| Zur Klärung von Zweifeln an der Fahreignung ist auch dann ein medizinisch-psychologisches Gutachten (MPU) beizubringen, wenn der Betroffene bei einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug zwar eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von weniger als 1,6 Promille aufwies, bei ihm aber trotz einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille oder mehr keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen festgestellt wurden. |
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschied jetzt: In einem solchen Fall begründet dies die Annahme von (künftigem) Alkoholmissbrauch. Die dadurch hervorgerufenen Zweifel an der Fahreignung muss die Fahrerlaubnisbehörde dann durch die Anforderung einer MPU klären.
Sachverhalt
In dem betreffenden Verfahren begehrt der Kläger die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis. Nach einer Trunkenheitsfahrt, bei der die Blutprobe eine Blutalkoholkonzentration von 1,3 Promille ergeben hatte, verurteilte ihn das Strafgericht wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und entzog ihm die Fahrerlaubnis. Als der Kläger bei der beklagten Stadt die Neuerteilung der Fahrerlaubnis beantragte, forderte sie ihn auf, eine MPU beizubringen, um die Frage zu klären, ob er trotz der Hinweise auf Alkoholmissbrauch ein Fahrzeug sicher führen könne und nicht zu erwarten sei, dass er ein Kraftfahrzeug unter einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholeinfluss führen werde. Weil der Kläger ein solches Gutachten nicht vorlegte, lehnte die Beklagte seinen Neuerteilungsantrag ab.
Uneinigkeit der Gerichte
Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht (VG) Kassel abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) das Urteil geändert und die Beklagte verpflichtet, die beantragte Fahrerlaubnis ohne vorheriges Beibringen einer MPU zu erteilen. Entgegen der Auffassung der Beklagten und des VG genüge bei der dem Kläger vorzuhaltenden einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer BAK von 1,3 Promille allein das Fehlen von Ausfallerscheinungen nicht, um das Anfordern einer MPU zu rechtfertigen.
Höchstrichterliche Entscheidung: MPU erforderlich
Das BVerwG hat das Berufungsurteil geändert und die Berufung des Klägers gegen die erstinstanzliche Entscheidung zurückgewiesen. Danach durfte die Beklagte auf die Nichteignung des Klägers schließen, da er ihr keine positive MPU vorgelegt hatte. Sie hatte von ihm zu Recht die Beibringung eines solchen Gutachtens gefordert. Die Fahrerlaubnisbehörde ordne richtigerweise zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung einer Fahrerlaubnis an, dass eine MPU beizubringen ist, wenn sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen. Alkoholmissbrauch im fahrerlaubnisrechtlichen Sinne liegt vor, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden können.
Giftfestigkeit als aussagekräftige Zusatztatsache
Bei Personen, die aufgrund ihres Trinkverhaltens eine hohe Alkoholgewöhnung erreicht haben, besteht eine erhöhte Rückfallgefahr. Die Giftfestigkeit führt u.a. dazu, dass der Betroffene die Auswirkungen seines Alkoholkonsums auf die Fahrsicherheit nicht mehr realistisch einschätzen kann. Deshalb liegt in dem Umstand, dass der Betroffene trotz eines bei seiner Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug festgestellten hohen Blutalkoholpegels keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen aufwies, eine sog. aussagekräftige Zusatztatsache im Sinne der Fahrerlaubnisverordnung. Dieser zusätzliche tatsächliche Umstand rechtfertigt auch, eine MPU anzufordern.
Nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand kann von einer außergewöhnlichen Alkoholgewöhnung ausgegangen werden, wenn der Betroffene bei seiner Trunkenheitsfahrt eine Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille oder mehr aufwies. Außerdem muss festgestellt und dokumentiert worden sein, dass er dennoch keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen zeigte. Diese Voraussetzungen waren im Fall des Klägers erfüllt.
