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Familien- und Erbrecht

Bestattung: Streit um Grabstätte der Eltern: Generalvollmacht gibt alleiniges Recht zur Totenfürsorge

| Wer von seinen Eltern für den Fall, dass diese versterben, mit der Bestattung beauftragt wird, erlangt im Zweifel dadurch ein umfassendes Recht zur Totenfürsorge. Dies betrifft auch die Frage, wo die Eltern ihre letzte Ruhestätte finden sollen. Weitere Geschwister sind dann von dieser Entscheidung ausgeschlossen. Das hat das Landgericht (LG) Frankenthal in einem aktuellen Rechtsstreit zwischen zwei Brüdern entschieden, die darüber streiten, wo die Urnen ihrer Eltern beigesetzt sein sollen. |

Ein Sohn bekam Auftrag, Bestattung durchzuführen

Der Fall betraf ein Elternpaar aus Ludwigshafen mit rumänischen Wurzeln. Sie hatten einem ihrer beiden Söhne zu Lebzeiten eine notarielle Generalvollmacht erteilt, die auch über den Tod hinaus wirken sollte. Diese enthielt unter anderem den Auftrag an den Sohn, die Bestattung durchzuführen. Nach dem Tod der Eltern ließ dieser die beiden Urnen in einem Gräberfeld in Rumänien beisetzen.

Anderer Sohn war mit Durchführung nicht einverstanden

Damit war der andere Sohn nicht einverstanden und behauptet, dies habe nicht dem Willen der Eltern entsprochen. Er beantragte, den Bruder zu verurteilen, die Urnen nach Deutschland umzubetten.

Das Landgericht (LG) sah keinen Anspruch des nicht bevollmächtigten Bruders, auf die letzte Ruhestätte seiner Eltern Einfluss zu nehmen. Durch die Generalvollmacht sei dieses Recht ausschließlich nur einem der beiden Brüder übertragen worden. Nach Auffassung des LG regelt diese Vollmacht nicht nur die Frage der Bestattungskosten. Dem beauftragten Sohn sei vielmehr ein umfassendes Recht zur Totenfürsorge übertragen er könne also auch bestimmen, wo das Grab liegen und wie es aussehen solle. Demgegenüber sei der nicht berechtigte Bruder von jedem Einfluss und jeglicher Kontrolle ausgeschlossen. Das sei nur ausnahmsweise anders, wo die gewählte Form der Beisetzung als Verstoß gegen das allgemeine Sittlichkeits- und Pietätsempfinden aufgefasst werden könne oder etwa die Grabinschrift bestimmte Angehörige herabwürdige. Das sei hier nicht der Fall.

Auch war das LG nicht davon überzeugt, dass die Wahl des Bestattungsortes gegen den Willen der Verstorbenen verstoße. Vielmehr bestünden erhebliche Zweifel daran, ob das verstorbene Elternpaar tatsächlich in Ludwigshafen und nicht in Rumänien habe beigesetzt werden wollen. Zudem stelle jede Umbettung eine Störung der Totenruhe dar, die in Deutschland besonders geschützt und deshalb nur ausnahmsweise zulässig sei.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 26.5.2023, 8 O 282/22, PM vom 29.8.2023

Keine Kindeswohlgefährdung: Rechtswidrigkeit einer Inobhutnahme eines Kindes mit Behinderungen

| Das Verwaltungsgericht (VG) Göttingen hat auf Antrag eines Vaters festgestellt: Die Inobhutnahme eines (damals) elfjährigen Kindes im Jahr 2020 war rechtswidrig. |

Kind mit multiplen Störungen, Eltern in Trennung

Das heute 14-jährige Kind leidet u.a. an Störungen des Sozialverhaltens, Entwicklungsstörungen und unterdurchschnittlichen Lern- und Leistungsmöglichkeiten. Seit dem Jahr 2019 ist ihm Pflegegrad 3 und ein Grad der Behinderung von 50 zuerkannt. Seit November 2022 liegt der Grad der Behinderung bei 70. Die Eltern des Kindes trennten sich in den Jahren 2018/2019 und streiten seitdem um das Sorge- und Umgangsrecht. Dem Vater wurden mit Beschluss des AG vom Juli 2020 wesentliche Teile des Personensorgerechts entzogen, nämlich das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitssorge und das Recht, Jugendhilfeanträge zu stellen. Diese Rechte wurden allein der Mutter übertragen. Im September 2020 stand dem Vater zeitweise kein Umgangsrecht zu. Im Oktober 2022 übertrug ein anderes AG den Eltern die Gesundheitssorge wieder gemeinsam.

