| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat den koordinierten Beschäftigtentausch als Sparmodell für Sozialversicherungsbeiträge für unzulässig erklärt. |
Darum ging es
Ausgangspunkt war die Klage eines niedersächsischen Obstbauern, der einen Betrieb für Apfelanbau führt und an einem weiteren Betrieb für Erdbeeranbau beteiligt ist. Seine Erntehelfer beschäftigt er formal ganzjährig im Apfelanbau. Sie erhalten dort einen festen Monatslohn auf Basis eines Jahresarbeitsstundensolls. In der Zeit von Mai bis Juli wurden die Helfer jedoch im Erdbeerbetrieb eingesetzt. Auf den Lohn dieser Arbeit zahlte der Bauer keine Sozialversicherungsbeiträge, da er die Arbeit als zeitgeringfügige Aushilfstätigkeit betrachtete. Während der Apfelernte im Herbst verfuhr er bei jeweils wechselnder Arbeitsfreistellung mit den Beschäftigten des Erdbeerbetriebs in ähnlicher Weise.
Kurzzeitige Saisonaushilfen oder berufsmäßige Beschäftigte?
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) kam nach einer Betriebsprüfung zu dem Ergebnis, dass die Mitarbeiter nicht nur kurzzeitige Saisonaushilfen seien, sondern berufsmäßig Beschäftigte, für die rd. 58.000 Euro Sozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten seien.
Bauer reklamierte für sich „angepasste Gestaltung“
Hiergegen klagte der Bauer und meinte, dass in rechtlich selbstständigen Betrieben eine Arbeitnehmertätigkeit im Hauptberuf und eine kurzzeitige Beschäftigung bei einem weiteren Arbeitnehmer möglich und erlaubt sei. Steigende Preise und politische Unsicherheiten würden eine angepasste Gestaltung notwendig machen.
Landessozialgericht spricht Klartext
Das LSG hat die Rechtsauffassung der DRV bestätigt. Zur Begründung hat es auf die Berufsmäßigkeit der Helfer abgestellt, die eine Beitragspflicht für die gesamte Tätigkeit auslöse. Das praktizierte Modell verfolge zielgerichtet das Bestreben, über wechselseitige betriebliche Absprachen und mittels langfristig geplanter und aufeinander abgestimmter organisatorischer und vertraglicher Maßnahmen rund ein Drittel des Jahreseinkommens der Arbeitskräfte der Beitragspflicht zur gesetzlichen Sozialversicherung zu entziehen. Die Gefahr der Altersarmut aufseiten der Erntehelfer sei von den Arbeitgebern sehenden Auges hingenommen worden. Die sozialrechtlichen Vorgaben ließen keinen Raum für eine entsprechende Beitragsverkürzung.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.12.2023, L 2 BA 59/23, PM vom 5.2.2024
| Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch verpflichtet. Das Sozialrecht (hier: § 165 S. 3 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX)) sieht die grundsätzliche Einladungspflicht nur für öffentliche Arbeitgeber vor. Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist kein öffentlicher Arbeitgeber. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Schwerbehinderten nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen
Der schwerbehinderte Kläger hatte sich um eine Stelle in der Verwaltung eines Kirchenkreises der Evangelischen Kirche im Rheinland beworben. Trotz Offenlegung seiner Schwerbehinderung wurde er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Seine Bewerbung blieb erfolglos.
Lag Diskriminierung vor?
Nach Ansicht des Klägers wurde er im Auswahlverfahren wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Dies indiziere die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Hierzu sei der Kirchenkreis nach der o. g. Vorschrift verpflichtet gewesen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts gelte er als öffentlicher Arbeitgeber. Mit seiner Klage hat der Kläger deshalb die Zahlung einer Entschädigung verlangt. Der beklagte Kirchenkreis hat dies abgelehnt. Er sei kein öffentlicher Arbeitgeber. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Bundesarbeitsgericht spricht Klartext
Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung dargelegt.
