Fachanwalt für Arbeitsrecht & Fachanwalt für Familienrecht
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Urteilsarchiv

Familien- und Erbrecht

Betreuungsrecht: Wer zu sinnlosen Verfahren neigt, kann unter Betreuung gestellt werden

| Ein Betreuungsbedarf kann auch vorliegen, wenn nur die Gefahr besteht, dass der Betroffene Verbindlichkeiten begründet, die er aktuell nicht erfüllen kann und mit denen er sich verschuldet. |

Hierauf machte der Bundesgerichtshof (BGH) aufmerksam. In dem Fall ging es um einen Betroffenen, der krankheitsbedingt dazu neigte, eine Vielzahl von sinnlosen Verfahren bei Behörden und Gerichten zu betreiben. Hierdurch schädigte er sich selbst finanziell erheblich. Zudem drohte er zu seinen Lasten erhebliche weitere Kosten zu verursachen, wie etwa Gerichtsgebühren, die Kosten der gegnerischen Rechtsvertretung oder auch die Auferlegung von Verschuldenskosten bei missbräuchlicher Rechtsverfolgung in sozialgerichtlichen Verfahren. In einem solchen Fall könne nach Ansicht der Richter davon ausgegangen werden, dass die für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts erforderliche erhebliche Gefahr für sein Vermögen bestehe. Es könne daher ein Betreuer bestellt werden, der den Betroffenen in dem Aufgabenkreis „gerichtliche und außergerichtliche sozialrechtliche Angelegenheiten sowie alle weiteren gerichtlichen und außergerichtlichen Rechtsstreitigkeiten, die die Geltendmachung jeglicher Ansprüche des Betroffenen betreffen“ vertritt.

Quelle | BGH, Beschluss vom 27.1.2016, XII ZB 519/15, Abruf-Nr. 183990 unter www.iww.de.

Arbeitshilfe: Ministerium stellt Elterngeldrechner kostenlos zur Verfügung

| Eltern, deren Kinder seit dem 1.7.15 geboren werden, können Elterngeld, das neue ElterngeldPlus und einen Partnerschaftsbonus miteinander kombinieren. |

  • Das Elterngeld wie bisher: Es gilt mit fast allen Regeln nach wie vor und erlaubt auch weiterhin eine Teilzeitarbeit von bis zu 30 Wochenstunden. Allerdings schöpfen Eltern, die Teilzeit und Elterngeld miteinander kombinieren, ihren Elterngeldanspruch nicht aus und bekommen weniger als diejenigen, die ganz aus dem Beruf aussteigen.
  • Das ElterngeldPlus: Es beträgt maximal die Hälfte des vollen Elterngeldanspruchs. Dafür wird es aber doppelt so lange gezahlt. Aus einem Elterngeldmonat werden zwei ElterngeldPlus-Monate. Entscheiden sich Mütter und Väter, für vier aufeinanderfolgende Monate lang parallel zwischen 25 und 30 Wochenstunden zu arbeiten, erhalten sie einen Partnerschaftsbonus in Form von jeweils vier zusätzlichen ElterngeldPlus-Monaten. Der Bonus steht auch Alleinerziehenden zur Verfügung.

Den Elterngeldrechner für Kinder, die nach dem 1.7.15 geboren wurden, finden Sie mit Planer unter http://www.iww.de/sl1702.

Schritt 1: Der Elterngeldrechner ermöglicht Müttern und Vätern, den Elterngeldbezug zeitlich zu planen und auszuprobieren, wie sich Elterngeld, ElterngeldPlus und Partnerschaftsbonus für sie am sinnvollsten kombinieren lassen.

Schritt 2: Darauf basierend wird das Elterngeld berechnet. Die Eingaben werden ausschließlich für die Nutzungsdauer des Elterngeldrechners verwendet. Allerdings kann das Ergebnis nur eine Orientierung geben. Es ist nicht bindend. Die zuständige Elterngeldstelle berechnet das Elterngeld abschließend.

