Marcus Spiralski Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht & Fachanwalt für Familienrecht

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Urteilsarchiv

Medizinisch-psychologische Untersuchung: MPU nur bei wiederholten Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss

| Wiederholte Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss, die die Aufforderung rechtfertigen, ein medizinisch-psychologischen Gutachten beizubringen, liegen nur vor, wenn der Betroffene in mindestens zwei vom äußeren Geschehensablauf her eigenständigen Lebenssachverhalten je eine oder mehrere solche Zuwiderhandlungen begangen hat. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden. |

Unfall und Unfallflucht

Die Klägerin begehrt die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis. Wegen in Tatmehrheit im Sinne des Strafgesetzbuchs begangener fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr sowie vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort hatte sie das Amtsgericht (AG) rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt und ihr die Fahrerlaubnis entzogen. Nach den Feststellungen im Strafurteil fuhr die Klägerin im April 2015 mit ihrem PKW in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand (Blutalkoholkonzentration von 0,68 Promille) auf den Parkplatz eines Supermarkts. Nach dem Einkauf parkte sie rückwärts aus und fuhr dabei auf einen hinter ihrem Fahrzeug stehenden PKW auf. Sie stieg aus und begutachtete den entstandenen Schaden. Anschließend fuhr sie in ihre Wohnung zurück, ohne die erforderlichen Unfallfeststellungen treffen zu lassen.

Als die Klägerin im März 2018 beim Beklagten die Neuerteilung der Fahrerlaubnis beantragte, forderte er von ihr die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens. Sie habe im April 2015 wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen, die Zweifel an ihrer Fahreignung begründeten. Zwischen den beiden Fahrten liege mit dem Aussteigen aus dem Fahrzeug und der Begutachtung des Schadens eine Zäsur. Da die Klägerin das Gutachten nicht beibrachte, lehnte der Beklagte die Fahrerlaubniserteilung ab.

Nur eine Trunkenheitsfahrt nicht zwei

Das Verwaltungsgericht (VG) hatte ihre Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) hat diese Entscheidung geändert und den Beklagten zur Erteilung der Fahrerlaubnis verpflichtet. Bei dem Geschehen im April 2015 habe es sich nicht um wiederholte Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss gehandelt. Das setze voraus, dass es bei natürlicher Betrachtungsweise zu mindestens zwei deutlich voneinander abgrenzbaren Trunkenheitsfahrten gekommen sei. Bei dem Ausparkunfall nebst Aussteigen und Betrachten der Fahrzeuge habe es sich nur um eine kurzzeitige Unterbrechung gehandelt, die auch in der Gesamtbetrachtung mit der vorherigen Fahrtunterbrechung für den Einkauf keinen neuen und eigenständigen Lebenssachverhalt begründet habe.

Die vom Beklagten gegen das Berufungsurteil eingelegte Revision hatte keinen Erfolg. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Neuerteilung der Fahrerlaubnis. Das OVG hat zu Recht angenommen, dass die Klägerin im April 2015 nicht wie das Gesetz (hier: § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. b der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (FeV)) voraussetzt wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen hat. Das ist nur dann der Fall, wenn der Betroffene in mindestens zwei vom äußeren Geschehensablauf her eigenständigen Lebenssachverhalten je eine oder mehrere solche Zuwiderhandlungen begangen hat.

Trunkenheitsfahrt und Unfallflucht: einheitlicher Geschehensablauf

Auch wenn eine Trunkenheitsfahrt nach einem alkoholbedingten Unfall in Kenntnis der eigenen Fahruntüchtigkeit fortgesetzt wird, kann ein einheitlicher Geschehensablauf vorliegen. Im Fall der Klägerin ist die Annahme des OVG nicht zu beanstanden, dass die Trunkenheitsfahrt, die unfallbedingt nur für wenige Minuten unterbrochen war, einen einheitlichen Lebenssachverhalt darstellt.

