| Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat jetzt entschieden: Die Beurteilung, ob die Rückführung eines kurz nach der Geburt in Obhut genommenen Kindes zu seinen Herkunftseltern zu einer Kindeswohlgefährdung führt, bedarf regelmäßig eines psychologischen Gutachtens. Dies gilt insbesondere, wenn sich das Jugendamt und der Verfahrensbeistand des Kindes gegen eine Kindesrückführung aussprechen. Das OLG hob deshalb einen Beschluss des Amtsgerichts (AG) auf, mit dem u.a. der Antrag der Pflegeeltern auf Anordnung des Verbleibes des Kindes bei ihnen zurückgewiesen worden war. |
Das war geschehen
Das im Jahr 2020 geborene Kind ist die zweite Tochter der nicht miteinander verheirateten Kindeseltern, die über das gemeinsame Sorgerecht verfügten. Die ältere Schwester war bereits unmittelbar nach der Geburt in Obhut genommen und die u.a. eingerichtete Amtspflegschaft später gerichtlich bestätigt worden. Auch das betroffene Kind war bereits wenige Tage nach der Geburt gegen den Willen der Eltern in Obhut genommen worden und lebt bei Pflegeeltern. Ein drittes Kind der Eltern lebt seit seiner Geburt bei den Eltern.
Die Pflegeeltern begehrten im Rahmen des familiengerichtlichen Verfahrens die Anordnung des dauerhaften Verbleibs des Kindes bei ihnen. Das für den Aufenthaltsort der Eltern zuständige Jugendamt setzte sich anders als das am Verfahren beteiligte und für den Aufenthaltsort des Kindes zuständige Jugendamt für eine Rückführung des Kindes zu seinen Eltern ein; vorbereitend sollten intensivierte Umgänge stattfinden. Der Verfahrensbeistand des Kindes sprach sich gegen eine Rückführung aus. Das AG sah keine Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung im Fall der Rückübertragung der elterlichen Sorge auf die Herkunftseltern, sodass es von familiengerichtlichen Maßnahmen absah und die beantragte Verbleibensanordnung nicht erließ.
Oberlandesgericht: Psychologisches Sachverständigengutachten regelmäßig nötig
Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Pflegeeltern und des vormaligen Amtspflegers führten zur Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung des Verfahrens an das AG. Die Entscheidung über die Folgen der Trennung des Kindes von seiner sozialen Familie könne im Hinblick auf die Gestaltung des Verfahrens regelmäßig ohne ein psychologisches Sachverständigengutachten nicht entschieden werden, betonte das OLG.
Kindeswohl entscheidend
Für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung des Kindeswohls sei insbesondere die Frage, ob und wenn ja, in welchem Umfang das Kind Bindungen zu seinen Pflegepersonen und deren Umfeld aufgebaut habe und durch einen Abbruch dieser Bindungen in seinem Wohl gefährdet werden würde, umfassend aufzuklären. Zur Beurteilung dieser für das Kind existenziellen Frage habe sich das AG nicht allein auf die Angaben des nicht am Verfahren beteiligten Jugendamts am Wohnort der Eltern stützen dürfen. Es hätte vielmehr ein psychologisches Sachverständigengutachten einholen müssen. Für das betroffene Kind lägen hier zudem besondere Risikofaktoren vor. Es reagiere besonders sensibel auf Stresssituationen, die teilweise auch pathologische Reaktionen bewirkten.
Es sei deshalb seitens des AG u.a. durch Einholen eines Gutachtens umfassend aufzuklären, ob die Rückführung des Kindes zu seinen Eltern mit einer Kindeswohlgefährdung einhergingen und die Eltern zur Ausübung des Sorgerechts ohne Gefährdung des Kindeswohls imstande seien.