Quelle | BVerwG, Urteil vom 17.3.2021, 3 C 3.20, PM Nr. 18/21
| Flieht ein Verkehrsteilnehmer mit seinem Pkw vor einem Streifenwagen, um einer Polizeikontrolle zu entgehen, kann dies den Tatbestand des verbotenen Kraftfahrzeugrennens erfüllen. So sieht es das Landgericht (LG) Osnabrück. |
Sachverhalt
Angeklagt war ein zur Tatzeit 20 Jahre alter Mann. Er fiel einer Polizeistreife durch seine Fahrweise auf. Der Angeklagte hatte jedoch nach eigenen Angaben mit einem Freund gewettet, dass er sich nicht erneut von der Polizei anhalten lassen würde, nachdem er schon einige Tage zuvor kontrolliert worden war. Der Angeklagte fuhr deshalb mit hoher Geschwindigkeit durch den Ort davon. Obwohl der Streifenwagen bis auf 130 km/h beschleunigte und Anhaltesignale gab, mussten die Beamten schließlich die Verfolgung abbrechen, um keine unbeteiligten Dritten zu gefährden. Kurze Zeit darauf konnten die Beamten jedoch das Fahrzeug und damit auch den Angeklagten ausfindig machen und ihn zur Rede stellen.
Verbotenes Kraftfahrzeugrennen und Straßenverkehrsgefährdung
Die Staatsanwaltschaft erhob aufgrund seiner Flucht Anklage gegen den jungen Mann zum Amtsgericht (AG) Meppen. Dieses sprach den Angeklagten im Sommer 2020 des verbotenen Kraftfahrzeugrennens und der Straßenverkehrsgefährdung schuldig. Es erlegte ihm unter Anwendung von Jugendrecht eine Geldauflage von 1.000 EUR auf und verpflichtete ihn, an einem Verkehrsunterricht teilzunehmen. Zudem entzog es ihm die Fahrerlaubnis und verfügte eine Sperrfrist von einem Jahr für die Wiedererteilung. Das AG wandte insoweit Jugendrecht an, da sein Verhalten offenkundig Ausdruck jugendlicher Unreife sei.
Das LG bestätigte nun auf die Berufung des Angeklagten diese Entscheidung hinsichtlich der Teilnahme an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen. Es ging damit über die Wertung der Staatsanwaltschaft in der Anklage und des AG in seinem Urteil hinaus. Beide hatten kein tatsächliches Rennen angenommen, sondern die Flucht des Angeklagten rechtlich als verkehrswidrige und rücksichtlose Fortbewegung, also ein quasi „simuliertes Rennen“ ohne zweiten Teilnehmer eingeordnet.
Flucht als Ziel
Das LG erläuterte dazu, die Einordnung der Polizeiflucht als nicht erlaubtes Kraftfahrzeugrennen sei insgesamt bisher kaum diskutiert worden. Es sei aber anerkannt, dass auch die Polizeiflucht vergleichbar einem klassischen Rennen ein Wettbewerbselement aufweise, hier mit dem „Ziel“ der erfolgreichen Flucht. Die Polizeiflucht berge daher dieselben Risiken wie ein verabredetes oder spontanes Rennen mehrerer Kfz aus falsch verstandenem „sportlichem Ehrgeiz“. Es entspreche deshalb dem gesetzgeberischen Willen und auch dem Wortlaut des Gesetzes, die Polizeiflucht als nicht erlaubtes Kraftfahrzeugrennen einzuordnen.
Dabei liege ein tatsächliches Rennen vor, weil mit dem Polizeifahrzeug ein zweiter Pkw beteiligt gewesen sei. Für ein verbotenes Rennen sei nicht erforderlich, dass alle Teilnehmer rechtswidrig handelten. Eine solche Einschränkung ergebe sich weder aus dem Wortlaut noch dem Zweck des Gesetzes. Daher spiele es keine Rolle, dass die Polizei zur Verfolgung und zur Nichteinhaltung der allgemeinen Verkehrsregeln bei der Verfolgung des Flüchtenden berechtigt gewesen sei. Die Beteiligung der Polizei habe der Angeklagte auch als erwartbare Reaktion auf sein rechtswidriges Handeln jedenfalls billigend in Kauf genommen.
Erneute Beweisaufnahme
Anders als das AG vermochte die Kammer nach erneuter Beweisaufnahme allerdings keine konkrete Straßenverkehrsgefährdung durch den Angeklagten bei seiner Flucht festzustellen. Insbesondere konnte keine unmittelbare Gefährdung von Fußgängern festgestellt werden. Weil der Angeklagte zudem zwischenzeitlich arbeitslos geworden war, sanktionierte die Kammer die Tat des Angeklagten statt mit einer Geldauflage wie noch das AG nun mit 80 Stunden gemeinnütziger Arbeit.
