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Verkehrsrecht

Bußgeldverfahren: Handy oder Haarbürste – das ist die Frage

| Mitunter kommt es zu „interessanten“ Erklärungsversuchen, um sich einem Bußgeld zu entziehen. Das Amtsgericht (AG) Frankfurt a. M. hat entschieden: Es handelt sich um eine bloße Schutzbehauptung, wenn ein Verkehrsteilnehmer angibt, er habe statt eines Mobiltelefons lediglich eine Bürste benutzt, um sich den Bart zu kämmen. |

Der Betroffene war mit einem von ihm gelenkten Omnibus in eine Polizeikontrolle zur Feststellung von „Handyverstößen“ geraten. Ein Beamter fertigte eine Fotosequenz an, auf der zu erkennen war, dass der Betroffene einen weißen Gegenstand mit der rechten Hand an sein rechtes Ohr hält. Im Verfahren trug der Betroffene Zweierlei vor: Zum einen habe er mit dem Fahrzeug bei dem vermeintlichen Bußgeldverstoß gestanden. Zum anderen würden die aufgenommenen Bilder lediglich zeigen, dass er seinen Bart mit einer weißen Bürste kämme. Es sei auch zu sehen, dass sich seine Hände gar nicht am Lenkrad befunden hätten.

Trotz seiner Einwände hat das AG gegen den Betroffenen wegen vorschriftswidrigen Benutzens eines Mobiltelefons eine Geldbuße in Höhe von 180 Euro festgesetzt. Die Benutzung einer weißen Haarbürste stelle eine bloße Schutzbehauptung dar. Die in der Hauptverhandlung in Augenschein genommene Bürste habe eine geschwungene, zu den Ecken hin abgerundete Form aufgewiesen, währenddessen auf den Bildern ein rechteckiger Gegenstand durch das bloße Anlegen eines Lineals zu erkennen gewesen sei. Des Weiteren zeige die Fotosequenz das benutzte Gerät immer an gleicher Stelle. Ein Kämmvorgang setze zwangsläufig eine Kammführung nach unten und/oder zur Seite voraus, die den Bildern nicht zu entnehmen sei. Die Bildsequenz belege auch, dass sich der Bus bewegt habe. Der Einwand, das Fahrzeug könne nicht in Bewegung gewesen sein, weil sich keine Hand am Lenkrad befunden habe, gebe zwar u. U. Anlass zu einer allgemeinen Überprüfung der Fahreignung, rechtfertige aber indes nicht den gewünschten Rückschluss auf ein stehendes Fahrzeug. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.

Quelle | AG Frankfurt a. M., Urteil vom 16.6.2020, 971 Owi 363 Js 72112/19, PM Nr. 1/2021

Bußgeldverfahren: Besser kein Handy zwischen Ohr und Schulter

| Die Nutzung eines zwischen Ohr und Schulter eingeklemmten Mobiltelefons während der Fahrt kann ein Bußgeld nach sich ziehen. Dies hat jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Köln entschieden. |

Auf einem im Rahmen einer Geschwindigkeitsmessung aufgenommenen Messfoto war zu erkennen, dass die Fahrzeugführerin ein Mobiltelefon zwischen der Schulter und dem Kopf eingeklemmt hatte. Sie hatte im gerichtlichen Verfahren auch eingeräumt, dass sie dieses zum Telefonieren genutzt habe. Sie habe aber das Telefon bereits vor Fahrtantritt in der abgebildeten Haltung gehabt und war der Auffassung, dass es sich hierbei nicht um ein „Halten“ im Sinne der Verordnung handele, da dieses ein Halten in der Hand voraussetzte. Gleichwohl war sie vom Amtsgericht (AG) zu einem Bußgeld verurteilt worden, wogegen sie sich mit der Rechtsbeschwerde zur Wehr setzen wollte.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das OLG ausgeführt: Sprachlich setze das „Halten“ eines Gegenstands nicht notwendig die Benutzung der Hände voraus. Das Bußgeld stehe auch mit dem Zweck der Verordnung in Einklang: In dem Einklemmen des Mobiltelefons liege ein erhebliches Gefährdungspotenzial, weil das Risiko bestehe, dass das Mobiltelefon sich aus seiner „Halterung“ lösen könne und den Fahrer dann zu unwillkürlichen Reaktionen verleite, um zu verhindern, dass es etwa im Fußraum des Fahrzeugs unauffindbar wird. Bereits um diesem Risiko entgegenzuwirken, werde der Fahrer einen ansonsten dem Verkehrsgeschehen zuzuwendenden Teil seiner Aufmerksamkeit seinem Mobiltelefon schenken. Dieser Umstand unterscheide eine solche Nutzung eines Mobiltelefons auch von der mittels einer Freisprecheinrichtung, bei der sich der Fahrer um die Stabilität der Halterung regelmäßig keine Gedanken machen müsse.