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 3.3.2022, 6 UF 225
| Infiziert sich eine schwer demenzkranke Heimbewohnerin mit dem Corona-Virus und ist anzunehmen, dass sie krankheitsbedingt einer Quarantäneanordnung nicht Folge leisten wird, kann das Amtsgericht (AG) bei symptomlosem Verlauf im Einzelfall eine Absonderung in ihrem abgeschlossenen Zimmer anordnen allerdings nur, wenn das Gesundheitsamt nach gründlicher Prüfung des Falls einen entsprechenden Antrag stellt. So hat es das AG Bad Idburg entschieden. |
Die Betroffene ist 92 Jahre alt und bewohnt ein Zimmer in einem Pflegeheim. Sie leidet unter einer weit fortgeschrittenen Demenz mit mangelnder Mitarbeit an einer Therapie und starker motorischer Unruhe. Sie läuft also quasi den ganzen Tag im gesamten Heim umher und besucht dabei andere Bewohnerinnen und Bewohner auch in ihren Zimmern. Anfang Februar infizierte sich die Betroffene mit dem Corona-Virus. Die Infektion verlief symptomlos.
Um zu verhindern, dass die Betroffene das Virus durch Kontakt mit anderen Bewohnerinnen und Bewohnern weiterträgt, ordnete der Gesundheitsdienst des Landkreises Osnabrück auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes die Absonderung („Quarantäne“) der Betroffenen an. Da er infolge der Demenzerkrankung davon ausging, dass die Betroffene der Quarantäneanordnung nicht ausreichend Folge leisten würde, beantragte er zugleich ihre Absonderung in ihrem abgeschlossenen Zimmer.
Das Betreuungsgericht hat die Absonderung der Betroffenen in ihrem abgeschlossenen Zimmer angeordnet. Die Absonderung der Betroffenen im geschlossenen Zimmer sei nach dem Infektionsschutzgesetz zulässig und geboten gewesen. Die zur Vermeidung der Ansteckung anderer Personen erforderlichen Verhaltensweisen könne die Betroffene aufgrund der bei ihr vorliegenden psychiatrischen Erkrankung und der damit verbundenen kognitiven Defizite nicht erkennen und nicht einhalten. Die Betroffene sei körperlich mobil und durch Ansprache nicht dazu zu bringen, von anderen Bewohnern und Pflegepersonen fernzubleiben. Sie bleibe nicht in ihrem Zimmer, sondern möchte dieses unbedingt verlassen und die Gemeinschaftsräumlichkeiten aufsuchen.
Dieser Sachverhalt stand zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der durchgeführten Ermittlungen fest. So hat die Betreuungsrichterin eine Stellungnahme des Hausarztes ausgewertet, die Pflegedienstleiterin und den Bezugspfleger befragt und sich schließlich bei einer persönlichen Anhörung der Betroffenen (die aus Infektionsschutzgründen durch das geöffnete Fenster stattfand) einen eigenen unmittelbaren Eindruck verschafft.
Quelle | AG Bad Idburg, Beschluss vom 17.2.2022, 11 XVII W 2765, PM vom 17.2.2022
| Nach dem Tod des Erblassers unterzeichneten gesetzliche Erben bei einer Sparkasse ein mit „Nachlassverfügung mit Haftungserklärung“ überschriebenes Formular. Später schlugen die Erben die Erbschaft aus. Fraglich war, ob die Erben mit dem Unterzeichnen des Formulars die Erbschaft bereits stillschweigend angenommen hatten, sodass sie nicht mehr hätten ausschlagen können. Das Oberlandesgericht (OLG) München sieht in der Unterzeichnung des Formulars keine schlüssig erklärte Annahme der Erbschaft. |
Das OLG: Die „Nachlassverfügung“ dient der Haftungsfreistellung der Bank für den Fall, dass sich etwaige Auszahlungen ohne Vorlage eines Erbscheins im Nachhinein als Leistungen an Nichtberechtigte erweisen. Sie diene somit vorrangig dem Sicherungsinteresse der Bank.
Die Annahme einer Erbschaft durch schlüssiges Verhalten setzt eine nach außen erkennbare Handlung voraus, aus der der Schluss zu ziehen ist, der Erbe habe sich zur endgültigen Übernahme des Nachlasses entschieden.
Im Hinblick darauf, dass die Annahme ohnehin spätestens mit Ablauf der Ausschlagungsfrist eintritt und diese im Regelfall relativ kurz bemessen ist, vertritt die herrschende Meinung die Auffassung, dass die Annahme der Erbschaft durch schlüssiges Verhalten im Zweifel nur zurückhaltend zu bejahen sein sollte. Dies gelte schon deshalb, weil auch dem vorläufigen Erben, der sein Ausschlagungsrecht noch nicht verlieren möchte, die Verwaltung des Nachlasses zusteht.