Quelle | BVerwG, Urteil vom 14.12.2023, 3 C 10.22, PM 94/23

Anscheinsbeweis: „Abgewürgter“ Fahrschulwagen: Wer haftet bei einem Auffahrunfall?

| Auch wenn der Fahrschüler den Fahrschulwagen „abwürgt“: Wer auffährt, haftet. Das meint jedenfalls das Amtsgericht (AG) Sigmaringen. |

Haftungsgrundsätze auch bei Fahrschulwagen gültig

Der Fehler des Fahrschülers ändert nichts am Anscheinsbeweis, dass der Auffahrende entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat, unaufmerksam war oder mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepassten Geschwindigkeit gefahren ist.

„Fahrschule“-Schild: Erhöhte Aufmerksamkeit erforderlich

Die Ausstattung des Fahrschulwagens mit dem „Fahrschule“-Schild erhöht die Sorgfalts- und Aufmerksamkeitspflichten der übrigen Verkehrsteilnehmer. Die Betriebsgefahr des Fahrschulwagens wird in dieser Situation dadurch vollständig verdrängt.

Quelle | AG Sigmaringen, Urteil vom 6.11.2023, 1 C 32/23, Abruf-Nr. 238611 unter www.iww.de

Kündigung: Wenn ein Polizist Käse stiehlt …

| Stiehlt ein Polizist nach einem Verkehrsunfall Käse, ist er aus dem Dienst zu entfernen. So entschied es das Verwaltungsgericht (VG) Trier. |

Das war geschehen

Ein Lkw hatte einen Unfall. Der Polizeibeamte, der eine Uniform und eine Dienstwaffe trug, verlangte von der Bergungsfirma, aus der verunfallten Ladung neun unbeschädigte Packungen Käse herauszugeben. So geschah es. Diese Pakete verlud der Polizist mit einer Kollegin in einen Einsatzbus und deckte sie ab. U. a. ein knappes Viertel des Käses fand sich später in der Polizeistation des Beamten. Seine Erklärung: Der Gutachter der Versicherung habe den Käse freigegeben. Es habe sich quasi um Müll gehandelt. Was er verschwieg: Der Käse wurde später noch zum Restwert verkauft.

Verwaltungsgericht „kennt keine Gnade“

Der Polizist kam zwar vor dem Strafgericht „mit einem blauen Auge“ davon. Das VG, bei dem es um disziplinarische Maßnahmen gegen den Beamten ging, entfernte ihn aus dem Dienst. Er habe während der Dienstzeit in Uniform einen Diebstahl mit Waffen begangen. Das VG verhängte daher die Höchstmaßnahme. Das VG betonte: Einem Polizisten, der in Uniform stiehlt, könne man nicht mehr glauben, dass er sich an Recht und Gesetz hält.

Das VG bewertete es als besonders negativ, dass der Beamte das Vertrauen in die Polizei ausgenutzt hatte, indem er der Bergungsfirma falsche Tatsachen vorgespiegelt hatte. Hinzu kamen Lügen gegenüber seinen Vorgesetzten. Unerheblich sei es, falls der Käse nur als Geschenk an Kollegen dienen sollte.

Quelle | VG Trier, Urteil vom 18.1.2024, 3 K 1752/23 TR

Kündigung: Riskant: Privates Hybridfahrzeug am Arbeitsplatz aufgeladen

| Der Kläger war seit dem 1.7.2018 als Rezeptionist in einem Beherbergungsbetrieb tätig und regelmäßig in der Spätschicht eingesetzt. Er hatte am 12.1.2022 sein Hybridauto vor der Herberge geparkt und über ein Ladekabel an einer 220 Volt Steckdose im Flur des Seminartrakts aufgeladen. Nachdem die Beklagte dies entdeckt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis am 14.1.2022 fristlos. Hiergegen hatte der Kläger sich mit seiner Kündigungsschutzklage gewandt und in erster Instanz obsiegt. In dem vom Arbeitgeber angestrengten Berufungsverfahren haben die Parteien ihren Streit vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf nun per Vergleich beigelegt. |

Unerlaubtes Laden an sich ein Kündigungsgrund

In der mündlichen Verhandlung bestätigte das LAG, dass das unerlaubte Laden des Privatfahrzeugs auf Kosten des Arbeitgebers an sich ein Kündigungsgrund ist. Dies gilt erst recht, wenn das Laden an einer 220 Volt Steckdose und nicht an einer Wallbox oder eingerichteten Ladestation erfolgt.

