| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über einen Fall entschieden, in dem eine Pkw-Fahrerin an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifuhr und mit einem gerade entleerten Müllcontainer kollidierte. Der BGH hat in diesem Fall einen Verstoß der Fahrerin gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO) bejaht. |
Das war geschehen
Die Klägerin, ein Pflegedienst, macht gegen einen für die Abfallwirtschaft zuständigen kommunalen Zweckverband Schadenersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, bei dem eines ihrer Pflegedienstfahrzeuge beschädigt wurde. Eine Mitarbeiterin der Klägerin fuhr mit diesem Fahrzeug aus der Gegenrichtung kommend an einem Müllabfuhrfahrzeug des beklagten Zweckverbands vorbei, das mit laufendem Motor, laufender Schüttung und eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie Warnblinkanlage in der Straße stand. Dabei kam es zu einer Kollision des klägerischen Fahrzeugs mit einem Müllcontainer, den ein bei dem Beklagten angestellter Müllwerker hinter dem Müllabfuhrfahrzeug quer über die Straße schob.
Mit der Klage hat die Klägerin Erstattung der Fahrzeugreparaturkosten verlangt.
So sahen es die Vorinstanzen
Das Landgericht (LG) hat der Klage gegen den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 zu 50 teilweise stattgegeben.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht (OLG) das Urteil des LG teilweise geändert und den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 75 (Beklagter) zu 25 (Klägerin) zu weiterem Schadenersatz verurteilt. Es ist dabei davon ausgegangen, dass der Fahrerin des Pkw kein Verstoß gegen die StVO anzulasten sei.
So sieht es der Bundesgerichtshof
Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Das Urteil des OLG wurde aufgehoben und die Sache an das OLG zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Der Klägerin steht gegen den Beklagten als Halter des Müllabfuhrfahrzeugs ein Schadenersatzanspruch gemäß StVO (hier: § 7) zu, da das Fahrzeug der Klägerin „bei dem Betrieb“ des Müllabfuhrfahrzeugs beschädigt worden ist. Die Gefahr, die von einer gerade entleerten Mülltonne auf der Straße für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, ist dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs zuzurechnen.
Bei der Entscheidung über die Haftungsverteilung hat das OLG zu Recht dem Müllwerker einen schuldhaften Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorgeworfen, weil er hinter dem Müllabfuhrfahrzeug einen Müllcontainer quer über die Straße schob, ohne auf den Verkehr und das Fahrzeug der Klägerin zu achten, welches für ihn hätte er den Müllcontainer nicht vor sich hergeschoben erkennbar gewesen wäre.
Allerdings ist entgegen der Ansicht des OLG auch der Mitarbeiterin der Klägerin als Fahrerin des Pkw ein Verstoß gegen die StVO vorzuwerfen.
Mit dem Verhalten des Müllwerkers konnte gerechnet werden
Das Hauptaugenmerk der mit dem Holen, Entleeren und Zurückbringen von Müllcontainern befassten Müllwerker ist auf ihre Arbeit gerichtet, die sie überwiegend auf der Straße und effizient, also in möglichst kurzer Zeit und auf möglichst kurzen Wegen, zu erledigen haben. Wer an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifährt, das erkennbar im Einsatz ist, darf daher nicht uneingeschränkt auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Müllwerker vertrauen. Er muss damit rechnen, dass Müllwerker plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortreten und unachtsam einige Schritte weiter in den Verkehrsraum tun, bevor sie sich über den Verkehr vergewissern. Auf diese mit dem Einsatz von Müllabfuhrfahrzeugen verbundenen Gefahren hat der vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer sein Fahrverhalten einzurichten. Wenn es nicht möglich ist, einen ausreichenden Seitenabstand zu einem Müllabfuhrfahrzeug einzuhalten, um die Gefahr eines plötzlich auftauchenden Müllwerkers vor oder hinter dem Fahrzeug zu vermeiden, muss die Geschwindigkeit gemäß der Straßenverkehrsordnung (StVO) reduziert werden, sodass der Fahrer sein Fahrzeug bei Bedarf sofort zum Stillstand bringen kann.
Den dargelegten Anforderungen genügte die vom Berufungsgericht festgestellte Fahrweise der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nicht. Bei einem Seitenabstand von maximal 50 cm zum Müllabfuhrfahrzeug war die Ausgangsgeschwindigkeit von 13 km/h zu hoch, als dass die Fahrerin das Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen hätte bringen können.
Quelle | BGH, Urteil vom 12.12.2023, VI ZR 77/23, PM 12/24
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