Mehrere Hilfsmaßnahmen für das Kind

Seit 2017 bewilligte die Stadt Göttingen (Beklagte) immer wieder Hilfen nach dem Kinder- und Jugendhilferecht (Tagesgruppe, Heimerziehung, Schulbegleitung). Anfang September 2020 nahm sie das Kind mit Einverständnis der Mutter in Obhut. Die Inobhutnahme ist eine vorläufige Maßnahme zum Schutz von Kindern und Jugendlichen eine sozialpädagogische Krisenintervention. Sie beinhaltet eine vorübergehende Schutzgewährung sowie eine weiterführende Klärungshilfe. Mit Bescheiden vom November 2020 gewährte die Beklagte für das Kind Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung nach dem Wortlaut der Bescheide rückwirkend auf den Tag der Inobhutnahme. Mitte August 2022 wurde diese Hilfe beendet. Nach kurzer Unterbrechung folgten weitere Hilfen.

Mit seiner im April 2022 erhobenen Klage wollte der Vater des Kindes (Kläger) insbesondere festgestellt wissen, dass die damalige Inobhutnahme rechtswidrig war. Diesem Antrag folgte die Kammer.

Inobhutnahme war nicht erforderlich

Die Inobhutnahme war nicht erforderlich, so das AG nun. Die Erforderlichkeit sei nur gegeben, wenn allein die Inobhutnahme das Kindeswohl sichern könne und andere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht zur Verfügung stünden.

Vorliegend hätte es für eine Fremdunterbringung keiner Inobhutnahme bedurft. Denn die Kindesmutter, die das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht und auch das Recht, Jugendhilfeanträge zu stellen sowie die Gesundheitssorge innehatte, sei mit einer Fremdunterbringung einverstanden gewesen. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Inobhutnahme vom September 2020 habe keine unmittelbaren Konsequenzen für die anschließend getroffenen und in Zukunft noch zu treffenden Entscheidungen über weitere Hilfeleistungen.

Quelle | VG Göttingen, Urteil vom 24.8.2023, 2 A 107/22, PM vom 4.9.2023

Testament: Ersatzerben trotz namentlicher Bestimmung von Schlusserben

| Nennen die Erblasser in einem gemeinschaftlichen Testament ausschließlich bestimmte Schlusserben namentlich, schließt dies nicht aus, dass später Ersatzerben eintreten können. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg entschieden. |

Zwei Kinder als Schlusserben, eines verstarb

Die Eheleute setzten sich in einem handschriftlichen Testament gegenseitig als Erben und die beiden erstehelichen Kinder der Ehefrau zu Schlusserben nach dem Überlebenden ein. Dabei führten sie die beiden Kinder namentlich auf. Vor dem Schlusserbfall verstarb eines der beiden Kinder und hinterließ seinerseits ein Kind. Nach dem Tod der zunächst überlebenden Ehefrau beantragte das andere Kind der Eheleute einen ihn als Alleinerben ausweisenden Erbschein, der zunächst erteilt und später eingezogen wurde. Dieses Kind der Eheleute ist der Auffassung, dass durch die ausdrückliche namentliche Benennung der Schlusserben im Testament sichergestellt sein sollte, dass einzig und allein diesen beiden bzw. bei Vorversterben eines Schlusserben nur einem von ihnen allein der Nachlass zufließen sollte. Hätten die Erblasser gewollt, dass eines der Enkelkinder anstelle eines der benannten Schlusserben an dessen Stelle treten solle, hätten sie dies im Testament auch niedergeschrieben. Dem folgt das OLG Brandenburg jedoch nicht.