Erteilte Erlaubnis war unklar

Das LAG hatte allerdings bereits Zweifel, ob von einem unerlaubten Laden auszugehen sei. Dazu hätte ggf. die Beweisaufnahme erster Instanz zur Frage der gegenüber dem Kläger erteilten Erlaubnis wiederholt werden müssen.

Hier hätte Abmahnung ausgereicht

Unabhängig davon sprach nach Ansicht des LAG mehr dafür, dass hier eine Abmahnung ausgereicht hätte. Eine Kündigung wäre wohl unverhältnismäßig gewesen.

„Schaden“ von rund 40 Cent

So lagen die Kosten für den Ladevorgang am 12.1.2022 bei lediglich 0,4076 Euro. Ein Verbot zum Laden von Elektromotoren für die Mitarbeitenden existierte nicht. Die Hausordnung, die dies vorsah, richtete sich ausdrücklich nur an Gäste. Das Laden anderer elektronischer Geräte, z. B. Handys, durch Mitarbeitende wurde geduldet. Auch wenn dies wertungsmäßig etwas anderes als das Laden eines Hybridautos ist, hätte im konkreten Fall angesichts der bislang beanstandungsfreien Beschäftigungszeit eine Abmahnung genügt.

Am Ende verglichen sich die Parteien

Auf Vorschlag des Gerichts haben sich die Parteien u.a. auf eine ordentliche Kündigung zum 28.2.2022 und eine Abfindung von 8.000 Euro brutto geeinigt.

Quelle | LAG Düsseldorf, Vergleich vom 19.12.2023, 8 Sa 244/23, PM 32/23

Verwaltungsrecht: Abgeschlossener Eintrag im Familienbuch kann berichtigt werden

| Die Berichtigung eines abgeschlossenen Eintrags in das Familienbuch setzt nach dem Personenstandsgesetz (hier: § 48 PStG) voraus, dass der Eintrag inhaltlich falsch ist. Zudem muss das Gericht von der Richtigkeit der Änderung überzeugt sein. An den hierfür erforderlichen Nachweis sind strenge Anforderungen zu stellen, stellte nun das Oberlandesgericht (OLG) Celle klar. |

Antragstellerin aus Indien

Die Personenstandsdaten der aus Indien stammenden Antragstellerin sollten im Familienbuch berichtigt werden. Sie hatte anlässlich ihrer ersten Eheschließung u. a. als Geburtsjahr 1973 angegeben und dies durch Dokumente belegt sowie die Richtigkeit dieser Angaben eidesstattlich versichert. Später wollte sie erfolglos u. a. das Geburtsjahr auf 1990 ändern lassen und legte Dokumente aus Indien vor.

Ist der Geburtseintrag richtig oder nicht?

Das Verfahren (nach § 48 PStG) unterliegt dem sog. Amtsermittlungsgrundsatz. Die objektive Feststellungslast für die Unrichtigkeit trägt der Antragsteller. Eine Berichtigung unterbleibt, wenn sich nicht feststellen lässt, dass der Eintrag unrichtig und die Änderung richtig ist. Eine eidesstattliche Versicherung oder eine beeidete bzw. notariell beurkundete Erklärung kann über die (in § 9 Abs. 1 PStG genannten) Urkunden hinaus bedeutsam sein.

Ernsthafte Zweifel können eine Berichtigung gleichwohl ausschließen. Im Fall der Berichtigung eines Registereintrags ist auch die gesetzliche Beweiskraft (nach § 54 Abs. 1 PStG) zu beachten. Daher sind bei der Berichtigung an die Richtigkeit der geänderten Eintragung höhere Anforderungen bei der Überzeugungsbildung zu stellen.