Quelle | OLG Köln, Beschluss vom 4.12.2020, III-1 RBs 347/20; PM vom 20.1.2021

Schadenersatz: Mietwagenkosten auch ohne Ersatzbeschaffung

| Auch wenn der Geschädigte nach dem Unfall mit Totalschaden keinen anderen Pkw kauft, muss der Versicherer die Mietwagenkosten erstatten, soweit er den Verzicht auf ein Ersatzfahrzeug sinnvoll erklären kann. Es kann nicht daraus geschlossen werden, dass ein Nutzungswille fehlt, entschied jetzt das Amtsgericht (AG) Bochum. |

Der Unfall hatte dazu geführt, dass der (ältere) Geschädigte sich nach und nach im Straßenverkehr nicht mehr sicher fühlte. Daraufhin gab er das Autofahren auf. Bereits das Nutzen des Mietwagens zeige aber, so das AG, dass der Geschädigte ursprünglich einen Nutzungswillen hatte.

Quelle | AG Bochum, Urteil vom 19.11.2020, 45 C 139/20, Abruf-Nr. 219355 unter www.iww.de

Stadt Berlin: Vorerst kein Rückbau von Pop-up-Radwegen

| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat entschieden: Die temporären Radfahrstreifen (sog. Pop-up-Radwege) im Berliner Stadtgebiet müssen vorerst nicht zurückgebaut werden. Damit hat es auf die Beschwerde des Landes Berlin den Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin vom 4.9.2020 aufgehoben, dessen Vollziehung bereits im Oktober 2020 vorläufig ausgesetzt worden war. |

Voraussetzungen für die Anordnung von Radwegen

Das VG hatte dem Antrag eines Verkehrsteilnehmers auf Beseitigung der Radfahrstreifen stattgegeben, weil die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz die Voraussetzungen für die Einrichtung der Verkehrsanlagen nicht hinreichend dargelegt hatte. Radwege dürften nur dort angeordnet werden, wo Verkehrssicherheit, Verkehrsbelastung und/oder der Verkehrsablauf ganz konkret auf eine Gefahrenlage hinwiesen und die Anordnung damit zwingend erforderlich sei. Im Beschwerdeverfahren hat die zuständige Senatsverwaltung erstmals die erforderliche Gefahrenprognose durch Verkehrszählungen, Unfallstatistiken u.ä. belegt sowie die straßenverkehrsbehördlichen Anordnungen durch verkehrsbezogene Ermessenserwägungen ergänzt.

Sicherheitsgründe: Trennung von Rad- und Kraftfahrzeugverkehr

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das OVG u.a. ausgeführt: Unter Berücksichtigung der nun vorgelegten Unterlagen sei der Beschluss des VG mit überwiegender Wahrscheinlichkeit im Ergebnis fehlerhaft. Der Antragsgegner habe jetzt zutreffend auf die Kriterien der Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA 2010) der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen abgestellt, um die Gefahrenlagen anhand der jeweils ermittelten Verkehrsstärken im Verhältnis zu den gefahrenen Geschwindigkeiten beurteilen zu können. Danach seien die maßgeblichen Straßenzüge überwiegend den Belastungsbereichen III oder IV zuzuordnen, bei denen eine Trennung des Radverkehrs vom Kraftfahrzeugverkehr aus Sicherheitsgründen gefordert sei. Dieser öffentliche Belang überwiege die privaten Interessen des Antragstellers.

