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Arbeitsrecht

Leiharbeit: Sachgrundlose Befristung nach Arbeitnehmerüberlassung

| Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen hat drei Entfristungsklagen von Arbeitnehmern bei der Volkswagen AG (VW) stattgegeben und in weiteren sieben Fällen die Berufung gegen die klageabweisenden Urteile zurückgewiesen. |

Die Kläger waren bei VW sachgrundlos vom 1.9.2019 bis zum 31.5.2020 beschäftigt. Zuvor bestanden Arbeitsverhältnisse seit Anfang September 2016 mit der Firma AutoVision. Diese ist mit der Beklagten wirtschaftlich verbunden, aber rechtlich selbstständig. Die Kläger waren von Beginn des Arbeitsverhältnisses zur Firma AutoVision von dieser als Leiharbeitnehmer bei VW eingesetzt. Die früheren Arbeitsverhältnisse waren zunächst befristet. Die Kläger und AutoVision verlängerten die Befristung zweimal. Die Kläger haben sich gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses infolge Fristablaufs gewandt und Rechtsmissbrauch geltend gemacht. Sie waren der Auffassung, die Eingliederung bei VW aufgrund der Leiharbeit in dem früheren Zeitraum von nahezu drei Jahren habe gegen die europäische Richtlinie über Leiharbeit verstoßen.

Das Arbeitsgericht (ArbG) hat sämtliche Klagen abgewiesen. In drei Verfahren hat das LAG der Berufung stattgegeben, weil auf die Arbeitsverhältnisse der Parteien wegen fehlender Gewerkschaftszugehörigkeit der Kläger ein Tarifvertrag, der eine Überlassungshöchstdauer von 36 Monaten vorsieht, nicht anzuwenden ist. Bei den übrigen, tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen hat das LAG die Überlassung als rechtswirksam angesehen. Es hat insbesondere keinen Verstoß gegen die europäische Richtlinie über Leiharbeit angenommen. Auch den Einwand des Rechtsmissbrauchs hat es verneint. Das LAG hat in allen Fällen die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) zugelassen.

Quelle | LAG Niedersachsen, Urteile vom 21.4.22, 5 Sa 97, 99, 372, 374, 375, 393, 395, 397, 398 und 401/21, PM vom 26.4.2022

Fortbildungsvertrag: Rückzahlungsklausel in einer Fortbildungsvereinbarung

| Einzelvertragliche Vereinbarungen, nach denen sich ein Arbeitnehmer an den Kosten einer vom Arbeitgeber finanzierten Ausbildung beteiligen muss, soweit er vor Ablauf bestimmter Fristen aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, sind grundsätzlich zulässig. Sie benachteiligen den Arbeitnehmer nicht generell unangemessen. Es ist jedoch nicht zulässig, die Rückzahlungspflicht schlechthin an das Ausscheiden aufgrund einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers innerhalb der vereinbarten Bindungsfrist zu knüpfen. Vielmehr muss nach dem Grund des vorzeitigen Ausscheidens differenziert werden. Das hat jetzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. |

Eine Reha-Klink forderte von der Arbeitnehmerin die Kosten für die Fortbildung zum „Fachtherapeut Wunde ICW“ anteilig zurück, als diese sechs Monate vor Ablauf der Bindungsfrist kündigte. Die Arbeitnehmerin meinte, die entsprechende Klausel des Fortbildungsvertrags sei unwirksam. Sie enthalte eine unangemessene Benachteiligung, weil sie den Arbeitnehmer auch dann zur Rückzahlung verpflichte, wenn er unverschuldet dauerhaft nicht mehr in der Lage sei, seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachzukommen, und das Arbeitsverhältnis deshalb personenbedingt kündige. Das BAG pflichtete dem insgesamt bei. Dass sich die Investition in die Fortbildung eines Arbeitnehmers aufgrund unverschuldeter dauerhafter Leistungsunfähigkeit für ihn nicht amortisiere, sei dem unternehmerischen Risiko zuzurechnen, so das BAG.

