| Der Arbeitgeber, der eine betriebliche Invaliditätsrente zusagt, darf die Leistung in einer Versorgungsordnung, die eine Vielzahl vorformulierte Vertragsbedingungen (AGB) enthält, grundsätzlich davon abhängig machen, dass der Arbeitnehmer eine gesetzliche Erwerbsminderungsrente bezieht und rechtlich aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist. Das hat nun das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt. |
Nach der Zusatzversorgungsordnung der Arbeitgeberin (hier: § 7 Abs. 4 ZVO) erhält ein Mitarbeiter Ruhegeld, der wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht und aus den Diensten des Arbeitgebers ausscheidet. Aufgrund Bescheids der Deutschen Rentenversicherung Bund vom Januar 2021 bezog ein Arbeitnehmer (der Kläger) auf seinen Antrag vom Mai 2020 mit Wirkung des 1.11.2020 befristet bis zum 31.8.2022 Rente wegen voller Erwerbsminderung. Mit Schreiben vom 19.1.2021 wandte er sich unter Vorlage des Bescheids an die Beklagte und beantragte, die betriebliche Invaliditätsrente ab Januar 2021 zu gewähren. Am 20.8.2021 kündigte er sein Arbeitsverhältnis zum 31.3.2022. Ab April 2022 leistete die Beklagte das Ruhegeld. Der Kläger hat geltend gemacht, ihm stehe bereits ab Januar 2021 das betriebliche Ruhegeld zu. § 7 Abs. 4 ZVO setze nicht eindeutig das rechtliche Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis voraus. Jedenfalls sei die Regelung unwirksam, da er unzumutbar gezwungen werde, sein Arbeitsverhältnis zu beenden, um in den Genuss des Ruhegelds zu kommen. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Die Revision des Klägers vor dem BAG blieb ebenfalls erfolglos. Die Auslegung des § 7 Abs. 4 ZVO als AGB ergab, dass die ZVO das rechtliche Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis für einen Anspruch auf das betriebliche Ruhegeld voraussetzt. Die der Inhaltskontrolle unterliegende Regelung benachteiligt den Kläger auch nicht unangemessen entgegen den Geboten von Treu und Glauben. Es ist im Grundsatz zumutbar, die Zahlung einer betrieblichen Invaliditätsrente davon abhängig zu machen, dass eine gesetzliche Erwerbsminderungsrente bewilligt und das Arbeitsverhältnis beendet ist. Unter Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen wird dadurch kein unzumutbarer Druck auf den Arbeitnehmer zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses ausgeübt.
Quelle | BAG, Urteil vom 10.10.2023, 3 AZR 250/22, PM 40/23
| Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz unter anderem bei Arbeitsunfällen. Dies erfasst auch Unfälle auf dem Weg von und zur Arbeit, die sogenannten Wegeunfälle. Es ist jedoch nicht immer einfach, festzustellen, ob ein Unfall tatsächlich der versicherten Arbeit zuzurechnen ist. Hierbei kommt es oft darauf an, ob die Motivation für eine bestimmte Handlung wie das Zurücklegen eines Weges dem betrieblichen oder dem privaten Bereich zuzuordnen ist. So war es auch in einem Fall des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg. |
Radtour zur Anbahnung eines Arbeits- bzw. Kundenverhältnisses
Der Kläger, ein selbstständiger Versicherungsmakler, hatte auf dem Rückweg von einer Radtour durch einen Sturz einen Unterschenkelbruch erlitten. Er hatte sich mit einem langjährigen Bekannten an einem Sonntag im Juli 2020 zu einer mehrstündigen Fahrt im Landkreis Ludwigsburg verabredet. Während dieser Radtour grillten die beiden an einem Grillplatz und besuchten danach die Eltern des Klägers. Im Anschluss an diesen Besuch fuhren der Kläger und der Bekannte getrennt nach Hause. Auf dem Heimweg stürzte der Kläger auf einem Feldweg, rutschte einen Weinberg hinab, überschlug sich und brach sich den rechten Unterschenkel. Gegenüber seiner gesetzlichen Unfallversicherung, der Beklagten, teilte der Kläger mit, er habe den Bekannten als zukünftigen Mitarbeiter bzw. Geschäftspartner für den Vertrieb und die Kundenbetreuung gewinnen wollen. Weil beide gern Sport machten und das Wetter schön gewesen sei, habe man sich zu einer Radtour verabredet, um nebenbei Geschäftliches zu besprechen. Der Besuch bei seinen Eltern habe der Demonstration eines Kundengesprächs gedient. Dies seien vorbereitende Tätigkeiten für ein Arbeitsverhältnis gewesen, das aber nach dem Unfall nicht zustande gekommen sei.