Oberlandesgericht konnte nicht überzeugt werden

Im Fall des OLG konnte dieses nicht die erforderliche volle Überzeugungskraft bilden, dass das „neue“ Geburtsjahr der Antragstellerin das „richtige“ war.

Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 22.12.2022, 21 W 1/21, Abruf-Nr. 234005 unter www.iww.de

Bestattung: Testamentsvollstrecker begeht mit Grabbeigabe keine grobe Pflichtverletzung

| Eine Grabbeigabe (Goldkette und Eheringe) durch den Testamentsvollstrecker ist auch bei einer Auswirkung auf ein Vermächtnis nicht grob pflichtwidrig. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. |

Testamentsvollstrecker kam Wunsch der Erblasserin nach

Die Erblasserin errichtete mit ihrem verstorbenen Ehemann ein gemeinschaftliches Testament. Sie setzten unter anderem ihre gemeinsamen Kinder, die Beteiligten zu 1) bis 3), als Erben zu gleichen Teilen ein und vermachten der Beteiligten zu 3) vorab den Schmuck der Erblasserin. Später ordnete die Erblasserin in einer notariellen Ergänzung Testamentsvollstreckung an und bestimmte den Beteiligten zu 2) zum Testamentsvollstrecker.

Der Beteiligte zu 2) legte der Erblasserin seiner Behauptung zufolge auf deren Wunsch die Eheringe der Erblasserin und ihres Ehemannes an einer Goldkette mit ins Grab, obwohl sich die Beteiligten zu 1) und zu 3) mit der Grabbeigabe der Goldkette zuvor nicht einverstanden erklärt hatten. Dies veranlasste den Beteiligten zu 1), die Entlassung des Beteiligten zu 2) aus dem Amt des Testamentsvollstreckers zu beantragen. Das Nachlassgericht hat den Antrag nach Vernehmung verschiedener Zeugen zurückgewiesen.

So sah es das Oberlandesgericht

Die hiergegen eingelegte Beschwerde hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Ein Testamentsvollstrecker begeht keine grobe Pflichtverletzung, sofern er die Eheringe und eine Kette der Erblasserin auf deren Wunsch ihr mit ins Grab legt, auch wenn er dadurch einem angeordneten Vermächtnis teilweise nicht nachkommen kann. Das OLG hat die Beschwerde einer Tochter der Erblasserin zurückgewiesen.

Zu Recht habe das Amtsgericht (AG) eine als grob zu wertende Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers verneint. Es fehle bereits an dem Nachweis einer Pflichtverletzung. Der Beteiligte zu 1) habe nicht nachweisen können, dass die Grabbeilage nicht auf Wunsch der Erblasserin erfolgt sei. Die Erblasserin sei nicht gehindert gewesen, noch zu ihren Lebzeiten einer Vertrauensperson den rechtsverbindlichen Auftrag zu erteilen, die Goldkette nebst den Eheringen nach ihrem Tod als Grabbeigabe zu verwenden. Dieser insoweit als gegeben zu unterstellende geäußerte Wunsch der Erblasserin sei als wirksamer Auftrag zu deren Lebzeiten an den Beteiligten zu 2) zu verstehen. Diesen Auftrag hätten allenfalls alle drei Erben widerrufen können. Dies sei nicht geschehen.

Es lag eine Pflichtenkollision vor

Die aus dem Vermächtnis einerseits und dem Auftrag der Erblasserin andererseits resultierende Pflichtenkollision habe der Testamentsvollstrecker zugunsten einer Grabbeigabe entscheiden können, ohne dass dies als objektiv pflichtwidriger Verstoß gegen die Pflichten als Testamentsvollstrecker zu werten ist. Darüber hinaus sei selbst eine unterstellte Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers nicht schwerwiegend.

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 19.12.2023, 21 W 120/23, PM 77/23

Autobahnunfall: LKW-Ladung muss man ordnungsgemäß sichern

| Wer vorausschauend handelt, vermeidet später Nachteile, so könnte das Fazit einer Entscheidung des Landgerichts (LG) Lübeck lauten. Im vorliegenden Fall verlor ein LKW auf der Autobahn mangelhaft gesicherten Stahlschrott. |

Lösten sich Teile vom Lkw?