Eine solche kann nicht aufgrund der unterbliebenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch vermutet werden. Hierzu war der beklagte Kirchenkreis nicht verpflichtet. Die Einladungspflicht besteht zwar u. a. für Körperschaften des öffentlichen Rechts. Dies betrifft aber nach dem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Begriffsverständnis nur Körperschaften, die staatliche Aufgaben wahrnehmen. Kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts dienen demgegenüber primär der Erfüllung kirchlicher Aufgaben. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts soll dabei die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgesellschaft unterstützen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Einladungspflicht auf kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts erstrecken wollte. Insoweit stehen sie den ebenfalls staatsfernen privaten Arbeitgebern gleich.
Quelle | BAG, Urteil vom 25.1.2024, 8 AZR 318/22, PM 2/24
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung eines Schwerbehinderten in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses diskriminierend im Sinne des Sozialgesetzbuchs IX (hier: § 164 Abs. 2 SGB IX) ist. Sie kann damit unwirksam sein, wenn der Arbeitgeber das Präventionsverfahren nach dem Sozialgesetzbuch (§ 167 Abs. 1 SGB IX) nicht durchgeführt hat. |
Der mit einem Grad der Behinderung von 80 schwerbehinderte Kläger ist seit dem 1.1.2023 bei der beklagten Kommune als „Beschäftigter im Bauhof“ beschäftigt. Der Kläger wurde zwischen dem 2.1. und 14.4.2023 in verschiedenen Kolonnen des Bauhofs eingesetzt und war ab Ende Mai arbeitsunfähig. Am 22.6.2023 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 31.7.2023.
Das ArbG hat entschieden: Die Kündigung verstößt gegen das Diskriminierungsverbot des § 164 Abs. 2 SGB IX und ist damit unwirksam. Der Arbeitgeber sei entgegen bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) auch während der Wartezeit gemäß Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 Abs. 1 KSchG) verpflichtet, das o.g. Präventionsverfahren durchzuführen.
§ 167 Abs. 1 SGB IX regelt, dass möglichst frühzeitig als Präventionsmaßnahme die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt einzuschalten sind, wenn Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis eintreten, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können. Dies habe die Arbeitgeberin hier nicht getan. Sie hätte, als sie bemerkte, dass der schwerbehinderte Kläger sich während der Wartezeit wie sie vorträgt nicht bewährte bzw. sich nicht ins Team einfügte und ihren Erwartungen nicht entsprach, Präventionsmaßnahmen ergreifen und gegebenenfalls die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt präventiv einschalten müssen.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 20.12.2023, 18 Ca 3954/23, PM 2/24
| Wer mit einem äußerst scharfen Filetiermesser hantiert, muss besonders sorgfältig agieren, um Verletzungen von Kollegen auszuschließen. Nicht jeder Fehlgebrauch rechtfertigt aber eine Kündigung ohne vorherige einschlägige Abmahnung. Dies hat wie bereits zuvor das Arbeitsgericht (ArbG) Lübeck auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein entschieden. |
Kollegin Messer an den Hals gehalten
Der 29-jährige Kläger ist bei der Beklagten seit Juni 2019 als Industriemechaniker beschäftigt. Am 1.6.2022 arbeitete er mit einer Mitarbeiterin und einem Mitarbeiter an einem Probierstand. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger der Mitarbeiterin ein Filetiermesser mit einer Klingenlänge von 20 cm mit einem Abstand von 10 bis 20 cm an den Hals hielt und damit deren Leib und Leben bedrohte. Die Beklagte kündigte dem Kläger daraufhin am 14.7.2022 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.10.2022.
Kündigungsschutzklage erfolgreich
Die Kündigungsschutzklage des Klägers war in zwei Instanzen erfolgreich. Sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung waren unwirksam. Es fehlte an einem hinreichenden Kündigungsgrund. Zwar kommt eine ernstliche Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben u. a. von Arbeitskollegen als „an sich“ als wichtiger Grund für eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung in Betracht. Dies setzt aber voraus, dass der Arbeitnehmer mit dem Willen handelt, dass der Kollege die Drohung zur Kenntnis nimmt und als ernst gemeint auffasst.