Der Bekannte bestätigte die Angaben des Klägers. Die Beklagte lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab, da die unfallverursachende Tätigkeit keinen ausreichenden Zusammenhang zu betrieblichen Interessen bzw. zur Tätigkeit als Unternehmer aufgewiesen habe.
Gemischte Motivationslage: Landessozialgericht lehnt Arbeitsunfall ab
Nachdem das Sozialgericht (SG) die Klage gegen diese Entscheidung abgewiesen hat, ist der Kläger auch vor dem LSG erfolglos geblieben. Denn die Radtour habe, so das LSG, eine sogenannte „Verrichtung mit gemischter Motivationslage“ dargestellt. Sie habe sowohl gemeinsamen privaten Interessen (Radtouren fahren) als auch allerdings insoweit untergeordnet bzw. nachrangig betrieblichen Interessen dienen sollen (gegenseitiges Kennenlernen, Beobachten des Verhaltens bei Kundengesprächen).
Dies ergebe sich etwa aus der Schilderung des Klägers, man „habe sich zu einer Radtour verabredet, um nebenbei Geschäftliches zu besprechen“. Eine Verrichtung mit gemischter Motivationslage erfülle dann den Tatbestand der versicherten Tätigkeit, wenn das konkrete Geschehen hypothetisch auch ohne die private Motivation des Handelns vorgenommen worden wäre. Dies sei vorliegend zu verneinen. Denn ohne das gemeinsame private Interesse am Radfahren hätten der Kläger und sein Bekannter ihr Kennenlernen nicht im Rahmen einer Fahrradtour durchgeführt, und es wäre insofern auch nicht zu dem unfallverursachenden Unfall des Klägers auf dem Heimweg von dieser Radtour gekommen.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.9.2023, L 8 1620/22, PM vom 23.11.2023
| Anders als das Arbeitsgericht (ArbG), das dem Kläger wegen des von ihm angenommenen vorsätzlichen Verstoßes der Beklagten gegen seine Pflichten zur Datenauskunft eine Geldentschädigung von 10.000 Euro zugesprochen hatte, hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf die Klage jetzt vollständig abgewiesen. |
Auskunft nach Datenschutz-Grundverordnung verlangt
Der Kläger war vom 1.12.2016 bis zum 31.12.2016 bei dem Kundenservice der Beklagten, einem Immobilienunternehmen, beschäftigt. Bereits im Jahr 2020 hatte er einen Antrag auf Auskunft gemäß Art. 15 Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) gestellt, den die Beklagte beantwortet hatte.
Auskunft verspätet und mangelhaft?
Mit Schreiben vom 1.10.2022, das der Beklagten an diesem Tag zuging, verlangte er erneut Auskunft und eine Datenkopie auf der Grundlage von Art. 15 DS-GVO. Er setzte eine Frist bis zum 16.10.2022. Als die Beklagte nicht antwortete, erinnerte der Kläger sie am 21.10.2022 mit weiterer Fristsetzung bis zum 31.10.2022. Die ihm dann am 27.10.2022 erteilte Auskunft rügte der Kläger am 4.11.2022 als verspätetet und inhaltlich mangelhaft. Es fehlten die konkreten Angaben zur Dauer der Datenspeicherung und die namentlich bezeichneten Empfänger seiner Daten. Außerdem sei die Datenkopie unvollständig. Mit Schreiben vom 11.11.2022 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Angaben zu den Datenempfängern die Betroffenen in der Regel nicht interessierten und daher nur kategorisiert mitgeteilt worden seien. Zudem konkretisierte sie die Angaben zur Speicherdauer und die Datenkopie. Am 18.11.2022 verlangte der Kläger erneut die namentliche Nennung der Empfänger und auch nähere Angaben zur Speicherdauer. Die Datenkopie sei weiterhin unzureichend. Die Beklagte konkretisierte die Informationen mit Schreiben vom 1.12.2022.