Vormundschaft: Kein genereller Vorrang von Rechtsanwälten vor Jugendämtern

| Kann für einen minderjährigen, unbegleiteten Flüchtling kein ehrenamtlicher Vormund gefunden werden, besteht kein genereller Vorrang eines Berufsvormunds vor einem Amtsvormund einer Gemeinde oder eines Kreises. |

So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Celle im Fall eines 16 Jahre alten Jungen aus Afghanistan. Der Junge ist als Flüchtling nach Deutschland gekommen. Seine Eltern sind noch auf der Flucht. Das Amtsgericht hatte einen Amtsvormund bestellt. Der Vormund wollte mit seiner Beschwerde erreichen, dass der Beschluss aufgehoben und ein Rechtsanwalt (Berufsvormund) eingesetzt wird.

Das OLG hat zwar die Einsetzung des Vormunds aufgehoben. Die Entscheidung des Amtsgerichts habe die Beweggründe für die getroffene Auswahl nicht erkennen lassen. Die Richter haben es aber abgelehnt, einen Rechtsanwalt als Vormund einzusetzen. Sie haben die Sache vielmehr an das Amtsgericht zurückverwiesen. Dieses muss nun neu entscheiden. Dabei müsse es nach Ansicht des OLG vorrangig prüfen, ob ein ehrenamtlicher Vormund für die Betreuung des Kindes gefunden werden könne. Sei dies nicht möglich, bestehe kein genereller Vorrang eines Berufsvormunds, also beispielsweise eines Rechtsanwalts, vor einem Amtsvormund einer Gemeinde oder eines Kreises. Werde ein Vormund bestellt, sei das Wohl des Kindes entscheidend. Für die Auswahlentscheidung des Gerichts müssten deshalb u.a. folgende Kriterien abgewogen werden: Fremdsprachenkenntnisse oder besondere Fachkenntnisse des Vormunds, die für das Kind von Interesse sind (z.B. Kenntnisse im Ausländer- und Asylrecht oder Erfahrungen mit traumatisierten Kindern), sowie Kenntnisse über Integrationsmöglichkeiten des Kindes. Bei Rechtsanwälten müsse sichergestellt sein, dass der ausgewählte Vormund im Einzelfall das notwendige zeitliche und persönliche Engagement für das Kind aufbringen könne. Eine Behörde dürfe demgegenüber bei personellen Engpässen nichts unversucht lassen, diese zu beheben.

Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 14.1.2016, 12 UF 2/16, Abruf-Nr. 146333 unter www.iww.de.

Erbrecht: Bei unklarem Datum kann das Testament ungültig sein

| Ein Testament ist ungültig, wenn sich die Jahresangabe des Datums nicht sicher feststellen lässt. |

So entschied das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig-Holstein in einer Erbsache. Die Richter verwiesen auf das Bürgerliche Gesetzbuch. Nach den dortigen Regeln zum Erbrecht soll der Erblasser angeben, zu welcher Zeit (Tag, Monat und Jahr) und an welchem Ort er das Testament niedergeschrieben hat. Das Gesetz regelt auch den Fall, dass das Testament keine Angabe über die Zeit enthält, wann es errichtet wurde. Ergeben sich hieraus Zweifel über die Gültigkeit des Testaments, so ist es nur gültig, wenn sich nicht anderweitig feststellen lässt, wann es errichtet wurde. Hintergrund ist, dass in diesem Fall möglicherweise später noch ein neues wirksames Testament errichtet wurde. Bleibt es also möglich, dass später noch ein weiteres Testament mit vollständigen Datumsangaben errichtet wurde, ist das undatierte Testament daher unwirksam.

Quelle | OLG Schleswig, Beschluss vom 16.7.2015, 3 Wx 53/15, Abruf-Nr. 145973 unter www.iww.de.