Oberlandesgericht: Auch Enkelkind kann erben

Das OLG: Nach einer gesetzlichen Auslegungsregel im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 2069 BGB) ist das Enkelkind als Abkömmling seines als Schlusserben eingesetzten, vorverstorbenen Vaters an dessen Stelle als Ersatzerbe getreten. Es ist gerade keine Anwachsung des Erbteils seines vorverstorbenen Vaters auf das überlebende Kind erfolgt.

Zuwendungen an einen Abkömmling werden durch die o. g. Vorschrift im Zweifel auf dessen Abkömmlinge erstreckt, wenn der ursprünglich Bedachte nach Errichtung des Testaments weggefallen ist. § 2069 BGB ist unabhängig davon anzuwenden, ob die Abkömmlinge namentlich benannt sind oder sich die Zuwendung an diese aus anderen Formulierungen ergibt. Die namentliche Benennung der Söhne als Schlusserben ist kein hinreichender Anhaltspunkt dafür, dass die Erstreckung auf die Abkömmlinge der Bedachten dem Willen des Erblassers widerspricht.

Quelle | OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.6.2023, 3 W 41/23, Abruf-Nr. 236400 unter www.iww.de

Unterhaltsvorschuss: Ein mit Samenspende gezeugtes Kind ohne rechtlichen Vater

| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat heute in drei Berufungsverfahren entschieden, dass eine alleinerziehende Mutter für ihr Kind, das unter Verwendung einer offiziellen Samenspende nach dem Samenspenderregistergesetz gezeugt worden ist, keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz hat. |

Die Klägerinnen hatten sich mit ihren Berufungsverfahren gegen Urteile des Verwaltungsgerichts (VG) gewandt. Dieses hatte entschieden, Unterhaltsvorschuss sei nicht zu gewähren, weil dies der gesetzgeberischen Konzeption widerspreche, die öffentliche Unterhaltsleistung in erster Linie als Vorschuss zu zahlen und von dem säumigen zum Barunterhalt verpflichteten anderen Elternteil zurückzufordern.

Dieser Würdigung ist das OVG gefolgt. Zwar habe das Kind nach dem Samenspenderregistergesetz einen Anspruch darauf, zu erfahren, wer sein biologischer Vater sei. Ein Rückgriff der Unterhaltsvorschussstelle auf den anderen Elternteil sei aber von vornherein aussichtslos, weil die mit dem Samenspenderregistergesetz (SaRegG) am 1.7.2018 in Kraft getretene einschlägige Regelung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 1600d Abs. 4 BGB) es ausschließe, dass der offizielle Samenspender als rechtlicher Vater festgestellt werde.

Quelle | OVG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 10.8.2023, OVG 6 B 15/22, OVG 6 B 16/22, OVG 6 B 17/22, PM 19/23

Schadenersatz: Fortdauernde Unterbringung in einem Kinderheim

| Die Fremdunterbringung eines Kindes wegen seiner Belastung durch den zwischen seinen getrenntlebenden Eltern schwelenden Sorgerechtsstreit ist regelmäßig unverhältnismäßig. Wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sprach das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 3.000 Euro zu. |

Das war geschehen

Der Kläger nimmt die beklagte Stadt Frankfurt am Main auf Schadenersatz wegen seiner Unterbringung in einem Kinderheim in Anspruch. Seine getrenntlebenden Eltern stritten über das Sorgerecht. Der damals Sechsjährige lebte bei seiner Mutter und hatte regelmäßig Umgang mit seinem Vater. Der Vater informierte das Jugendamt, dass der Kläger ihm mitgeteilt habe, von der Mutter geschlagen worden zu sein; das Jugendamt erhielt auch ein entsprechendes ärztliches Attest. Daraufhin nahm das Jugendamt den Kläger in Obhut und brachte den Kläger in einem Kinderheim unter. Das Familiengericht übertrug dem Jugendamt das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Die Eltern widerriefen knapp drei Wochen nach der Unterbringung ihre zunächst erteilte Zustimmung. Knapp vier Monate später wurde der familiengerichtliche Beschluss vorläufig ausgesetzt und der Kläger kehrte zu seiner Mutter zurück. Nachfolgend hob das OLG im Sorgerechtsverfahren den Beschluss auf und übertrug das Sorgerecht auf den Vater. Dort lebt der Kläger seitdem. Der Kläger begehrte Entschädigung wegen der erlittenen Trennung von seinen Eltern.