Minimale Fahrzeitverlängerung eines Autofahrers

Als eigenen Belang habe er nur pauschal geltend gemacht, sich wegen Staus nicht wie gewohnt durch die Stadt bewegen zu können. Die von ihm zum Nachweis der behaupteten Fahrzeitverlängerung im Beschwerdeverfahren nachgereichten Zahlen bezögen sich auf das gesamte Land Berlin und das Jahr 2019. Sie seien daher bereits im Ansatz ungeeignet, Stauzeiten durch die erst im Frühjahr 2020 angelegten Radfahrstreifen auf den hier maßgeblichen Straßenabschnitten zu belegen. Nach den vom Antragsgegner für die konkreten Straßenabschnitte eingereichten Unterlagen verlängerten sich die Fahrtzeiten nur minimal. Dies sei vom Antragsteller bis zur Entscheidung über seine Klage hinzunehmen.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Quelle | OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6.1.2021, OVG 1 S 115/20; PM 1/21 vom 6.1.2021

Hinterbliebenengeld: Auf konkrete gesundheitliche Auswirkungen kommt es nicht an

| Mit dem Berechnungsansatz von Hinterbliebenengeld nach einem Verkehrsunfalltod hat sich das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz befasst. Es stellt klar: Hinterbliebenengeld ist kein Ausgleich für den Verlust eines Lebens, sondern eine Entschädigung für die Trauer und das seelische Leid, den dieser auslöst. |

Das war geschehen

Der Kläger hatte wegen des Unfalltods seines Sohnes den Unfallgegner sowie den Halter und die Haftpflichtversicherung des unfallbeteiligten Fahrzeugs auf Zahlung von Hinterbliebenengeld in Anspruch genommen. Dabei hatte er ein hälftiges Mitverschulden seines Sohnes am Zustandekommen des Unfalls eingeräumt. Die Haftpflichtversicherung zahlte unter Berücksichtigung einer Mitverschuldensquote von 50 Prozent ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 3.750 Euro. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, das Hinterbliebenengeld sei höher anzusetzen und die Zahlung von weiteren 8.750 Euro geltend gemacht.

Das entschied die Vorinstanz

Das Landgericht (LG) sah einen Zahlungsanspruch von lediglich weiteren 750 Euro, mithin ein Hinterbliebenengeld in Höhe von insgesamt 4.500 Euro (50 Prozent von 9.000 Euro). Hierbei orientierte es sich daran, dass der Gesetzgeber in seiner Kostenschätzung von einer durchschnittlichen Entschädigung in Höhe von 10.000 Euro ausgegangen sei und bemaß den konkreten Betrag ähnlich einem Schmerzensgeld.

Das entschied das Oberlandesgericht

Das OLG Koblenz hat diesen Berechnungsansatz bestätigt und eine Berufung des Klägers daher für nicht erfolgversprechend eingeschätzt. Seine Begründung: Was der Verlust eines Menschen für seine Hinterbliebenen bedeutet, kann nicht in Geld bemessen werden. Das Hinterbliebenengeld ist daher auch kein Ausgleich für den Verlust eines Lebens. Es ist vielmehr eine Entschädigung für die Trauer und das seelische Leid, die durch den Verlust eines besonders nahestehenden Menschen ausgelöst werden.

10.000 Euro als Richtschnur

Für die Höhe des Hinterbliebenengeldes ist weder eine feste Ober- noch eine feste Untergrenze vorgegeben. Eine Orientierungshilfe bietet jedoch die im Gesetzgebungsverfahren vorgenommene Kostenschätzung, bei der ein durchschnittlicher Entschädigungsbetrag von 10.000 Euro zugrunde gelegt wurde. Ausgehend hiervon wird die konkrete Höhe des Hinterbliebenengeldes im Einzelfall nach denselben Grundsätzen bestimmt, die bei der Bemessung eines Schmerzensgeldes, das wegen des Todes eines nahen Angehörigen zu zahlen ist, gelten.

Schmerzensgeld geht vor

Es ist aber zu berücksichtigen, dass das Hinterbliebenengeld gegenüber einem Anspruch auf Schmerzensgeld nachrangig ist und die Fälle abdeckt, in denen die Trauer und das seelische Leid bei dem Hinterbliebenen nicht zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung wie sie Voraussetzung für die Geltendmachung eines Schmerzensgeldes ist geführt haben. Das Hinterbliebenengeld wird daher im Regelfall nicht die Höhe eines Schmerzensgeldes erreichen.