Quelle | BAG, Urteil vom 1.3.2022, 9 AZR 260/21

Praktikumstag: Arbeitsplatzbewerberin bei Betriebsbesichtigung gesetzlich unfallversichert

| Eine Arbeitsplatzbewerberin steht bei der Besichtigung des Unternehmens im Rahmen eines eintägigen unentgeltlichen „Kennenlern-Praktikums“ unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |

Die arbeitsuchende Klägerin absolvierte bei einem Unternehmen ein unentgeltliches eintägiges „Kennenlern-Praktikum“ auf der Grundlage einer „Kennenlern-/Praktikums-Vereinbarung“ mit diesem Unternehmen. Während des „Kennenlern-Praktikums“ fanden unter anderem Gespräche, eine Betriebsführung, ein fachlicher Austausch mit der IT-Abteilung und zum Abschluss die Besichtigung eines Hochregallagers statt. Bei der Besichtigung des Hochregallagers stürzte die Klägerin und brach sich den rechten Oberarm.

Anders als die beklagte Berufsgenossenschaft und die Vorinstanzen hat das BSG festgestellt, dass die Klägerin einen Arbeitsunfall erlitten hat. Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Unfalls Teilnehmerin einer Unternehmensbesichtigung. Teilnehmer einer Unternehmensbesichtigung sind nach der Satzung der beklagten Berufsgenossenschaft im Unterschied zu Satzungen anderer Unfallversicherungsträger unfallversichert.

Das eigene unversicherte Interesse der Klägerin am Kennenlernen des potenziellen zukünftigen Arbeitgebers steht dem Unfallversicherungsschutz kraft Satzung hier nicht entgegen. Die Satzungsregelung der Beklagten ist nicht auf Personen beschränkt, deren Aufenthalt im Unternehmen ausschließlich der Besichtigung dient. Unternehmer sollen vielmehr umfassend von Haftungsrisiken befreit werden, die durch erhöhte Gefahren bei Unternehmensbesuchen entstehen können.

Quelle | BSG, Urteil vom 31.3.2022, B 2 U 13/20 R, PM 12/2022

Fristlose Kündigung: Azubis aufgepasst: Schwänzen kann riskant sein

| Ein Auszubildender hatte sich an seinem Prüfungstag krankgemeldet und blieb dem Nachholtermin seiner Abschlussprüfung fern. Dann absolvierte er ein intensives Krafttraining. Sein Arbeitgeber kündigte ihm daraufhin fristlos. Zu Recht, entschied nun das Arbeitsgericht (ArbG) Siegburg. |

Das ArbG: Der gesunde Auszubildende habe die Prüfung geschwänzt. Damit habe er seine arbeitsvertraglichen Pflichten schwer verletzt. In einem solchen Fall kann die fristlose Kündigung des Arbeitgebers rechtens sein. Für das ArbG war klar, dass der Auszubildende nicht krank gewesen war. Er wollte nur die Prüfung schwänzen. Das sei eine erhebliche Pflichtverletzung. Ein Kündigungsgrund liege also vor. Dem Arbeitgeber, einem Fitnessstudio, bei dem der Auszubildende eine Ausbildung als Sport- und Gesundheitstrainer absolvierte, sei es daher nicht zuzumuten, ihn bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. „Kein Auszubildender dürfe davon ausgehen, dass dessen Ausbilder es hinnimmt, falsche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt zu bekommen, um sich den anstehenden Prüfungen, insbesondere wenn es sich um eine Nachholprüfung handelt, zu entziehen“, so das ArbG. Es komme auch nicht darauf an, ob der angehende Sport- und Gesundheitstrainer sich die Krankschreibung erschlichen oder der Arzt sie ihm aus Gefälligkeit ausgestellt habe.