Erfolg in der höheren Instanz

Das Landgericht (LG) hatte die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers hatte vor dem OLG teilweise Erfolg. Die Stadt als Trägerin des Jugendamts wurde verurteilt, wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts an den Kläger 3.000 Euro zu zahlen und für künftige Schäden einzustehen.

Anfängliche Inobhutnahme war rechtens…

Zur Begründung betonte das OLG zunächst, dass die anfängliche Inobhutnahme keine schuldhafte Amtspflichtverletzung dargestellt habe. Insbesondere sei nicht feststellbar, dass das Jugendamt den Sachverhalt unzureichend ermittelt oder durch eine fehlerhafte Antragstellung die gerichtliche Entscheidung maßgeblich beeinflusst habe. Darüber hinaus liege die Verantwortung für die Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht allein beim Familiengericht. Zum Zeitpunkt der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf das Jugendamt hätten die Eltern der Übertragung auch zugestimmt.

… aber Fremdunterbringung war unverhältnismäßig

Pflichtwidrig habe aber die zuständige Mitarbeiterin des Jugendamts das Aufenthaltsbestimmungsrecht auch nach Ablauf einer kurzen Zeitspanne weiterhin zugunsten einer Fremdunterbringung ausgeübt. Die Fremdunterbringung eines Kindes aus Anlass eines tiefgreifenden Elternkonfliktes sei nur dann gerechtfertigt, „wenn der permanente Elternkonflikt das Kindeswohl in hohem Maße und mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet“. Zu berücksichtigen sei dabei stets der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. „Die Folgen der Fremdunterbringung dürften für das Kind nicht gravierender sein als die Folgen eines Verbleibs in der Herkunftsfamilie“, stellte das OLG klar.

Hier könne die Inobhutnahme und Unterbringung in einem Kinderheim abgesehen von einer kurzen Übergangszeit nicht damit gerechtfertigt werden, dass der Kläger von seiner Mutter geschlagen wurde. Der Gefahr erneuter Misshandlungen habe vielmehr dadurch begegnet werden können, dass der Kläger bis zur endgültigen Entscheidung über das Sorgerecht bei seinem Vater untergebracht wurde. Ein solcher sofortiger Ortswechsel habe mit entsprechenden Unterstützungsleistungen auch begleitet werden können.

Der heftige und langwierige Streit der Eltern über das Sorge- und Umgangsrecht rechtfertige dagegen angesichts der mit der Fremdunterbringung einhergehenden Belastungen nicht deren Fortdauer. Die ursprüngliche Herausnahme aus der Familie sei lediglich als kurzfristige Maßnahme veranlasst gewesen, in deren Verlauf eine Beruhigung eintreten sollte. Eine längere, monatelange Trennung von den Eltern habe der Kläger dagegen nicht als Entlastung von dem elterlichen Konflikt erleben können, sondern als ungerechtfertigte Folge dessen, dass er sich über die Misshandlungen durch seine Mutter beschwert habe.

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 27.7.2023, 1 U 6/21

Schulpflicht: Zwangsgeld gegen Eltern möglich

| Das Verwaltungsgericht (VG) Schleswig-Holstein stellte jetzt fest: Die Schulen und Schulämter können Zwangsmittel auch gegenüber den Eltern schulpflichtiger Kinder anwenden, um die Schulpflicht durchzusetzen. |

Zwangsgelder in fünf Fällen

In fünf ähnlich gelagerten Fällen wandten sich betroffene Eltern gegen die ihnen durch Schulen bzw. Schulämter auferlegte Verpflichtung, ihr Kind an einer Schule anzumelden bzw. dafür zu sorgen, dass es am Schulunterricht teilnimmt. Diese Verpflichtung war in den meisten Fällen mit der Androhung eines Zwangsgelds verbunden. Die Zwangsgelder in Höhe zwischen 300 und 800 Euro wurden teilweise auch zur Zahlung festgesetzt, nachdem die Eltern der Pflicht zur Schulanmeldung und Schulpflichtsicherstellung nicht nachgekommen waren.