Strafrecht: Kindesentziehung ist strafbar

| Das Amtsgericht München hat eine 46-jährige Mutter wegen Entziehung Minderjähriger zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt. |

Die Frau hat einen 7-jährigen Sohn mit ihrem geschiedenen Ehemann. Sie hat das alleinige Sorgerecht. Der Vater hat nach Anordnung des Familiengerichts das Recht, mindestens einmal wöchentlich für circa sieben Stunden Umgang mit dem Kind zu haben. Außerdem darf er die Nacht von Samstag auf Sonntag mit dem Kind verbringen. Die Mutter verhindert seit November 2012 das Recht des Vaters auf Umgang mit seinem Sohn. Zunächst gab sie über einen Rechtsanwalt vor dem Amtsgericht München an, dass sie aus Deutschland ausgereist sei. Das entsprach aber nicht der Wahrheit. Tatsächlich hielt sie sich mit dem Kind bis circa Ende Februar 2012 in Deutschland auf. Ihren Aufenthalt verheimlichte sie gegenüber dem Vater. Im Frühjahr 2012 reiste sie mit dem Kind nach Vancouver in Kanada aus. Dort hielt sie sich an einem unbekannten Ort auf. Bei ihrer Einreise nach Deutschland am 19.8.2015 wurde sie verhaftet. Der Haftbefehl wurde am nächsten Tag gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt.

Die Frau selbst räumte den Sachverhalt umfassend ein. Jedoch handelt sich dabei nach ihrer Auffassung um rechtmäßiges Verhalten einer liebenden Mutter. Frauen und Kinder würden durch Gesetze und Gerichte in Deutschland nicht ausreichend geschützt werden. Um diesem Missstand abzuhelfen, würde ihr Sohn auch später in Heidelberg Jura studieren und Richter werden. Sie habe sich durch das Verhalten ihres Ex-Mannes in ihrer psychischen Stabilität beeinträchtigt gefühlt und sei großem Stress ausgesetzt gewesen. Sie habe nie beabsichtigt, den Kontakt ihres Kindes zum Kindsvater zu unterbinden. Sie habe jedoch keinen unmittelbaren Kontakt zu ihrem Ex-Mann haben wollen. Ihr sei lediglich daran gelegen gewesen, dass der Kontakt über Dritte stattfinden würde. Ihrer Auffassung nach sei der fehlende Kontakt des Kindsvaters zu seinem Sohn lediglich dem Umstand geschuldet, dass der Kindsvater keine weitergehenden Schritte mehr unternommen habe. Sie sei stets bemüht gewesen, dass ihr Sohn ein positives Bild vom Vater sowie von Deutschland habe.

Die Ausreise nach Kanada war im familiengerichtlichen Verfahren thematisiert worden. Der Vater hat der Ausreise zugestimmt, jedoch sollte ein Kontakt zum Kind ermöglicht werden. Dies ist jedoch gescheitert.

Bei der Strafhöhe hat das Gericht vor allem zulasten der Mutter die Dauer der Entziehung des Kindes gewertet. Insgesamt reiche es nicht aus, eine Geldstrafe zu verhängen. Vielmehr erscheine dem Gericht eine Freiheitsstrafe von einem Jahr schuld- und tatangemessen.

Die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe konnte auch zur Bewährung ausgesetzt werden. Zwar befinde sich die Angeklagte in instabilen wirtschaftlichen sowie emotionalen Verhältnissen. Das Gericht gehe jedoch aufgrund der Persönlichkeitsstruktur der Angeklagten davon aus, dass diese keine weiteren Straftaten mehr begehen wird.

Quelle | Urteil des Amtsgerichts München vom 7.12.2015, nicht rechtskräftig.

Ehescheidung: Rückforderung aus Schwiegerelternschenkung verjährt innerhalb von drei Jahren

| Ist die Ehe gescheitert, können Schwiegereltern in bestimmten Fällen ein Geschenk von dem Schwiegerkind zurückfordern. Wollen Sie sich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage berufen, müssen sie aber auf die Verjährungsfrist achten. |

Hierauf wies der Bundesgerichtshof (BGH) hin. Die Richter erläuterten, dass diese Frist drei Jahre betrage. Eine Ausnahme gelte nur, wenn ein Grundstück verschenkt wurde und der Anspruch darauf gerichtet ist, den Vertrag anzupassen. Dann gelte eine Verjährungsfrist von zehn Jahren.