Der Kläger fuhr mit seiner Ehefrau in seinem Auto auf der Autobahn. Vor ihm befand sich ein mit Stahlschrott beladener Lkw. Als sich der Kläger relativ nah am Lkw befand, fuhr dieser über eine Bodenwelle. Dadurch seien plötzlich mehrere kleine Gegenstände und Teile aus dem Lkw herausgefallen und hätten sein Auto getroffen, so der Kläger. Am Wagen sei ein erheblicher Schaden entstanden. Der Kläger verlangte deshalb den Schaden von der Halterin des LKW und deren Versicherung ersetzt.

Die Beklagten bezweifeln den vom Kläger geschilderten Sachverhalt: An dem besagten Tag sei mit dem LKW nur Stahlschrott transportiert worden. Wenn der sich gelöst hätte, hätte der Schaden am Auto ganz anders ausgesehen. Die Schäden am Wagen des Klägers seien nicht durch den Unfall verursacht worden.

Landgericht glaubte Kläger

Das LG hat die Beklagten jedoch trotzdem zur Zahlung verurteilt. Es folgte dabei der Darstellung des Klägers. Dieser habe detailliert geschildert, wo und wann sich Teile gelöst hätten und auf seinem Wagen eingeschlagen seien. Die Ehefrau des Klägers habe bestätigt, dass die Einschläge sehr laut waren. Sie habe sich intuitiv geduckt und dann erst von ihrem Handy hochgesehen und den Lkw bemerkt. Der Fahrer selbst habe zur Aufklärung wenig beitragen können, da er den Unfall gar nicht bemerkt habe.

Aber: Unfallpauschale reduziert

Einziger Wermutstropfen für den Kläger: Er bekam die von ihm geltend gemachte Unfallpauschale in Höhe von 25 Euro nur anteilig erstattet. Die Argumentation des Gerichts: Die Pauschale werde vor allem für höhere Kosten durch den Zeitaufwand nach dem Unfall sowie für die Telefon- und Internetkosten zugesprochen. Dies sei nicht mehr angemessen, da heutzutage fast jeder eine Telefon- und Internetflatrate habe und daher bei Anrufen nichts extra zahle. Folglich reduzierte das Gericht die Pauschale auf 20 Euro.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Quelle | LG Lübeck, Urteil 19.12.2023, 10 O 38/23, PM vom 8.2.2024

Bundesarbeitsgericht: Was taugen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die passgenau die Kündigungsfrist umfassen?

| Der Beweiswert von (Folge-)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann erschüttert sein, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen, und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun klargestellt. |

War der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert?

Der Kläger war seit März 2021 als Helfer bei der Beklagten beschäftigt. Er legte am Montag, dem 2.5.2022, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 2. bis zum 6.5.2022 vor. Anfang Mai kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.5.2022. Mit Folgebescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 wurde Arbeitsunfähigkeit bis zum 20.5.2022 und bis zum 31.5.2022 (einem Dienstag) bescheinigt. Ab dem 1.6.2022 war der Kläger wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung auf. Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Beweiswert der vorgelegten AU-Bescheinigungen sei erschüttert. Dem widersprach der Kläger, weil die Arbeitsunfähigkeit bereits vor dem Zugang der Kündigung bestanden habe. Die Vorinstanzen haben der auf Entgeltfortzahlung gerichteten Klage für die Zeit vom 1. bis zum 31.5.2022 stattgegeben.

Gesetzliches Beweismittel

Die Revision der Beklagten hatte teilweise bezogen auf den Zeitraum vom 7. bis zum 31.5.2022 Erfolg. Ein Arbeitnehmer kann die von ihm behauptete Arbeitsunfähigkeit mit ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachweisen. Diese sind das gesetzlich vorgesehene Beweismittel.

