Marcus Spiralski Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht & Fachanwalt für Familienrecht

Urteilskategorie

Urteilsarchiv

Sorgerecht: Kind ist Wechsel des Kindergartens nicht zumutbar

| Hat sich ein Kind im Kindergarten eingewöhnt, entspricht es regelmäßig nicht seinem Wohl, in einen anderen Kindergarten zu wechseln. |

So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Hamm im Streit zweier Eltern, die sich nicht über die Wahl des Kindergartens für das gemeinsame Kind entscheiden konnten. Das Amtsgericht hatte daraufhin der Mutter die Entscheidungsbefugnis über die Kindergartenauswahl übertragen. Seitdem besucht das Kind einen Waldorfkindergarten. Das Rechtsmittel des Vaters gegen die Entscheidung blieb ohne Erfolg.

Die Richter erläuterten, dass einem Elternteil die Entscheidung in einer einzelnen Angelegenheit zu übertragen ist, wenn die Kindeseltern sich nicht einigen können. Maßgebendes Entscheidungskriterium ist dabei, wie bei allen Regelungen, die die elterliche Sorge betreffen, das Kindeswohl. Das Gericht trifft die Entscheidung, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten dem Wohl des Kindes insgesamt am besten entspricht.

Aus den von den Kindeseltern jeweils bevorzugten Kindergärten ergibt sich keine Präferenz für die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Elternteil. Dem Senat obliegt nicht die Entscheidung, ob die Position der Kindesmutter oder die des Kindesvaters zum Kindergarten des Kindes der Vorzug zu geben ist, solange beide Positionen vertretbar sind. Beide Kindeseltern haben vertretbare und nachvollziehbare Argumente für die von ihnen jeweils getroffene Wahl.

Gleichwohl ist der Kindesmutter die Entscheidungsbefugnis über die Kindergartenauswahl zu übertragen. Das folgt aus den inzwischen eingetretenen, tatsächlichen Gegebenheiten. Das Kind besucht nämlich seit längerer Zeit bereits den Waldorfkindergarten und hat sich dort eingelebt. Dass ein Wechsel des Kindergartens (und der zugrunde liegenden Pädagogik) sinnvoll ist, erschließt sich nicht ohne Weiteres und wird auch vom Kindesvater nicht thematisiert. Nach den Schilderungen der Beteiligten reagiert das Kind zunehmend empfindlich auf den Streit der Kindeseltern. Daher sollte ihm vermehrt Stabilität vermittelt werden und ihm gerade kein Wechsel des Kindergartens zugemutet werden.

Quelle | OLG Hamm, Beschluss vom 25.5.2018, 4 UF 154/17, Abruf-Nr. 204777 unter www.iww.de.

Kfz-Haftpflichtversicherung: Nicht genutztes, aber angemeldetes Fahrzeug muss haftpflichtversichert sein

| Ist ein Fahrzeug weiterhin zugelassen und fahrbereit und wurde es nur deshalb auf einem Privatgrundstück abgestellt, weil sein Eigentümer es nicht mehr nutzen will, muss eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung abgeschlossen werden. |

Das folgt nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus der Ersten Richtlinie über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (RL 72/166/EWG). In dem Fall konnte eine Frau aus gesundheitlichen Gründen ihr Fahrzeug nicht mehr nutzen. Sie hatte es daher im Hof ihres Hauses abgestellt. Offiziell stillgelegt hatte sie es jedoch nicht.

Ohne ihre Erlaubnis und ihr Wissen benutzte ihr Sohn das Fahrzeug. Dabei kam es zu einem Unfall, bei dem der Sohn und zwei weitere Fahrzeuginsassen verstarben. Zu dem Zeitpunkt bestand keine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung für das Fahrzeug. Der Fundo de Garantia Automóvel (Automobil-Garantiefonds, Portugal) leistete den Rechtsnachfolgern der Insassen Ersatz für die durch den Unfall entstandenen Schäden. Anschließend nahm er im Einklang mit der insoweit im portugiesischen Recht vorgesehenen Möglichkeit die Fahrzeugeigentümerin auf Regress in Anspruch.