Kein materieller Schaden
Der Kläger hat von der Beklagten eine Geldentschädigung nach Ermessen des Gerichts verlangt, die 2.000 Euro nicht unterschreiten sollte, weil die Beklagte sein datenschutzrechtliches Auskunftsrecht mehrfach verletzt hätte. Diese hat dem widersprochen, weil es u.a. bereits an einem immateriellen Schaden des Klägers fehle.
Es treffe zwar zu, dass die Beklagte gegen die DS-GVO verstoßen habe. Sie habe die Auskunft nicht fristgerecht und anfangs unvollständig erteilt. Eine vollständige Auskunft habe erst am 1.12.2022, also sechs Wochen nach Ablauf der vom Kläger gesetzten Frist vorgelegen. Dies rechtfertige aus zwei Gründen keinen Anspruch auf eine Geldentschädigung gemäß Art. 82 Abs. 1 DS-GVO. Die einschlägige Vorschrift setzt haftungsbegründend eine gegen die DS-GVO verstoßende Datenverarbeitung voraus. Daran fehle es bei der bloßen Verletzung der Auskunftspflicht aus Art. 15 DS-GVO sei es, dass diese verzögert oder anfangs unvollständig erfüllt werde.
Unabhängig davon setze ein datenschutzrechtlicher Anspruch auf eine Geldentschädigung wegen eines immateriellen Schadens mehr als einen bloßen Verstoß gegen die Vorschriften der DS-GVO voraus. Der bloße vom Kläger angeführte Kontrollverlust über die Daten genüge nicht und sei mit dem Verstoß gegen Art. 15 DS-GVO letztlich identisch. Zu weiterem immateriellen Schaden fehlte es an jeglichem konkreten Vortrag des Klägers.
Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 28.11.2023, 3 Sa 285/23, PM vom 28.11.2023
| Wenn im Berufszweig des Arbeitgebers üblicherweise im geschäftlichen Verkehr Firmenbögen bzw. Briefköpfe verwandt werden und er einen solchen besitzt und benutzt, ist ein Zeugnis nicht ordnungsgemäß ausgestellt, wenn es nur mit einer Unterschrift des Geschäftsführers versehen ist. So entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg. |
Unter diesen Umständen wird ein Zeugnis auch nicht als ordnungsgemäß im vorbezeichneten Sinne ausgestellt angesehen, wenn es nur mit einem Firmenstempel und nicht mit dem Briefkopf des Arbeitgebers versehen ist. Es genügt auch nicht, wenn ein als Zeugnis bezeichnetes Schriftstück bei einem Dritten den Eindruck erwecken kann, der Arbeitgeber habe lediglich einen Zeugnisentwurf der Arbeitnehmerin unterzeichnet, ohne sich wirklich mit dem Inhalt der Erklärung zu identifizieren. Gerade das war hier der Fall.
Quelle | LAG Berlin-Brandenburg, 28.11.2023, 26 Ta 1198/23, Abruf-Nr. 238776 unter www.iww.de
| Nach einer beendeten Weihnachtsfeier fand ein Trinkgelage in den Räumlichkeiten der Arbeitgeberin statt. Die Folge: Arbeitnehmer und Arbeitnehmerin haben sich jetzt vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf auf dessen Vorschlag auf eine Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses geeinigt. |
Das war geschehen
Der Arbeitnehmer war seit dem 1.6.2021 als Gebietsmanager Mitte (NRW) im Außendienst bei der Arbeitgeberin, einer Winzergenossenschaft, beschäftigt. Am 12.1.2023 fand bei dieser eine Weihnachtsfeier statt. Nach der Begrüßung im Betrieb mit einem Sekt fuhren die Beschäftigten gemeinsam mit einem Bus zu einem externen Restaurant. Gegen 23:00 Uhr fuhr der Bus die Beschäftigten, die dies wollten, zurück zur firmeneigenen Kellerei.