Quelle | ArbG Siegburg, Urteil vom 17.3.2022, 5 Ca 1849/21

Beamtenbezüge: Zu viel gezahlte Dienstbezüge müssen zurückgezahlt werden

| Erhält ein Beamter nach einem Dienstherrenwechsel vom ehemaligen Dienstherren weiter Dienstbezüge ausgezahlt, sind diese zurückzuzahlen. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz und wies die Klage eines Beamten ab, der die Beträge behalten wollte. |

Das war geschehen

Der Kläger, ein Professor, folgte im Jahr 2020 dem Ruf einer Universität außerhalb von Rheinland-Pfalz und wurde dort mit Wirkung zum 1.9.2020 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zum Universitätsprofessor ernannt. Gleichwohl zahlte das Land Rheinland-Pfalz dem Kläger für September noch Bezüge in Höhe von rund 5.000 Euro netto aus.

Gegen den sodann ergangenen Rückforderungsbescheid erhob der Kläger erfolglos Widerspruch. Im sich anschließenden Klageverfahren brachte er vor, er habe seinen damaligen Dienstherren bereits im Juni 2020 über seinen Wechsel an die neue Universität informiert. Darüber hinaus sei er nicht verpflichtet gewesen, seinen Kontoauszug auf Zahlungen des Beklagten zu prüfen, da er mit einer weiteren Auszahlung von Dienstbezügen durch diesen nicht habe rechnen müssen. Schließlich habe der Beklagte die Überzahlung ausschließlich selbst zu verantworten, sodass aus Billigkeitsgründen jedenfalls teilweise von der Rückforderung abzusehen sei.

Verwaltungsgericht: Bezüge ohne rechtlichen Grund

Dem folgte das VG Koblenz nicht. Es wies die Klage ab. Es führte aus, dem Kläger seien Bezüge ohne rechtlichen Grund gezahlt worden. Diese seien grundsätzlich nach den entsprechenden Rechtsvorschriften zurückzuzahlen. Der Kläger könne nicht mit Erfolg einwenden, dass er „entreichert“ sei, weil er die Bezüge bereits verbraucht habe. Dies sei bei einer Überzahlung nur anzunehmen, wenn der Empfänger die Beträge restlos für seine laufenden Lebensbedürfnisse verbraucht habe. Zwar könne bei relativ geringen Beträgen monatlicher Überzahlungen über einen langen Zeitraum angenommen werden, dass die zu viel gezahlten Bezüge im Rahmen der normalen Lebensführung verbraucht worden seien. Um einen solchen Fall handle es sich hier aber nicht. Dem Kläger sei vielmehr lediglich einmalig ein mehr als nur geringfügiger Betrag (ein vollständiges Nettogehalt nebst Berufungs- und Bleibeleistungsbezug) ausgezahlt worden. In Anbetracht dessen hätte es dem Kläger oblegen, darzulegen und zu beweisen, dass er den ihm überwiesenen Betrag bereits restlos verbraucht habe.

Überdies sei dem Kläger eine Berufung auf den Entreicherungseinwand verwehrt, da er der verschärften Haftung unterliege. Denn der Mangel des rechtlichen Grundes sei so offensichtlich, dass der Kläger ihn hätte erkennen müssen. Es gehöre aufgrund der beamtenrechtlichen Treuepflicht zu den Sorgfaltspflichten des Klägers, bei besoldungsrelevanten Änderungen im dienstlichen oder persönlichen Bereich erst recht im Falle des Dienstherrenwechsels auf Überzahlungen zu achten. Die vorliegende Überzahlung hätte dem Kläger aufgrund der Gesamtumstände auffallen müssen. Anlass für einen Teilerlass der Rückforderungssumme aus Billigkeitsgründen habe nicht bestanden. Der Beklagte habe zeitnah die Überzahlung erkannt und den Kläger zur Rückzahlung aufgefordert.

Gegen diese Entscheidung steht den Beteiligten die Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz zu.

Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 22.2.2022, 5 K 1066/21.KO, PM 8/2022

Heimliche Handyaufnahme: Arbeitnehmer muss nicht stets mit Kündigung rechnen

| Arbeitnehmer dürfen ihre Vorgesetzten nicht heimlich aufnehmen. Dies hat aber nicht immer eine wirksame Kündigung zur Folge. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz. |

Ein Kassierer war zunächst mit einer anderen Arbeitnehmerin und später mit seinem Vorgesetzten in Streit geraten. Den Streit mit seinem Vorgesetzten nahm der Kassierer mit seinem Handy auf wie er behauptet hat, spontan. Davon wusste der Vorgesetzte allerdings nichts. Als sein Arbeitgeber von den Aufnahmen erfuhr, kündigte er dem Kassierer.

