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Monats-Archive: November 2023

Provisionsansprüche: Anrechnung von Provisionen auf das auszuzahlende Mutterschaftsgeld während eines Beschäftigungsverbots

| Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen hat in zweiter Instanz einer Vertriebsmitarbeiterin eine Absage erteilt, die meinte, eine Provision sei nicht auf ihr Mutterschaftsgeld anzurechnen. |

Die Klägerin war als Vertriebsmitarbeiterin der Beklagten beschäftigt und erzielte neben fixen Bezügen variable Vergütungsbestandteile. Der Arbeitgeber berechnete ihren Mutterschutzlohn auf der Grundlage ihres Durchschnittseinkommens von Januar bis März 2021 und zahlte ihr monatlich ein Bruttogehalt inklusive eines Provisionsanteils. Die Klägerin meinte aber, ihr Arbeitgeber müsse ihr von September bis November 2021 zusätzliche Provisionen zahlen, da diese auf Geschäften basierten, die sie vor einem ärztlichen Beschäftigungsverbot vermittelt hatte und die erst während des Verbots fällig wurden. Die Parteien stritten also letztlich über die Frage, ob die von der Klägerin erworbenen Provisionsbeträge auf das während einem Beschäftigungsverbot von der Arbeitgeberin ausgezahlte Mutterschaftsgeld anzurechnen waren.

Das LAG: Provisionen, die erst während eines ärztlichen Beschäftigungsverbots fällig werden, kommen nur dann und nur in dem Umfang zur Auszahlung, wie sie den nach dem Mutterschutzgesetz (hier: § 18 S. 2 MuSchG) errechneten Mutterschutzlohn übersteigen. Mit anderen Worten: Nur in dem Fall, dass während eines ärztlichen Beschäftigungsverbots fällige Provisionen den berechneten Durchschnittslohn übersteigen, hätte die Mitarbeiterin ausschließlich die Zahlung der Provision verlangen können. So lag der Fall hier jedoch nicht. Die zugelassene Revision hat die Klägerin nicht eingelegt.

Quelle | LAG Niedersachsen, Urteil vom 20.2.2023, 1 Sa 702/22, PM vom 3.7.2023

Arbeitsvertrag: Keine Erstattung einer Personalvermittlungsprovision durch den Arbeitnehmer

| Eine arbeitsvertragliche Regelung, nach der der Arbeitnehmer verpflichtet ist, dem Arbeitgeber eine von ihm für das Zustandekommen des Arbeitsvertrags an einen Dritten gezahlte Vermittlungsprovision zu erstatten, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis vor Ablauf einer bestimmten Frist beendet, ist unwirksam. So entschied es das Bundesarbeitsgericht (BAG). |

Das war geschehen

Die Parteien schlossen Ende März 2021 einen Arbeitsvertrag, auf dessen Grundlage der Kläger ab dem 1.5.2021 bei der Beklagten tätig wurde. Der Vertrag kam durch Vermittlung eines Personaldienstleisters zustande. Die Beklagte zahlte an diesen eine Vermittlungsprovision von 4.461,60 Euro. Weitere 2.230,80 Euro sollten nach Ablauf der im Arbeitsvertrag vereinbarten sechsmonatigen Probezeit fällig sein. Nach § 13 des Arbeitsvertrags war der Kläger verpflichtet, der Beklagten die gezahlte Vermittlungsprovision zu erstatten, wenn das Arbeitsverhältnis nicht über den 30.6.2022 hinaus fortbestehen und unter anderem aus vom Kläger „zu vertretenden Gründen“ von ihm selbst beendet werden würde. Nachdem der Kläger sein Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 30.6.2021 gekündigt hatte, behielt die Beklagte unter Verweis auf den Arbeitsvertrag von der Vergütung für den Monat Juni 2021 einen Teilbetrag von 809,21 Euro netto ein.

Mit seiner Klage hat der Kläger soweit für die Revision von Interesse die Zahlung dieses Betrags verlangt. Er hat geltend gemacht, die Regelung in § 13 seines Arbeitsvertrags sei unwirksam, weil sie ihn unangemessen benachteilige. Die Beklagte hat im Weg der Widerklage die Erstattung restlicher Vermittlungsprovision von 3.652,39 Euro erstrebt. Sie hat die Auffassung vertreten, die vertragliche Regelung sei wirksam. Sie habe ein berechtigtes Interesse, die für die Vermittlung des Klägers gezahlte Provision nur dann endgültig aufzubringen, wenn er bis zum Ablauf der vereinbarten Frist für sie tätig gewesen sei.

So entschieden die Gerichte

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Die Revision der Beklagten blieb vor dem BAG erfolglos. Die genannte Regelung in § 13 des Arbeitsvertrags benachteiligt den Kläger entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und ist daher nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) unwirksam. Der Kläger wird hierdurch in seinem vom Grundgesetz garantierten Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes beeinträchtigt, ohne dass dies durch begründete Interessen der Beklagten gerechtfertigt wäre. Der Arbeitgeber muss grundsätzlich das unternehmerische Risiko dafür tragen, dass sich von ihm getätigte finanzielle Aufwendungen für die Personalbeschaffung nicht „lohnen“, weil der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis in rechtlich zulässiger Weise beendet. Es besteht deshalb kein billigenswertes Interesse der Beklagten, solche Kosten auf den Kläger zu übertragen. Der Kläger erhält auch keinen Vorteil, der die Beeinträchtigung seiner Arbeitsplatzwahlfreiheit ausgleichen könnte.

Quelle | BAG, Urteil vom 20.6.2023, 1 AZR 265/22, PM 29/23