Arbeitgeber kann Beweiswert erschüttern

Deren Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die nach einer Gesamtbetrachtung Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geben. Hiervon ausgehend ist das Landesarbeitsgericht (LAG) bei der Prüfung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die während einer laufenden Kündigungsfrist ausgestellt werden, zutreffend davon ausgegangen, dass für die Erschütterung des Beweiswerts dieser Bescheinigungen nicht entscheidend ist, ob es sich um eine Kündigung des Arbeitnehmers oder eine Kündigung des Arbeitgebers handelt und ob für den Beweis der Arbeitsunfähigkeit eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden.

Einzelfall ist zu würdigen

Stets erforderlich ist allerdings eine einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände. Hiernach hat das Berufungsgericht richtig erkannt, dass der Beweiswert für die Bescheinigung vom 2.5.2022 nicht erschüttert ist. Eine zeitliche Koinzidenz zwischen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und dem Zugang der Kündigung ist nicht gegeben. Der Kläger hatte zum Zeitpunkt der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine Kenntnis von der beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses, etwa durch eine Anhörung des Betriebsrats. Weitere Umstände hat die Beklagte nicht dargelegt. Bezüglich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 ist der Beweiswert dagegen erschüttert. Das LAG hatte insoweit nicht ausreichend berücksichtigt, dass zwischen der in den Folgebescheinigungen festgestellten passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestand und der Kläger unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen hat. Dies hat zur Folge, dass der Kläger nun für die Zeit vom 7.5.bis zum 31.5.2022 die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch trägt.

Da das LAG aus seiner Sicht konsequent hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückzuverweisen.

Quelle | BAG, Urteil vom 13.12.2023, 5 AZR 137/23, PM 45/23

Sorgfaltspflicht: Haftung bei Anfahren vom Straßenrand

| Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Bei einem Unfall, der in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Einfahren von einer Parkbucht in den Straßenverkehr stattfindet, gilt das einfahrende Fahrzeug als Verursacher, wenn eine weitere Aufklärung nicht möglich ist. |

Der Fahrer eines zuvor in einer Parkbucht am Straßenrand stehenden Fahrzeugs ist mit diesem in den Straßenverkehr eingefahren. Hierauf kam es zu einer Kollision mit einem dort in gleicher Richtung fahrenden Wagen. Über den Unfallhergang machten die Beteiligten jeweils unterschiedliche Angaben.

Das AG hat entschieden, dass der Verkehrsunfall vollständig von dem einfahrenden Fahrzeug verursacht wurde. Zwar ließ sich das Geschehen überwiegend nicht mehr aufklären, allerdings habe derjenige, der vom Straßenrand in den Verkehr einfährt, nach der Straßenverkehrsordnung besonders darauf zu achten, dass er andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet.

Aufgrund der zeitlichen und örtlichen Nähe des Unfallgeschehens zu dem Einfahren des parkenden Fahrzeugs in den Straßenverkehr bestehe daher der Anschein, dass dessen Fahrer nicht ausreichend auf den Verkehr geachtet und somit den Unfall herbeigeführt habe. Dafür spreche zudem, dass seine Version des Unfallgeschehens, er sei bereits einige Zeit auf der Straße gefahren, mit dem Schadensbild nicht in Einklang zu bringen sei. Zudem habe der Fahrer selbst erklärt, das andere Fahrzeug erst durch den Anstoß bemerkt zu haben, was darauf hinweise, dass er das Verkehrsgeschehen beim Losfahren von dem Parkplatz nicht ausreichend beobachtet habe.

Quelle | AG Hanau, Urteil vom 5.6.2023, 39 C 329/21 (19)

Bundesgerichtshof: Was ist der „gewöhnliche Aufenthalt“ bei der Bestimmung des auf Ehescheidungen anwendbaren Rechts?

| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) eine Frage zur Auslegung des Begriffs des „gewöhnlichen Aufenthalts“ vorgelegt. Dieser Begriff spielt für viele Scheidungen mit Auslandsbezug eine wichtige Rolle. |