Der Kassierer wandte ein, sein Vorgesetzter habe sich ihm gegenüber zuvor unsachgemäß, diskriminierend und ehrverletzend geäußert. Da das klärende Gespräch unter vier Augen stattfand, wollte der Kassierer das Verhalten seines Vorgesetzten mit den Tonaufnahmen dokumentieren. Er war, so der Kassierer, davon ausgegangen, dass dies erlaubt sei.

Das LAG: Sowohl die fristlose als auch die hilfsweise ordentliche Kündigung sind unwirksam. Zwar gelte der Grundsatz, dass Personalgespräche nicht mitgeschnitten werden dürfen und dies zu einer außerordentlichen Kündigung führen könne (Verletzung des Persönlichkeitsrechts). Entscheidend sei hier aber, dass es zu den o. g. beleidigenden Äußerungen des Vorgesetzten gekommen war. Diese verletzten wiederum das Persönlichkeitsrecht des Kassierers. Er war davon ausgegangen, dass man ihm ohne die Aufzeichnungen nicht glauben würde.

Das LAG hob hervor: Selbst, wenn die Tonaufnahme nicht gerechtfertigt war, habe sich der Kassierer in einem sog. Verbotsirrtum befunden. Dies sei hier zu seinen Gunsten zu berücksichtigen gewesen. Ebenso zu seinen Gunsten bewertete das LAG, dass der Kassierer 17 Jahre lang bei seinem Arbeitgeber tätig war, ohne dass es Störungen gegeben hatte.

Diese Bewertung gilt nach dem LAG auch für die ordentliche Kündigung. Auch hier sei eine Kündigung unverhältnismäßig.

Quelle | LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.11.2021, 2 Sa 40/21

Datenschutz: Schadenersatz bei unzulässigem Detektiveinsatz

| Schadenersatz aufgrund datenschutzrechtlicher Bestimmungen wegen rechtswidriger Detektivüberwachung setzt keine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung (mehr) voraus. Einen Ausschluss vermeintlicher Bagatellschäden sieht das Gesetz nicht vor. Das bestätigte nun das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG). |

Die Parteien stritten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen sowie um Aufwendungs- und Schadenersatz. Der Arbeitgeber verdächtigte den Arbeitnehmer des Arbeitszeitbetrugs. Er ließ ihn daher durch eine Detektei observieren. Der Arbeitnehmer hielt das für unzulässig. Er fordert Schadenersatz.

Das LAG stellte zunächst fest: Die Observierung durch eine Detektei war hier unzulässig. Nach der Datenschutz-Grundverordnung (Art. 82 Abs. 1 DS-GVO) habe jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden sei, zudem Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen. Gerade bei immateriellen Schäden sei die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu berücksichtigen, dass der geschuldete Schadenersatz „eine wirklich abschreckende Wirkung“ haben muss. Die bisherige deutsche Rechtsprechung, die immateriellen Schadenersatz nur bei schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen zugesprochen habe, sei nicht mehr anwendbar. Da der Begriff des Schadens in der DS-GVO ein europarechtlicher sei, dürfe nicht auf nationale Erheblichkeitsschwellen oder andere Einschränkungen abgestellt werden. Einen Ausschluss vermeintlicher Bagatellschäden sehe das Gesetz nicht vor.

Ein immaterieller Schaden könne in einer unzulässigen Observierung durch eine Detektei bestehen. Die Observation einschließlich personenbezogener Datenerhebung seien hier rechtswidrig gewesen. Ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an der Erhebung personenbezogener Daten im Wege der Observation des Arbeitnehmers, um eine Straftat im Beschäftigungsverhältnis aufzudecken, habe hier nicht vorgelegen.