Vorsatz war nicht nachzuweisen
Selbst den Vortrag der Beklagten als zutreffend unterstellt, konnte jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts auf einen bedingten Vorsatz beim Kläger geschlossen werden. Vielmehr war es auch möglich, dass der Kläger das Messer schlicht in der rechten Hand haltend sich mit dem Oberkörper zur Mitarbeiterin gedreht hat und bei dieser Drehbewegung dessen rechte Hand mit dem Messer nahe an deren Hals gelangt ist.
Verhältnismäßigkeit muss gewahrt werden
Die Kündigungen konnten auch nicht darauf gestützt werden, dass der Kläger allein durch das Hantieren mit dem Messer Leib und Leben der Mitarbeiterin objektiv und fahrlässig gefährdet hat. Der unsachgemäße Umgang mit einem Messer stellt zwar eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar. Diese hätte nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz den Ausspruch einer fristlosen oder fristgerechten Kündigung nur gerechtfertigt, wenn der Kläger zuvor wegen einer ähnlichen Pflichtverletzung abgemahnt worden wäre. Insbesondere steht auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht zur Überzeugung des Landesarbeitsgerichts fest, dass der Kläger das Messer bewusst und aktiv an den Hals der Mitarbeiterin gehalten hat.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 13.7.2023, 5 Sa 5/23
| Nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) haben Betriebsräte Anspruch auf für die Betriebsratsarbeit erforderlichen Schulungen, deren Kosten der Arbeitgeber tragen muss. Davon können Übernachtungs- und Verpflegungskosten für ein auswärtiges Präsenzseminar auch dann erfasst sein, wenn derselbe Schulungsträger ein inhaltsgleiches Webinar anbietet. So entschied es das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Arbeitgeberin verweigerte Erstattung von Übernachtungs- und Verpflegungskosten
Bei der Arbeitgeberin einer Fluggesellschaft ist durch Tarifvertrag eine Personalvertretung (PV) errichtet, deren Schulungsanspruch sich nach dem BetrVG richtet. Die PV entsandte zwei ihrer Mitglieder zu einer mehrtägigen betriebsverfassungsrechtlichen Grundlagenschulung Ende August 2021 in Potsdam. Hierfür zahlte die Arbeitgeberin die Seminargebühr, verweigerte aber die Übernahme der Übernachtungs- und Verpflegungskosten.
Dies begründete sie vor allem damit, die Mitglieder der PV hätten an einem zeit- und inhaltsgleich angebotenen mehrtägigen Webinar desselben Schulungsanbieters teilnehmen können. In dem von der PV eingeleiteten Verfahren hat diese geltend gemacht, dass die Arbeitgeberin auch die Übernachtungs- und Verpflegungskosten tragen muss. Hierzu haben die Vorinstanzen die Arbeitgeberin verpflichtet.
Bundesarbeitsgericht: Betriebsrat hat Spielraum
Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Ebenso wie ein Betriebsrat hat die PV bei der Beurteilung, zu welchen Schulungen sie ihre Mitglieder entsendet, einen gewissen Spielraum. Dieser umfasst grundsätzlich auch das Schulungsformat. Dem steht nicht von vornherein entgegen, dass bei einem Präsenzseminar im Hinblick auf die Übernachtung und Verpflegung der Schulungsteilnehmer regelmäßig höhere Kosten anfallen als bei einem Webinar.
Quelle | BAG, Beschluss vom 7.2.2024, 7 ABR 8/23, PM 5/24
| Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gekündigt worden, ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. So sieht es das Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 KSchG) vor. Diesen Grundsatz hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf jetzt noch einmal bekräftigt. |
Das war geschehen
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 1.2.2012 beschäftigt. Die Beklagte beschäftigte in ihrem einzigen Betrieb zuletzt knapp 600 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Am 1.3.2022 wurde über das Vermögen der Beklagten das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet. Der Sachwalter und der Gläubigerausschuss stimmten der Einstellung der Geschäftstätigkeit zum 31.12.2022 zu.