Der Arbeitnehmer hatte sich dieser Gruppe angeschlossen. Eine Fortsetzung der Weihnachtsfeier im Betrieb war nicht vorgesehen. Der Arbeitnehmer traf sich mit zwei weiteren Kollegen im ca. 500 Meter vom Betrieb entfernten Hotel, um dort eine Flasche Wein zu trinken. Danach gingen er und ein Kollege zurück zum Betrieb der Arbeitgeberin. Das Tor zum Betriebsgelände wurde mit der Zutrittsberechtigungskarte des Kollegen geöffnet. Im Aufenthaltsraum der Kellerei tranken der Arbeitnehmer und sein Kollege vier Flaschen Wein. Die leeren Flaschen standen am nächsten Morgen auf dem Tisch. Im Mülleimer befanden sich zahlreiche Zigarettenstummel. Auf dem Fußboden lag eine zerquetschte Mandarine, die zuvor an die Wand geworfen worden war. Einer der beiden Mitarbeiter hatte sich neben der Eingangstür erbrochen. Das Hoftor stand offen. Der Kollege des Arbeitnehmers wurde am Abend auf dem Nachhauseweg von der Polizei aufgegriffen und wegen seiner starken Alkoholisierung zum Ausschluss einer Eigengefährdung nach Hause gefahren. Er räumte am 16.1.2023 gegenüber der Arbeitgeberin ein, „etwas Scheiße gebaut“ zu haben. Er bezahlte den Wein.
Fristlose Kündigung nach Betriebsratsanhörung
Nach Anhörung des Betriebsrats am 19.1.2023 und mit dessen Zustimmung vom 23.1.2023 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer am 25.1.2023 fristlos und hilfsweise fristgerecht zum 30.4.2023. Anders als das Arbeitsgericht (ArbG) hat das LG im Rechtsgespräch zum Ausdruck gebracht, dass es eine Abmahnung im Hinblick auf die Schwere der Pflichtverletzung nicht für ausreichend erachtet. Es sei offensichtlich, dass man als Mitarbeiter nicht nach beendeter Weihnachtsfeier mit der Chipkarte des Kollegen gegen Mitternacht die Räume des Arbeitgebers betreten dürfe, um dort unbefugt vier Flaschen Wein zu konsumieren. Anhaltspunkte für eine dem Arbeitnehmer erkennbare Duldung dieses Verhaltens seitens der Arbeitgeberin seien nicht ersichtlich. Es stelle sich allenfalls die Frage, ob das Verhalten bereits eine fristlose Kündigung rechtfertige oder die Interessenabwägung zu einer ordentlichen Kündigung führe.
Nach gerichtlichem Vorschlag: spätere Kündigung
Auf Vorschlag des LAG haben die Parteien sich aus sozialen Gründen auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf der Grundlage der streitigen Kündigung mit einer sozialen Auslauffrist bis zum 28.2.2023 geeinigt.
Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 12.9.2023, 3 Sa 284/23, PM 27/2
| Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass eine von einem Leichenumbetter vorgebrachte Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) nicht als sogenannte „Wie-Berufskrankheit“ (also als einer Berufskrankheit gleichgestellt) anerkannt werden kann. Deshalb hatte der Kläger im Verfahren vor dem LSG auch keinen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. |
Berufsgenossenschaft stellte Erkrankung nicht mit Berufskrankheit gleich
Der im Jahr 1963 geborene Kläger war in den Jahren 1993 bis 2005 als Leichenumbetter beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. tätig und führte in Mittel- und Osteuropa mit Schaufel und Bagger die Exhumierung und Identifizierung von Weltkriegstoten sowie von Toten der Jugoslawienkriege in den 1990er Jahren durch. Zu seinen Aufgaben gehörte es, die Gebeine der Toten aus den Grabanlagen zu bergen, Alter, Geschlecht und soweit möglich die Todesursache zu bestimmen sowie Körperbau, Größe und gefundene Gegenstände zu protokollieren und fotografisch zu dokumentieren. Seit dem Jahr 2005 war er arbeitsunfähig erkrankt. Im Jahr 2017 wandte sich der Leichenumbetter an die beklagte Berufsgenossenschaft und trug vor, durch seine langjährige Tätigkeit sei es bei ihm zu gesundheitlichen Störungen mit einer lebenslangen Behinderung gekommen.