Quelle | OLG Koblenz, Beschluss vom 31.8.2020, 12 U 870/20; PM vom 13.1.2021

Keine unzumutbare Härte: Fahrerlaubnis darf auch während der Corona-Pandemie entzogen werden

| Das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz hat in einem Eilverfahren entschieden: Der Entzug der Fahrerlaubnis begründet auch dann keine unzumutbare Härte, wenn der Betroffene wegen der Corona-Pandemie besonders auf das Führen eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist. |

„Punkte-Konto“ war voll

Nach dem Gesetz gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis u. a. dann als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wenn sich nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem ein Stand von acht oder mehr Punkten ergibt und die Fahrerlaubnis ist zu entziehen. Da dies bei dem Antragsteller der Fall war, entzog ihm die zuständige Fahrerlaubnisbehörde seine Fahrerlaubnis. Das hiergegen angestrengte Eilverfahren, mit dem er u. a. geltend machte, er müsse seine Tochter mit dem Auto zur Schule bringen und Versorgungsfahrten für seine Eltern durchführen, die wegen der Corona-Pandemie außer ihm niemanden mehr in ihr Haus ließen, blieb ohne Erfolg.

Keine unzumutbare Härte in der Pandemie-Situation

Negative Auswirkungen, wie sie der Antragsteller geltend mache, seien vom Gesetzgeber bei der Schaffung der einschlägigen Bestimmungen bedacht, aber zum Schutze anderer Verkehrsteilnehmer hingenommen worden. Sie führten deswegen regelmäßig auch nicht zu einer unzumutbaren Härte. Ungeeignete Kraftfahrer, so das VG, gefährdeten das Leben und die körperliche Unversehrtheit der übrigen Verkehrsteilnehmer. Das gelte auch während der Corona-Krise.

Gegen diese Entscheidung steht den Beteiligten die Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz zu.

Quelle | VG Koblenz, Beschluss vom 1.12.2020, 4 L 1078/20.KO

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde: Bußgeldverfahren: Betroffene müssen Zugang zu außerhalb der Bußgeldakte befindlichen Informationen erhalten

| Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, die den Zugang des Betroffenen im Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitung zu Informationen betrifft, die nicht Teil der Bußgeldakte waren. Die Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen. |

Das wollte der Betroffene

Der Betroffene begehrte zunächst im Rahmen des behördlichen Bußgeldverfahrens wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung erfolglos Zugang zu Informationen, u. a. der Lebensakte des verwendeten Messgeräts, dem Eichschein und den sogenannten Rohmessdaten, die sich nicht in der Bußgeldakte befanden. Sein gegen den anschließend erlassenen Bußgeldbescheid eingelegter Einspruch blieb erfolglos. Das BVerfG: Dies verletzte den Betroffenen in seinem Recht auf ein faires Verfahren.

So argumentierte das BVerfG

Von Verfassungs wegen ist nicht zu beanstanden, dass die Fachgerichte von einer reduzierten Sachverhaltsaufklärungs- und Darlegungspflicht im Fall eines standardisierten Messverfahrens ausgegangen sind. Bei diesen Messverfahren sind geringere Anforderungen an die Beweisführung und die Urteilsfeststellungen der Fachgerichte zu stellen. Bestehen keine Bedenken gegen die Richtigkeit des Messergebnisses, genügt deshalb zum Nachweis eines Geschwindigkeitsverstoßes grundsätzlich die Mitteilung des eingesetzten Messverfahrens, der ermittelten Geschwindigkeit nach Abzug der Toleranz und des berücksichtigten Toleranzwerts. Bei standardisierten Messverfahren sind daher im Regelfall ohne konkrete Anhaltspunkte für eventuelle Messfehler die Feststellungs- und Darlegungspflichten des Tatgerichts reduziert.

Dem Betroffenen bleibt aber die Möglichkeit, das Tatgericht auf Zweifel aufmerksam zu machen und einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen. Hierfür muss er konkrete Anhaltspunkte für technische Fehlfunktionen des Messgerätes vortragen. Die bloße Behauptung, die Messung sei fehlerhaft, begründet für das Gericht keine Pflicht zur Aufklärung.