Nachdem die Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs am 24.11.2022 durch Spruch der Einigungsstelle für gescheitert erklärt wurden, stellte die Beklagte am 28.11.2022 Anträge auf behördliche Zustimmungen zur betriebsbedingten Kündigung nach dem SGB IX (schwerbehinderte Menschen) und BEEG (Elternzeit). Den Beschäftigten wurde die Gelegenheit eingeräumt, in eine Transfergesellschaft zu wechseln. Im Dezember 2022 sprach die Beklagte gegenüber allen Beschäftigten betriebsbedingte Beendigungskündigungen aus, soweit das Ende des Arbeitsverhältnisses nicht aus anderen Gründen feststand.
Alle Mitarbeitenden, auch der Kläger, wurden ab dem 1.1.2023 unwiderruflich freigestellt. Ausgenommen waren die Beschäftigten des Abwicklungsteams, das ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Anlage 53 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer umfasste, wobei gegenüber dreizehn Personen Kündigungen zum 31.3.2023 und gegenüber den übrigen vierzig Personen Kündigungen zum 30.6.2023 ausgesprochen wurden. Das Arbeitsverhältnis des Klägers kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 16.12.2022 zum 31.3.2023.
Erfolgreiche Kündigungsschutzklage nicht aufgrund Gesetzeslage…
Die vom Kläger hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hatte vor dem LAG Düsseldorf ebenso wie zuvor beim Arbeitsgericht (ArbG) Solingen Erfolg. Dies folgte zwar nicht aus § 17 KSchG i. V. m. § 134 BGB wegen einer nicht ordnungsgemäßen Massenentlassungszeige. Etwaige Fehler in diesem Zusammenhang stellen keinen Unwirksamkeitsgrund dar, weil Zweck der Anzeige nicht der Individualschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist.
…sondern aufgrund fehlerhafter Sozialauswahl
Die Kündigung war indes aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) rechtsunwirksam, wie es bereits das ArbG zutreffend ausgeführt hatte. Bei einer etappenweisen Betriebsstillegung hat der Arbeitgeber keine freie Auswahl, wem er früher oder später kündigt. Es sind grundsätzlich die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit den Abwicklungsarbeiten zu beschäftigen.
Fehlerhafte Vergleichsgruppen
Die Beklagte hatte hier die Sozialauswahl methodisch fehlerhaft durchgeführt, weil sie die Vergleichsgruppen fehlerhaft gebildet hatte. So hatte sie diese u.a. anhand der ursprünglich ausgeübten Tätigkeiten gebildet. Sie hätte die soziale Auswahl stattdessen anhand der noch im Abwicklungsteam anfallenden Tätigkeiten vornehmen müssen, zu denen die Beklagte nur unvollständig vorgetragen hatte. Es fehlte weitgehend an Vortrag dazu, welche Aufgaben mit welcher Dauer im Abwicklungsteam anfielen, welche Anforderungsprofile dafür erforderlich waren und wie auf dieser Grundlage ein Vergleich vorgenommen werden soll. Die daraus folgende Vermutung der fehlerhaften Sozialauswahl hatte die Beklagte auch in zweiter Instanz nicht widerlegt.
Das LAG hat die Revision nicht zugelassen.
Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 9.1.2024, 3 Sa 529/23, PM 2/24
| Stiehlt ein Polizist nach einem Verkehrsunfall Käse, ist er aus dem Dienst zu entfernen. So entschied es das Verwaltungsgericht (VG) Trier. |
Das war geschehen
Ein Lkw hatte einen Unfall. Der Polizeibeamte, der eine Uniform und eine Dienstwaffe trug, verlangte von der Bergungsfirma, aus der verunfallten Ladung neun unbeschädigte Packungen Käse herauszugeben. So geschah es. Diese Pakete verlud der Polizist mit einer Kollegin in einen Einsatzbus und deckte sie ab. U. a. ein knappes Viertel des Käses fand sich später in der Polizeistation des Beamten. Seine Erklärung: Der Gutachter der Versicherung habe den Käse freigegeben. Es habe sich quasi um Müll gehandelt. Was er verschwieg: Der Käse wurde später noch zum Restwert verkauft.
