahrzeugs.
Quelle | KG Berlin, Beschluss vom 18.5.2022, 3 Ss 16/22, Abruf-Nr. 230208 unter www.iww.de; Beschluss vom 29.4.2022, (2) 161 Ss 51/22 (15/22), Abruf-Nr. 230209 unter www.iww.de
| Der Geschädigte ist grundsätzlich berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen sogar, wenn der Schädiger bereits einen eigenen Sachverständigen beauftragt hatte. Das hat jetzt das Amtsgericht (AG) Berlin-Mitte entschieden. |
Liegt zu dem Zeitpunkt, in dem der Geschädigte ein Gutachten einholt, bereits ein Gutachten des Schädigers vor, darf der Geschädigte aufgrund des Grundsatzes der Waffengleichheit das Einholen eines eigenen Gutachtens für erforderlich halten. Dies gilt selbst dann, wenn keine Zweifel an der Objektivität oder Richtigkeit des Erstgutachtens bestehen.
Grund dafür ist die Schutzwürdigkeit des Geschädigten nach einem konkreten Schadensfall. Um sich vor einem hypothetischen Szenario schützen zu können, in dem der Haftpflichtversicherer des Schädigers von der Werkstatt in Rechnung gestellte Instandsetzungskosten als nicht unfallbedingt oder überhöht zu bezahlen ablehnt, muss der Geschädigte die Möglichkeit haben, diese Kosten substanziiert und beweiskräftig gerichtlich einzuklagen.
Quelle | AG Berlin Mitte, Urteil vom 2.9.2022, 104 C 40/22 V, Abruf-Nr. 231373 unter www.iww.de
| Die öffentliche Hand muss dafür sorgen, dass auf Freiflächen, die wie Parkplätze aussehen, keine Baumstümpfe stehen, die Autos beschädigen können. Das Landgericht (LG) Köln entschied nun, dass die Klägerin von der beklagten Stadt teilweise Schadenersatz für ihren beschädigten Pkw erhält. |
Das war geschehen
Die Klägerin wollte ihren Pkw nach Einbruch der Dunkelheit in Köln Mülheim auf einem unbefestigten, nicht gepflasterten Streifen von ca. 1,5 qm neben der Straße parken. Hinter der Freifläche, auf der früher Bäume standen, verlief ein gepflasterter Gehweg. Rechts und links davon war alles asphaltiert. Andere Pkw hatten dort geparkt. Ein Schild wies auf die Parkmöglichkeit in diesem Bereich während des Wochenmarktes hin. Bei der regelmäßigen Begehung der Fläche, zuletzt am Vortag des Unfalls der Klägerin, fielen keine Verschmutzungen oder Laubbedeckungen auf. Mittlerweile ist der Platz umgestaltet und erneuert worden. Die Klägerin behauptet, mit ihrem Pkw auf einen 20 bis 25 cm hohen Baumstumpf aufgefahren zu sein, der auf der unbefestigten Freifläche gestanden habe. Ihr sei dadurch ein Schaden von über 3.000 Euro netto entstanden.
Hälftiger Schadenersatz
Das LG sprach der Klägerin nur die Hälfte des geltend gemachten Schadenersatzes zu. Grund: Die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflichten verletzt, indem sie den Baumstumpf auf der Freifläche, die sich neben den asphaltierten Parkflächen befand, nicht so entfernt hat, dass ein Fahrzeug beim Abstellen nicht beschädigt wird. Diese Pflicht habe die Beklagte getroffen, weil sie damit rechnen musste, dass Verkehrsteilnehmer diese Freifläche für einen Parkplatz halten konnten. Die Beklagte war auch für die Freifläche als Trägerin der Straßenbaulast für Gemeindestraßen zuständig. Zur öffentlichen Straße gehören dabei auch befestigte Seitenstreifen, Parkplätze und Parkflächen. Dadurch, dass die Beklagte den Baumstumpf auf der von der Klägerin benannten Freifläche weder vollständig entfernt hatte, noch kenntlich machte oder ein Befahren der Fläche verhinderte, verletzte sie auch die ihr obliegende Amtspflicht.
Unfallhergang plausibel
Die Kammer war davon überzeugt, dass sich der Unfall so abgespielt hat, wie die Klägerin dies geschildert hat. Zwei Beifahrerinnen haben als Zeuginnen ausgesagt und die Angaben der Klägerin bestätigt. Der Beklagten war es auch zuzumuten, Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen. Dass dieser Baumstumpf eine Gefahrenquelle darstellt, hätte bei einer regelmäßigen Kontrolle auffallen müssen.
Nach Einbruch der Dunkelheit ist besondere Sorgfalt gefordert
Aber: Die Klägerin treffe ein Mitverschulden von 50 Prozent. Sie hätte bei den schlechten Sichtverhältnissen nach Einbruch der Dunkelheit besser auf eventuelle Hindernisse achten müssen.
Quelle | LG Köln, Urteil vom 24.11.2022, 5 O 94/22