Das LG hielt aber an der Entziehung der Fahrerlaubnis fest. Dabei wurde die Sperrfrist bis zu einer möglichen Wiedererteilung im Hinblick auf den zwischenzeitlichen Zeitablauf auf noch drei Monate reduziert.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Osnabrück, Urteil vom 1.3.2021, 13 Ns 16/20, PM Nr. 16/21 vom 23.3.2021
| Das Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth musste sich mit einem Fall befassen, in dem die Käuferin vom Verkäufer die Rückabwicklung eines Wohnwagenkaufvertrags verlangte und dies u. a. damit begründete, dass der Wohnwagen schon bei Übergabe an sie einen Hagelschaden gehabt habe. |
Der beklagte Verkäufer hatte das Fahrzeug seinerseits bereits im Jahr 2014 von einer Firma erworben, wobei der Wohnanhänger im Juli 2013 auf dem Betriebsgelände dieser Firma einen Hagelschaden erlitten hatte. In dem Vertrag zwischen dem Beklagten und der damaligen Verkäuferin ist unter dem Punkt „Unfallfreiheit“ ausdrücklich vermerkt: „Hagel“.
Im August 2019 hat die Klägerin vom Beklagten diesen gebrauchten Wohnanhänger zum Preis von 19.500 Euro erworben. In dem verwendeten Kaufvertragsformular war unter Ziffer II. ein Gewährleistungsausschluss für Sachmängel aufgenommen worden. Unter Ziffer III. hatten die Parteien Folgendes vereinbart: „Der Verkäufer sichert Folgendes zu: (…) Das Fahrzeug hat keine sonstigen Beschädigungen (…)“.
Die Klägerin erfuhr erst im September 2019 aufgrund von Wartungsarbeiten, dass der Wohnanhänger einen Hagelschaden erlitten hatte. Sie verlangte daraufhin vom Beklagten, den Kaufvertrag rückabzuwickeln. Nachdem dieser dazu nicht bereit war, erhob sie Klage zum LG und hatte Erfolg. Der Beklagte muss an die Klägerin 19.500 Euro bezahlen und diese ihm im Gegenzug den Wohnanhänger zurückgeben.
Das LG hat sich zentral mit der Frage auseinandergesetzt, ob einer Rückabwicklung des Kaufvertrags der zwischen den Parteien unter Ziffer II. des Kaufvertrages vereinbarte Gewährleistungsausschluss entgegensteht. Nach Ansicht des Gerichts ist dies nicht der Fall, da das Nichtvorhandensein von Hagelschäden an dem Wohnanhänger Vertragsinhalt zwischen der Klägerin und dem Beklagten geworden sei. Der Beklagte habe in dem Kaufvertragsformular unter „Zusicherung des Verkäufers“ den Punkt „Das Fahrzeug hat keine sonstigen Beschädigungen“ angekreuzt, ohne in das darunter liegende Freitextfeld den Umstand eines Hagelschadens einzutragen, obwohl ihm dieser aufgrund seines eigenen Kaufvertrags bekannt gewesen sei. Auch in seiner Verkaufsanzeige auf einer Online-Plattform habe er nicht auf den Hagelschaden hingewiesen. Der Beklagte habe durch die Angabe, dass der Wohnanhänger „keine sonstigen Beschädigungen“ aufweise, nicht bloß eine Wissensmitteilung gemacht, sondern das Nichtvorhandensein eines Hagelschadens sei eine zwischen der Klägerin und dem Beklagten vereinbarte Beschaffenheit gewesen.
Hinzu kam hier: Die Klägerin hatte vorgetragen, explizit nach einem Hagelschaden gefragt zu haben, was der Beklagte daraufhin verneint haben soll. Nach der Überzeugung des LG hat die Beweisaufnahme (die auch eine auf Antrag des Beklagten erfolgte Vereidigung des als Zeugen vernommenen Ehemanns der Klägerin umfasste) ergeben, dass diese Behauptung der Klägerin zutrifft. Nachdem der Wohnanhänger aufgrund des Hagelschadens mangelhaft war und sich der Beklagte nicht auf einen Gewährleistungsausschluss berufen konnte, hat das LG den Rückabwicklungsanspruch der Klägerin bejaht.