Aus dem Recht auf ein faires Verfahren folgt aber auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren das Recht, Kenntnis von solchen Inhalten zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlung entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden. Wenn der Betroffene Zugang zu Informationen begehrt, die sich außerhalb der Gerichtsakte befinden, um sich Gewissheit über Tatsachen zu verschaffen, die seiner Entlastung dienen, ist ihm dieser Zugang grundsätzlich zu gewähren. Dies bedeutet allerdings nicht, dass das Recht auf Zugang zu den außerhalb der Akte befindlichen Informationen unbegrenzt gilt.

Verhältnismäßigkeit muss gegeben sein

Gerade im Bereich massenhaft vorkommender Ordnungswidrigkeiten ist in Hinblick auf die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege eine sachgerechte Eingrenzung des Informationszugangs geboten. Die begehrten, hinreichend konkret benannten Informationen müssen deshalb zum einen in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Ordnungswidrigkeitenvorwurf stehen und zum anderen eine Relevanz für die Verteidigung aufweisen, um eine uferlose Ausforschung, erhebliche Verfahrensverzögerungen und Rechtsmissbrauch zu verhindern. Insofern ist maßgeblich auf die Perspektive des Betroffenen bzw. seines Verteidigers abzustellen. Entscheidend ist, ob dieser eine Information für die Beurteilung des Ordnungswidrigkeitenvorwurfs für bedeutsam halten darf.

Versäumnisse der Fachgerichte

Das BVerfG beanstandete hier, die Fachgerichte hätten bereits verkannt, dass aus dem Recht auf ein faires Verfahren grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen folgt.

Entgegen der Annahme der Fachgerichte kam es dem Betroffenen insbesondere nicht auf die Erweiterung des Aktenbestands oder der gerichtlichen Aufklärungspflicht an. Vielmehr ging es ihm um die Möglichkeit einer eigenständigen Überprüfung des Messvorgangs, um gegebenenfalls bei Anhaltspunkten für die Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses die Annahme des standardisierten Messverfahrens erschüttern zu können.

Quelle | BVerfG, Beschluss vom 12.11.2020, 2 BvR 1616/18

Autokauf: „Gekauft wie gesehen“ gilt nicht bei Arglist

| Die Klage auf Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen gebrauchten Pkw wegen arglistiger Täuschung des Käufers hatte vor dem Landgericht (LG) Coburg überwiegend Erfolg. Nur für die zwischenzeitlich gefahrenen Kilometer musste der Kläger Abzüge hinnehmen. |Sachverhalt

Der Kläger hatte im Jahr 2018 vom Beklagten einen damals sieben Jahre alten Pkw mit einer Laufleistung von 122.000 km zum Preis von 10.500 Euro gekauft und hierbei auch einen Gewährleistungsausschluss vereinbart. Zugleich hatte der beklagte Verkäufer dem Kläger jedoch zugesichert, dass das Fahrzeug keinen Unfallschaden erlitten habe, solange es im Eigentum des Beklagten war und dass mit Ausnahme eines Schadens an der Frontstoßstange keine weiteren Beschädigungen vorlägen. In der Folgezeit wurde der Pkw nach einem Unfall des Klägers begutachtet. Dabei wurden verschiedene unreparierte und auch reparierte Vorschäden festgestellt. Tatsächlich war das Fahrzeug nämlich schon vor dessen Erwerb durch den Beklagten, dem späteren Verkäufer, bei einem Unfall beschädigt worden und musste für mehr als 5.000 Euro repariert werden.

Daraufhin focht der Kläger den Kaufvertrag an und verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises. Er behauptete, der Verkäufer habe das Fahrzeug von seinem Bruder gekauft und sei in dem ihn betreffenden Kaufvertrag auf einen reparierten Unfallschaden hingewiesen worden. Der Beklagte berief sich darauf, die Unfallfreiheit des Fahrzeuges nur für die Zeit seines Besitzes zugesichert zu haben. Zu der Frage, ob der Beklagte von dem Unfall des Fahrzeugs während der Besitzzeit seines Bruders wusste, machte der Beklagte teilweise widersprüchliche Angaben. Außerdem sei der Schaden repariert worden und der Kläger hätte ausreichend Gelegenheit zur Besichtigung des Pkw vor dem Kauf gehabt. Eine arglistige Täuschung durch das Verschweigen des Unfallschadens stritt der beklagte Verkäufer ab.