Verwaltungsgericht „kennt keine Gnade“
Der Polizist kam zwar vor dem Strafgericht „mit einem blauen Auge“ davon. Das VG, bei dem es um disziplinarische Maßnahmen gegen den Beamten ging, entfernte ihn aus dem Dienst. Er habe während der Dienstzeit in Uniform einen Diebstahl mit Waffen begangen. Das VG verhängte daher die Höchstmaßnahme. Das VG betonte: Einem Polizisten, der in Uniform stiehlt, könne man nicht mehr glauben, dass er sich an Recht und Gesetz hält.
Das VG bewertete es als besonders negativ, dass der Beamte das Vertrauen in die Polizei ausgenutzt hatte, indem er der Bergungsfirma falsche Tatsachen vorgespiegelt hatte. Hinzu kamen Lügen gegenüber seinen Vorgesetzten. Unerheblich sei es, falls der Käse nur als Geschenk an Kollegen dienen sollte.
Quelle | VG Trier, Urteil vom 18.1.2024, 3 K 1752/23 TR
| Der Kläger war seit dem 1.7.2018 als Rezeptionist in einem Beherbergungsbetrieb tätig und regelmäßig in der Spätschicht eingesetzt. Er hatte am 12.1.2022 sein Hybridauto vor der Herberge geparkt und über ein Ladekabel an einer 220 Volt Steckdose im Flur des Seminartrakts aufgeladen. Nachdem die Beklagte dies entdeckt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis am 14.1.2022 fristlos. Hiergegen hatte der Kläger sich mit seiner Kündigungsschutzklage gewandt und in erster Instanz obsiegt. In dem vom Arbeitgeber angestrengten Berufungsverfahren haben die Parteien ihren Streit vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf nun per Vergleich beigelegt. |
Unerlaubtes Laden an sich ein Kündigungsgrund
In der mündlichen Verhandlung bestätigte das LAG, dass das unerlaubte Laden des Privatfahrzeugs auf Kosten des Arbeitgebers an sich ein Kündigungsgrund ist. Dies gilt erst recht, wenn das Laden an einer 220 Volt Steckdose und nicht an einer Wallbox oder eingerichteten Ladestation erfolgt.
Erteilte Erlaubnis war unklar
Das LAG hatte allerdings bereits Zweifel, ob von einem unerlaubten Laden auszugehen sei. Dazu hätte ggf. die Beweisaufnahme erster Instanz zur Frage der gegenüber dem Kläger erteilten Erlaubnis wiederholt werden müssen.
Hier hätte Abmahnung ausgereicht
Unabhängig davon sprach nach Ansicht des LAG mehr dafür, dass hier eine Abmahnung ausgereicht hätte. Eine Kündigung wäre wohl unverhältnismäßig gewesen.
„Schaden“ von rund 40 Cent
So lagen die Kosten für den Ladevorgang am 12.1.2022 bei lediglich 0,4076 Euro. Ein Verbot zum Laden von Elektromotoren für die Mitarbeitenden existierte nicht. Die Hausordnung, die dies vorsah, richtete sich ausdrücklich nur an Gäste. Das Laden anderer elektronischer Geräte, z. B. Handys, durch Mitarbeitende wurde geduldet. Auch wenn dies wertungsmäßig etwas anderes als das Laden eines Hybridautos ist, hätte im konkreten Fall angesichts der bislang beanstandungsfreien Beschäftigungszeit eine Abmahnung genügt.
Am Ende verglichen sich die Parteien
Auf Vorschlag des Gerichts haben sich die Parteien u.a. auf eine ordentliche Kündigung zum 28.2.2022 und eine Abfindung von 8.000 Euro brutto geeinigt.
Quelle | LAG Düsseldorf, Vergleich vom 19.12.2023, 8 Sa 244/23, PM 32/23
| Der Beweiswert von (Folge-)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann erschüttert sein, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen, und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun klargestellt. |
War der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert?