Darüber hinaus hat das Gericht der Klägerin auch einen Betrag in Höhe von 1.079,26 Euro für Aufwendungen zugesprochen, die sie im Vertrauen auf die Mangelfreiheit des Wohnanhängers gehabt hatte. Der Beklagte muss schließlich auch die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Klägerin übernehmen.
Quelle | LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 7.12. 2020, 10 O 309/20, PM Nr. 10/21 vom 25.2.2021
| Eine bekannte Situation: Ein Versicherungsnehmer wirft seinen Autoschlüssel in den Briefkasten eines Autohauses. Was geschieht, wenn das Fahrzeug anschließend gestohlen wird? Das Landgericht (LG) Oldenburg hat entschieden: Der Kaskoversicherer muss den Versicherungsnehmer ungekürzt entschädigen, wenn er davon ausgehen durfte, dass der Briefkasten ausreichend gesichert ist. |
Nach Ansicht des LG bestand für den Versicherungsnehmer aufgrund der Örtlichkeiten der Eindruck, als befinde sich der Briefkasten in einem geschützten Bereich. Er musste bei diesem äußeren Bild keine Bedenken haben, dass der Schlüssel von Unbefugten aus dem Briefkasten herausgenommen werden würde.
Zudem habe der Versicherungsnehmer angegeben, er habe darauf geachtet, dass der Schlüssel nach unten fällt. Vor diesem Hintergrund sah das LG keine Anhaltspunkte dafür, dass er grob fahrlässig gegen seine Obliegenheit verstoßen hätte. Folge: Der Kaskoversicherer muss den Schaden ungekürzt ersetzen. Das Urteil ist rechtskräftig.
Beachten Sie | Das Urteil zeigt, dass für den Versicherungsnehmer die Sorgfaltspflicht besteht, sich zu vergewissern, dass der Autoschlüssel in einem Autohaus-Briefkasten zumindest dem Anschein nach sicher aufgehoben ist.
Quelle | LG Oldenburg, Urteil vom 14.10.2020, 13 O 688/20, Abruf-Nr. 220593 unter www.iww.de
| Trotz Fehler bei der Reform der Straßenverkehrsordnung bleiben Bußgelder für zu schnelles Fahren zulässig. So entschied es jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken. |
Ein Amtsgericht (AG) hat einen Autofahrer zu einer Geldbuße von 100 Euro verurteilt. Er war im September 2019 u. a. auf einer Autobahn nach Toleranzabzug mit 28 km/h zu schnell unterwegs. Erlaubt waren dort 100 km/h.
Der Betroffene machte beim OLG daraufhin geltend, die im Jahr 2020 geänderte Straßenverkehrsordnung sei wegen eines Zitierfehlers des Verordnungsgebers nicht in Kraft getreten. Das Gericht müsse bei der Beurteilung einer Ordnungswidrigkeit berücksichtigen, ob ein vorher verbotenes Verhalten inzwischen nicht mehr oder milder zu bestrafen ist. Deshalb wirke sich der Fehler bei der Straßenverkehrsordnungs-Reform auch zu seinen Gunsten aus, wenn die Geschwindigkeitsübertretung schon vor der Gesetzesänderung begangen wurde. Weil es aus seiner Sicht keine gültige Bußgeldregelung mehr gebe, müsse er das Bußgeld nicht zahlen.
Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zur Klärung dieser Frage zwar zugelassen. Es hält aber am Bußgeld fest. Der Betroffene habe zwar Recht, dass ein milderes Gesetz auch auf zurückliegende Taten anzuwenden sei. Es stimme auch, dass bei der Reform der Straßenverkehrsordnung das sog. Zitiergebot nicht ausreichend beachtet wurde. Deshalb seien die 2020 geänderten und im Bereich der Fahrverbote verschärften Regeln im Straßenverkehr nicht in Kraft getreten. Das OLG hat aber entschieden, dass damit weder die Straßenverkehrsordnung noch der Bußgeldkatalog hinfällig werden. Stattdessen gelten die bisherigen Regelungen weiter, nach denen auch der Beschwerdeführer verurteilt worden war.