Hier war noch die Besonderheit, dass das Formular um die Formulierung ergänzt war: „Derzeit ist keine Übertragung gewünscht, diese erfolgt nach Vorlage des Erbscheins. Lediglich das Girokonto Nr. … wird wieder für den Zahlungsverkehr freigeschaltet.“ Daraus schloss das OLG, dass die Unterzeichner gerade nicht auf das Vermögen des Erblassers uneingeschränkt zugreifen wollten. Allein das Girokonto sollte für den Zahlungsverkehr freigeschaltet werden. Diese Maßnahme dient aber allein der Verwaltung des Nachlasses, die auch dem nur vorläufigen Erben zusteht.
Weiter wollten die Unterzeichner Auskunft über Bestand und Umfang der Konten des Erblassers erlangen. Eine solche Maßnahme stellt nicht bereits eine schlüssige Annahme der Erbschaft dar, sondern dient der Abklärung der Entscheidung über die Annahme der Erbschaft wie auch dazu, diese Entscheidung auf eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage zu stellen.
Quelle | OLG München, Beschlüsse vom 22.12.2021, 31 Wx 487/19, 31 Wx 488/19, Abruf-Nr. 226997 unter www.iww.de
| Nach dem Tod des Erblassers unterzeichneten gesetzliche Erben bei einer Sparkasse ein mit „Nachlassverfügung mit Haftungserklärung“ überschriebenes Formular. Später schlugen die Erben die Erbschaft aus. Fraglich war, ob die Erben mit dem Unterzeichnen des Formulars die Erbschaft bereits stillschweigend angenommen hatten, sodass sie nicht mehr hätten ausschlagen können. Das Oberlandesgericht (OLG) München sieht in der Unterzeichnung des Formulars keine schlüssig erklärte Annahme der Erbschaft. |
Das OLG: Die „Nachlassverfügung“ dient der Haftungsfreistellung der Bank für den Fall, dass sich etwaige Auszahlungen ohne Vorlage eines Erbscheins im Nachhinein als Leistungen an Nichtberechtigte erweisen. Sie diene somit vorrangig dem Sicherungsinteresse der Bank.
Die Annahme einer Erbschaft durch schlüssiges Verhalten setzt eine nach außen erkennbare Handlung voraus, aus der der Schluss zu ziehen ist, der Erbe habe sich zur endgültigen Übernahme des Nachlasses entschieden.
Im Hinblick darauf, dass die Annahme ohnehin spätestens mit Ablauf der Ausschlagungsfrist eintritt und diese im Regelfall relativ kurz bemessen ist, vertritt die herrschende Meinung die Auffassung, dass die Annahme der Erbschaft durch schlüssiges Verhalten im Zweifel nur zurückhaltend zu bejahen sein sollte. Dies gelte schon deshalb, weil auch dem vorläufigen Erben, der sein Ausschlagungsrecht noch nicht verlieren möchte, die Verwaltung des Nachlasses zusteht.
Hier war noch die Besonderheit, dass das Formular um die Formulierung ergänzt war: „Derzeit ist keine Übertragung gewünscht, diese erfolgt nach Vorlage des Erbscheins. Lediglich das Girokonto Nr. … wird wieder für den Zahlungsverkehr freigeschaltet.“ Daraus schloss das OLG, dass die Unterzeichner gerade nicht auf das Vermögen des Erblassers uneingeschränkt zugreifen wollten. Allein das Girokonto sollte für den Zahlungsverkehr freigeschaltet werden. Diese Maßnahme dient aber allein der Verwaltung des Nachlasses, die auch dem nur vorläufigen Erben zusteht.
Weiter wollten die Unterzeichner Auskunft über Bestand und Umfang der Konten des Erblassers erlangen. Eine solche Maßnahme stellt nicht bereits eine schlüssige Annahme der Erbschaft dar, sondern dient der Abklärung der Entscheidung über die Annahme der Erbschaft wie auch dazu, diese Entscheidung auf eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage zu stellen.