Der EuGH entschied nun, dass die Frau zu Recht in Anspruch genommen werde. Ein Fahrzeug, das nicht ordnungsgemäß stillgelegt wurde und fahrbereit ist, fällt unter den Begriff „Fahrzeug“ im Sinne der Ersten Richtlinie. Nur weil seine Eigentümerin es nicht mehr nutzen will und es auf einem Privatgrundstück abgestellt hat, fällt es nicht aus der in der Richtlinie aufgestellten Versicherungspflicht. Die Frau hätte das Fahrzeug hier also versichern müssen.

Sodann stellt der Gerichtshof fest, dass die Zweite Richtlinie einer gesetzlichen Regelung nicht entgegensteht, die vorsieht, dass die Entschädigungsstelle (hier der Fundo de Garantia Automóvel) ein Rückgriffsrecht nicht nur gegen den oder die für den Unfall Verantwortlichen hat, sondern auch gegen die Person, die eine Haftpflichtversicherung für das Unfall-Fahrzeug hätte abschließen müssen, dies aber unterlassen hat. Dies gilt auch, wenn sie zivilrechtlich nicht für den Unfall verantwortlich ist.

Quelle | EuGH, Urteil vom 4.9.2018, C 80/17, Abruf-Nr. 204780 unter www.iww.de.

Konkurrentenstreitverfahren: Fachlich „hui“, persönlich „pfui“ = keine Einladung zum Gespräch

| Ein schwerbehinderter Mensch, von dem feststeht, dass er für eine Stelle persönlich ungeeignet ist, ist auch dann nicht zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, wenn er fachlich für die Stelle geeignet ist. |

So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf in einem Fall, in dem das beklagte Land einen schwerbehinderten Bewerber, der das fachliche Anforderungsprofil erfüllte, zum Assessment-Centerverfahren einlud, ihn aber nicht einstellte. Hiergegen wandte sich der Bewerber im einstweiligen Verfügungsverfahren.

Die Durchführung des Assessment-Centerverfahrens weise zwar Verfahrensfehler auf und verletze den schwerbehinderten Menschen in seinem Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG, so die Richter. Der Bewerber habe aber im einstweiligen Verfügungsverfahren, mit dem er die Besetzung der Stelle mit dem Mitbewerber verhindern wollte, bewusst wahrheitswidrig vorgetragen. Damit wollte er das Verfahren zu seinen Gunsten beeinflussen. Daher fehle ihm die persönliche Eignung im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG. Das Auswahlverfahren müsse daher nicht wiederholt werden.

Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 27.6.2018, 12 Sa 135/18, Abruf-Nr. 202979 unter www.iww.de.

Teilzeitarbeit: Kein Anspruch auf Teilzeitarbeit bei unzulässiger Rechtsausübung

| Einem Teilzeitbegehren nach § 8 TzBfG kann der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenstehen. |

Das kann nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Köln der Fall sein, wenn der Arbeitnehmer eine formale Rechtsposition dazu ausnutzt, einen Freistellungsanspruch während der als Urlaubszeit besonders begehrten Schulsommerferien durchzusetzen, ohne sich mit den Urlaubswünschen anderer Arbeitnehmer abstimmen zu müssen.

Quelle | LAG Köln, Urteil vom 18.1.2018, 3 Sa 365/17, Abruf-Nr. 203183 unter www.iww.de.

Prozesskostenhilfe: Entfernung von 420 km zum Gerichtsort rechtfertigt Anwalt am Wohnort

| Beträgt die einfache Entfernung vom Wohnsitz der PKH-Partei zum Gerichtsort 420 km und erfordert eine Reisezeit von mehr als vier Stunden einfache Fahrt, so ist auch eine Informationsfahrt zu einem Prozessbevollmächtigten am Gerichtssitz nicht zumutbar. |

Hierauf wies das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hin (5.2.18, 5 Ta 447/17, Abruf-Nr. 199947). Nach Ansicht des Senats ist die Partei vielmehr berechtigt, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung einen Prozessbevollmächtigten am Wohnort zu beauftragen. In diesem Fall ist die Beiordnung eines Verkehrsanwalts geboten, soweit die hierdurch entstehenden Kosten nicht höher liegen als 110 Prozent der eingesparten Reisekosten des Prozessbevollmächtigten am Wohnort der Partei.

Quelle | LAG Hamm, Beschluss vom 5.2.2018, 5 Ta 447/17, Abruf-Nr. 199947 unter  www.iww.de.

