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Monats-Archive: Mai 2022

Sonderkündigungsschutz: Kurierfahrer als Mitglied eines Wahlvorstands

| Ein Arbeitnehmer eines Kurierdienstes und Mitglied des Wahlvorstands muss trotz ausgesprochener Kündigung vorläufig beschäftigt werden. Das hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes entschieden. |

Der Kurierdienst erklärte gegenüber einem als „Rider“ beschäftigten Arbeitnehmer eine außerordentliche Kündigung und macht zur Begründung geltend, der Rider habe sich an einem illegalen Streik beteiligt. Der Arbeitnehmer hat im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes seine weitere tatsächliche Beschäftigung verlangt und geltend gemacht, er müsse auch vor der bisher noch ausstehenden Entscheidung des Arbeitsgerichts (ArbG) über diese Kündigung vorläufig weiterbeschäftigt werden. Die Kündigung sei offensichtlich unwirksam, weil er Mitglied des Wahlvorstands für die anstehende Betriebsratswahl gewesen sei.

Das LAG hat dem Antrag des Arbeitnehmers für die Zeit bis zum Ablauf der vereinbarten Befristung seines Arbeitsverhältnisses anders als zuvor das Arbeitsgericht stattgegeben und ausgeführt, der erforderliche Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund liege vor. Es sei von einer offensichtlichen Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung auszugehen.

Der Arbeitnehmer sei gemäß den von ihm glaubhaft gemachten Angaben zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung Mitglied des Wahlvorstands gewesen und werde damit von dem besonderen Kündigungsschutz erfasst. Die aufgrund dieses Sonderkündigungsschutzes für eine Kündigung erforderliche vorherige gerichtliche Zustimmungsersetzung liege nicht vor. Da von einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis auszugehen sei, bestehe auch ein Anspruch auf Beschäftigung.

Dieser Anspruch sei im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes durchsetzbar, da einerseits das Recht des Arbeitnehmers auf Beschäftigung sonst durch Zeitablauf unwiederbringlich verloren sei und andererseits kein berechtigtes Interesse der Arbeitgeberin an der Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Zustands angenommen werden könne. Ausgehend hiervon überwiege auch im Hinblick auf den Zweck des gesetzlichen Sonderkündigungsschutzes das Beschäftigungsinteresse.

Ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung ist nicht gegeben.

Quelle | LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.1.2022, 23 SaGa 1521/21, PM 1/22 vom 7.2.2022

Aufhebungsvertrag: Arbeitgeber darf Arbeitnehmer unter Druck setzen

| Ein Aufhebungsvertrag kann unter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns zustande gekommen sein. Ob das der Fall ist, ist anhand der Gesamtumstände der konkreten Verhandlungssituation im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden. Allein der Umstand, dass der Arbeitgeber den Abschluss eines Aufhebungsvertrags von der sofortigen Annahme seines Angebots abhängig macht, stellt für sich genommen keine Pflichtverletzung dar, auch wenn dies dazu führt, dass dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit verbleibt noch der Arbeitnehmer erbetenen Rechtsrat einholen kann. So hat es nun das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. |

Das war geschehen

Arbeitnehmerin und Arbeitgeber stritten über den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses nach Abschluss eines Aufhebungsvertrags. Am 22.11.2019 führten der Geschäftsführer und der spätere Prozessbevollmächtigte des Arbeitgebers (Beklagter), der sich als Rechtsanwalt für Arbeitsrecht vorstellte, im Büro des Geschäftsführers ein Gespräch mit der als Teamkoordinatorin Verkauf im Bereich Haustechnik beschäftigten Arbeitnehmerin (Klägerin). Sie erhoben ihr gegenüber den Vorwurf, sie habe unberechtigt Einkaufspreise in der EDV der Beklagten geändert bzw. reduziert, um so einen höheren Verkaufsgewinn vorzuspiegeln.

Die Arbeitnehmerin unterzeichnete nach einer etwa zehnminütigen Pause, in der die drei anwesenden Personen schweigend am Tisch saßen, den vom Arbeitgeber vorbereiteten Aufhebungsvertrag. Dieser sah u. a. eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.11.2019 vor. Die weiteren Einzelheiten des Gesprächsverlaufs sind streitig geblieben. Die Arbeitnehmerin focht den Aufhebungsvertrag mit Erklärung vom 29.11.2019 wegen widerrechtlicher Drohung an.

Drohung mit Strafanzeige

Mit ihrer Klage hat die Arbeitnehmerin u. a. den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 30.11.2019 hinaus geltend gemacht. Sie hat behauptet, ihr sei für den Fall der Nichtunterzeichnung des Aufhebungsvertrags eine außerordentliche Kündigung sowie die Erstattung einer Strafanzeige in Aussicht gestellt worden. Ihrer Bitte, eine längere Bedenkzeit zu erhalten und Rechtsrat einholen zu können, sei nicht entsprochen worden. Damit habe der Arbeitgeber gegen das Gebot fairen Verhandelns verstoßen. Das Arbeitsgericht (ArbG) hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht (LAG) hat sie auf die Berufung des Arbeitgebers abgewiesen.

Die Revision der Klägerin hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Das BAG hatte zwar den von der Arbeitnehmerin geschilderten Gesprächsverlauf zu ihren Gunsten unterstellt. Dennoch fehlte es an der Widerrechtlichkeit der behaupteten Drohung. Ein verständiger Arbeitgeber durfte im vorliegenden Fall sowohl die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung als auch die Erstattung einer Strafanzeige ernsthaft in Erwägung ziehen.

Bundesarbeitsgericht: Arbeitnehmerin konnte sich entscheiden

Folge: Der Arbeitgeber hat nicht unfair verhandelt und dadurch gegen seine arbeitsvertraglichen und gesetzlichen Pflichten verstoßen. Die Entscheidungsfreiheit der Arbeitnehmerin hat er nicht dadurch verletzt, dass er den Aufhebungsvertrag nur zur sofortigen Annahme unterbreitet hat und die Arbeitnehmerin über die Annahme deswegen sofort entscheiden musste.

Quelle | BAG, Urteil vom 24.2.2022, 6 AZR 333/21

Homeoffice: Keine fristlose Kündigung bei Mitnahme des Bürostuhls

| Wenn der Arbeitgeber dem Homeoffice generell Vorrang vor Präsenz einräumt, die dafür erforderliche Ausstattung aber nicht so schnell besorgen kann, kann er den Arbeitnehmer nicht sofort fristlos entlassen, wenn dieser den Bürostuhl mit nach Hause nimmt. Zu diesem Ergebnis kam das Arbeitsgericht (ArbG) Köln. |

Der Arbeitnehmer wandte sich mit seiner Klage gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses u. a. durch eine außerordentliche Kündigung. Der Arbeitgeber begründete die Kündigung mit der rechtswidrigen Mitnahme eines Bürostuhls.

Das ArbG gab der Kündigungsschutzklage statt. Die unabgesprochene Mitnahme von Eigentum des Arbeitgebers nach Hause sei zwar eine Pflichtverletzung, die an sich eine Kündigung begründen könne. In der konkreten Situation reiche die Mitnahme des Bürostuhls aber nicht aus, um die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Der Arbeitgeber habe der Tätigkeit im Homeoffice kurz vor Ostern 2020 generell Vorrang vor der Präsenztätigkeit im Büro eingeräumt, die dafür notwendige Ausstattung so kurzfristig aber nicht zur Verfügung gestellt.

Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 18.1.2022, 16 Ca 4198/21, Abruf-Nr. 227593 unter www.iww.de