Beachten Sie | Demnächst werden sich die Bußgelder bei Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung empfindlich erhöhen, wenn ein neuer Bußgeldkatalog in Kraft tritt.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 5.11.2020, 1 OWi 2 Ss Rs 124/20
| Bereits vor etwa elf Jahren hatte der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden: Ein von der gegnerischen Versicherung übermitteltes höheres Restwertangebot („Überangebot“) ist zu berücksichtigen, falls das unfallbeschädigte Fahrzeug bis dahin noch nicht zum Restwert aus dem vom Geschädigten eingeholten Gutachten verkauft wurde. Nun stellt das Amtsgericht (AG) Lübeck klar: Geht ein Restwert-Überangebot des Versicherers ein, ist es möglich, dass sich dieses mit dem Verkauf des verunfallten Fahrzeugs zum gutachterlich ermittelten Wert überschneidet. Der Geschädigte verstößt dann nicht gegen die Schadenminderungspflicht, wenn er zum niedrigeren Betrag verkauft. |
Im Fall des AG ging das Überangebot per Mail um 10:30 Uhr beim Anwalt des Geschädigten ein. Am gleichen Tag um 11:04 Uhr schickte der Geschädigte den Nachweis an die Kanzlei, dass er das unfallbeschädigte Fahrzeug kurz zuvor verkauft hatte.
Der eintrittspflichtige Versicherer meinte, das Überangebot habe vor dem Verkauf vorgelegen. Denn es komme darauf an, wann es beim Anwalt eingeht. Schließlich sei der Anwalt der Vertreter des Geschädigten. Davon abweichend könne man sich den Fall ja auch so denken, dass der Geschädigte nach der Arbeit zu seinem Händler fährt und verkauft, aber ein Überangebot seit ein paar Stunden bei ihm im Briefkasten liegt.
Das sah das AG anders. Denn nach der Verkehrsanschauung könne auch vom Anwalt nicht erwartet werden, dass er von einer E-Mail unmittelbar nach dem Eingang Kenntnis erlangt.
Quelle | AG Lübeck, Hinweisbeschluss vom 10.2.2021, 27 C 2389/20, Abruf-Nr. 220570 unter www.iww.de
| Wer trotz durchgeführter Reparatur fiktiv abrechnen möchte, muss die tatsächlich aufgewendeten Reparaturkosten nicht offenlegen. Das bestätigte das Oberlandesgericht (OLG) München. |
Der Versicherer hatte eine „Fantasiezahl“ (5.000 Euro statt rund 9.400 Euro laut Sachverständigengutachten) in den Raum gestellt und entsprechend abgerechnet. So wollte er den Geschädigten dazu zwingen, die aufgewendeten Kosten offenzulegen. Das ist ihm nicht gelungen. Denn müsste der Versicherer lediglich irgendeinen Betrag in den Raum stellen, um den Kläger im praktischen Ergebnis zur Vorlage der Reparaturkostenrechnung zu zwingen, sei dies mit der Wahlmöglichkeit des Geschädigten zwischen einer Abrechnung auf der Grundlage tatsächlicher oder fiktiver Reparaturkosten unvereinbar, so das OLG.
Quelle | OLG München, Urteil vom 17.12.2020, 24 U 4397/20, Abruf-Nr. 220407 unter www.iww.de
| Das Landgericht (LG) München I hat nach dem Unfall zwischen einem Pkw und einem Hund auf dem Gelände eines Gewerbeparks den Pkw-Fahrer und dessen Kfz-Haftpflichtversicherung verurteilt, Schadenersatz von rund 20.000 Euro zu zahlen. |
Denn bei einem Unfall zwischen einem Pkw und einem knapp vier Monate alten, angeleinten Hund verwirkliche sich keine typische Tiergefahr. Ein Mitverschulden des Halters sei damit ausgeschlossen. Zudem sei eine Physiotherapie bei der Fraktur der linken Vorderpfote des noch im Wachstum befindlichen Hundes medizinisch notwendig gewesen, so das Gericht.