Landgericht erkennt arglistige Täuschung

Das LG sah im Verhalten des Beklagten eine arglistige Täuschung und gab der KIage überwiegend statt. Danach besteht für den Verkäufer eines gebrauchten Kraftfahrzeugs die Verpflichtung, den potenziellen Käufer auch ungefragt auf bekannte Mängel oder frühere Unfallschäden hinzuweisen, selbst dann, wenn der Schaden bereits fachgerecht repariert wurde. Eine Ausnahme gilt nur für sogenannte Bagatellschäden, also ganz geringfügige äußere Schäden, beispielsweise im Lack. Angesichts der Reparaturkosten von mehr als 5.000 Euro liegt eine solche Ausnahme hier jedoch nicht vor, sodass eine Aufklärung des Klägers über diesen Unfallschaden auch geboten war.

Weil dem Beklagten aber dieser frühere Unfallschaden tatsächlich bekannt war, handelte er nach der Entscheidung des LG auch arglistig, als er den Käufer nicht darüber informierte. Dafür ist es ausreichend, dass es der Verkäufer zumindest billigend in Kauf nimmt, dass der Käufer bei wahrheitsgemäßer Information den Vertrag nicht oder jedenfalls nicht mit diesem Inhalt oder zu diesem Preis geschlossen hätte. Die Vertragsanfechtung des Klägers war damit wirksam und der Kaufvertrag war rückgängig zu machen.

Der beklagte Verkäufer musste deshalb das Fahrzeug zurücknehmen und den Kaufpreis an den Kläger zurückzahlen. Hierbei war jedoch ein Abzug für die vom Kläger zwischenzeitlich gefahrenen fast 20.000 Kilometer im Wege des sogenannten „Vorteilsausgleichs“ vorzunehmen, ein Betrag von knapp 2.700 Euro. Außerdem wurde der Beklagte zur Zahlung von Zinsen und Rechtsanwaltskosten des Klägers verurteilt.

Quelle | LG Coburg, Urteil vom 24.9.2020, 15 O 68/19

Sanktionen: Nicht zu unterschätzen: Rücksichtslosigkeit bei der Straßenverkehrsgefährdung

| Oft geht es bei Verkehrsunfällen nicht „bloß“ um ein Bußgeld. Schnell kann auch eine strafrechtliche Verurteilung im Raum stehen, z. B., wenn im Rahmen einer Straßenverkehrsgefährdung eine sog. Rücksichtslosigkeit nachgewiesen wird. Doch wann ist ein Verhalten in diesem Sinn rücksichtslos? Zwei Oberlandesgerichte (OLG) haben sich in der letzten Zeit mit dieser Frage befasst. |

1. Wann ist eine Straßenverkehrsgefährdung rücksichtslos?

Rücksichtslos handelt, wer sich zwar seiner Pflichten als Verkehrsteilnehmer bewusst ist, sich aber aus eigensüchtigen Gründen, etwa seines ungehinderten Fortkommens wegen, darüber hinwegsetzt. Das gilt auch, wenn derjenige darauf vertraut hat, dass es zu einer Beeinträchtigung anderer Personen nicht kommen werde.

Das OLG Karlsruhe hat jetzt ergänzt: Rücksichtslos handelt auch, wer sich aus Gleichgültigkeit nicht auf seine Pflichten besinnt und Hemmungen gegen seine Fahrweise gar nicht erst aufkommen lässt kurz: unbekümmert um die Folgen seiner Fahrweise drauflosfährt.

Hierauf, so betont es das OLG, kann allerdings nicht schon aus den äußeren Umständen geschlossen werden, wenn ein Verkehrsteilnehmer in einer leichten Rechtsbiegung der Bundesstraße bei einer einsehbaren Überholstrecke bis zu 250 Metern einen Überholvorgang mit konkreter Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer durchführt, obwohl hier wenigstens 320 Meter erforderlich gewesen wären. Rücksichtslos handelt ein Verkehrsteilnehmer auch nicht, wenn er vor einem Überholvorgang in verkehrstypischer Weise wiederholt bis an die gestrichelte Mittellinie heranfährt, um zur Verbesserung seiner Sicht an einem zu überholenden Lkw vorbeizuschauen.