Quelle | OLG München, Beschlüsse vom 22.12.2021, 31 Wx 487/19, 31 Wx 488/19, Abruf-Nr. 226997 unter www.iww.de
| Erben sollen künftig leichter Auskünfte über mögliche Konten oder Depots von Verstorbenen aus allgemein zugänglichen Quellen erhalten. Am 11.3.2022 beschloss der Bundesrat daher, einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag einzubringen. |
Das Problem: Nach Schätzungen liegen zwischen zwei und neun Milliarden Euro auf sogenannten herrenlosen Konten von Verstorbenen, ohne dass ihre Erben davon wissen. Hinterlässt ein Verstorbener keine Hinweise auf ihm gehörende (Online-)Konten, können Erben nach aktueller Rechtslage hiervon kaum Kenntnis erhalten. Auskunftsersuchen scheitern oft am Bankgeheimnis.
Die Lösung: Der Bundesrat schlägt ein bundesweites Online-Verzeichnis beim Bundesamt für Justiz vor, an das automatisiert Daten Verstorbener sowie die Namen ihrer Kreditinstitute zu melden sind, sofern kein Erbe in angemessener Zeit Anspruch darauf erhoben hat. Ähnliches wird bereits beim Abruf von Kirchensteuerabzugsmerkmalen praktiziert.
Mögliche Erben könnten so Informationen erhalten, die es ihnen ermöglichen, Ansprüche gegenüber Banken geltend zu machen. Anlassloses Durchstöbern Nichtberechtigter soll durch Registrierungsvorgaben verhindert werden.
Quelle | Bundesrat Kompakt vom 11.3.2022
| Wer als Nicht-EU-Bürger mit einer Unionsbürgerin online über die Website der Behörden des Bundesstaates Utah der USA die Ehe schließt, hat keinen Anspruch auf Erhalt einer Bescheinigung nach dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf entschieden. |
Das war geschehen
Ein türkischer Staatsangehöriger und eine bulgarische Staatsangehörige hatten sich im Juni 2021 in Duisburg per Videokonferenz das Ja-Wort gegeben, das ein Behördenmitarbeiter des US-Bundesstaates Utah protokolliert hatte. Hierüber haben sie eine diesen Akt bestätigende „Marriage License & Certificate of Marriage“ des Staates Utah vorgelegt.
Der türkische Staatsangehörige hat bei der Ausländerbehörde der Stadt Duisburg beantragt, ihm eine Bescheinigung nach dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (hier: § 5 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU) auszustellen, dass er die für den Erhalt einer sog. Aufenthaltskarte für Familienangehörige von Unionsbürgern erforderlichen Angaben gemacht hat. Mit einer solchen Aufenthaltskarte wird ein ordnungsgemäßer Aufenthalt im Bundesgebiet nachgewiesen. Nachdem die Ausländerbehörde diesen Antrag abgelehnt hat, ist nun auch der Eilantrag vor dem VG erfolglos geblieben.
Online-Eheschließung in Deutschland ungültig
Zur Begründung hat das VG ausgeführt, der Antragsteller habe nicht glaubhaft gemacht, Familienangehöriger einer Unionsbürgerin zu sein. Die Eheschließung sei in Deutschland nicht gültig. Bei Anwendung des nationalen Rechts ergebe sich dies aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 1310 Abs. 1, § 1311 BGB), wonach die Ehe persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit vor einem Standesbeamten geschlossen werden müsse.
Auch nach Internationalem Privatrecht fehle es an einer wirksamen Eheschließung, weil die beiden Personen bei der Abgabe des Eheversprechens nicht in Utah, sondern in Duisburg anwesend gewesen seien.
Schließlich könne sich der Antragsteller nicht auf eine Vergleichbarkeit zur sog. „Dänemark-Ehe“ berufen, die nach aufenthaltsrechtlicher Rechtsprechung wirksam sei, wenn die Eheleute vor einem dänischen Standesamt persönlich anwesend gewesen seien. An einer solchen Anwesenheit vor einem ausländischen Standesbeamten habe es hier gefehlt.
Gegen den Beschluss kann Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht (OVG) für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.
Quelle | VG Düsseldorf, Beschluss vom 15.2.2022, 7 L 122/22, PM vom 16.2.2022
| Das Berufsleben von Kameraleuten beim Film besteht häufig aus befristeten Engagements. Hierzu hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen entschieden: Mütter dürfen bei der Elterngeldberechnung nicht benachteiligt werden, wenn sie wegen der Schwangerschaft keine neue Beschäftigung bekommen. |
Geklagt hatte eine Kameraassistentin aus dem Landkreis Harburg. Sie verdiente ihren Lebensunterhalt durch Zeitverträge bei Filmproduktionen. Bis zum nächsten Engagement war sie jeweils arbeitslos. Nachdem sie im Jahr 2017 schwanger wurde, durfte sie nicht mehr arbeiten und bezog Arbeitslosengeld.