Die Berufsgenossenschaft lehnte es ab, seine Erkrankung einer Berufskrankheit gleichzustellen. Psychische Erkrankungen wie eine PTBS gehörten nicht zu den in der Berufskrankheiten-Liste aufgeführten Krankheiten. Die hiergegen gerichtete Klage des Leichenumbetters vor dem Sozialgericht (SG) Potsdam blieb ohne Erfolg.
Klage in zwei Instanzen ohne Erfolg
Das LSG hat die Entscheidung des SG jetzt bestätigt. Nach den aktuellen diagnostischen Kriterien (ICD-11) sei eine PTBS Folge eines extrem bedrohlichen oder entsetzlichen Ereignisses oder einer Reihe von entsprechenden Ereignissen. Diese Eingangsvoraussetzung sei nicht bereits durch die Berufsbezeichnung erfüllt, sondern es sei vielmehr auf die konkreten Einwirkungen abzustellen. Zudem ließen sich aus epidemiologischen Studien keine gesicherten Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zum Zusammenhang zwischen den Tätigkeiten eines Leichenumbetters und einer PTBS ableiten. Hinsichtlich eines solchen Zusammenhangs fehle es bereits an statistisch relevanten Zahlen zur Gruppe der Leichenumbetter. Auf Studien zu Berufen, die ähnliche Belastungen mit sich bringen, wie etwa Zivil- und Militärbestatter, forensische Pathologen oder Mitarbeiter von Rettungsdiensten, könne mangels Übertragbarkeit nicht zurückgegriffen werden. Nicht ausreichend für die Anerkennung „wie eine Berufskrankheit“ sei die bloße Denkbarkeit bzw. Möglichkeit einer psychischen Belastung durch das langjährige Exhumieren, Bergen und Vermessen von Leichen und Leichenteilen.
Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27.4.2023, L 21 U 231/19, PM vom 4.4.2023
| Vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer Arbeit auf Abruf, legen aber die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht fest, gilt grundsätzlich nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (§ 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG) eine Arbeitszeit von 20 Stunden wöchentlich als vereinbart. Eine Abweichung davon kann im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nur angenommen werden, wenn die gesetzliche Regelung nicht sachgerecht ist und objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, die Parteien hätten bei Vertragsschluss übereinstimmend eine andere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit gewollt. So hat es das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. |
Arbeitnehmerin sah einen Annahmeverzug
Die Klägerin ist seit dem Jahr 2009 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Druckindustrie, als „Abrufkraft Helferin Einlage“ beschäftigt. Der von ihr mit einer Rechtsvorgängerin der Beklagten geschlossene Arbeitsvertrag enthält keine Regelung zur Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit. Die Klägerin wurde wie die übrigen auf Abruf beschäftigten Arbeitnehmerinnen nach Bedarf in unterschiedlichem zeitlichen Umfang zur Arbeit herangezogen. Nachdem sich der Umfang des Abrufs ihrer Arbeitsleistung ab dem Jahr 2020 im Vergleich zu den unmittelbar vorangegangenen Jahren verringerte, hat die Klägerin sich darauf berufen, ihre Arbeitsleistung sei in den Jahren 2017 bis 2019 nach ihrer Berechnung von der Beklagten in einem zeitlichen Umfang von durchschnittlich 103,2 Stunden monatlich abgerufen worden. Sie hat gemeint, eine ergänzende Vertragsauslegung ergebe, dass dies die nun geschuldete und von der Beklagten zu vergütende Arbeitszeit sei. Soweit der Abruf ihrer Arbeitsleistung in den Jahren 2020 und 2021 diesen Umfang nicht erreichte, hat sie Vergütung wegen Annahmeverzugs verlangt.
Gerichtliche Instanzen mit unterschiedlicher Sichtweise
Das Arbeitsgericht (ArbG) hat ausgehend von der o. g. gesetzlichen Regelung angenommen, die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit im Abrufarbeitsverhältnis der Parteien betrage 20 Stunden. Es hat deshalb der Klage auf Zahlung von Annahmeverzugsvergütung nur in geringem Umfang insoweit stattgegeben, als in einzelnen Wochen der Abruf der Arbeitsleistung der Klägerin 20 Stunden unterschritten hatte. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Revision der Klägerin, mit der sie an ihren weitergehenden Anträgen festgehalten hat, blieb vor dem BAG erfolglos.