2. Gefahr und Risiko müssen zusammenhängen

Eine o. g. Strafbarkeit setzt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der konkreten Gefahr und den durch die Unübersichtlichkeit der Strecke begründeten Risiken voraus. So hat es jetzt das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) entschieden. Die Richter: Dieser Zusammenhang kann nur festgestellt werden, wenn auszuschließen ist, dass die konkrete Gefahr nur gelegentlich des zu schnellen Fahrens entstanden ist, also positiv festzustellen ist, dass die Gefahr ohne die Unübersichtlichkeit des Streckenverlaufs nicht eingetreten wäre.

Im vorliegenden Fall hatte ein Pkw-Fahrer eine unübersichtliche Mehrfachkurve in einem Waldstück mit stark überhöhter Geschwindigkeit passiert, was zum Kontrollverlust über den Pkw führte. Durch den hieraus resultierenden Verkehrsunfall verursachte er sorgfaltspflichtwidrig den Tod seiner Beifahrerin. Der Pkw-Fahrer musste sich hier einen groben Verkehrsverstoß zurechnen lassen. Jetzt muss die Vorinstanz noch einmal prüfen, ob die o.g. Voraussetzungen tatsächlich vorgelegen haben.

Quelle | OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5.8.2020, 1 Rv 34 Ss 406/20, Abruf-Nr. 218013 unter www.iww.de; BayObLG, Beschluss vom 22.7.20, 207 StRR 245/20, Abruf-Nr. 218008 unter www.iww.de

Elektromobilität: Falschparker auf Sonderparkplatz für Elektrofahrzeuge darf abgeschleppt werden

| Wird ein nicht elektrisch betriebenes Fahrzeug auf einem Sonderparkplatz für Elektrofahrzeuge abgestellt, rechtfertigt die damit einhergehende Funktionsbeeinträchtigung dieser Verkehrsfläche eine Abschleppmaßnahme regelmäßig auch ohne konkrete Behinderung eines im Sinne des Elektromobilitätsgesetzes (§ 2 EmoG) bevorrechtigten Fahrzeugs. |

So hat es jetzt das Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen entschieden. Es wies zudem darauf hin, dass in einem solchen Fall der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Regel nicht erfordert, dass eine bestimmte Wartezeit eingehalten wird.

Durch das unberechtigte Parken und die damit bereits eingetretene Störung der öffentlichen Sicherheit in Gestalt einer Verletzung der Rechtsordnung wurde die mit der Ausweisung des Sonderparkplatzes verbundene Funktion, das bloße Parken von allein berechtigten Elektrofahrzeugen zu ermöglichen, beeinträchtigt. Die damit einhergehende Funktionsbeeinträchtigung dieser Verkehrsfläche rechtfertigte die Abschleppmaßnahme. Der parkvorberechtigte Personenkreis soll darauf vertrauen können, dass der gekennzeichnete Parkraum diesem jederzeit zur Verfügung steht.

Ein Abschleppvorgang ist deshalb auch ohne konkrete Beeinträchtigung des bevorrechtigten Personenkreises grundsätzlich angemessen. Dies sei, so das VG, darin gerechtfertigt, dass in aller Regel zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Erlass einer Abschleppanordnung weder absehbar ist, wann das nächste parkberechtigte (Elektro-) Fahrzeug dort eintreffen wird, noch eingeschätzt werden kann, wann der Verantwortliche das dort unberechtigt abgestellte Fahrzeug selbst wegfahren wird.

Ebenfalls ist die Abschleppmaßnahme verhältnismäßig, weil durch das Vorhandensein eines Sonderparkplatzes für Elektrofahrzeuge die diesbezüglichen Fahrer darauf vertrauen können sollen, diesen Platz auch immer nutzen bzw. einen freien vorfinden zu können.

Schließlich war es im Fall des VG insbesondere nicht offenkundig, dass mit einer Inanspruchnahme der ausgewiesenen Parkfläche durch bevorrechtigte Elektrofahrzeuge an einem Freitag nach 18.00 Uhr nicht mehr zu rechnen war.

Quelle | VG Gelsenkirchen, Urteil vom 23.1.2020, 17 K 4015/18