Wille des Kindes gegen Schulbesuch „ist aufzulösen“

Das Gericht beurteilte das Vorgehen der Schulen und Ämter als rechtmäßig. Das Schleswig-Holsteinische Schulgesetz halte für Zwangsmittel hinreichende Rechtsgrundlagen vor. Die Eltern hätten nicht dargelegt, ihrer gesetzlichen Verantwortung für den Schulbesuch ihrer Kinder nachgekommen zu sein. Für Geltung und Durchsetzung der Schulpflicht komme es nicht darauf an, dass ein Kind (auch) aus eigenem Willen nicht zur Schule gehe, weil es außerhalb der Schule selbstbestimmt lernen wolle. Ein solcher Kindeswille mache den Eltern die Erfüllung der gegen sie gerichteten Verpflichtungsanordnung weder unmöglich noch führe er zur Nichtigkeit des Bescheids. Vielmehr müssen Eltern aufgrund ihrer Sorgepflicht auch versuchen, einen etwa entgegenstehenden Willen des Kindes aufzulösen. Auch ein vorgetragener Umzug ins Ausland tangiere die Schulpflicht nicht, solange in Wirklichkeit von einem Hauptwohnsitz der Familie in Deutschland auszugehen sei.

Quelle | VG Schleswig-Holstein, Urteile vom 8.5.2023, 9 A 174/22, 9 A 53/23, 9 A 57/23, 9 A 98/23 und 9 A 130/23, PM vom 14.8.2023

Gesetzesvorhaben: Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag

| Das neue Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG) soll trans-, intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen erleichtern, ihren Geschlechtseintrag ändern zu lassen. Die Bundesregierung hat jetzt einen entsprechenden Entwurf vorgelegt. |

Das Selbstbestimmungsgesetz soll es für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen einfacher machen, ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister und ihre Vornamen ändern zu lassen. Die Änderung soll in Zukunft durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt vorgenommen werden können. Eine gerichtliche Entscheidung über die Antragstellung soll nicht mehr erforderlich sein. Auch die Notwendigkeit zur Einholung zweier Sachverständigengutachten soll entfallen. Das Gesetz soll an die Stelle des Transsexuellengesetzes (TSG) von 1980 treten. Es trifft keine Regelungen zu geschlechtsangleichenden medizinischen Maßnahmen.

Hintergrund: Das Grundgesetz schützt auch das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung. Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wiederholt klargestellt. Durch das Selbstbestimmungsgesetz soll die Verwirklichung dieses Rechts erleichtert werden. Nach dem geltenden TSG setzt die Änderung des Geschlechtseintrags die Einholung von zwei Sachverständigengutachten und eine gerichtliche Entscheidung voraus. Diese Vorgaben empfinden viele Betroffene als entwürdigend. Das Verfahren ist außerdem langwierig und kostspielig. Auch die Begutachtenden selbst äußern sich zunehmend skeptisch in Bezug auf die Begutachtungspflicht. Der deutsche Psychotherapeutentag hat sich dafür ausgesprochen, eine Änderung über eine Erklärung beim Standesamt zu regeln und den Geschlechtseintrag im Wesentlichen nur vom Geschlechtsempfinden der antragstellenden Person abhängig zu machen.

Das Selbstbestimmungsgesetz kann erst in Kraft treten, wenn der Deutsche Bundestag das Gesetz beschlossen hat. Eine Zustimmung des Bundesrats ist nicht erforderlich. Konkrete Zeitangaben hat die Bundesregierung nicht gemacht. Die Entscheidung liegt beim Deutschen Bundestag. Der Gesetzentwurf sieht ein Inkrafttreten am 1.11.2024 vor.