Kein Umfang der Arbeitszeit vereinbart?
Vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat (Arbeit auf Abruf), müssen sie nach § 12 Abs. 1 S. 2 TzBfG arbeitsvertraglich eine bestimmte Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit festlegen.
Dann gelten laut Gesetz 20 Wochenstunden!
Unterlassen sie das, schließt § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG diese Reglungslücke, indem kraft Gesetzes eine Arbeitszeit von 20 Wochenstunden als vereinbart gilt. Eine davon abweichende Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit kann im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nur dann angenommen werden, wenn die Fiktion des § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG im betreffenden Arbeitsverhältnis keine sachgerechte Regelung ist und objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer hätten bei Vertragsschluss bei Kenntnis der Regelungslücke eine andere Bestimmung getroffen und eine höhere oder niedrigere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit vereinbart. Für eine solche Annahme hat die Klägerin jedoch keine Anhaltspunkte vorgetragen.
Es steht den Parteien jederzeit frei, eine Vereinbarung zu treffen
Wird die anfängliche arbeitsvertragliche Lücke zur wöchentlichen Arbeitszeit bei Beginn des Arbeitsverhältnisses durch die gesetzliche Fiktion des § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG geschlossen, können die Parteien in der Folgezeit ausdrücklich oder konkludent eine andere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit vereinbaren. Dafür reicht aber das Abrufverhalten des Arbeitgebers in einem bestimmten, lange nach Beginn des Arbeitsverhältnisses liegenden und scheinbar willkürlich gegriffenen Zeitraum nicht aus. Allein dem Abrufverhalten des Arbeitgebers kommt kein rechtsgeschäftlicher Erklärungswert dahingehend zu, er wolle sich für alle Zukunft an eine von § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG abweichende höhere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit binden. Allein die Bereitschaft des Arbeitnehmers, in einem bestimmten Zeitraum mehr als nach § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG geschuldet zu arbeiten, rechtfertigt auch nicht die Annahme, der Arbeitnehmer wolle sich dauerhaft in einem höheren zeitlichen Umfang als gesetzlich vorgesehen binden.
Quelle | BAG, Urteil vom 18.10.2023, 5 AZR 22/23, PM 42/23
| Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln hat das Erzbistum Köln verurteilt, eine Frau rückwirkend zum 1.1.2021 in ein beamtenähnliches Verhältnis zu übernehmen und den Differenzbetrag zu ihrer bisherigen Vergütung nachzuzahlen. Der Frau stand dieser Anspruch zu. Das Erzbistum scheiterte mit seiner Ansicht, eine solche Übernahme stünde ich seinem freien Ermessen. |
Das war passiert
Die Frau ist seit dem Jahr 2002 bei dem beklagten Erzbistum beschäftigt, zuletzt als Mitarbeiterin in leitender Stellung. Nach der damals geltenden „Ordnung für Leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Generalvikariats und der angeschlossenen Dienststellen sowie des Offizialrates und des Katholisch Sozialen Instituts“ konnten leitende Mitarbeiter bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen in ein Dienstverhältnis übernommen werden, auf das die Bestimmungen des Beamtenrechts des Landes NRW entsprechend angewandt werden (sog. beamtenähnliches Verhältnis). Die Frau stellte auf dieser Grundlage Ende 2019 einen Übernahme-Antrag.
Nachdem das Erzbistum keine Entscheidung hierüber traf, erhob sie Klage vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Köln und verlangte die Übernahme in ein beamtenähnliches Verhältnis rückwirkend ab Januar 2021. Sie war der Ansicht, dass ihr die Übernahme aus Gleichbehandlungsgesichtspunkten nicht verwehrt werden könne. Die Übernahme von leitenden Mitarbeitern in ein beamtenähnliches Verhältnis sei beim Erzbistum jahrelang gelebte Praxis und eine reine Formsache gewesen. Das Erzbistum hat demgegenüber die Auffassung vertreten, dass die Entscheidung über die Übernahme in ein beamtenähnliches Verhältnis im freien Ermessen des Generalvikars stehe.
So sah es das Landesarbeitsgericht
Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat nun auf die Berufung der Klägerin zu ihren Gunsten entschieden und der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Nach seiner Auffassung hat die Klägerin nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz Anspruch auf Übernahme in ein beamtenähnliches Verhältnis. Dieser Grundsatz gelte auch für das Erzbistum.