Unfallschaden: Spezielles Fahrzeug darf nicht pauschal nach Mietwagengruppe berechnet werden

| Ist das verunfallte Fahrzeug ein allradgetriebener PickUp mit Doppelkabine und Anhängerkupplung, kann der eintrittspflichtige Versicherer hinsichtlich der Mietwagenkosten nicht auf die Preise für Standardfahrzeuge der Mietwagengruppe, in die das Fahrzeug einzuordnen ist, verweisen. |

Dies Klarstellung traf das Amtsgericht Weilburg. Weist der Geschädigte, der dieses spezielle Fahrzeug braucht, nach, dass nur ein Vermieter im zumutbaren Umkreis so eines im Angebot hat, sind dessen Preise dem Schadenersatzanspruch zugrunde zu legen.

Hinweis | Das Urteil ist ohne Weiteres auf andere beschädigte Fahrzeuge zu übertragen, bei denen die Gruppengleichheit nicht ausreicht, z. B. Fahrschulwagen oder speziell behindertengerecht ausgestattete Fahrzeuge.

Quelle | Amtsgericht Weilburg, Urteil vom 2.5.2018, 5 C 339/17 [5], Abruf-Nr. 201638 unter  www.iww.de.

Anwaltskosten: „Wir werden zahlen“: Trotz dieser Bestätigung darf ein Anwalt eingeschaltet werden

| Auch wenn der Versicherer im telefonischen Erstkontakt bestätigt hat, den Unfallschaden zu übernehmen, darf der Geschädigte anwaltliche Unterstützung für die Schadenregulierung in Anspruch nehmen. Der Versicherer muss die Anwaltskosten erstatten. |

Diese Klarstellung traf das Amtsgericht Aachen. Es führte dazu aus: Angesichts der immer komplexer werdenden Rechtsprechung zu den verschiedensten Schadenpositionen (z. B. nur: Mietwagenkosten, Sachverständigenkosten, Stundenverrechnungssätze von Werkstätten) ist die Abwicklung eines Verkehrsunfallschadens für jeden, der nicht gerade über ausgeprägte Spezialkenntnisse auf dem Gebiet des Verkehrsunfallrechts verfügt, ein schwierig gelagerter Schadensfall. Dass der Mitarbeiter der Versicherung dem Geschädigten unstreitig telefonisch Deckung und Haftung für den Unfall bestätigt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Damit hat der Versicherer nur seine Haftung dem Grunde nach bestätigt. Es war damit nicht geklärt, in welcher Höhe der Geschädigte den Versicherer berechtigt würde in Anspruch nehmen können. Um dies zu klären, war es aus Sicht eines vernünftigen Unfallgeschädigten dringend geboten, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen.

Quelle | Amtsgericht Aachen, Urteil vom 20.7.2018, 113 C 31/18, Abruf-Nr. 202632 unter www.iww.de.

Haftungsrecht: Wer rückwärts ausparkt muss in alle Richtungen schauen

| Wer auf einem Autobahnparkplatz rückwärts aus einer Parkbucht fährt, muss trotz Einbahnstraßenregelung den Verkehr in beide Richtungen beachten. |

Das schrieb das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg einem Autofahrer ins Stammbuch. Der Mann wollte rückwärts aus einer Parkbucht auf einem Autobahnparkplatz ausparken. Er kollidierte mit einem Transporter der Straßenbaubehörde, der die Fahrgasse entgegen der Einbahnstraßenregelung befuhr. Der Mann und die Straßenbaubehörde gaben sich gegenseitig die Schuld und forderten jeweils Schadenersatz voneinander.

Das Landgericht gab der Behörde recht. Ihr Mitarbeiter hätte korrekt gehandelt. Er hätte die Einbahnstraße in entgegengesetzter Richtung befahren dürfen, weil es sich um eine Fahrt zur Kontrolle des Parkplatzes auf mögliche Schäden gehandelt habe. Ein Befahren entgegen der Einbahnstraße wäre nach den Erkenntnissen des gerichtlichen Sachverständigen dafür erforderlich gewesen. Das Behördenfahrzeug sei auch ordnungsgemäß durch weiß-rote-weiße Warneinrichtungen gekennzeichnet gewesen. Zudem sei es extrem langsam gefahren.

