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Arbeitsrecht

Tarifrecht: Durch Tarifvertrag ist eine längere sachgrundlose Befristung möglich

| Eine tarifliche Regelung, die die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen bis zu einer Gesamtdauer von fünf Jahren bei fünfmaliger Verlängerungsmöglichkeit zulässt, ist wirksam. |

Hierauf wies das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Fall eines kaufmännischen Mitarbeiters hin. Dieser war aufgrund eines befristeten, einmal verlängerten Arbeitsvertrags vom 15.1.12 bis zum 31.3.14 beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis ist der zwischen der Arbeitgebervereinigung Energiewirtschaftlicher Unternehmen e.V. (AVE) und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) abgeschlossene Manteltarifvertrag (MTV) anwendbar. Danach darf ein Arbeitsvertrag ohne Vorliegen eines sachlichen Grunds bis zu einer Dauer von fünf Jahren befristet werden. Der Kläger hält die Bestimmung für unwirksam und griff daher die darauf gestützte Befristung seines Arbeitsvertrags zum 31.3.14 an. Seine Klage hatte – wie schon in den Vorinstanzen – auch beim BAG keinen Erfolg.

Die Richter entscheiden, dass die Regelung im Tarifvertrag wirksam ist. Sie ist von der den Tarifvertragsparteien durch das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) eröffneten Regelungsbefugnis gedeckt. Danach ist die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grunds bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig. Bis zu dieser Gesamtdauer darf ein befristeter Vertrag höchstens dreimal verlängert werden. Allerdings können durch Tarifvertrag die Anzahl der Verlängerungen und die Höchstdauer der Befristung abweichend von der Vorgabe durch das TzBfG festgelegt werden. Diese Befugnis der Tarifvertragsparteien gilt aus verfassungs- und unionsrechtlichen Gründen nicht schrankenlos. Der durch das TzBfG eröffnete Gestaltungsrahmen der Tarifvertragsparteien ermöglicht nur Regelungen, durch die die dort genannten Werte für die Höchstdauer eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags und die Anzahl der möglichen Vertragsverlängerungen nicht um mehr als das Dreifache überschritten werden.

Quelle | BAG, Urteil vom 26.10.2016, 7 AZR 140/15, Abruf-Nr. 189960 unter www.iww.de.

Krankengeld: AU muss nicht auf bestimmtem Vordruck ausgestellt werden

| Um eine Arbeitsunfähigkeit zu melden, muss nicht zwingend das zwischen den Krankenkassen und den Kassenärzten vereinbarte Formular verwendet werden. |

Hierauf wies das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen im Fall eines Arbeitnehmers hin. Dieser war längere Zeit krank. Nach einer stationären Rehabilitationsmaßnahme führte er bei seinem Arbeitgeber eine Wiedereingliederung durch. Seine Krankenkasse wollte das Krankengeld nicht für den ganzen Zeitraum zahlen. Sie meinte, dass der Anspruch ruhe. Eine Folgebescheinigung der Arbeitsunfähigkeit sei nicht fristgerecht vorgelegt worden.

Das LSG sah das jedoch anders. Es verurteilte die Krankenkasse, das Krankengeld zu zahlen. Die Richter stellten klar, dass der Anspruch auf Krankengeld ruhe, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird. Dies gelte jedoch nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgt. Der Arbeitnehmer habe hier seine Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig angezeigt. Die Anzeige erfolgte spätestens, als er den Wiedereingliederungsantrag einreichte. Darin hatte der Arzt die weiterhin bestehende Arbeitsunfähigkeit ausreichend festgestellt. Die Meldung der Arbeitsunfähigkeit ist eine reine Tatsachenmitteilung. Maßgebend sei, dass der Arzt (weiterhin) feststellt, dass der Versicherte arbeitsunfähig ist. Er muss nicht zwingend das zwischen den Krankenkassen und den Kassenärzten vereinbarte Formular benutzen, um den Nachweis zu erbringen.

Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11.2.2016, L 16 KR 391/15, Abruf-Nr. 189961 unter www.iww.de.

Betriebliche Altersversorgung: Betriebsrente darf nicht befristet gekürzt werden

| Werden im Rahmen eines Sanierungskonzepts die Betriebsrenten eines Unternehmens befristet für vier Jahre um 15 Prozent gekürzt, ist dies unwirksam. |

Hierauf wies das Arbeitsgericht Köln hin. Es berief sich dabei auf die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Danach ist ein Widerruf wegen wirtschaftlicher Notlage seit der Einführung der Insolvenzordnung im Jahre 1999 nicht mehr zulässig. Für die entschiedenen Verfahren kam es auch nicht auf die tarifvertraglichen Ausschlussfristen an, auf die sich der Arbeitgeber zum Teil berufen hatte. Die streitigen Ansprüche waren rechtzeitig geltend gemacht worden.

Quelle | Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 20.4.2016, 20 Ca 891/16, Abruf-Nr. 189959 unter www.iww.de.

Personalakte: Abmahnung wegen einmaliger Verspätung ist nicht gerechtfertigt

|Kommt ein Arbeitnehmer einmalig ein paar Minuten zu spät zur Arbeit, darf er deshalb nicht sofort abgemahnt werden. |

So entschied es das Arbeitsgericht Leipzig im Fall einer Frau, die einmalig eine knappe Viertelstunde zu spät zur Arbeit erschien. Ihr Chef nahm dies zum Anlass, sie schriftlich abzumahnen. Die Frau hielt dies für nicht gerechtfertigt. Sie verlangte, dass die Abmahnung aus ihrer Personalakte wieder herausgenommen wird.

Das Arbeitsgericht Leipzig gab ihr recht. Es entschied, dass die Abmahnung unverhältnismäßig war. Wenn ein Arbeitnehmer einige Minuten zu spät zur Arbeit erscheint, liegt lediglich ein geringfügiges Fehlverhalten vor. Um dies zu ahnden, reicht eine Ermahnung vollkommen aus. Die Abmahnung musste daher aus der Personalakte wieder entfernt werden.

Quelle | Arbeitsgericht Leipzig, Urteil vom 23.7.2015, 8 Ca 532/15, Abruf-Nr. 189958 unter www.iww.de.

Arbeitslohn: Stundenlohn von 3,40 EUR ist als Hungerlohn sittenwidrig

| Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg hat über die Klage eines Jobcenters gegen einen Arbeitgeber wegen sittenwidriger Löhne vor Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes entschieden. |

Das Jobcenter hatte in den Jahren 2011 bis 2014 Leistungen zur Grundsicherung an eine Arbeitnehmerin erbracht. Deren Arbeitgeber betreibt eine Pizzeria. Die dort seit 2001 als Auslieferungsfahrerin tätige Arbeitnehmerin erhielt durchgängig pauschal 136 EUR bei einer vereinbarten Arbeitszeit von nach Bedarf ca. 35-40 Stunden pro Monat. Das Jobcenter hat geltend gemacht, die Vergütung dieser Arbeitnehmerin sei sittenwidrig niedrig. Wäre die übliche Vergütung gezahlt worden, wären geringere Leistungen an Grundsicherung angefallen. Deshalb müsse der Arbeitgeber diese Differenz erstatten.

Das LAG hat der Klage in Höhe von 5.744,18 EUR stattgegeben. Die Richter machten deutlich, dass der sich ergebende Stundenlohn von 3,40 EUR ein Hungerlohn sei. Selbst bei unterstellter Vollzeittätigkeit werde ein Einkommen erzielt, von dem man nicht leben könne. Die Vereinbarung von Hungerlöhnen sei sittenwidrig und damit unwirksam. Die übliche Vergütung ergebe sich aus den Feststellungen des statistischen Landesamts. Für das Jahr 2011 sei das klagende Jobcenter zutreffend von einem Stundenlohn von 6,77 EUR ausgegangen, der sich bis zum Jahr 2014 auf 9,74 EUR steigere. Ob sich eine Sittenwidrigkeit daneben auch aus Wertungen der Europäischen Sozialcharta ergeben kann, wurde nicht entschieden.