Quelle | Bundesministerium der Justiz, Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften, Entwurf, letzte Aktualisierung vom 31.8.2023

Postmortale Vaterschaftsfeststellung: Erben müssen nicht zahlen

| Erben sind nicht am Gerichtsverfahren zu beteiligen, wenn die Vaterschaft eines Verstorbenen festgestellt werden soll. Auf jeden Fall dürfen sie aber nicht mit den Verfahrenskosten belastet werden, sollten sie dennoch beteiligt werden. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig. |

Komplizierte Familiensituation

Die Hinterbliebenen stritten um die Kosten eines Vaterschaftsfeststellungsverfahrens. Der Erblasser hatte eine Witwe, deren Tochter und zwei weitere Kinder von anderen Frauen hinterlassen. Eine weitere Frau beantragte nun, festzustellen, der Verstorbene sei ihr Vater gewesen, um Pflichtteilsansprüche geltend zu machen. Die Witwe wollte, dass die Frau hierfür einen Nachweis erbringt. Das Amtsgericht (AG) beteiligte diese Frau, deren Mutter und die o. g. vier Erben am Verfahren.

Vaterschaftsfeststellung eindeutig

Die Vaterschaftsstellung ergab, dass die Frau die Tochter des Erblassers war. Das AG meinte dann, dass allein die o. g. Erben die Kosten dieses Verfahrens tragen müssten. Doch die Erben wehrten sich dagegen mit Erfolg.

Das OLG: Die Erben müssen Kosten der Vaterschaftsfeststellung nicht tragen, sondern Mutter und Tochter jeweils zur Hälfte. Das AG durfte die übrigen Familienmitglieder nicht zum Verfahren hinzuziehen. Den Erben fehle es an einem unmittelbaren Interesse am Ausgang der Sache. Das Gericht erwähnte noch, dass die Tochter als Erwachsene rund 15 Jahre Zeit gehabt hatte, die Vaterschaft zu Lebzeiten ihres Vaters klären zu lassen. Ihre Mutter wiederum habe es unterlassen, rechtzeitig vor der Volljährigkeit der Tochter das Jugendamt für eine kostengünstige Feststellung hinzuzuziehen.

Quelle | OLG Schleswig, Beschluss vom 1.6.2023, 8 WF 50/23

Kindeswohl: Widerrechtliches Verbringen des Kindes ins EU-Ausland

| Das Gericht des Mitgliedstaats der EU, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, kann trotz Zuständigkeit für die Entscheidung über das Sorgerecht in Ausnahmefällen die Verweisung des Falls an ein Gericht des Mitgliedstaats beantragen, in den das Kind verbracht wurde. Das Kind muss jedoch eine besondere Bindung zu dem anderen Mitgliedstaat haben, das Gericht dieses anderen Mitgliedstaats muss den Fall besser beurteilen können und die Verweisung muss dem Wohl des Kindes entsprechen. So hat es jetzt der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden. |

Das war geschehen

Ein slowakisches Paar, das mit seinen beiden Kindern in Österreich wohnhaft war, trägt aufgrund einer Trennung einen Rechtsstreit über das Sorgerecht für die Kinder und deren Wohnort aus. Da die Mutter die Kinder zu sich in die Slowakei gebracht hatte, beantragte der Vater nach dem Haager Übereinkommen über die internationale Kindesentführung bei einem slowakischen Gericht die Rückführung der Kinder zu ihm nach Österreich. Da die Eltern bisher das gemeinsame Sorgerecht hatten, beantragte der Vater bei einem österreichischen Gericht außerdem, ihm das alleinige Sorgerecht zu übertragen. Die Mutter der Kinder beantragte bei diesem österreichischen Gericht, dass es ein slowakisches Gericht ersuchen möge, sich hinsichtlich des Sorgerechts für die Kinder für zuständig zu erklären. Das österreichische Gericht gab diesem Antrag statt, wogegen der Vater einen sog. Rekurs erhob.

Österreichisches Gericht rief den Europäischen Gerichtshof an

Vor diesem Hintergrund hat das österreichische Rekursgericht den EuGH ersucht, die „Brüssel-IIa-Verordnung“ auszulegen, die auf Unionsebene Zuständigkeitsregeln u. a. für Sorgerechtsangelegenheiten festlegt. Nach dieser Verordnung sind für die Entscheidung eines Sorgerechtsstreits grundsätzlich die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Aufgrund ihrer räumlichen Nähe sind diese Gerichte nämlich im Allgemeinen am besten in der Lage, die zum Wohl des Kindes zu erlassenden Maßnahmen zu beurteilen. Bei einem widerrechtlichen Verbringen des Kindes bleiben jedoch grundsätzlich die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und zwar, um von einem derartigen Verbringen abzuschrecken.