Was war geschehen? Bei dem o. g. Unfall wurde der Hund an seiner linken Vorderpfote verletzt. Das LG vernahm Zeugen zum Unfallhergang auf dem Privatgelände und hörte einen Gutachter zur Unfallbedingtheit der Verletzungen des Hundes und zur Angemessenheit der geltend gemachten Behandlungskosten an. Ein Angestellter des Besitzers des zum Unfallzeitpunkt knapp vier Monate alten Rhodesian Ridgeback Rüden, der auf dem Gelände als Wachhund eingesetzt werden sollte, hatte den Hund am Tag des Unfalls an der Leine auf dem Privatgelände des Gewerbeparks spazieren geführt (Geschwindigkeitsbegrenzung 10 km/h). Als der Beklagte sich in seinem Pkw mit überhöhter Geschwindigkeit von mindestens 20 km/h näherte, erfasste er den Hund mit seinem Pkw an der linken Vorderpfote.
Zur Überzeugung des Gerichts hat sich die Betriebsgefahr des Pkw verwirklicht. Hinzu komme das Verschulden des Fahrers durch die überhöhte Geschwindigkeit. Ein Mitverschulden des Hundehalters bzw. seines Angestellten etwa durch die Verwirklichung der sogenannten Tiergefahr schloss das Gericht vor diesem Hintergrund aus.
Weiter folgte das LG den Ausführungen des Gutachters, der die Verletzungen des Hundes als mit dem Autounfall kompatibel bewertete und die Behandlungskosten für angemessen hielt. Insbesondere die Physiotherapie sei notwendig gewesen, da der junge Hund sich zum Zeitpunkt des Unfalls noch im Wachstum befunden habe. Die Beklagten haften auch für zukünftige Verletzungsfolgen, da diese laut Gutachten nicht ausgeschlossen werden können. Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG München I, Urteil vom 15.9.2020, 20 O 5615/18, PM 3/21 vom 26.1.2021
| Wird auf dem Parkplatz eines Supermarkts ein Pkw durch einen wegrollenden Einkaufswagen beschädigt, macht sich der Schädiger nicht wegen Unfallflucht strafbar, wenn er sich von der Unfallstelle entfernt, ohne Feststellungen zu ermöglichen. Das hat jetzt das Amtsgericht (AG) Dortmund klargestellt. |
Während der Schädiger auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums seine Einkäufe in den Kofferraum seines Pkw lud, rollte der von ihm genutzte Einkaufswagen gegen das Fahrzeugheck des gegenüber geparkten Pkw. An dessen Heckklappe entstand ein Sachschaden in Höhe von ca. 1.300 Euro. Obwohl der Schädiger den Unfall bemerkte und den Einkaufswagen vom beschädigten PKW zurückholte, entfernte er sich von der Unfallstelle, ohne die erforderlich gewordenen Feststellungen zu ermöglichen.
Das AG lehnte es jedoch ab, einen Strafbefehl zu erlassen. Es bestehe kein hinreichender Verdacht einer Straftat, insbesondere nicht auf ein sog. „Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort“. Bei dem zugrunde liegenden Vorfall handelt es sich nämlich nicht um einen Unfall im Straßenverkehr im Sinne des Strafrechts.
Unter einem „Unfall im Straßenverkehr“ ist nach allgemeiner Ansicht ein plötzliches, unerwartetes Ereignis im Verkehr zu verstehen, in dem sich ein verkehrstypisches Schadensrisiko realisiert und das einen nicht nur völlig belanglosen Personen- oder Sachschaden zur Folge hat. Allgemein anerkannt ist hierbei, dass für die Annahme eines Unfalls im Straßenverkehr „nicht jedwede ursächliche Verknüpfung des Schadensereignisses mit dem Verkehrsgeschehen“ ausreicht. Vielmehr ist ein straßenverkehrsspezifischer Gefahrzusammenhang zu verlangen. Es müssen sich also in dem Verkehrsunfall gerade die typischen Gefahren des Straßenverkehrs verwirklicht haben. An einem solchen straßenverkehrsspezifischen Gefahrzusammenhang fehlt es nach Auffassung des AG in „Einkaufswagen“-Fällen. Der Unfall ist nicht spezifisch Ausdruck jener Gefahren, die mit der Fortbewegung eines Fahrzeugs im Sinne der Straßenverkehrsordnung verbunden sind.