Quelle | LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.4.2016, 15 Sa 2258/15, Abruf-Nr. 185961 unter www.iww.de.

Kündigungsrecht: „Bei Anruf Mord“-Drohung: Fristlose Kündigung ist gerechtfertigt!

| Die massive Bedrohung eines Vorgesetzten mit „Abstechen“ rechtfertigt auch ohne vorherige Abmahnung die außerordentliche Kündigung des Arbeitnehmer. |

Das musste sich ein Arbeitnehmer vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf sagen lassen. Es bestand der dringende Verdacht, dass er seinen Vorgesetzten in einem Telefonat massiv mit den Worten „Ich stech‘ Dich ab“ bedroht habe. Hintergrund sollen frühere Konflikte zwischen beiden anlässlich einer Personalratswahl gewesen sein.

Der Arbeitgeber behauptete, der Vorgesetzte habe den Arbeitnehmer an seiner markanten Stimme erkannt. Seine Telefonnummer sei nur wenigen Personen bekannt. Den strafrechtlichen Ermittlungen zufolge wurde der Vorgesetzte von einer Telefonzelle angerufen, die sich etwa 3,5 km von der Wohnung des Arbeitnehmers entfernt befindet. Der Arbeitnehmer trug vor, sich zum Zeitpunkt des Telefonanrufs vor seinem Wohnhaus befunden zu haben, was seine geschiedene Ehefrau sowie ein Nachbar bestätigen könnten.

Das Arbeitsgericht Düsseldorf hielt die Kündigung für gerechtfertigt. Nach der Beweisaufnahme ist die Kammer überzeugt, dass der Arbeitnehmer den streitigen Anruf getätigt hat. Als Zeugen wurden sowohl der Vorgesetzte als auch der Nachbar und die geschiedene Ehefrau des Arbeitnehmers vernommen.

Bei dem Anruf handele es sich um einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten. Aufgrund der ernsthaften und nachhaltigen Bedrohung seines Vorgesetzten sei dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls nicht weiter zumutbar. Aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung sei eine vorherige Abmahnung entbehrlich.

Quelle | Arbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 15.8.2016, 7 Ca 415/15, Abruf-Nr. 188162 unter www.iww.de.

Sozialplan: Keine Abfindung bei zu schneller Eigenkündigung

| Arbeitgeber und Betriebsrat können festlegen, dass eine Eigenkündigung erst ab einem bestimmten Stichtag Abfindungsansprüche nach einem Sozialplan auslöst. |

Zu diesem Ergebnis kam das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln. Im vorliegenden Fall kursierten bereits Gerüchte im Betrieb über eine bevorstehende Betriebsänderung, weil die Abteilung an einen anderen Standort verlagert werden sollte. Der Arbeitnehmer wandte sich daher durch eine frühzeitige Eigenkündigung ab und suchte sich einen neuen Job.

Das LAG kam zu dem Ergebnis, dass der Arbeitnehmer aufgrund des frühen Zeitpunkts der Kündigung nicht unter den Sozialplan falle. Zu dieser Zeit gab es nämlich noch keinen verbindlichen Interessenausgleich und Sozialplan. Arbeitgeber und Betriebsrat könnten festlegen, dass Eigenkündigungen nur dann Abfindungsansprüche gemäß Sozialplan auslösen, wenn sie nach einem bestimmten Stichtag ausgesprochen werden.

Quelle | LAG Köln, Urteil vom 17.11.2015, 12 Sa 711/15, Abruf-Nr. 183197 unter www.iww.de.