Der Kläger war seit März 2021 als Helfer bei der Beklagten beschäftigt. Er legte am Montag, dem 2.5.2022, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 2. bis zum 6.5.2022 vor. Anfang Mai kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.5.2022. Mit Folgebescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 wurde Arbeitsunfähigkeit bis zum 20.5.2022 und bis zum 31.5.2022 (einem Dienstag) bescheinigt. Ab dem 1.6.2022 war der Kläger wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung auf. Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Beweiswert der vorgelegten AU-Bescheinigungen sei erschüttert. Dem widersprach der Kläger, weil die Arbeitsunfähigkeit bereits vor dem Zugang der Kündigung bestanden habe. Die Vorinstanzen haben der auf Entgeltfortzahlung gerichteten Klage für die Zeit vom 1. bis zum 31.5.2022 stattgegeben.
Gesetzliches Beweismittel
Die Revision der Beklagten hatte teilweise bezogen auf den Zeitraum vom 7. bis zum 31.5.2022 Erfolg. Ein Arbeitnehmer kann die von ihm behauptete Arbeitsunfähigkeit mit ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachweisen. Diese sind das gesetzlich vorgesehene Beweismittel.
Arbeitgeber kann Beweiswert erschüttern
Deren Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die nach einer Gesamtbetrachtung Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geben. Hiervon ausgehend ist das Landesarbeitsgericht (LAG) bei der Prüfung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die während einer laufenden Kündigungsfrist ausgestellt werden, zutreffend davon ausgegangen, dass für die Erschütterung des Beweiswerts dieser Bescheinigungen nicht entscheidend ist, ob es sich um eine Kündigung des Arbeitnehmers oder eine Kündigung des Arbeitgebers handelt und ob für den Beweis der Arbeitsunfähigkeit eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden.
Einzelfall ist zu würdigen
Stets erforderlich ist allerdings eine einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände. Hiernach hat das Berufungsgericht richtig erkannt, dass der Beweiswert für die Bescheinigung vom 2.5.2022 nicht erschüttert ist. Eine zeitliche Koinzidenz zwischen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und dem Zugang der Kündigung ist nicht gegeben. Der Kläger hatte zum Zeitpunkt der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine Kenntnis von der beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses, etwa durch eine Anhörung des Betriebsrats. Weitere Umstände hat die Beklagte nicht dargelegt. Bezüglich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 ist der Beweiswert dagegen erschüttert. Das LAG hatte insoweit nicht ausreichend berücksichtigt, dass zwischen der in den Folgebescheinigungen festgestellten passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestand und der Kläger unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen hat. Dies hat zur Folge, dass der Kläger nun für die Zeit vom 7.5.bis zum 31.5.2022 die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch trägt.
Da das LAG aus seiner Sicht konsequent hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückzuverweisen.
Quelle | BAG, Urteil vom 13.12.2023, 5 AZR 137/23, PM 45/23
| Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern hat jetzt klargestellt: Beschreibt der Arbeitgeber das Arbeitsumfeld als „jung und dynamisch“, bezieht sich dies auf den Arbeitsplatz. Es wird kein Bewerber wegen seines Alters ausgeschlossen. |
Ein Tankstellenpächter suchte in einem Zeitungsinserat wie folgt nach einem neuen Mitarbeiter: „Wir sind ein junges und dynamisches Team mit Benzin im Blut und suchen Verstärkung.“ Anschließend folgten Einzelheiten zu Anforderungen und Gehalt. Die konkreten Arbeitsbedingungen wurden beschrieben. Der 50-jährige Kläger bewarb sich erfolglos. Eingestellt wurde ein 48-jähriger Mann. Der Kläger forderte eine Entschädigung. Die Stellenanzeige enthalte eine Altersdiskriminierung. Damit scheiterte er in erster und zweiter Instanz.
Das LAG stellte fest: Das Inserat formulierte keine Anforderungen, die den Kläger wegen seines Alters von einer Bewerbung hätte abhalten sollen. Hier lag vielmehr eine werbende Eigendarstellung vor. Es handele sich um eine überspitzte, ironische, nicht ernsthaft gemeinte, in der Form eines Werbeslogans gehaltene Beschreibung des Arbeitsumfeldes. Das LAG: Einzelne Begriffe, z. B. „jung“, herauszupicken und auf sich selbst zu beziehen, sei nicht zulässig, zumal die konkreten Anforderungen an die Bewerber im Inserat deutlich beschrieben wurden.
Quelle | LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 17.10.2023, 2 Sa 61/23