Entscheidend sei weiterhin, zu welchem Zeitpunkt die Verjährungsfrist beginnt. Die Richter stellten dabei auf den Tag ab, an dem der Scheidungsantrag vom Gericht zugestellt werde. Spätestens hier komme das Scheitern der Ehe regelmäßig zum Ausdruck. Die erforderliche Kenntnis der Schwiegereltern vom Scheitern der Ehe ihres Kindes liege demnach vor, wenn sie von der Zustellung des Scheidungsantrags Kenntnis erlangt haben oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätten erlangen müssen.

Quelle | BGH, Beschluss vom 16.12.2015, XII ZB 516/14, Abruf-Nr. 183385 unter www.iww.de.

Erbrecht: Land musste nicht nur die Erbschaft herausgeben, sondern auch Zinsen zahlen

| Hat der Fiskus Besitz von der Erbschaft genommen, kann der Erbe nicht nur verlangen, dass der Nachlass herausgegeben wird. Es steht ihm auch ein Zinsanspruch zu. |

Dies gilt nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) auch, wenn der Fiskus zunächst als gesetzlicher Erbe berufen war. In dem betreffenden Fall war die Suche nach dem wahren Erben zunächst erfolglos geblieben. Deshalb hatte das Nachlassgericht den Fiskus zum Erben bestimmt. Später meldeten sich die wahren Erben. Sie verlangten vom Land die Herausgabe der Erbschaft i.H. von 57.000 EUR nebst Zinsen von 4 Prozent jährlich.

Während das Landgericht das Land allein zur Herausgabe des Vermögenensstamms der Erbschaft verurteilte, sprach der BGH den Erben auch Zinsen zu. Das BGB verweise auf die Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung. Danach umfasse die Verpflichtung zur Herausgabe auch die gezogenen Nutzungen. Hierunter fallen zunächst Anlagezinsen. Aber auch, wenn mit dem Geld Schulden getilgt wurden, seien dadurch Zinszahlungen eingespart worden. Es bestehe auch kein Grund, den Fiskus im Falle des gesetzlichen Erbrechts gegenüber seiner Stellung als testamentarischer Erbe zu privilegieren, wenn sich nachträglich herausstelle, dass das Erbrecht tatsächlich nicht bestand.

Quelle | BGH, Urteil vom 14.10.2015, IV ZR 438/14, Abruf-Nr. 180679  unter www.iww.de.

Aktuelle Gesetzgebung: Zum Januar 2016 ist das Kindergeld noch einmal erhöht worden

| Zum 1.1.16 ist das Kindergeld um monatlich zwei EUR erhöht worden. |

Rückwirkend zum Januar 2015 wurden die Kindergeldbeträge in einem ersten Schritt angehoben. Die jetzige Erhöhung bedeutet, dass für das 1. und 2. Kind jeweils 190 EUR pro Monat Kindergeld gezahlt werden, für das 3. Kind 196 EUR pro Monat. Ab dem 4. Kind wird das Kindergeld auf jeweils 221 EUR pro Monat angehoben. Die Auszahlungsbeträge werden automatisch auf die neuen Beträge angepasst und ab Januar 2016 ausgezahlt. Die Kindergeldberechtigten müssen selber dazu nichts mehr veranlassen.

Weiterführende Hinweise

Die aktuellen Auszahlungstermine können im Internet abgerufen werden unter www.arbeitsagentur.de -> Bürgerinnen und Bürger -> Familie und Kinder -> Kindergeld, Kinderzuschlag.

Jeder Kindergeldberechtigte hat auch die Möglichkeit, den individuellen Auszahlungstermin über die kostenlose Hotline 0800 4555533 abzufragen.