Nach der Geburt ihres Kindes berechnete der Landkreis das Elterngeld der Mutter, wobei er für die letzten fünf Monate ein Arbeitseinkommen von Null Euro zugrunde legte. Er verwies darauf, dass nach dem Gesetz lediglich Einkommensausfälle wegen Krankheit ausgeklammert werden dürften.
Dem hielt die Frau entgegen, dass sie wegen der körperlichen Belastungen während der Schwangerschaft nicht arbeiten dürfe. Denn bei der Arbeit gebe es neben Tragebelastungen beim Umbau von Kamera und Stativ auch Nachtarbeit und tägliche Arbeitszeiten bis zu 13 Stunden. In der Folge erhalte sie nicht wie vom Gesetzgeber gewollt Elterngeld auf Grundlage der letzten 12 Arbeitsmonate, sondern nur 7/12 des eigentlichen Betrags.
Das LSG hat zur Berechnung auf die letzten 12 Arbeitsmonate abgestellt und hierzu die gesetzlichen Krankheitsregelungen analog angewandt. Es hat die erweiterte Gesetzesauslegung mit dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag werdender Mütter begründet, die einen Anspruch auf Schutz und Fürsorge durch die Gemeinschaft hätten.
Der Gesetzgeber habe den Fall von abhängigen Kettenbeschäftigungen übersehen, in dem eine neue Beschäftigung aus Gründen des Arbeitsschutzes nicht in Betracht komme. Das „besondere gesundheitliche Risiko“ von Schwangeren dürfe ihnen bei der Berechnung des Elterngeldes nicht zum Nachteil gereichen. Dabei sei eine schwangerschaftsbedingte Erkrankung nur ein Teil des Risikos, das sich auch in anderen Bereichen auswirken könne.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24.1.2022, L 2 EG 4/20, PM vom 14.2.2022
| Nicht nur Eltern müssen ihren Kindern Unterhalt zahlen, solange diese zur Schule gehen oder sich noch in einer Ausbildung befinden. Dieselbe Pflicht kann nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 1607 BGB) auch die Großeltern eines Kindes treffen, wenn die Eltern wegen mangelnder Leistungsfähigkeit keinen Unterhalt zahlen können oder sich der Unterhaltsanspruch rechtlich nur schwer durchsetzen lässt. Das hat jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg klargestellt. |
Das Amtsgericht (AG) hatte den Antrag zurückgewiesen: Es sei nicht ersichtlich, warum die Kindesmutter nicht vollschichtig arbeiten und dadurch den Barunterhalt für das Kind aufbringen könne.
Das OLG hat diese Frage anders entschieden. Es könne offengelassen werden, ob die Mutter vollschichtig arbeiten müsse. Selbst bei einer Vollzeittätigkeit reiche ihr Einkommen nicht aus, um den Unterhalt des Kindes ganz oder teilweise zu erbringen. Um den eigenen Unterhalt sicherzustellen, müsse ihr der angemessene Selbstbehalt von zurzeit 1.400 Euro belassen werden. Da die Mutter auch bei einer Vollzeittätigkeit nicht so viel verdienen könne, dass sie den Unterhalt für das Kind zahlt und 1.400 Euro für ihren Lebensunterhalt behalten könne, komme eine Haftung der Großeltern für den Unterhalt des Enkels in Betracht. Das OLG hob hervor: Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass der Kindesvater im Laufe des Verfahrens eine Arbeitsstelle angetreten habe und seitdem Unterhalt zahle. Denn es seien noch Rückstände für die Vergangenheit offen. Im Ergebnis könne daher Auskunft von den Großeltern über deren Einkommen und Vermögen verlangt werden. Im Anschluss an diese Auskunft ist zu entscheiden, ob die Großeltern tatsächlich Unterhalt schulden.