Das war geschehen

Die Beteiligten sind deutsche Staatsangehörige und schlossen im Jahr 1989 die Ehe. Sie lebten zunächst in einer Wohnung in Berlin, die sie im Jahr 2006 gemietet hatten. Im Juni 2017 zogen sie mit nahezu ihrem gesamten Hausstand nach Schweden, wo der Ehemann beschäftigt war. Ihren inländischen Wohnsitz meldeten die Beteiligten im Juni 2017 ab. Ihre Mietwohnung in Berlin behielten sie aber bei, um nach der Auslandstätigkeit des Ehemanns wieder dorthin zurückkehren zu können. Als der Ehemann nach Moskau versetzt wurde, zogen die Beteiligten im September 2019 mit ihrem Hausstand von Stockholm nach Moskau in eine Wohnung auf dem Botschaftsgelände, also einem Wohngebiet für Ausländer. Die Beteiligten besitzen beide einen Diplomatenpass.

Im Januar 2020 reiste die Ehefrau nach Berlin, um sich dort einer Operation zu unterziehen. Im Februar 2021 kehrte sie nach Moskau zurück und wohnte in der Wohnung auf dem Botschaftsgelände. Nach Angaben des Ehemanns teilten die Beteiligten ihren beiden (bereits volljährigen) Kindern im März 2021 mit, dass sie sich scheiden lassen wollten. Die Ehefrau reiste Ende Mai 2021 ab und lebt seither in der Berliner Mietwohnung der Beteiligten. Der Ehemann lebt weiterhin in der Wohnung auf dem Botschaftsgelände.

Im Juli 2021 hat der Ehemann beim Amtsgericht (AG) einen Scheidungsantrag gestellt, dem die Ehefrau seinerzeit mit der Begründung entgegengetreten ist, dass eine Trennung der Ehegatten frühestens im Mai 2021 erfolgt sei.

So sahen es die Vorinstanzen

Das AG hat den Scheidungsantrag zurückgewiesen, weil das (nach deutschem Recht erforderliche) Trennungsjahr noch nicht abgelaufen sei und Gründe für eine Härtefallscheidung nicht vorlägen. Auf die Beschwerde des Ehemanns hat das Kammergericht (KG) Berlin die Ehe der Beteiligten nach russischem Sachrecht geschieden. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich das auf die Ehescheidung anzuwendende Recht gemäß EU-Verordnung, der sog. Art. 8 Rom III-VO, richte, weil eine Rechtswahl gemäß dieser Verordnung nicht erfolgt sei. Vorliegend sei also das russische Sachrecht anzuwenden, weil nach dem Vortrag der Beteiligten davon auszugehen sei, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Ehemanns in Moskau sei, während der dortige gewöhnliche Aufenthalt der Ehefrau erst mit ihrer Abreise nach Deutschland im Mai 2021 geendet habe, also weniger als ein Jahr vor Anrufung des AG. Ein Versorgungsausgleich sei in Ermangelung eines entsprechenden Antrags im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht durchzuführen.

Hiergegen richtete sich die Rechtsbeschwerde der Ehefrau, die eine Scheidung nach deutschem Sachrecht und zusammen mit dem Scheidungsausspruch eine von Amts wegen im Scheidungsverbund zu treffende Entscheidung über den Versorgungsausgleich erstrebte.

Bundesgerichtshof legt dem Europäischen Gerichtshof Grundsatzfragen vor

Der BGH hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: „Nach welchen Kriterien ist der gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten i. S. v. Art. 8 Buchst. a und b Rom III-VO zu bestimmen, insbesondere beeinflusst die Entsendung als Diplomat die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts im Empfangsstaat oder steht sie einer solchen sogar entgegen? Der BGH fragte weiter: „Muss die physische Präsenz der Ehegatten in einem Staat von gewisser Dauer gewesen sein, bevor davon ausgegangen werden kann, dass dort ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet wurde?“ Und: „Setzt die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ein gewisses Maß an sozialer und familiärer Integration in dem betreffenden Staat voraus?“

Beachten Sie | Die Antwort des EuGH darf mit Spannung erwartet werden, weil sie in ähnlichen Konstellationen oft zum Tragen kommen wird.

Quelle | BGH, Beschluss vom 20.12.2023, XII ZB 17/23, PM 16/24