Ein Unfall im Straßenverkehr kann nur dort angenommen werden, wo das Unglück Folge willentlicher Fortbewegung wenigstens eines Beteiligten ist. Denn „Verkehr“ findet nicht bereits dort statt, wo Gegenstände (mögen sie auch grundsätzlich Fortbewegungszwecken dienen) etwa aufgrund unzureichender Sicherung, äußerer Witterungseinflüsse u.ä. „von sich aus“ in Bewegung geraten; sie „verkehren“ damit noch nicht. Dies ist vielmehr erst der Fall, wenn ihre Bewegung von einem entsprechenden menschlichen Fortbewegungswillen getragen wird.
Quelle | AG Dortmund, Beschluss vom 1.9.2020, 723 CS 268 Js 1007/20 276/20
| Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat sich mit der Frage befasst, wann eine Stadt dafür haften muss, dass ein Straßenbaum umstürzt und hierdurch ein Fahrzeug beschädigt wird. |
Der klagende Eigentümer eines Porsche 911 Carrera Cabriolet befuhr im Juni 2016 eine Straße in der Ruhrgebietsstadt Essen. An diesem Tag stürzte ein hangabwärts befindlicher Stämmling einer mehrstämmigen, ca. 16 m hohen Esche quer über diese Straße, nachdem bereits einige Zeit zuvor ein hangaufwärts der Straße abgewandt stehender Stämmling dieser Esche abgebrochen war. Baumkontrolleure der beklagten Stadt hatten im August 2015 und im April 2016 jeweils nach einer Sichtprüfung festgestellt, dass der Baum morsch war und Pilzbefall hatte. Die Esche sollte deshalb spätestens Ende Januar 2017 gefällt werden.
Der Kläger wirft der Stadt vor, nicht die erforderlichen Maßnahmen getroffen zu haben, um Gefahren durch einen Abbruch des Stämmlings zu vermeiden. Deshalb habe dieser auf seinen Porsche stürzen und ihn beschädigen können. Die beklagte Stadt sei ihm gegenüber daher verpflichtet, Schadenersatz von mehr als 50.000 Euro zu zahlen (v. a. Reparaturkosten, Nutzungsausfallentschädigung). Das LG Essen hatte dem Kläger Schadenersatz von rund 47.500 Euro zugesprochen. Die Berufung der beklagten Stadt war nur zum Teil erfolgreich.
Das OLG: Zur Abwehr der von Straßenbäumen ausgehenden Gefahren müssten die Maßnahmen getroffen werden, die einerseits zum Schutz gegen Astbruch und Umsturz erforderlich seien, andererseits unter Berücksichtigung des umfangreichen Baumbestands der Städte und Gemeinden diesen auch zumutbar seien. Schon aus ökologischen Gründen sei eine vorsorgliche Entfernung sämtlicher Bäume aus der Nähe von Straßen und Gehwegen nicht zu rechtfertigen. Gewisse Gefahren, die nicht durch menschliches Handeln entstünden, sondern auf Gegebenheiten oder Gewalten der Natur beruhten, müssten als unvermeidbar hingenommen werden. Dennoch dürften Anzeichen nicht übersehen werden, die nach der Erfahrung auf eine weitere Gefahr durch den Baum hinweisen würden. Vor diesem Hintergrund seien die bloßen Sichtkontrollen durch die Baumkontrolleure der beklagten Stadt unzureichend gewesen. Bei den von ihnen festgestellten Defektsymptomen und Krankheitsanzeichen des Baums wären weitergehende Untersuchungen unter Zuhilfenahme eines Sondierstabs erforderlich gewesen. Hierdurch hätte die Ursache für das Abbrechen beider Stämmlinge, nämlich eine fortgeschrittene Fäulnisbildung, festgestellt werden müssen, woraufhin die unverzügliche Fällung des Baumes innerhalb der nächsten 14 Tage hätte angeordnet werden müssen. Dann wäre es nicht mehr dazu gekommen, dass der Stämmling auf den Porsche hätte stürzen können.
Dem Kläger stünde allerdings der Höhe nach nur ein Anspruch auf Schadenersatz von gut 38.000 Euro zu, weil der vom LG zugesprochene Schadensbetrag wegen der von seinem zum Schadenszeitpunkt im Betrieb befindlichen Fahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr um 20 Prozent zu mindern sei. Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | OLG Hamm, Urteil vom 30.10.2020, 11 U 34/20, PM vom 28.1.2021