Zwar könnten die Kirchen aufgrund ihres verfassungsrechtlich garantierten Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrechts ein eigenständiges Arbeitsrecht erlassen. Bedienten sich die Kirchen allerdings der Privatautonomie zur Begründung von Arbeitsverhältnissen, sei auf sie das staatliche Arbeitsrecht mithin auch der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz anwendbar. Das LAG hat die Revision nicht zugelassen.
Quelle | LAG Köln, Urteil vom 8.8.2023, 4 Sa 371/23, PM 10/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat sich aktuell mit der Frage befasst, ob eine (nicht erwerbsmäßig tätige) Pflegeperson unfallversichert ist, wenn sie beim Holen eines Blutzuckermessgeräts für den Pflegebedürftigen Opfer eines Angriffs wird. Im konkreten Fall hat das LSG dies verneint. |
Überfall im Hausflur
Der seinerzeit 28-jährige Kläger lebte zusammen mit seinem Lebensgefährten in einer gemeinsamen Wohnung in einem Mehrfamilienhaus. Der Lebensgefährte war pflegebedürftig (Pflegegrad 3), unter anderem aufgrund eines insulinpflichtigen Diabetes mellitus. Der Kläger pflegte ihn.
Am 28.5.2018 verließ der Kläger gegen 1:15 Uhr die Wohnung. Im Hausflur wurde er nach einer kurzen verbalen Auseinandersetzung von zwei Jugendlichen angegriffen. Hierbei erlitt er eine Fraktur des Jochbeins und des Oberkiefers sowie ein Schädelhirntrauma. Die Jugendlichen stammten aus einer betreuten Wohngemeinschaft, die sich im selben Haus befand. Sie wurden vom Amtsgericht (AG) Tiergarten der gefährlichen Körperverletzung bzw. der Körperverletzung schuldig gesprochen.
Der Kläger wandte sich nach dem Vorfall an die Unfallkasse Berlin (Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung). Er gab an, er habe sich zum Zeitpunkt des Angriffs auf dem Weg zum Auto befunden, um dort das Blutzuckermessgerät für seinen Lebensgefährten zu holen. Die Unfallkasse Berlin lehnte es ab, das o. g. Ereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin blieb ohne Erfolg.
Angriff war kein Arbeitsunfall
Auf die daraufhin vom Kläger eingelegte Berufung hat das LSG die Entscheidung des SG bestätigt. Es hat ausgeführt, dass das o. g. Ereignis keinen Arbeitsunfall darstelle. Der Kläger gehöre als nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson zwar zum Kreis derjenigen Personen, die kraft Gesetzes unfallversichert seien. Auch sei der Gang des Klägers aus der Wohnung zum Auto als „Betriebsweg“ der pflegerischen Tätigkeit zuzurechnen. Die Angabe des Klägers, er habe die Wohnung verlassen, um das Blutzuckermessgerät für seinen Lebensgefährten zu holen, könne insoweit als wahr unterstellt werden. Gleichwohl sei die gesetzliche Unfallversicherung im vorliegenden Fall nicht einstandspflichtig, da sich mit dem Angriff auf den Kläger kein Risiko verwirklicht habe, gegen dessen Eintritt der hier einschlägige Unfallversicherungstatbestand schützen solle.
Insoweit sei zu beachten, dass nicht jeder körperliche Angriff auf einem Betriebsweg unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung falle. Vielmehr sei der Versicherungsschutz ausgeschlossen, wenn der Angreifer aus persönlicher Feindschaft oder aufgrund von ähnlichen, aus privaten Beziehungen stammenden Beweggründen handle.