In Ausnahmefällen kann das Gericht eines Mitgliedstaats, das in der Hauptsache für die Entscheidung über das Sorgerecht zuständig ist, gemäß dieser Verordnung die Verweisung des Falls an ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats beantragen, zu dem das Kind eine besondere Bindung hat, wenn dieses Gericht den Fall besser beurteilen kann und dies dem Wohl des Kindes entspricht. Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob diese Möglichkeit auch dann besteht, wenn das Kind widerrechtlich verbracht wurde.

So sieht es der Europäische Gerichtshof

Der EuGH bejahte diese Frage: Das Gericht eines Mitgliedstaats, das in der Hauptsache für die Entscheidung über das Sorgerecht zuständig ist, da das Kind unmittelbar, bevor es von einem Elternteil in einen anderen Mitgliedstaat verbracht wurde, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat hatte, kann in Ausnahmefällen die Verweisung des Falls an ein Gericht dieses anderen Mitgliedstaats beantragen. Dies setzt voraus, dass das Kind eine besondere Bindung zu diesem anderen Mitgliedstaat hat, dass das andere Gericht nach Ansicht des zuständigen Gerichts den Fall besser beurteilen kann und dass die Verweisung dem Wohl des Kindes entspricht. Diese kumulativen Voraussetzungen sind abschließend.

Es ist zu klären, ob Kindesentführung vorliegt

Bei der Prüfung der letzten beiden Voraussetzungen muss das zuständige Gericht jedoch berücksichtigen, ob gemäß dem Haager Übereinkommen über die internationale Kindesentführung ein Verfahren zur Rückgabe dieses Kindes anhängig ist, das in dem Mitgliedstaat, in den das Kind widerrechtlich verbracht wurde, noch nicht rechtskräftig entschieden wurde. Das zuständige Gericht muss dabei gemäß den Bestimmungen des Haager Übereinkommens insbesondere berücksichtigen, dass es den Gerichten des anderen Mitgliedstaats so lange unmöglich ist, eine dem Kindeswohl entsprechende Sachentscheidung über das Sorgerecht zu treffen, bis das mit dem Antrag auf Rückgabe des Kindes befasste Gericht dieses Mitgliedstaats zumindest über diesen Antrag entschieden hat.

Quelle | EuGH, Urteil vom 13.7.2023, C-87/22 | TT, PM 127/23

Ordnungsgeld: Wenn ein Elternteil Umgangsregelungen verhindert …

| In Familiensachen wird oft besonders heftig gestritten. Gerade in Umgangssachen sind die Eltern häufig nicht bereit, zugunsten des Rechts der Kinder auf Umgang flexibel zu agieren. Folge: Bei Verstößen gegen eine gerichtlich gebilligtes Umgangsregelung darf das Gericht sog. Ordnungsmittel verhängen. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Celle entschieden. |

Die Eltern hatten eine familiengerichtlich genehmigte Vereinbarung zum Umgang getroffen. Darin war u. a. geregelt, dass der Vater samstags mit seinen Söhnen telefonieren darf. Dies verhinderte die Mutter jedoch.

Der Vater beantragte erstinstanzlich zunächst erfolglos, ein Ordnungsgeld gegen die Mutter festzusetzen. Das OLG gab ihm jedoch Recht. Es stellte sogar klar: Ordnungsmittel können auch bei beiderseitigen Verfehlungen der Eltern verhängt werden. Denn in einer solchen Situation ist darauf zu achten, dass gerichtliche Regelungen eingehalten werden. Sonst wären solche obsolet. Im Rahmen vereinbarter Telefonate muss der Umgangspflichtige nicht nur sicherstellen, dass das Kind erreichbar ist. Er muss auch für eine ungestörte Umgebung bzw. Atmosphäre sorgen, in der eine gute Verständigung möglich ist.

Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 16.2.2023, 10 WF 168/22, Abruf-Nr. 235051 unter www.iww.de