Quelle | OLG Oldenburg, Beschluss vom 16.12.2021, 13 UF 85/21, PM 3/22 vom 14.1.2022
| Der Mehrlingszuschlag für Mehrlingsgeburten ist nicht auf Mehrfachadoptionen übertragbar. So hat es das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen entschieden. |
Die Ehefrau des klagenden Mannes brachte vier Kinder mit in die Ehe ein, die er adoptierte. Der Beklagte gewährte ihm für die Betreuung Elterngeld für den 6. bis 14. Monat ab Inobhutnahme. Der Mann begehrte gerichtlich erfolglos Mehrlingszuschläge à 300 Euro. Auch seine Berufung blieb erfolglos. Dem Mann steht kein Mehrlingszuschlag zu. Die Anspruchsgrundlage für den Mehrlingszuschlag nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (§ 2a Abs. 4 S. 1 BEEG) ist weder dem Wortlaut noch dem Regelungszusammenhang nach auf den Fall einer Mehrfachadoption unmittelbar anwendbar. Eine analoge Anwendung kommt nicht in Betracht. Hätte der Gesetzgeber den Mehrlingszuschlag auch bei Mehrfachadoptionen gewähren wollen, hätte er dies geregelt. Der Sachverhalt ist nicht vergleichbar.
Gemäß der Gesetzesbegründung würdigt der Mehrlingszuschlag die bei Mehrlingsgeburten bestehende besondere Belastung der Eltern. Der Beginn des Zusammenlebens mit adoptierten Kindern erfordert zwar ebenfalls i. d. R. besondere fürsorgliche Leistungen der Eltern. Adoptierte Kinder sind aber mitunter deutlich älter als Neugeborene. Der Zeitpunkt der Adoption ist auch anders planbar. Hier hatte der Mann mit den zwischen drei und zehn Jahre alten Kindern bereits über zwei Jahre in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. Zudem verfügt der Gesetzgeber im Sozialleistungsrecht über einen weiten Gestaltungsspielraum. Es verletzt daher nicht den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz, nur für die besonderen Belastungen einer Mehrlingsgeburt einen Zuschlag vorzusehen. Eine Revision gegen die Entscheidung ist beim Bundessozialgericht anhängig.
Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.4.2021, L 13 EG 15/18
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass Stiefenkel nicht zu dem geschützten Personenkreis des Straftatbestands „sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen“ gehören, wie ihn das Strafgesetzbuch (§ 174 Ab. 1 Nr. 3 StGB) vorsieht. |
Der Sohn des Angeklagten (Stiefgroßvater) ist mit der Mutter einer Nebenklägerin verheiratet. Der Stiefgroßvater betreute die damals 15- bzw. 16-jährige Nebenklägerin. Er streichelte sie gegen ihren Willen, den sie auch deutlich zum Ausdruck brachte, u. a. an ihrem Gesäß und an ihrer Brust. Zudem machte er anzügliche Bemerkungen, um sich sexuell zu erregen. Die Stiefenkelin erlitt bei diesen Vorfällen auch immer wieder blaue Flecken.
Das Landgericht (LG) verurteilte den Angeklagten u. a. wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Seine Revision beim BGH war insoweit erfolgreich, als dass der Schutzbereich des § 174 Ab. 1 Nr. 3 StGB nicht eröffnet ist.
Die Nebenklägerin ist kein leiblicher Abkömmling des Angeklagten, so der BGH. Leibliche Abkömmlinge sind Personen, die biologisch vom Täter abstammen. Neben leiblichen Kindern sind auch die in gerader Linie absteigenden Verwandten ([Ur-]Enkel) erfasst. Rechtliche Abkömmlinge eines Mannes sind adoptierte Kinder, die die rechtliche Stellung eines Kindes des Annehmenden erlangen, oder Kinder, die diesem rechtlich zugeordnet werden, ohne von ihm abzustammen (z. B., weil die Vaterschaft gerichtlich festgestellt wurde). Es war im Fall des BGH aber nicht festgestellt, dass der Sohn des Angeklagten zum Zeitpunkt der Geburt der Nebenklägerin mit deren Mutter verheiratet war oder sie adoptiert hat. Auf das Strafmaß hat sich die Feststellung des BGH nicht ausgewirkt.
Quelle | BGH, Beschluss vom 22.6.2021, 2 StR 131/21, Abruf-Nr. 225992 unter www.iww.de