Persönliche Konflikte waren ursächlich für den Angriff
So liege der Fall hier. Aus den polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten ergebe sich, dass der Kläger seine Wohnung am 28.5.2018 (auch) verlassen habe, um die Jugendlichen zur Rede zu stellen, nachdem ihm deren „merkwürdiges Verhalten am Fahrstuhl“ aufgefallen sei. Bereits zuvor sei es zu erheblichen Konflikten zwischen dem Kläger bzw. seinem Lebensgefährten und den in der Wohngemeinschaft betreuten Jugendlichen gekommen. Am 28.5.2018 sei Gegenstand des Streits eine Verschmutzung des Fahrstuhls mit weißer Farbe gewesen, für deren Verursachung die Jugendlichen den Kläger verantwortlich machen wollten. Der Kläger sei nicht Opfer der Körperverletzung geworden, weil er sich gerade auf dem Weg zum Auto (und damit zum Blutzuckermessgerät) befunden habe. Vielmehr sei wesentliche Ursache des Angriffs der bestehende persönliche Konflikt gewesen.
Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9.11.2023, L 21 U 85/21, PM vom 15.11.2023
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin hat entschieden: Ein Arzt hat während des behördlich angeordneten Ruhens seiner Approbation keinen Anspruch auf Vergütung und ist zur Rückzahlung bereits geleisteter Vergütung verpflichtet. |
Arzt durfte nicht praktizieren, tat es aber doch
Ein Arzt war seit 2016 befristet bis Ende Juni 2022 in einem großen Berliner Krankenhaus angestellt. Im März 2018 ordnete das Landesamt für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit des Landes Brandenburg das Ruhen der Approbation des Arztes wegen Zweifeln an seiner gesundheitlichen Eignung an und forderte diesen zur Rückgabe seiner Approbationsurkunde auf. Der Bescheid über das Ruhen seiner Approbation ging ihm an seiner bei der Ärztekammer hinterlegten Wohnanschrift zu und wurde bestandskräftig. Dies hatte zur Folge, dass der Arzt den ärztlichen Beruf bis zur Aufhebung der Ruhensanordnung nicht ausüben durfte. Dennoch war er in der Folgezeit ohne die erforderliche Berechtigung, als Arzt tätig zu werden, an 1.053 Operationen beteiligt, davon an 444 als erster Operateur.
Krankenhaus zahlte dem Arzt keine Vergütung
Nachdem der Arzt, der zwischenzeitlich verzogen war, die Approbationsurkunde nicht zurücksandte, stellte die zuständige Behörde Nachforschungen bezüglich seiner Wohnanschrift an. Ende Februar 2022 erreichte den Arzt, der behauptet, bis zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis von der Ruhensanordnung gehabt zu haben, ein behördliches Schreiben mit der Aufforderung zur Rücksendung der Approbationsurkunde. Er informierte das beklagte Krankenhaus über das Ruhen seiner Approbation Ende März 2022. Das beklagte Krankenhaus zahlte ihm für den Monat März 2022 daraufhin keine Vergütung.
So entschied das Arbeitsgericht
Das ArbG hat die Zahlungsklage des Arztes abgewiesen und der von dem beklagten Krankenhaus erhobenen Widerklage auf Rückzahlung der in den letzten sechs Monaten gezahlten Nettovergütungen stattgegeben. Zur Begründung hat das ArbG im Wesentlichen ausgeführt, dass der Arzt die von ihm geschuldete Arbeitsleistung nicht erbracht habe und diese aufgrund des Ruhens der Approbation trotz seiner physischen Leistungsfähigkeit und seiner erworbenen fachlichen Qualifikation nicht erbringen habe können.
Ferner ging das ArbG davon aus, das beklagte Krankenhaus habe die Zahlungen in der Vergangenheit ohne rechtlichen Grund geleistet und sei daher zur Rückforderung berechtigt. Eine Verrechnung mit den in dieser Zeit tatsächlich erbrachten Leistungen des Arztes erfolge nicht, da diese nicht mit einem positiven Wert zu bemessen seien. Dem beklagten Krankenhaus verbleibe im Hinblick auf potenzielle Regressforderungen kein zu berücksichtigender Vorteil durch das Tätigwerden des Arztes.
Arzt stellte sich ahnungslos
Dass dieser keine Kenntnis von der Ruhensanordnung gehabt haben will, hielt das ArbG für unbeachtlich. Denn die Unkenntnis sei auf ein pflichtwidriges Verhalten des Arztes zurückzuführen.
Gegen diese Entscheidung ist für den Arzt das Rechtsmittel der Berufung zum Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg gegeben.
Quelle | ArbG Berlin, Urteil vom 28.6.2023, 14 Ca 3796/22 und 14 Ca 11727/22, PM 24/23