Das wollte der Mann nicht akzeptieren und rief das OLG an. Er argumentierte, er habe mit dem „verbotswidrigen“ Verhalten des Behördenmitarbeiters beim Ausparken nicht rechnen müssen. Dieser hätte den Bereich auch unschwer zu Fuß kontrollieren können. Das sah der Senat anders. Der Mann hätte beim Ausparken beide Fahrtrichtungen absichern müssen. Er habe damit rechnen müssen, dass ein Fahrzeug mit Sonderrechten oder auch ein Fußgänger die Einbahnstraße in der entgegengesetzten Richtung nutze. Der Behördenmitarbeiter habe sich auch ordnungsgemäß verhalten, indem er das ihm gesetzlich eingeräumte Sonderrecht wahrgenommen habe. Für ihn sei der Unfall auch im konkreten Fall nicht mehr vermeidbar gewesen. Ein Fahrzeugführer müsse sich im Übrigen beim Rückwärtsausparken laufend darüber vergewissern, dass niemand zu Schaden komme. Der übrige Verkehr dürfe darauf vertrauen, dass der Ausparkende auch bei einem bereits begonnenen Ausparkmanöver andere Verkehrsteilnehmer wahrnehme und darauf reagiere. Der Mann hat seine Berufung nach einem entsprechenden Hinweis des Senats zurückgenommen.

Quelle | OLG Oldenburg, Beschluss vom 23.4.2018, 4 U 11/18, Abruf-Nr. 204204 unter www.iww.de.

Erbrecht: Bewährungsstrafe ist kein Grund, den Pflichtteil zu entziehen

| Eine Bewährungsstrafe reicht auch dann nicht als Grund für eine Pflichtteilsentziehung, wenn wegen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen die Aussetzung der Strafe zur Bewährung widerrufen worden ist. |

Diese Klarstellung traf das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken im Fall einer Erblasserin, die ihrem Sohn den Pflichtteil entzogen hatte. Der Sohn war wegen schweren räuberischen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden – auf Bewährung. Er kam den Bewährungsauflagen jedoch nicht nach und musste die Haft verbüßen.

Die Richter erläuterten, dass der Erblasser einem Abkömmling den Pflichtteil entziehen könne, wenn der Abkömmling zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wird und die Teilhabe des Abkömmlings am Nachlass unzumutbar ist. Eine Bewährungsstrafe wird vom eindeutigen Wortlaut der Norm nicht erfasst. Eine Analogie auf Sachverhalte der vorliegenden Art, wo die Aussetzung der Strafe zur Bewährung widerrufen worden ist, kommt nicht in Betracht.

Quelle | OLG Saarbrücken, Beschluss vom 12.12.2017, 5 W 53/17, Abruf-Nr. 200631 unter www.iww.de.

Betriebsratswahl: Ein Filialleiter ist nicht immer leitender Angestellter

| Ein Filialleiter im Bereich der Systemgastronomie kann in den Betriebsrat gewählt werden. Er ist nicht zwingend ein leitender Angestellter. Eine aus diesem Grund vom Arbeitgeber angestrengte Anfechtung der Betriebsratswahl ist erfolglos. |

Zu diesem Ergebnis kam das Arbeitsgericht Neumünster. Der Streit hatte sich daran entzündet, dass der Arbeitgeber die Betriebsratswahl angefochten hatte. Er war der Ansicht, dass der Filialleiter nicht in den Betriebsrat hätte gewählt werden dürfen, weil er leitender Angestellter sei.

Das Arbeitsgericht hielt die Betriebsratswahl für rechtens. Zum einen ergebe sich aus dem Arbeitsvertrag des Filialleiters nicht der Status eines leitenden Angestellten. Er könne arbeitsvertraglich gerade nicht selbstständig einstellen oder entlassen. Eine einvernehmliche Abänderung des Arbeitsvertrags durch eine neue Stellenbeschreibung sah das Gericht ebenso wenig wie eine Berechtigung des Arbeitgebers, den Status des Filialleiters einseitig abzuändern. Hinzu komme, dass sich eine etwaige Personalkompetenz des Filialleiters nur auf die eigene Filiale beziehe.

Quelle | Arbeitsgericht Neumünster, Beschluss vom 27.6.2018, 3 BV 3a/18, Abruf-Nr. 203047 unter www.iww.de.