Sorgerecht: Anforderungen an die Einwilligung der Eltern in die ärztliche Behandlung ihrer Kinder

| Für einen ärztlichen Heileingriff bei einem minderjährigen Kind müssen grundsätzlich beide sorgeberechtigten Elternteile zustimmen. Erscheint nur ein Elternteil mit dem Kind beim Arzt, darf dieser in von der Rechtsprechung präzisierten Ausnahmefällen – abhängig von der Schwere des Eingriffs – darauf vertrauen, dass der abwesende Elternteil den erschienenen Elternteil zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff ermächtigt hat. |

Ausgehend hiervon hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm die Schadenersatzklage gegen eine Bielefelder Klinik und behandelnde Ärzte dieser Klinik abgewiesen. Mit der Klage hatten Eltern 500.000 EUR Schmerzensgeld für ihr im Alter von 2 ½ Jahren verstorbenes Kind verlangt. Das Kind war in der 32. Schwangerschaftswoche mit multiplen Krankheitssymptomen geboren worden. Zwei Monate nach der Geburt wurde es auf die kinderchirurgische Klinik des beklagten Krankenhauses verlegt. Dort sollte eine diagnostische operative Biopsie erfolgen, um einen Morbus Hirschsprung auszuschließen.

Bei dem ärztlichen Aufklärungsgespräch war nur die Mutter anwesend, die auch den anästhesistischen Aufklärungsbogen allein unterzeichnete. Bei der Operation kam es zu Schwierigkeiten bei der Beatmung des Kindes. Daher wurde von der Operation abgesehen. In der Folgezeit wurde das Kind fast durchgehend in Krankenhäusern behandelt, bevor es verstarb.

Die Eltern warfen dem Krankenhaus Behandlungsfehler vor. Zudem seien sie nicht hinreichend über Risiken und Behandlungsalternativen aufgeklärt worden. Schließlich habe der Vater selbst keine Einwilligung erteilt, obwohl dies zwingend erforderlich gewesen sei.

Die Richter am OLG konnten jedoch weder einen Behandlungsfehler sehen, noch einen Aufklärungsfehler. Die Mutter sei vielmehr vor dem Eingriff hinreichend über die mit der Narkose verbundenen Behandlungsrisiken aufgeklärt worden. Weil es insoweit keine Behandlungsalternativen gegeben habe, habe über solche nicht aufgeklärt werden müssen.

Die Einwilligung in die Behandlung sei auch nicht unwirksam gewesen, weil nur die Mutter am Aufklärungsgespräch teilgenommen und den Aufklärungsbogen unterzeichnet habe. Zwar müssten grundsätzlich beide sorgeberechtigten Eltern einem ärztlichen Heileingriff bei ihrem minderjährigen Kind zustimmen. Erscheine nur ein Elternteil mit dem Kind beim Arzt, dürfe dieser allerdings in bestimmten Ausnahmefällen auf die Einwilligung des abwesenden Elternteils vertrauen:

  • In Routinefällen dürfe der Arzt – bis zum Vorliegen entgegenstehender Umstände – davon ausgehen, dass der mit dem Kind bei ihm erscheinende Elternteil die Einwilligung in die ärztliche Behandlung für den anderen Elternteil miterteilen dürfe.
  • Gehe es um ärztliche Eingriffe schwerer Art mit nicht unbedeutenden Risiken, müsse sich der Arzt vergewissern, ob der erschienene Elternteil die Ermächtigung des anderen Elternteils habe und wie weit diese reiche. Dabei dürfe er aber davon ausgehen, dass er von dem erschienenen Elternteil eine wahrheitsgemäße Auskunft erhält.
  • Gehe es um schwierige und weitreichende Entscheidungen über die Behandlung des Kindes, etwa um eine Herzoperation, die mit erheblichen Risiken für das Kind verbunden seien, liege nicht von vornherein nahe, dass der abwesende Elternteil seine Einwilligung erteilt habe. Deshalb müsse sich der behandelnde Arzt in diesen Fällen darüber vergewissern, dass der abwesende Elternteil mit der Behandlung einverstanden sei.