Mutterschutz: Lohnanspruch für Schwangere auch ohne Arbeitsantritt ab dem ersten Arbeitstag

| Schwangere haben im Falle eines Beschäftigungsverbots einen Lohnanspruch ab dem ersten Tag des Arbeitsverhältnisses. Das gilt auch, wenn sie die Arbeit nicht antreten können. |

So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg im Fall einer Frau, die im November 2015 ein Arbeitsverhältnis eingegangen war. Erster Arbeitstag sollte der 1.1.2016 sein. Im Dezember 2015 wurde aufgrund einer Risikoschwangerschaft der Frau ein ärztliches Beschäftigungsverbot erteilt. Die Frau forderte den Lohn, den sie bei Arbeitsaufnahme ab Januar 2016 erhalten hätte. Dazu berief sich sich auf § 11 Mutterschutzgesetz. Der Arbeitgeber lehnte dies ab. Er wies darauf hin, dass die Frau zu keinem Zeitpunkt tatsächlich gearbeitet hätte.

Das LAG hat der Frau die geforderten Beträge zugesprochen. Der Anspruch auf Arbeitsentgelt bei Beschäftigungsverboten setze keine vorherige Arbeitsleistung voraus. Es komme nur auf ein vorliegendes Arbeitsverhältnis und allein aufgrund eines Beschäftigungsverbots unterbliebene Arbeit an. Der Arbeitgeber werde hierdurch nicht unverhältnismäßig belastet. Er erhalte die zu zahlenden Beträge aufgrund des Umlageverfahrens in voller Höhe erstattet.

Quelle | LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.9.2016, 9 Sa 917/16, Abruf-Nr. 189104 unter www.iww.de.

Beschäftigungspflicht: Arbeitnehmer kann nicht immer Weiterbeschäftigung am bisherigen Arbeitsplatz verlangen

| Ein Arbeitnehmer kann die Beschäftigung auf dem bisherigen Arbeitsplatz nicht verlangen, wenn dem Arbeitgeber die Beschäftigung auf dem bisherigen Arbeitsplatz unmöglich oder unzumutbar ist. |

Das hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf entschieden. Die Richter wiesen darauf hin, dass mit dem Wegfall des Arbeitsplatzes die Leistung unmöglich werde. Das gelte auch, wenn die bisherigen Aufgaben nicht entfallen, sondern durch Umorganisation auf andere Bereiche verteilt werden. Die Beschäftigung sei auch unzumutbar im Sinne des Gesetzes, wenn der Wegfall der Stelle auf der unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers beruhe.

Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 10.6.2016, 10 Sa 614/15, Abruf-Nr. 188522 unter www.iww.de.

Haftungsrecht: Schmerzensgeldanspruch gegen einen Kollegen

| Verletzt ein Arbeitnehmer einen Kollegen während der Arbeit, kann der Verletzte kein Schmerzensgeld verlangen. Von diesem Grundsatz gibt es aber auch eine Ausnahme. |

Hierauf wies das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein hin. Danach haftet ein Arbeitnehmer seinem Arbeitskollegen auf Schmerzensgeld, wenn der Personenschaden nicht bei einer betrieblichen Tätigkeit eingetreten ist, sondern nur anlässlich einer solchen Tätigkeit. So kommt ein Haftungsausschluss beispielweise bei einer „Neckerei“ unter Arbeitskollegen nicht in Betracht. Das LAG hat eine solche Neckerei angenommen, wenn der Schädiger mit einem Gabelstapler auf einen Arbeitskollegen zurollt, um ihm „in die Brust zu zwicken“. Dabei war er ihm über den Fuß gefahren. Das bewege sich nach Ansicht der Richter nicht mehr im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit. Es sei unerheblich, dass der Schädiger den Gabelstapler anschließend in der Lagerhalle abstellen wollte.

Quelle | LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26.4.2016, 1 Sa 247/15, Abruf-Nr. 186600 unter www.iww.de.