Zwar sei ein versuchter Prozessbetrug eine Straftat, die auch eine Detektivüberwachung rechtfertigen könne. Hierfür müsse jedoch ein berechtigter Anlass vorliegen. Die Observation habe den Arbeitnehmer auch in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Der Detektiv beobachtete ihn an sechs Tagen in seinem Privatleben. Dabei lief er ihm einmal bis in einen Park hinterher.

Quelle | Hessisches LAG, Urteil vom 18.10.2021, 16 Sa 380/20, Abruf-Nr. 228198 unter www.iww.de

Gleichstellungsgesetz: Entschädigung wegen Transsexualität? – Ende offen!

| In einem laufenden Güteverfahren vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Düsseldorf wurde über die Forderung einer transsexuellen Klägerin nach Entschädigung verhandelt. Ein interessanter Fall, bei dem sich Kundenwünsche und das Recht auf sexuelle Identität gegenüberstanden. |

Die transsexuelle Klägerin hatte sich bei einem Wohn- und Pflegezentrum als Pflegerin beworben. Sie erhielt nach einem Bewerbungsgespräch und einem Probearbeiten eine Absage. Diese wurde mit den Rückmeldungen einiger Bewohner begründet, die sich aufgrund der „Neigung“ der Klägerin nicht von ihr pflegen lassen wollten. Die Klägerin sah sich wegen ihrer sexuellen Identität benachteiligt. Sie verlangt eine Entschädigung wegen der erlittenen Persönlichkeitsrechtsverletzung nach dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz (hier: § 15 Abs. 2 AGG) von etwa vier Gehältern, stellt die Höhe aber in das Ermessen des Gerichts.

Vor dem AG Düsseldorf trug der Rechtsanwalt der Beklagten vor, dass diese die Klägerin nicht habe benachteiligen wollen. Sie sei aber verpflichtet, die Wünsche ihrer Kunden zu berücksichtigen. Folge: Die Absage sei gerechtfertigt gewesen. Eine Entschädigung sei deshalb nicht geschuldet.

Die Beklagte bot aber ohne Anerkennung einer Rechtspflicht eine Entschädigung an. Die Parteien kamen überein, eine außergerichtliche Einigung zu herbeiführen zu wollen. Ein neuer Gerichtstermin wurde noch nicht bestimmt.

Quelle | AG Düsseldorf, Urteil vom 25.2.2022, 3 Ca 600/22

Unfallschutz: Auf dem Weg zum Hörgeräteakustiker gestürzt:kein Arbeitsunfall

| Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat entschieden: Eine Frau, die auf dem Weg zum Geschäft ihres Hörgeräteakustikers stürzt, steht nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. |

Das war geschehen

Die als Fahrdienstleiterin für die Deutsche Bahn tätige Klägerin litt unter Einschränkungen ihres Hörvermögens. Daher hatte sie mit ihrer Arbeitgeberin schriftlich vereinbart, bei ihrer Arbeit stets Hörgeräte tragen und hierfür vorsorglich auch immer Ersatzbatterien mitführen zu müssen. Am 12.8.2019 verrichtete die Frau ihre Spätschicht, als ihre Hörgeräte unerwartet ausfielen und sie die Batterien wechseln musste. Daher machte sie sich am Vormittag des folgenden Tages auf den Weg zum Geschäft ihres Hörgeräteakustikers, um von dort neue Ersatzbatterien zu besorgen. Im unmittelbaren Anschluss wollte sie erneut ihre Spätschicht im Stellwerk antreten. Am Bordstein vor dem Geschäft geriet sie ins Straucheln, stürzte und zog sich einen Bruch am Kopf des Oberarmknochens zu.

So entschieden die Instanzen

Das Sozialgericht (SG) hatte entschieden, dass der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung auch auf dem Weg bestehe, den die Frau zurücklege, um Ersatzbatterien für ihre Hörgeräte zu besorgen.

Gegen dieses Urteil hat die für die Versicherung der Frau zuständige Unfallkasse Berufung eingelegt. Das LSG gab der Unfallkasse nun Recht.