Die im vorliegenden Fall vorgesehene Biopsie sei als leichter bis mittelgradiger Eingriff mit normalen Anästhesierisiken zu bewerten und in die zweite Kategorie einzuordnen. Deswegen sei es ausreichend gewesen, dass sich der aufklärende Arzt bei der Mutter nach der Einwilligung des Vaters erkundigt habe und sich diese durch die Unterschrift der Mutter auf dem Aufklärungsbogen, der einen entsprechenden Hinweis enthalte, habe bestätigen lassen.

Quelle | OLG Hamm, Urteil vom 29.9.2015, 26 U 1/15, Abruf-Nr. 145920 unter www.iww.de, nicht rechtskräftig (BGH VI ZR 622/15).

Erbrecht: Keine Erbeinsetzung bei unklarer Testamentsbestimmung

| Enthält ein gemeinschaftliches Ehegattentestament die Formulierung „Nach dem Tod des Letztversterbenden soll die gesetzliche Erbfolge eintreten“ kann unklar bleiben, ob hiermit die gesetzlichen Erben verbindlich als Schlusserben eingesetzt werden sollen. Nur dann darf der überlebende Ehegatte eine abweichende testamentarische Bestimmung treffen. |

Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm in einer Nachlasssache entschieden. Die im August 2014 im Alter von 93 Jahren verstorbene Erblasserin aus Essen hatte 1987 mit ihrem vorverstorbenen Ehemann ein gemeinschaftliches Ehegattentestament errichtet. In diesem hatten sich die Ehegatten wechselseitig zu Erben des Erstversterbenden eingesetzt und in Bezug auf den Tod des Letztversterbenden die vorgenannte Formulierung aufgenommen. Aus ihrer Ehe gingen zwei Töchter hervor, die heute in Essen und in Spanien leben. Nach dem Tode ihres Mannes errichtete die Erblasserin 2013 ein weiteres Testament. Darin ordnete sie unter anderem eine Testamentsvollstreckung nach Maßgabe einer vom Amtsgericht zu ernennenden Person an.

Nach dem Tode der Erblasserin ernannte das Nachlassgericht einen Rechtsanwalt aus Essen zum Testamentsvollstrecker. Gegen diese Bestimmung wandte sich eine der Töchter mit der Begründung, die Testamentsvollstreckung beeinträchtige ihre Rechtsstellung als Schlusserbin. Diese sei in dem gemeinschaftlichen Testament mit bindender Wirkung verfügt worden. Deshalb habe sie durch ein weiteres Testament des überlebenden Ehegatten nicht mehr wirksam eingeschränkt werden können.

Die Beschwerde ist erfolglos geblieben. Die Richter konnten dem gemeinschaftlichen Ehegattentestament bereits nicht entnehmen, dass die Töchter zu Schlusserben eingesetzt werden sollten. In dem Testament würden die Töchter nicht ausdrücklich zu Schlusserben ernannt. Eine solche Bestimmung lasse sich auch nicht entnehmen, wenn die Formulierung „Nach dem Tod des Letztversterbenden soll die gesetzliche Erbfolge eintreten.“ ausgelegt wird. Diese sei nach ihrem Wortsinn unklar, weil sie unterschiedlich verstanden werden könne. So könne eine Einsetzung der gesetzlichen Erben als Schlusserben gemeint sein. Möglich sei aber auch nur eine Anerkennung des gesetzlichen Erbrechts oder eine Abstandnahme von der Einsetzung eines testamentarischen Erben. In den zuletzt genannten Fällen enthalte das Ehegattentestament keine verbindliche Erbeneinsetzung nach dem Tode des letztversterbenden Ehegatten. Folge sei, dass der Überlebende in diesen Fällen eine anderweitige testamentarische Bestimmung treffen könne. Die bestehende Unklarheit lasse sich im vorliegenden Fall auch nicht durch weitere, bei der Auslegung der Testamentsurkunde zu berücksichtigende Umstände beseitigen. Daher konnte das OLG keine testamentarische Schlusserbeneinsetzung der Tochter feststellen.

Quelle | OLG Hamm, Beschluss vom 11.9.2015, 15 W 142/15, Abruf-Nr. 145947 unter www.iww.de.