Persönliche Gegenstände sind keine Arbeitsgeräte

Das LSG: Persönliche Gegenstände, wie Hörgeräte oder Brillen, gehören nicht zu den Arbeitsgeräten, deren (Ersatz-)Beschaffung versichert sind. Dies gelte jedenfalls dann, wenn sie nicht nahezu ausschließlich beruflich genutzt würden. Hier hätten die beigezogenen ärztlichen Unterlagen sowie die eigenen Angaben der Frau ergeben, dass sie zum Unfallzeitpunkt auch privat auf die Benutzung der Hörgeräte angewiesen gewesen sei.

Kein Unfallversicherungsschutz gegeben

Unfallversicherungsschutz lasse sich auch nicht aus der mit der Arbeitgeberin getroffenen Nebenabrede herleiten, wonach die Frau bei ihrer Arbeit stets Hörgeräte tragen und Ersatzbatterien mitführen müsse. Indem er Nebenpflichten begründe, könne der Arbeitgeber den Unfallversicherungsschutz nicht beliebig in den eigentlich privaten Bereich ausdehnen. Es obliege jedem Arbeitnehmer, funktionsfähig zum Dienst zu erscheinen und persönliche Einschränkungen von sich aus so weit wie möglich zu kompensieren, z. B. eine im privaten Bereich verordnete Sehhilfe oder eben auch ein Hörgerät zu tragen. Werde diese Verpflichtung arbeitsvertraglich noch einmal ausdrücklich festgehalten, führe dies nicht dazu, dass Unfälle, die im Zusammenhang mit der Beachtung dieser Pflicht eintreten, unter den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz fielen.

Betriebliche Veranlassung: sachlicher, örtlicher und zeitlicher Zusammenhang

Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung sei nur auf betrieblich veranlasste Vorbereitungshandlungen auszuweiten, wenn diese in einem besonders engen sachlichen, örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Arbeitstätigkeit selbst stünden. Dieser besonders enge Zusammenhang sei hier nicht gegeben.

Um ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten, sei die Frau nicht darauf angewiesen gewesen, plötzlich und ohne weiteren Verzug Batterien für ihre Hörgeräte zu besorgen. Vielmehr handelte es sich bei dem Kauf der Batterien um die turnusmäßig wiederkehrende Instandhaltung eines Hilfsmittels. Hierfür konnte sie zeitlich flexibel in ihrer Freizeit tätig werden und hätte auch vorausschauend einen Vorrat anlegen können.

Höchstrichterliche Rechtsprechung könnte Klarheit schaffen

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat das LSG die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) zugelassen.

Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.2.2022, L 3 U 148/20, PM vom 22.2.2022

Eingetragene Lebenspartnerschaft: Anspruch auf Sonderurlaub, um gemeinsamen Sohn zu betreuen

| Eine eingetragene Lebenspartnerin hat Anspruch auf Sonderurlaub unter Fortzahlung der Bezüge, um das von ihrer Lebenspartnerin geborene gemeinsame Kind zu betreuen. So entschied es das Verwaltungsgericht (VG) Berlin. |

Die eingetragene Lebenspartnerin der klagenden Beamtin gebar ihren mithilfe einer Samenspende gezeugten gemeinsamen Sohn. Diese erkrankte so schwer, dass die Klägerin den Sohn betreuen musste. Sie beantragte erfolglos bei ihrem Dienstherrn Sonderurlaub unter Fortzahlung der Bezüge. Ihr Widerspruch blieb erfolglos, ihre Klage vor dem VG war dagegen erfolgreich.

Nach der Sonderurlaubsverordnung muss für einen Anspruch auf Sonderurlaub ein „besonders wichtiger Grund“ vorliegen. Die Auslegung, dass die Betreuung eines Kindes nur einen „wichtigen Grund“ darstellt, wenn es sich um leibliche oder angenommene Kinder handelt, nicht aber um Stief- oder Pflegekinder, verstößt gegen das Grundgesetz (Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG). Es ist sachlich nicht gerechtfertigt, insoweit auf die rechtliche Elternstellung abzustellen.

Quelle | VG Berlin, Urteil vom 9.9.2021, 36 K 68/19, Abruf-Nr. 225538 unter www.iww.de